Ausländerfeindlicher Überfall auf Haus in Wurzen endet für Täter glimpflich
12. Januar 2018: Bewaffnet mit Baseballschlägern und Stöcken stürmt eine Gruppe junger Deutscher das Wohnhaus in der Dresdener Straße 22, wo vorwiegend Ausländer untergebracht sind. Doch erst viereinhalb Jahre später findet der Prozess statt – mit einem glimpflichen Ausgang für die Angeklagten.
Wurzen. Es war eine Tat, die weit über Wurzen hinaus für Schlagzeilen sorgte: Zwei Gruppen junger Migranten und Deutscher gerieten wie so oft im Park vor dem Bahnhof aneinander, es kam wechselseitig zu Verbalattacken. Diese gipfelten in körperlichen Auseinandersetzungen und der gewaltsamen Erstürmung des vorwiegend von Ausländern bewohnten Hauses in der Dresdener Straße 22. Wegen gefährlicher Körperverletzung mussten sich jetzt die Brüder Klaus und Jens N. aus Wurzen sowie Dieter K. (alle Namen geändert) aus Lossatal vor dem Amtsgericht Grimma verantworten.
Die Tat ereignete sich schon am 12. Januar 2018 – also vor viereinhalb Jahren. Eine derart lange Verfahrensdauer kommt in der Regel den Angeklagten zugute, da sich nach so langer Zeit kaum ein Zeuge an Details erinnern kann. Dies war aber nicht der einzige Grund dafür, dass die Tatverdächtigen am Ende überaus glimpflich davonkamen. Vor allem können sich die drei bei ihren Verteidigern bedanken, deren Strategie aufging. Sowohl der Anlagenbediener Klaus N. (23) als auch die beiden Monteure Jens N. (25) und Dieter K. (39) durften das Gericht straffrei verlassen.
Nach Anklageverlesung erfolgt längeres Rechtsgespräch
Die Staatsanwaltschaft hatte den Angeklagten vorgeworfen, um 22.50 Uhr bewaffnet mit Baseballschlägern, Stöcken und einem Elektroschocker in ein vorwiegend von Ausländern bewohntes Haus eingedrungen zu sein – mutmaßlich mit weiteren unbekannten Mittätern. Dort trafen sie im zweiten Stock den damals 20-jährigen Somalier Abdul F. in seinem Zimmer an, den sie schlugen und traten. In einer weiteren Wohnung im vierten Stock erlitt das ebenfalls männliche Opfer eine Platzwunde am Kopf. Ursprünglich war wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt worden.
Gleich nach der Anklageverlesung folgte ein längeres „Rechtsgespräch“, bei dem Presse und Besucher den Saal verlassen mussten. Dessen Ergebnis ließ aufhorchen: Die Juristen seien sich nahezu einig geworden, auf die weitere Beweiserhebung einschließlich der Zeugenvernehmung verzichten zu wollen, teilte Richterin Kippenberger mit. Der Deal sah unter anderem Geldauflagen, Schmerzensgeldzahlungen für die Brüder sowie eine Bewährungsstrafe für Jens N. vor.
N. und sein Verteidiger Carsten Schäfer waren damit aber nicht einverstanden. Und schon folgten die nächsten Überraschungen: Ein Angeklagter nach dem anderen erklärte, dass er zwar dabei gewesen sei bei den Rangeleien auf der Straße beim „Lidl“ und in der Hofeinfahrt der Dresdener Straße 22 – aber eben nicht im Treppenhaus. Deshalb hätten sie die Taten gar nicht begehen können. Es waren Geschichten, die zwar zueinander passten, nicht aber zu den Ermittlungsergebnissen der Anklage.
Zeugen warten vergeblich auf ihre Befragung
„Die Aussagen sind konträr zum Akteninhalt“, stellte Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann fest. „Und das erzählen Sie uns nach vier Jahren zum ersten Mal.“ Verabredungen der jungen Deutschen, um Ausländer aufzumischen? Whatsapp-Chatverlauf: „Wir müssen da was machen gegen die Drecksviecher!“ Dazu Jens N.: „Ganz anders gemeint.“ – Rechtsradikale Gesinnung? Chat: „Wir sind dann in das Kanaken-Heim rein, saugeil!“ Verteidiger: „Mein Mandant distanziert sich ausdrücklich“. – Und wirklich nur den eigenen Kameraden zu Hilfe geeilt? Chat: „Wir haben uns gerächt und zwei Kanaken schwer verletzt“. Dieter K.: „Ein Missverständnis.“ – Und dann war da natürlich noch der Alkohol. Klaus N.: „Hab damals unüberlegt irgendwelche Sachen gemacht.“
Die Angeklagten erklärten, dass es an jenem Abend keineswegs zu einer Zusammenrottung mit böser Absicht gekommen sei – nur eine „Überraschungs-Geburtstagsfeier“ habe man im Sinn gehabt. Staatsanwalt König platzte angesichts der wohlorchestrierten Aussagen mehrmals der Kragen: „Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass Sie von all dem nichts gewusst haben?“
Draußen auf dem Flur warteten derweil die geladenen Zeugen vergeblich auf ihren Einsatz. Darunter eines der Opfer, der Somalier Abdul F., sowie der eigens aus Berlin angereiste Dolmetscher. „Ich lag damals im Bett und wurde durch den Krach geweckt“, erzählt Abdul F. der LVZ. „Sie haben die Tür eingetreten, es waren zwei oder drei schwarz gekleidete Männer. Sie stürmten mit einer Art Baseballschläger in mein Zimmer. Ich stand auf, und die schlugen sofort auf meinen Arm, meine Hand und meine Rippen ein. Ich ging zu Boden und versuchte, mich unter dem Bett in Sicherheit zu bringen. Ich dachte, die wollen mich umbringen. Dann rannten sie in die Wohnung weiter oben. Ich hörte Krach, Schreie, Gepolter“. Als er aus dem Fenster schaute, habe er eine große Gruppe schwarz Gekleideter vor dem Haus gesehen.
Gegen Geldauflage für das Verfahren vorläufig eingestellt
Den Rat der Polizei, mit seiner blutenden Verletzung an der Hand zum Arzt zu gehen, befolgte er nicht. Zu groß die Angst, auf dem Weg durch die Wurzener Innenstadt wieder ins Visier von Rechten zu geraten, wie schon so oft zuvor. Stattdessen nahmen Abdul F. sowie weitere Betroffene am nächsten Tag dankbar das Angebot an, in eine Großstadt in Sicherheit gebracht zu werden.
Abdul F. versteht nicht, warum er nicht mehr aussagen durfte. Er hätte auch gerne etwas davon erzählt, wie es damals in Wurzen war – von der Angst, wenn man abends vom Bahnhof durch den Park nach Hause ging, den Pöbeleien, den alltäglichen Bedrohungen. Mehrmals habe er rennen müssen, die Furcht sei ein täglicher Begleiter gewesen. Später zogen übrigens die meisten dunkelhäutigen Migranten aus Wurzen weg – kaum einer ist mehr in der Stadt.
Aber es wurden keine Zeugen mehr benötigt. Die Juristen einigten sich trotz Bedenken der Staatsanwaltschaft doch noch auf einen Deal, mit dem die drei Angeklagten gut leben können: Gegen Geldauflagen und Schmerzensgeld-Zahlungen wurde das Verfahren gegen Klaus N. (1600 Euro), Jens N. (1500 Euro) sowie Dieter K (1800 Euro) vorläufig eingestellt.