Giannis Michailidis: Ankündigung zum Beginn eines Hungerstreiks für meine Freilassung

„Wehe denen, die das Gefängnis als Lebensbedingung akzeptieren,
und statt das hellste Sonnenlicht, den kleinsten der Strahlen“.
Motto des Gefängnisaufstandes von Alikarnassos

Seit 11 Jahren erlebe ich die Rache des Staates gegenüber meiner Entscheidungen, die mit meinen Werten und Vorstellungen übereinstimmen. Der steinige Weg, von dem ich hier durch ein paar eklatanten Racheakten gegen mich erzählen möchte, begann im fernen Jahr 2011, als gegen mich ein Haftbefehl wegen Beteiligung an der Gruppe: „Συνομωσία των Πυρήνων της Φωτιάς” (B.d.Ü.: ΣΠΦ, Verschwörung der Feuerzellen), für den ich letztendlich freigesprochen wurde, da ich mit der gegen mich vorgebrachten Anklage in keiner Weise in Verbindung stand. Es geht um die Beschuldigung einer solidarischen Beziehung zu gesuchten Anarchisten, die mich bei ihrer Verhaftung an ihre Stelle gebracht hat.

Nach zwei Jahren Verfolgung gehe auch ich durch die schweren Türen des Gefängnisses, da ich aufgrund eines Haftbefehls für ein Jahrzehnt inhaftiert war, was zu bestimmten Entscheidungen und daraus resultierenden Fehlern geführt hat. Die Genossen, die wir bei dem Banküberfall in Velventos, Kozani, verhaftet wurden, wurden von der Polizei gefoltert, was üblich ist, und dann veröffentlichte das Ministerium für zivile Ordnung die Fotos unserer geschwollenen Gesichter, was die Reaktion der Öffentlichkeit hervorrief. Selbstverständlich wurde kein Polizeibeamter von der blinden griechischen Justiz dafür angeklagt.

Nach 1,5 Jahren, als sich die 18-monatige Haftdauer dem Ende zuneigte, fand ich mich mit einem weiteren Untersuchungshaftbefehl über die Aktivitäten der ΣΠΦ konfrontiert, mit einer Prozessakte, die meinen Namen als Beteiligten an Handlungen enthielt, mit denen ich nicht in Verbindung stand, ohne ein einziges Beweisstück oder eine Zeugenaussage. Da die schmutzige Arbeit bereits erledigt war und ich in dem Fall des Bankraubs bereits verurteilt worden war, wurde ich schließlich freigesprochen. Diese besondere Strategie der mehrfachen Untersuchungshaft ohne Beweise und der Zerlegung von zusammenhängenden Fällen war das Mittel, mit dem der Staat sicherstellte, dass anarchistische Gefangene auch nach Ablauf der maximalen 18-monatigen Untersuchungshaft ohne Prozess in Haft blieben, während die faschistischen Mörder nach Ablauf der gleichen Frist ihre Freiheit genossen.

Des Weiteren wurde ich von einer blinden Justiz wegen versuchten Totschlags gegen einen Polizeibeamten verurteilt, obwohl ich zum Zeitpunkt des Vorfalls unbewaffnet war, weil ich laut Anklageschrift versucht habe, ihn mittels des Polizeiautos zu ermorden, das ich mir „geschnappt“ hatte, um der Verhaftung zu entgehen.

Auf einem Höhepunkt richterlicher Willkür werde ich zu weiteren 11 Jahren Gefängnis verurteilt, wegen des Besitzes von Patronen, die im Haus des Genossen Dimitris Politis gefunden wurden und die er als seine deklariert hat. Das geschah mit der unvorstellbaren Begründung, dass wir sie alle zusammen besäßen, so dass jeder für sich alleine „individuellen Terrorismus“ begehen sollte. Für die Geschichtsschreibung bleibt dieser Fall und die hohen Strafen, die er nach sich zog, bis heute die einzige Anwendung des Gesetzes über den individuellen Terrorismus in den griechischen Gerichten. Die Tatsache, dass diese beispiellose Lächerlichkeit auch noch vom Obersten Gerichtshof gebilligt wurde, zeigt, wie sehr die „unabhängige“ Justiz mit Partei- und Regierungssteuerung verflochten ist und wie üblich es geworden ist, Fälle mittels rechtlicher Schlupflöcher zu beurteilen.

Lasst uns auch ein paar Worte über die „heilige“ Prozedur zum Recht auf Bildung im Kontext des Strafvollzugs verlieren. Nach dem Hungerstreik des Genossen Nikos Romanos, an dem ich die Ehre hatte, aus Solidarität teilzunehmen, wird das Recht auf Ausgangserlaubnis zu Bildungszwecken für alle Gefangenen, unabhängig von ihrem Status, gewonnen. So schaffte ich es, nach vielen langen Verzögerungen und nach 5 Jahren in Haft, Kurse an der Landwirtschaftlichen Universität von Athen für 1,5 Jahre zu besuchen. Mit 6,5 Jahren, und nachdem ich bereits im Landwirtschaftsgefängnis war und von dort schon viele bildungsbezogene Ausgangserlaubnisse erhalten hatte, beschließt die Staatsanwältin von Tiryns, dass meine Uni zu weit weg ist, und streicht mir deshalb jede Ausgangsmöglichkeit. Sie betrügen mich, dass sie mir die Ausgangsrlaubnis erteilen, um an den Prüfungen teilzunehmen, was auch nicht geschieht. Dann wird mir mitgeteilt, dass sie mir sogar auch die reguläre Ausganserlaubnisse streichen, wieder mit einem rechtlichen Schlupfloch, was meine Rückkehr in die geschlossene Haftanstalt unter Verlust der lebenswichtigen Löhne (B.d.Ü.: aus der Arbeit im Landwirtschaftsgefängnis) bedeutete und ich habe mich wieder in die Flucht getrieben. Nachdem ich erneut verhaftet werde und meine bildungsbezogene Überweisung an Korydallos gemäß den Bestimmungen ihrer Gesetze beantrage, beschließt das zentrale Komitee zum Transfer von Gefangenen (KEM), da es meine Anträge nicht ablehnen darf, nicht zu antworten. Auch wenn es gesetzlich „verpflichtet“ ist, innerhalb von 40 Tagen zu antworten… Ich warte immer noch… Obwohl ich alle meine Kurse unter den widrigen Bedingungen des Gefängnisses bestanden habe (Bis auf die Laborpraktika, wofür meine physische Anwesenheit erforderlich ist, die mir offensichtlich nicht gestattet wird, wenn ich nicht (B.d.Ü.: an Korydallos) überwiesen werde).

Am 29. Dezember 2021, nach Verbüßung von 3/5 meiner 20-jährigen Haftstrafe und 2/5 der Strafe für meine Flucht, insgesamt 8 Jahre und 3 Monate tatsächliche Haftzeit, werde ich vom  Gefängnissekretariat, wie vorgesehen, dazu aufgefordert, den Antrag auf bedingte Entlassung zu unterzeichnen.

In der letzten Meile wurde ich auch mit der üblichen Taktik des Strafvollzugsmechanismus zur Rache an widerspenstigen Gefangenen konfrontiert, nämlich der Verweigerung der Bewährung trotz der vorhandenen Voraussetzung des erfolgreichen Besuchs der Kurse meiner Uni (obwohl sie mich daran hindern, das Studium abzuschließen) und der Tatsache, dass ich bereits einen Arbeitsplatz gefunden habe. Schon wieder mit einem rechtlichen Schlupfloch… Diesmal mit dem Argument der potenziellen Gefährlichkeit… als präventive Maßnahme. Da noch nicht genügend Zeit vergangen sei, um mich zu „bekehren“ und zu gesinnen… Ein offensichtlicher Unsinn, an den sie nicht einmal selbst glauben, den sie nur prozedural reproduzieren, und dadurch das Leben von so vielen Gefangenen verstümmeln. Natürlich für Menschen, die eine wirkliche Rückfallgefahr zeigen, wie z. B. Vergewaltiger, wird dieses Argument nicht verwendet, denn als kriecherisch winselnde Subjekte, die sie sind, kooperieren sie einwandfrei mit der Repression des Strafvollzugs und kommen in den Genuss vorzeitiger Entlassungen und Bewährungen. Gefährliche Menschen werden in der Regel diejenigen genannt, die sich in Würde für die Flucht entschieden haben, die vom Gesetz nicht hart bestraft werden soll, weil der Gesetzgeber anerkennt, dass es für jeden Menschen normal ist, seine Freiheit zu beanspruchen. Aus diesem Grund begnügen sich die Funktionäre des Systems nicht damit, das Gesetz anzuwenden, sondern erweitern seine Auslegung.

Das rechtliche Schlupfloch ist die Regel in der Funktionsweise des Systems. Die Richter, die es anwenden, wurden wahrscheinlich auf der Weise zu parteipolitischen Nachzügler ernannt, indem sie ihre Karrieren auf dem Rücken von armen Gefangenen aufbauten, die sie mit großer Leichtigkeit hinter Gitter schicken, und ihnen Haftjahre wie Nüsse zum Naschen verteilen, während riesige Geldsummen durch Großanwälte fließen, damit die „Habenden“ freigelassen werden oder gar nicht erstmal ins Gefängnis kommen. Das Gleiche gilt für ihre „eigenen Kinder“, wofür die rechtlichen Schlupflöcher geöffnet werden, damit sie rausschlüpfen können…

Wie der Polizist und Mörder des Genossen Alexandros Grigoropoulos, Korkoneas, wofür sich die Justizmafia beeilte, ihn vorzeitig freizulassen, was eine breite Reaktion hervorrief, die zu seiner Wiederinhaftierung führte.

Wie die Polizisten, die Nikos Sambanis in Perama kaltblütig ermordet haben.

Wie die Gefängnisbeamten, die Ilir Kareli zu Tode gefoltert haben und freigesprochen wurden.

Wie Frau Vlahaki, die in den Energa-Millionenskandal verwickelt war, und obwohl sie der Haushaft geflohen war, indem sie ihr Armband durchtrennte, kaum im Gefängnis saß und sofortige Bewährung ihrer Strafe erhielt.

Wie Fourthiotis, der sich beim Justizministerium eingeschleimt hatte, um nach 6 Monaten freigelassen zu werden, aber dann öffnete sich das rechtliche Schlupfloch für seine erneute Verhaftung, sobald er die schmutzige Wäsche der Regierung ans Licht brachte.

Wie Vangelis Marinakis, der von den Ermittlungen wegen 3 Tonnen Heroin freigesprochen wurde, mit der Begründung, dass ein prominenter Geschäftsmann wie er nicht mit so etwas in Verbindung gebracht werden kann. Dieses Beispiel, obwohl ich nicht in der Lage bin, über seine Schuld oder Unschuld zu wissen, und diese mich nicht interessiert, ist von besonderer Bedeutung, weil es den Klassencharakter des Justizsystem ganz klar darstellt. Wenn dagegen ein Konsument wegen des Besitzes einer geringen Menge von Drogen festgenommen wird, während er mit mindestens drei Personen unterwegs war, wird er mit dem rechtlichen Schlupfloch der kriminellen Vereinigung verurteilt. (So gibt es in Griechenland mehr kriminelle Organisationen als in Italien oder Mexiko).

Die Beispiele erfordern ein ganzes Buch, keine Ahnung wie viele Bände, also gehe ich weiter zum Wesentlichen dieses Schreibens. Nach 8,5 Jahren im Gefängnis und all diesen willkürlichen Maßnahmen gegen mich, habe ich beschlossen, mein 11-jähriges Leiden zu beenden, indem ich ein Bollwerk aufsetze, gegen die Praktik der Präventivhaft, nämlich der zusätzlichen Strafe wegen Flucht, die durch rechtliche Schlupflöcher ensteht. Nach weiteren 5 Monaten Präventivhaft beginne ich einen Hungerstreik um meine Freilassung. Ich habe vor, diese Entscheidung aus der tiefen Motivation der ersehnten Freiheit heraus mit der gleichen Konsequenz zu unterstützen, mit der ich meine bisherigen Entscheidungen unterstützt habe und für die ich nun gerächt werde.

Mein tiefster Wunsch ist, dass dieser Hungerstreik ein weiterer Auslöser für die Wiederbelebung des allgemeinen Kampfes gegen das Kapital und die Staaten wird. Gegen das kapitalistische System, das die Hälfte des Reichtums der Erde in eine Elite von 1 % konzentriert, während der Rest rasch verarmt, das lebende Seelen, nicht nur unserer Spezies, unter den qualvollen Bedingungen der industriellen Produktion versklavt. Gegen die Unternehmen, die bei der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen miteinander konkurrieren und die natürliche Welt ausrauben, während sie den Planeten an die Randbedingungen des Klimawandels treiben, während sie das größte Artensterben seit Millionen von Jahren verursachen. Gegen den staatlichen Aufbau der Gesellschaft, der von seinen linken und rechten Verwaltern als notwendig dargestellt wird, der mit seiner zentralisierten Sozialstruktur die allgemeine Versklavung durchsetzt und die Rentabilität der Unternehmen und des Kapitals sichert. Gegen die Staaten, West und Ost, deren Monopol der legalen Gewalt ganze Bevölkerungen ausrottet, entweder mit hochmodernen Massenvernichtungswaffen oder mit der Instrumentalisierung des Aushungerns durch Zerstörung der Infrastruktur, wie in einer Reihe von rezenten Konflikten in Palästina und im Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien, Jemen, Ukraine. Gegen die transnationalen Allianzen, die die Erde zu einem ein Pulverfass nuklearer Sprengköpfe umwandelten, und drohen, sie wortwörtlich in die Luft zu jagen, was beweist, dass die Staaten die wahren Terroristen sind.

Mit dem Generalangriff von Staat und Kapital auf alles Lebendige, einschließlich unserer Spezies, ist es so notwendig und zeitgemäß wie eh und je, unseren Widerstand zu organisieren und zu mobilisieren, indem wir jede Form der hierarchischen Organisation ablehnen, die den Kampf anfällig für Manipulation macht, die entweder zur Reproduktion des Systems oder zur Eingliederung in das System führt. Die Schärfung und Vereinheitlichung der einzelnen Aspekte des Kampfes gegen die Staatsapparate durch dezentralisierte Netzwerke von Öko-Gemeinschaften und Gemeinschaften des Kampfes ist das grundlegende Instrument der Radikalisierung in Richtung der Schwächung der Abhängigkeit der Menschen vom kapitalistischen Industriesystem, das die Erde zerstört und unser eigenes Überleben bedroht.

Deshalb nehme ich in einer so kritischen Zeit den Kampf, den ich für meine Freiheit führe, auch als einen verzweifelten Versuch wahr, mich an dem größeren Kampf zu beteiligen, von dem mich meine lange Gefangenschaft abgeschnitten hat. Daher glaube ich nicht, dass ich einen Anspruch auf Exklusivität in den Bewegungsberichten haben darf, sondern muss ich die Wiederaufnahme des Kampfes für die Befreiung der gefangenen Anarchisten und die Ideen, die sie in Konflikt mit dem System brachten und zu ihrer Inhaftierung führten, hervorheben. Denn ich suche niemandes Interesse als Opfer staatlicher Repression, sondern als aktives soziales und politisches Subjekt, das ich meinen Zustand des Gefangenseins als Teil des Angriffs von Staat und Kapital auf diejenigen, die sich bewusst dagegen stellen, betrachte. Stattdessen rufe ich auf eine Beziehung der revolutionären Solidarität auf der Grundlage gemeinsamer Prinzipien und eines gemeinsamen Kampfes, der die Wut koordiniert, die unterschiedliche Menschen unter unterschiedlichen Bedingungen empfinden, die aber die gleichen Ursachen hat.

Und schließlich, weil ich weiß, dass dieser Streik sehr wohl der letzte Abschnitt meiner Reise sein kann, möchte ich ihm genau diese Dimension geben, die mich als Ganzes entspricht:

Der Kampf für die Freiheit des Einen ist der Kampf für die Freiheit Aller…

…bis zur Zerstörung des letzten Käfigs

Giannis Michailidis,
in Präventivhaft im Gefängnis von Malandrinos
23/5/2022