Bundesweite Razzia: Warum Neonazis als Zeugen im Lina.-E.-Prozess ein Problem sind
Im Prozess gegen die mutmaßlich linksextremistische Gruppe um die Leipziger Studentin Lina E. sind Neonazis wichtige Zeugen. Zwei von ihnen wurden nun selbst festgenommen.
Dresden/Leipzig/Eisenach | Im Prozess gegen die Leipziger Studentin Lina E. und drei ihrer möglichen Komplizen tauchen bestimmte Zeugen immer wieder auf: junge, rechtsextreme Männer, die als mutmaßliche Opfer geladen sind. Die Anklage setzt auf die Männer, das muss sie, denn schließlich wird Lina E. und ihren Mitangeklagten vorgeworfen, als linksextreme Bande ebenjene Rechtsextreme ausgespäht, überfallen und teilweise schwer verletzt zu haben. Aber es gibt dabei zwei große Probleme – und die waren am Mittwoch an gleich mehreren Schauplätzen zu besichtigen.
Das erste Problem: Die Neonazis verstricken sich vor Gericht in Widersprüche. Sagen plötzlich, dass bei dem Angriff auf sie keine Frau dabei gewesen sei, wie der ehemalige Leipziger NPD-Stadtrat Enrico Böhm. Oder wissen plötzlich ganz sicher, dass bei dem Angriff auf sie eine Frau dabei gewesen sei und diese die Kommandos gegeben habe, wie der Eisenacher Neonazi Leon R. Das zweite Problem ist: Die Männer sind oftmals selbst vorbestraft, oder, seit gestern: Sie sind ihrerseits festgenommen.
Brian E.: „Hatte wegen Connewitz gewisse Bekanntheit erlangt“
Der erste Schauplatz zur Problembesichtigung war der übliche: der Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Dresden (OLG), wo am Mittwoch der Prozess gegen die sogenannte „Gruppe E.“ fortgesetzt wurde. Als Zeuge geladen war der Leipziger Brian E., 29 Jahre alt, fast 1,90 Meter groß, Boxerfigur, roter Fünf-Tage-Bart. Im Januar 2016 war E. am rechtsextremen Überfall auf den Leipziger Stadtteil Connewitz beteiligt. Pikant daran: E., Jura-Student in Leipzig, wurde 2018 zum Rechtsreferendariat zugelassen, nachdem sein Mittun an den Krawallen bereits bekannt war. Inzwischen ist er dafür wegen Landfriedensbruchs verurteilt.
Brian E. war nun also als Zeuge vor dem OLG in Dresden geladen und erzählte Folgendes: Im Frühsommer 2020 habe er wegen der „Connewitz-Geschichte“ eine gewisse Bekanntheit erlangt. Anfang Juni stand sein zweites Staatsexamen an, die Prüfungen schrieb er im Leipziger Westen, in Plagwitz. Aus Angst vor linken Übergriffen, so erzählte es Brian E., ließ er sich von Freunden zu den Terminen fahren und auch wieder abholen. Tatsächlich war die Gefahr real – so jedenfalls sehen es die Ermittler: Sie werfen der Gruppe um Lina E. vor, Brian E. ausgespäht und einen Überfall geplant zu haben. Das scheiterte, so die Anklage, weil Lina E. und die anderen den inzwischen um Brian E. herum installierten Polizeischutz bemerkt und ihr Vorhaben abgebrochen haben sollen.
Lina E. und ihren Mitangeklagten werden schwere Gewalttaten vorgeworfen – und obwohl es im Fall von Brian E. zu keinem Überfall kam, ist der Komplex aus Sicht der Anklage wichtig: Er soll belegen, dass Lina E. innerhalb ihrer Gruppe eine herausgehobene Stellung inne gehabt habe. Sie soll es demnach gewesen sein, die Brian E. als Opfer maßgeblich ausgewählt und in der Zeit vor dem gescheiterten Überfall observiert habe.
Wichtiger Zeuge soll rechtsextreme Straßenkämpfer ausbilden
Ein zweiter Schauplatz des Glaubwürdigkeits-Problems im Prozess um Lina E. lag in Eisenach. Die Stadt in Thüringen war einer der Orte in elf Bundesländern, an denen die Polizei im Auftrag der Bundesanwaltschaft Gebäude durchsuchte – auf der Suche nach Beweisen für ein rechtsextremistisches Netzwerk. Mittendrin: Leon R. und Maximilian A., zwei weitere mutmaßliche Opfer der Gruppe E. R., Betreiber der rechten Eisenacher Szenekneipe „Bull’s Eye“, soll gleich zweimal überfallen worden, sein Kumpel Maximilian A. jeweils dabei gewesen sein.
Beide Männer wurden zusammen mit zwei weiteren festgenommen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, eine rechtsextremistische kriminelle Vereinigung zu bilden. Leon R. soll demnach der Anführer der Kampfsportgruppe „Knockout 51“ sein, Maximilian A. ein Mitglied. Die Gruppe habe, so der Generalbundesanwalt, „unter dem Deckmantel des gemeinsamen körperlichen Training junge, nationalistisch gesinnte Männer“ angelockt und „diese bewusst mit rechtsextremem Gedankengut indoktriniert und für Straßenkämpfe ausbildet.“ In Eisenach habe man versucht, einen „Nazi-Kiez“ zu schaffen. Seit März 2020 sei die Gruppe darauf ausgelegt, Straftaten zu begehen – vor allem Körperverletzungen gegen Angehörige aus dem linken Spektrum.
Die Anklage gegen die Gruppe E. beruht nicht ausschließlich auf Zeugenaussagen der mutmaßlichen Opfer – von denen freilich längst bekannt ist, dass sie keine unbescholtenen Zeugen sind. DNA-Spuren stehen im OLG-Prozess zur Rede, abgehörte Gespräche, Festnahmen sozusagen auf frischer Tat. Und trotzdem: Leon R. und Maximilian A. haben ihren politischen Extremismus, ihre Verbindung untereinander im Prozess um Lina E. immer heruntergespielt. Ihre Festnahmen und die Ermittlungen des Generalbundesanwalts sagen etwas anderes. Welche Auswirkungen das auf den Prozess in Dresden hat, ist in Gänze noch gar nicht abzusehen.