Verfassungsschutz: Deutlich mehr Reichsbürger in Sachsen

Die Zahl von Rechtsextremisten bleibt hoch. Bekannte Neuzugänge im Jahresbericht sind Pegida und Freie Sachsen, während der „Flügel“ der AfD nicht mehr genannt wird.

Sachsens Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian und Innenminister Armin Schuster (CDU) haben am Dienstag den Jahresbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz für 2021 vorgestellt. Demnach falle die Zahl der Rechtsextremisten im Freistaat gegenüber dem Vorjahr von 4800 auf 4350 im Vorjahr deutlich ab.Allerdings ist die Zahl von Reichsbürgern in Sachsen um 850 auf 1900 massiv gestiegen, die in der Statistik nicht unter der Rubrik Rechtsextremismus erfasst werden. Der Anstieg hänge vor allem mit der Pandemie zusammen, heißt es in dem Bericht. Fortlaufende Corona-Beschränkungen hätten demzufolge einen „ergiebigen Rahmen“ für das Ausleben kruder Verschwörungstheorien ergeben. Im Vergleich mit anderen Extremismusarten fällt bei dieser Gruppe ein mit 30 Prozent hoher Frauenanteil und ein Durchschnittsalter von rund 50 Jahren auf.Der Abfall im Bereich Rechtsextremismus hat vor allem mit einem Teil der AfD zu tun, der nach nur einem Jahr nicht mehr im Bericht auftaucht. Denn der aufgelöste „Flügel“ der AfD darf seit dem Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts im März nicht mehr als gesicherte rechtsextremistische Bestrebung eingestuft werden. Zwar sei es zulässig gewesen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz diese Einstufung im März 2020 vorgenommen habe, so das Gericht, aber eben nicht mehr nach der formalen Auflösung des Flügels“. In Sachsen waren dem Flügel 1400 Personen zugeordnet worden, als Obmann war der Richter und frühere Bundestagsabgeordnete Jens Maier im Jahresbericht benannt worden.

Im Bericht werden jedoch zwei bekannte Neuzugänge aufgeführt. Darunter ist die seit 2014 existierende Dresdner Pegida-Bewegung um ihren Anführer Lutz Bachmann, die im Mai 2021 erwiesen rechtsextremistisch eingestuft wurde. Sachsens Verfassungsschutz hatte nach Informationen des Dresdner Büros der „Freien Presse“ lange gezaudert, Pegida einzustufen und war damit auf Unverständnis im Verfassungsschutzverbund aus Bund und Ländern gestoßen.

Erst vier Jahre nach der Gründung der Bewegung hatte das Landesamt begonnen, Pegida zu prüfen. Anfang März 2020 waren die anderen Verfassungsschutzbehörden informiert worden, dass Pegida nun als gesicherte rechtsextremistische Organisation eingeschätzt wurde. Dass die Bewegung damit nun beobachtet werden würde, deutete Thomas Haldenwang, Chef des Bundesverfassungsschutzes, kurz darauf bei einer Pressekonferenz an, in dem er Pegida-Chef Bachmann als Rechtsextremisten bezeichnete.

Doch das Innenministerium pfiff das Landesamt wieder zurück. Im Verfassungsschutzverbund schwankte daraufhin die Stimmung zwischen irritiert und entsetzt. Denn aus dem Pegida-Umfeld hatte es einen Bombenanschlag auf eine Dresdner Moschee gegeben und auch die Terrorgruppe Freital hatte sich in diesem Zusammenhang gebildet und radikalisiert. Auch bei Ausschreitungen und einer Großdemonstration im Spätsommer 2018 in Chemnitz war Pegida in Erscheinung getreten. Inzwischen benennt der Verfassungsschutzbericht 20 Personen von Pegida als Rechtsextremisten.

Der zweite Neuzugang sind die „Freien Sachsen“. Dass die Zahl der Rechtsextremisten im Freistaat nach dem Wegfall des AfD-„Flügels“ nicht deutlicher gesunken ist, liege an der hohen Anzahl ihrer Anhänger. Die im Februar 2021 in Schwarzenberg gegründete Partei höhle durch ihre verfassungsfeindliche Propaganda in unmoderierten „Echokammern“ der sozialen Medien das Vertrauen ihrer Mitglieder, Anhänger und Follower in den Staat und seine Institutionen aus, so der Bericht. „Am Beispiel dieser Partei kann man gut erkennen, dass es keiner großen Parteiapparate mehr bedarf, um in der Öffentlichkeit omnipräsent zu erscheinen und an der politischen Meinungs- und Willensbildung teilzunehmen“, so Verfassungsschutzchef Christian. Die Freien Sachsen kommunizieren vor allem über den Messengerdienst Telegram. Christian sagte weiter: „Der Extremismus sei längst im Zeitalter der Digitalisierung angekommen und habe sich gewandelt.“

Insgesamt ist die Zahl von Rechtsextremisten in Sachsen jedoch nicht so stark gesunken, wie der Jahresbericht nahelegen würde. Sie blieb im Gegenteil weitgehend stabil. Ohne den Flügel waren 2020 3400 Menschen als Rechtsextremisten eingestuft, ohne die Neuzgänge Pegida und Freie Sachsen sind es 2021 immer noch 3350.

Bei Telegram fiel auch eine Gruppe auf, die sich unter dem Namen „Dresden Offline Vernetzung“ organisierte und „realweltlichen Widerstandshandlungen bis hin zu Phantasien in Bezug auf die Ermordung des Sächsischen Ministerpräsidenten“ erörterte. Der Verfassungsschutz nennt das Agieren der Gruppe eine mutmaßlich als terroristisch qualifizierte Straftat.

Deutlicher gesunken ist die Zahl rechtsextremistischer Straftaten von 2070 im Jahr 2020 auf nun 1816. 69 Prozent davon seien Propagandadelikte gewesen, so der Verfassungsschutz.

Im Bereich Linksextremismus verzeichnen die Behörden einen Anstieg von 800 auf 850 Personen gegenüber 2020. Schwerpunkte sind Leipzig und Dresden. Vor allem Leipzig hat sich in den vergangenen Jahren neben Berlin und Hamburg zu einem Anziehungspunkt der Autonome Szene entwickelt. Die Zahl linksextremistischer Straftaten sank im Jahr 2021 gegenüber dem Vorjahr von 1084 auf 1008. Hauptsächlich handele es sich dabei um Sachbeschädigungen.

Geht es nach den Zahlen ist der islamistische Extremismus in Sachsen rückläufig. Das Landesamt ordnet dem Bereich noch 450 Personen zu. Im Vorjahr waren es noch 525. Der Anteil von Salafisten blieb mit rund 270 Personen seit 2019 stabil.