Leipziger Linke in der Klimakrise – Misstrauensvorschuss statt Solidarität?

Gedanken zu fehlendem Support Leipziger Gruppierungen bezüglich der Besetzung des Audimax durch die Gruppe „Letzte Generation – Für eine kritisch – solidarische Gegenhegemonie!

Wir Verfasser*innen sind nicht Mitglieder der Gruppe Letzte Generation. Jedoch sind wir seit Jahren in Leipzig politisch aktiv. Dabei haben wir uns in der Uni- und Parteipolitik engagiert, in (Baisis-)Gewerkschaften gearbeitet und in antifaschistischen und radikalen Klimagruppen bei Aktionen mitgewirkt.


Was ist passiert?:
Am Mittwoch, dem 11.05.2022 hat die Leipziger Gruppe der „Letzten Generation“ den Audimax (größter Hörsaal für etwa 500 Studierende) besetzt und einen Forderungskatalog an das Rektorat gerichtet. Dieser enthält unter anderem eine Erklärung der Rektorin an Robert Habeck, in der sie sich unter anderem gegen den Bau und die Finanzierung neuer fossiler Infrastruktur ausspricht, die Verpflichtung der Universität, keine neuen Investitionen und/oder Beteiligungen an Öl- und Gasinfrastruktur zu tätigen und eine postwachstumsökonomische Professur sowie regelmäßige Veranstaltungen zum Klimanotstand zu etablieren.


Unsere Sicht auf die Aktion:
Wir betrachten die Aktion als wohldurchdacht: Sie formuliert konkrete, machbare und niedrigschwellige Ziele, fordert keine „zivilen Opfer“ und stellt mit dem Aktionsort der Uni Leipzig einen direkten örtlichen Bezug zu vielen radikalen Linken und Klimaaktivist*innen sowie ihren Sympathisant*innen her, welche hier vermehrt wirken.


Kritik:
Allerdings wurde in kaum einer uns bekannten Gruppe die Aktion beworben oder sich mit ihr solidarisiert. Nur wenige Aktivist*innen boten Unterstützung an, von gruppengetragenem Support ganz zu schweigen. Vielmehr wurde und wird die „Letzte Generation“ aus vielerlei Kreisen und in vielerlei Gruppen massiv destruktiv angegangen. Diese Engstirnigkeit bei einer derart potenziellen und mobilisierungsfähigen Aktion empfinden wir als unsolidarisch und sehen es als vertane Chance, über bekannte Aktionsmuster hinaus zu diskutieren und gesellschaftliche Mehrheiten zu erreichen.Des Weiteren scheint es, dass der Support aus sachfremden Themen ausbleibt. Fehlt die Solidarität etwa deswegen, weil die Aktion nicht von der eigenen Gruppe kam? Oder werden Alternativideen aufgrund eigener Machtlosigkeit missachtet? Haben die Platzhirsche des linken Aktionismus Angst die Deutungshoheit über die „wahre Aktionsform“ zu verlieren?

  1. Wir begreifen die Aktionsform der letzten Generation als eine solche, die aus den mangelnden Erfolgen der Klimabewegung der letzten Jahre, insbesondere der fehlgeschlagenen Re-Mobilisierung nach dem Lockdown, entstanden ist. Sie enthält gewachsene politische Subjekte, welche andere Formen bereits erfolglos erprobt haben.Über die Kritik an der Gruppe oder einzelnen Aktionen denken wir Folgendes:
    Wir verstehen die Bedeutung von Inklusivität bei politischen Forderungen und Aktionen. Dahingehend unterstützen wir, wenn konstruktive Kritik an Mitstreiter*innenn geübt wird. Wenn aber jede aufkeimende Aktionsform oder Gruppe von vornherein mit dem Vorwurf fehlender Inklusivität/ mangelnder Radikalität/ dem Missachten einer bestimmten unterprivilegierten Gruppe (bspw. der „Arbeiterklasse“) nicht auf aufbauende Art und Weise zur Berücksichtigung aufgefordert wird, sondern direkt aufgrund eines singularen Mangels die ganze Aktion/ Gruppe als unsolidarisch/untragbar verurteilt wird, steht das dem konstruktiv- solidarischen Gedanken der Linken und dem Aufbau einer Gegenhegemonie im Wege.Nur weil Menschen ihre Identität angeben, heißt es nicht, dass sie dem bürgerlichen Konservatismus oder dem Staat näher stehen als der vermummte schwarze Block. (Dabei sind wir uns bewusst, dass eine Identitätspreisgabe für viele Menschen nicht möglich ist und u.U. Repressionen nach sich zieht, jedoch kotzt uns die Arroganz in Teilen an. Wir begreifen die Aktionsform „schwarzer Block“ in bestimmten Situationen als ein ebenso probates Mittel wie eben jene Form des publiken zivilen Ungehorsams, die eine Option sein kann, niedrigschwellig Mehrheiten zu mobilisieren. Fakt ist, dass all die Vorträge und Kongresse über radikalen Systemwandel, demokratischen Sozialismus, Postwachstumsgesellschaften und Sozialismus uns keine gesellschaftlichen Mehrheiten verschafft haben. Ebenso wirken (leider) Kleingruppenaktionen gegen Faschos, Sabotageakte gegen ausbeuterische Unternehmen oder das Sprayen auf Hauswände in der gesellschaftlichen Mehrheit eher abschreckend als einladend. Auch kommt die Mobilisierung der Arbeiterklasse, beispielsweise durch Gewerkschaften nur mäßig voran, was nicht nur an mangelnder Attraktivität (Stichwort Identiät und Distinktion in der eigenen Gruppe) liegt, sonder auch an den staatstreuen Strukturen der Verbände, welche Sozialpolitik in einem unverhältnismäßig hohen Maß gegenüber der globen Klimakrise stellen.
    Mithin müssen wir weiter mögliche Aktionsformen entwickeln und dies funktioniert nicht durch Theorieplena in unseren Idealgruppen, sondern durch gegenseitiges Akzeptieren und Inspirieren in Form einer solidarischen Praxis.

    Wir möchten fragend voranschreiten um unseren Utopien und Träumen Raum zu verleiben. Ohne linke gesellschaftliche Mehrheiten wird es aber weder Revolutionen noch nicht-reformerischen Reformen geben.

  2. In Zeiten multipler nationaler und internationaler Krise erfahren wir alle, mal mehr, mal weniger, Machtlosigkeit und Resignation. Dies rechtfertigt jedoch nicht, eine Runde Aktion (in der Uni als eine Zentral auch für linke Kritik) nicht nur zu missachten, sondern destruktiv entgegenzuwirken. Bevor wir anderen Gruppen etwas von „richtigen“ sozialen Kämpfen erzählen, sollten jene Besserwisser anhand ihrers Perfektionismusmaßstabs die eigenen Aktionen hinterfragen.Wir haben alle keine absoluten Antworten, aber wir wollen jene in inkludierte Form. Jenes grenzt uns von nicht- linken Gruppen ab.
  3. Wir haben das Gefühl, dass in Teilen die gemeinsamen Ziele und Kämpfe hinter der Vision Einzelner und Gruppen zurücktritt und dies dazu führt, dass neue Aktionsformen/ Gruppen nur aufgrund ihrer Neuschöpfung abgelehnt werden. Es gibt keine wahre Aktionsform und aufgrund dessen ist auch die Sorge der Platzhirsche in der linken Bewegung ihre Deutungshoheit über die richtige Aktionsform zu verlieren unbegründet.

 


Schluss:
„Links-Sein“ muss weniger eine (Gruppen-) Identität sein und sollte sich mehr auf Inhalte zurückbesinnen. Anstatt sich von radikaleren oder aber weniger radikalen Genoss*innen eingeschüchtert zu fühlen oder ihre Positionen als Pol zur eigenen Verortung/Distinktion zu missbrauchen, gilt es gemeinsame Ziele ins Auge zu fassen und verschiedene Wege dahingehend zu respektieren, auch wenn es natürlich in der Natur des Menschen liegt, selbst den Schlüssel zur Utopie zu besitzen.  Wir haben verschiedene Schwerpunkte und Handlungsansätze, anstatt sich aber auf die Unterschiede zu fokussieren, kann ein gedanklicher Schritt zurück, gepaart mit solidarischer Praxis den Blick auf die fruchtbaren Gemeinsamkeiten stärken und so auf lange Sicht eine kritisch-solidarische Gegenhegemonie geschaffen werden.

Leipzig, Freitag der 13. 😉

gefunden bei indy: https://de.indymedia.org/node/189781