Ein echtes sächsisches Schloss für einen falschen König
Das selbst ernannte „Königreich Deutschland“ hat das sächsische Schloss Bärwalde übernommen. Der Verfassungsschutz ist alarmiert.
Das kleine Dorf, das dem größten See Sachsens seinen Namen gab, liegt nicht einmal am Ufer. Der nächstgelegene Badestrand am Bärwalder See ist gut fünf Kilometer entfernt. Ein Idyll ist der Ort mit den 150 Einwohnern dennoch: Einfamilienhäuser, gepflegte Gärten, viel Wald. Am Dorfrand mäandert die Spree, eingebettet in einen Park mit uralten Eichen. Und dann ist da noch das Schloss aus den 1920er-Jahren, ein sächsisches Kulturdenkmal. In der DDR war es eine Lungenklinik, nach der Wende stand es leer. Ende der 1990er-Jahre erwarb es ein Ehepaar aus Nordsachsen. Nun gibt es wieder neue Schlossherren. Und die haben Großes vor.
„In zwei, drei Jahren könnten hier 50 bis 100 Leute leben. Als Staatsangehörige des Königreichs Deutschlands.“ Der Mann, der das sagt, trägt Shorts und kommt barfuß auf einem Tretroller ans Schlosstor gefahren. Benjamin Müller heißt er. Der 35-Jährige will hier sein neues Zuhause aufbauen. „Die Kinder sind noch in der Badewanne“, ruft seine Frau aus einem Fenster im ersten Stock des Herrenhauses.
Müller macht Öffentlichkeitsarbeit für das „Königreich Deutschland“. Er erzählt, er habe früher im Adresshandel gearbeitet, sei dann ausgestiegen, „weil es sich nicht passend anfühlte“. Auf der Suche nach dem richtigen Weg habe er beim Internetsender Klagemauer-TV angefangen. Der gehört zu einer radikalen christlichen Sekte. Dann sei er auf das „Königreich“ gestoßen. Nun produziere er unter anderem die Videos, mit denen das Königreich für das Bärwalde-Projekt wirbt.
In einem dieser Werbefilme zoomt die Kamera von der Luftansicht des Schlosses auf die umliegenden Grünflächen. Dort stutzen Leute Bäume, legen Reisighaufen an, beladen Schubkarren. Erwachsene, Kinder, Alte, Jugendliche. Sie sagen kurze Sätze. Etwa: „Unter Menschen zu sein, ohne Maske, das ist toll.“ Oder: „Gemeinwohl, das kennen ja viele gar nicht mehr.“ Und oft ist die Rede von einer „Vision, die jetzt Tat werden soll“.
Das Video entstand im Vorfrühling zum ersten „Von-der-Vision-zur-Tat-Einsatz“ in Bärwalde. Ortsvorsteher Frank Zschippang erinnert sich: „80 Autos, fast ausschließlich mit fremden Kfz-Kennzeichen, waren da. Das ist der Gegensatz zu absoluter Ruhe.“ Es habe große Aufregung gegeben. Und im April eine Versammlung mit Boxbergs damaligen Bürgermeister, dem CDU-Mann Achim Junker. Sieben Jahre lang leitete er die Geschicke für Bärwalde und 17 weitere Ortsteile, zum 1. August dieses Jahres hat er aufgehört. „Mich hat immer beunruhigt, dass der Dorffrieden gestört werden könnte.“
Als „sektenartige Siedlungsgemeinschaft“ bezeichnet Sachsens Verfassungsschutz das Königreich. Für den Präsidenten der Behörde, Dirk-Martin Christian, gehört es zur Gruppe der Reichsbürger und Selbstverwalter. Die umfasste 2021 in Sachsen 1.900 Personen.
Zumindest sieben von ihnen sind nun in Bärwalde. Auf den Klingelschildern am Schlosstor aber stehen nur zwei Namen: der des Hausmeisters sowie der einer Frau, über die berichtet wird, sie habe ihr Haus in Hamburg für 370.000 Euro verkauft und den Erlös ins Schloss investiert. Sonst gibt es noch die „Stiftung KRD“ und den Verein „fair teilen – eine Ökonomie für Gemeinwohl“.
Das Gemeinwohl wird großgeschrieben im Königreich, das sich auch „Gemeinwohlstaat“ nennt. Markenrechtlich geschützt ist der Begriff nicht. Populär gemacht hat ihn der österreichische Philologe Christian Felber. Seine Idee von einem Wirtschaftssystem, das auf Werten aufbaut, die das Gemeinwohl fördern, vertritt in Deutschland der Verein Economy für Common Good. Dort distanziert man sich „klar von der Verwendung des Begriffs im Kontext extremistischer Positionen“.
Benjamin Müller ist das egal. Er sagt beim Rundgang über das fünf Hektar große Areal: „Wir wollen hier ein Musterdorf für Gemeinwohlwirtschaft nach der Verfassung des Königreichs Deutschlands aufbauen.“ Auf einer Wiese stehen Camper, Wohnwagen, Zelte und Autos. Man sei offen für jeden, sagt Müller. Statt Miete zahle man mit seiner Arbeitskraft. „Wir sind mit allem versorgt in einer geldlosen Gemeinschaft.“ Es gehe darum, Leistung zu bringen für andere. „Das schaffst du aber nur, wenn es dir selbst gut geht.“ Das System der BRD hingegen fresse sich auf Dauer selbst. „Wir bieten eine Alternative zu diesem Staat. Mehr nicht.“ Mit „diesen Reichsbürgern“ habe man nichts zu tun, Gewalt lehne man ab.
Den Innenhof prägen zwei riesige Eichen, darum verteilt stehen teils kaputte Stühle. In einer Ecke stapeln sich Abwasserrohre. Im ehemaligen Veranstaltungssaal liegen neue Dachbalken vor der zentimeterdick verstaubten Bühne. „Das soll ein Herzstück werden“, sagt Müller. „Für Hochzeiten zum Beispiel.“ In den Räumen nebenan klaffen Löcher in den Decken. Salpeter frisst sich durch einige Flure. Die zwei kaputten Gewächshäuser wolle man wiederherrichten. „Was dann da wächst, könnten wir in einem Dorfladen anbieten.“
Was nach Hippie-Kommune klingt, ist für den Verfassungsschutz eine Strategie. Mithilfe der Gemeinwohldörfer solle das Staatsgebiet des sogenannten Königreichs erweitert werden, heißt es.
Die Idee vom „Königreich“ geht zurück auf Peter Fitzek. In einem Gerichtsprozess stellte er sich so vor: „Wir, Peter, Menschensohn des Horst und der Erika, aus dem Hause Fitzek, geb. am 12.08.1965 in Halle (Saale), geschieden, gelernter Koch, jetzt Staatsoberhaupt, keine deutsche Staatsangehörigkeit“. 2009 gründete er den Verein Neu-Deutschland. Den wandelte er 2012 in das „Königreich Deutschland“ um. Als Sitz wählte er das ehemalige Krankenhaus von Lutherstadt Wittenberg. In einem Video aus dieser Zeit benannte er bereits seine Vision: „Dass wir ein eigenversorgtes Dorf hinkriegen, wo wir eigentlich alles machen können, was man da draußen nur noch schwerlich tun kann, und hier mit sehr viel Gemeinschaft, sehr viel Freude.“
Zuvorderst machte Fitzek juristischen Ärger. Ein Insolvenzverfahren gegen ihn wurde mangels Masse eingestellt. Richter verurteilten ihn etwa wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Beleidigung oder Urkundenfälschung. 2017 kassierte er am Landgericht Halle wegen unerlaubter Bankgeschäfte und Untreue drei Jahre und acht Monate. Fitzek legte Revision ein. Erfolgreich, das Verfahren wurde eingestellt. Ende 2018 klickten doch die Handschellen, nach wenigen Monaten kam er gegen Auflagen wieder frei. Ein weiteres Haft-Urteil folgte Ende 2019. Dagegen legte er Berufung ein, über die noch nicht entschieden ist.
Anfang dieses Jahres tauchte Fitzek in Sachsen auf. Eine seiner ersten Adressen war Reichenbach in der Oberlausitz, wo er sich für ein leerstehendes Hotel interessierte. Daraus wurde nichts. Stattdessen entdeckte er eine Jugendstilvilla bei Eibenstock im Erzgebirge sowie das Schloss Bärwalde. Benjamin Müller zufolge hat der Reichsgründer Sachsen-Anhalt verlassen und wohnt jetzt in Eibenstock. Zu Bärwalde sagt Fitzek in einem Video, er wolle „gern Systemausstiegsseminare hier machen“.
Die Gebühren für solche Kurse sind eine Geldquelle fürs „Königreich“. Kostenpflichtig ist ebenfalls der Erwerb des Status als „Staatsangehöriger“. Müller sagt, er habe seine Prüfung dafür im Januar abgelegt. Nun gehöre er zum Kernteam von 70 bis 80 Leuten unter den rund 4.400 „Königreich“-Mitgliedern. „Wir nehmen nicht jeden“, erst müsse man eine Probezeit überstehen. Die nächsthöhere Stufe sei der Staatsbürger. Ganz oben stehe der Deme, „eine Art Freiherr“. Bislang habe diese Position nur Fitzek erreicht.
Das „Königreich“ mit Geld zu unterstützen, ist recht simpel. Man geht etwa zu einem Haus mit einer rosafarbenen Fassade in Dresden-Laubegast. Auf den ersten Blick ist dort eine ganz normale Bäckerei. Hinter dem Tresen steht ein freundlicher Herr, man sucht Personal, hat Eierschecke im Angebot, im Zeitungsständer stecken die Dresdner Tageszeitungen.
Eher außergewöhnlich ist, was auf dem einzigen Stehtisch ausliegt: etwa die postkartengroße Firmeninformation eines Hausmeisterdienstes, der darauf hinweist, dass „für die Dauer der Geschäftsbeziehung (…) eine temporäre Zugehörigkeit zum Gemeinwohlstaat Königreich Deutschland“ entsteht. Es gibt ein Faltblatt der Königlichen Reichsbank, und auch die Visitenkarte einer „Gemeinwohlkasse“ findet sich dort. Deren Büro verbirgt sich hinter einer im Laden eingezogen Trockenbauwand. Öffnungszeiten: montags bis freitags von 10 bis 16 Uhr. „Offenbar sieht Fitzek in Sachsen einen erfolgversprechenden Nährboden für die Verbreitung seiner verfassungsfeindlichen Agenda“, urteilt der Verfassungsschutz. Und er warnt vor Geschäften mit der 2021 in Dresden aufgetauchten „Gemeinwohlkasse“.
Gegen diese und andere Fitzek-Organisationen geht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bereits seit 2010 vor. Dort heißt es, man erstatte wegen unerlaubter Einlagengeschäfte „bei Vorgängen mit Bezug zu Herrn Fitzek umgehend und fortlaufend Strafanzeigen“. Nach Informationen von Sächsische.de haben Staatsanwälte in Bonn, Dessau, Dresden und Halle mit den Aktivitäten des Königreichs zu tun.
Noch im Juni stand Schloss Bärwalde für 1,35 Millionen Euro zum Verkauf. Zwei Makler aus Chemnitz und Riesa sagen nun, der Vorbesitzer habe es in den letzten zwei Wochen auf eigene Faust verkauft. Für Boxbergs Ex-Bürgermeister Junker ist das neu. „Von einer Eigentumsänderung im Grundbuch ist uns nichts bekannt“, sagt er. „Wir haben deshalb auch noch nicht erklärt, auf unser Vorkaufsrecht zu verzichten.“ Diese Option komme aber für die Kommune ohnehin nicht infrage, „dafür fehlt uns das Geld“. Junker zufolge hat Boxberg seit dem Eigentümerwechsel beim Braunkohleförderer Leag 17 Millionen Euro Gewerbesteuern zurückgezahlt. Auch deshalb habe die Kommunalaufsicht des Landkreises Görlitz einen Kauf des Schlosses untersagt. Der Denkmalschutz schied als Rettungsanker ebenfalls aus. Zwar ist der Freistaat verpflichtet, seine Kulturdenkmäler zu erhalten, notfalls durch Erwerb. Dazu müsste die Immobilie aber von überörtlicher Bedeutung sein. „Uns wurde gesagt, dass Schloss sei nur regional wichtig“, sagt Junker.
Den besten Eindruck auf dem Areal macht das Herrenhaus mit der Terrasse. Benjamin Müller setzt sich in eine Hollywood-Schaukel ohne Polster. Zwei Hirsche ignorieren ihn von ihren steinernen Sockeln aus und schauen in die Ferne. Unter einem Steinbogen geht es ins Haus. Dunkles Parkett, Holzvertäfelungen, Kronleuchter, Stuck-Zierrat.
Aber auch Spinnweben, lose Kabel, veraltete Heizungsrohre, Staub, eingerissene Vorhänge. Von all dem ist nichts zu sehen auf dem Foto, das die „Bild“-Zeitung dort Anfang Juni von Fitzek machte. Die Immobilie sei ihm vertraglich überlassen worden, zitiert ihn das Blatt. Er stehe deshalb nicht im Grundbuch. „Wir sanieren jetzt. (…) Später errichten wir Häuser im Schlosspark. Die Baugenehmigung erteile selbstverständlich ich. Die Bundesrepublik brauchen wir dazu nicht.“
„Gibt es diesen Überlassungsvertrag, macht es die Sache nicht einfacher“, sagt Junker. Solange die Grundbesitzabgaben gezahlt würden, könne die Kommune nicht eingreifen. Auch Bärwaldes Ortsvorsteher Zschippang sagt: Man könne nur eingreifen, „wenn da illegale Sachen passieren sollten“. Zum Beispiel? „Da ist kein Bauland. Wenn die da also was Neues bauen wollen, brauchen sie eine Genehmigung.“
Dem stimmt Maxi Hoke vom mobilen Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen in Görlitz zu. Man habe in Boxberg versucht klarzumachen, dass die gesamte Verwaltung einbezogen werden müsse, „um zu schauen, ob in Bärwalde alles mit rechten Dingen zugeht“. Darüber hinaus müsse klar sein, dass Fitzek „bekannte und gefährliche Kontakte in die Neonazi-Szene“ hat.
Zweimal bereits traf sich die Gemeindespitze mit Polizei und Verfassungsschutz. Die hätten betont, das sei eine rein privatrechtliche Angelegenheit, sagt der ehemalige Bürgermeister. Solange keine Straftaten erfolgten, könne man da nichts machen. „Alle fühlen sich nicht zuständig. Ich denke, da gibt es eine gewisse Hilflosigkeit.“
Und die Bürger selbst? Ostritz bei Zittau etwa machte sich einen Namen, weil sich nahezu der gesamte Ort gegen ein rechtsextremes Festival auf einem Privatgelände stemmte. „Mit Ostritz ist das nicht vergleichbar“, sagt Junker. „Da waren klassische Neonazis, gegen die lässt sich viel leichter mobilisieren.“ Die „Königreich“-Anhänger hingegen sähen ganz normal aus.
Das ist wohl auch in Bärwalde inzwischen gängige Meinung. Eine Frau sagt: „Hauptsache ist, die lassen mich in Ruh.“ Beim Tag der offenen Tür im Juni sei sie nicht gewesen, „aber an die 30 von uns waren da schon dabei“. Fakt sei ja, dass sich endlich am Schloss wieder was tue. Ortsvorsteher Zschippang meint: „Wir müssen keine Angst haben, denke ich.“ In dem konkreten Fall sei der Staat gefragt, nicht der Bürger. „Entweder ist es erlaubt, oder es ist verboten.“ Er selbst sei allerdings geheilt von den Unterstützungsversprechen des Staates. „Es geht nur noch ums Geld. Als Kommune fühlen wir uns alleingelassen.“
Das „Königreich“ organisierte kürzlich wieder einen Arbeitseinsatz in Bärwalde. „Gerne kannst du auf dem Gelände im Zelt oder Wohnwagen/Wohnmobil übernachten“, hieß es in dem entsprechenden Aufruf. Auf Telegram wurden Mitfahrgelegenheiten kundgetan: „Fährt jemand aus dem Raum Osnabrück nach Bärwalde zu Vision wird Tat?“
Benjamin Müller ist derweil überzeugt: „Unser Gemeinwohldorf und das Dorf Bärwalde, wir werden uns gegenseitig bereichern.“ Und der scheidende Bürgermeister Junker sagt: „Eigentlich sollte das ,Königreich Deutschland‘ bei uns kein Fuß in die Türe bekommen, ich fürchte aber, die sind schon mit zweien drin.“