1800 Porträts von Leipzigern – wer sind die Menschen auf den Fotos?
Der jüdische Fotograf Abram Mittelmann musste Leipzig auf Druck der Nazis im Jahr 1938 verlassen. Zurück blieb ein einzigartiger Schatz an Glasnegativen. Den will das Stadtmuseum im nächsten Jahr präsentieren. Doch noch fehlen wichtige Informationen.
Im digitalen Fotoarchiv des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig sind sie unter „Fräulein Joosten“ und „Herr Hahn“, „Herr Ruschig” und „Frau Ruschig“, „Fräulein Thamm“ und „Herr Caneff“ abgespeichert. Doch wie heißen die einstmals verewigten Personen mit vollem Namen? Und welche Geschichten verbinden sich mit ihnen? Das sind nur zwei von vielen Fragen, die Johanna Sänger, Kuratorin für Stadt- und Landesgeschichte ab 1800 im Stadtmuseum, gerade umtreiben.
Die promovierte Kulturhistorikerin will mehr von den Menschen wissen, die um 1930 vom Leipziger Abram Mittelmann abgelichtet worden waren. Johanna Sängers ehrgeiziges Ziel: Eine Ausstellung zu Ehren des Fotografen, der als staatenloser Jude im Dezember 1938 von den Nationalsozialisten des Landes verwiesen wurde. Knapp vier Jahre später verlor Mittelmann im Brüsseler Exil bei einer Nazi-Razzia sein Leben.
Archiv umfasst mehr als 2000 Glasnegative
Das Fotoarchiv Mittelmann umfasst mehr als 2000 Glasnegative, die 1988 durch Zufall auf dem Dachboden des Hauses Peterssteinweg 15 entdeckt und 2023 digitalisiert worden waren. Das Gebäude im Zentrum-Süd war zwischen 1909 und 1938 Mittelmanns Zuhause. Hier lebte er mit seiner Familie und arbeitete in seinem Atelier. Ein Stolperstein vor dem Eckhaus zur Härtelstraße erinnert an das Shoah-Opfer.
„Unter den Negativen befanden sich etwa 1800 Porträts von Frauen, Männern und Kindern, viele von ihnen Jüdinnen und Juden“, erläutert Johanna Sänger, die die Leipzigerinnen und Leipziger bei ihren Foto-Recherchen jetzt einbinden möchte. „Denn nur wenige der Porträtierten sind uns bisher bekannt. Von den meisten liegen Herkunft und Stellung, Berufsbiografie und Schicksal völlig im Dunkeln“, sagt die Kuratorin.
Kuratorin ist der Erbin des Fotografen dankbar
Sie und ihr Team halten derlei Informationen aber für ungemein wichtig, weil das Material aus dem Haus Peterssteinweg 15, auch wenn es sich um die Arbeiten eines eher durchschnittlich begabten Fotografen handelt, „einen deutschlandweit einzigartigen Foto-Schatz darstellt“, wie die 55-Jährige betont. Das Archiv Mittelmann ermögliche viele neue Erkenntnisse zu Leipzigs jüdischer Geschichte und zur Stadtgesellschaft in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts.
Dankbar ist Johanna Sänger der Erbin des Mittelmannschen Nachlasses. Nadia Vergne ist die Tochter von Abrams Sohn Siegfried, also die Enkelin des Fotografen. Sie lebt in Frankreich, hat ihren Schatz unterdessen dem Verein Bürgerarchiv Leipzig überlassen und freut sich darüber, dass die Sammlung 2023 digitalisiert und in Form von Positiven in der Datenbank des Museums „eingelagert“ wurde.
In den meisten Fällen sind nur Familiennamen bekannt
Folglich sind die rund 1800 Porträts nunmehr einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Wer sich also die Zeit nehmen kann, die Ablichtungen von „Fräulein Joosten“ und „Herrn Hahn“, von „Fräulein Thamm“ und „Herrn Caneff“ sowie der vielen, vielen anderen genauer zu studieren, der klicke auf https://www.stadtmuseum.leipzig.de/ews/ete?action=addFilter&filter=web_intranet_sammlung&term=Fotoarchiv%20Mittelmann.
„Momentan sind uns in den meisten Fällen leider nur die Familiennamen bekannt“, schildert Johanna Sänger. Auf weitere Informationen habe Fotograf Mittelmann bei den Bildbeschriftungen verzichtet. Doch das Museum will unbedingt mehr wissen. „Uns interessieren diese Menschen. Wir wollen ihnen ihre Geschichte zurückgeben“, sagt die Kulturhistorikerin und bittet die Bevölkerung um Mithilfe: „Wen erkennen Sie auf den Fotografien?“
Ausstellung soll im Juni 2026 eröffnet werden
Wer darüber hinaus Abzüge von Mittelmann-Negativen besitzt, ist gleichfalls herzlich aufgefordert, sich zu melden. Derlei Papierfotos weisen auf der Rückseite einen markanten Firmenstempel auf. Der verspricht der verehrten Kundschaft von einst: „Fahrstuhl zur freien Benutzung.“
Wer hier wie da helfen kann, wende sich über das Kontaktformular https://www.stadtmuseum.leipzig.de/ete?action=kontakt an das Stadtgeschichtliche Museum. Die Mitarbeiterinnen um Kuratorin Johanna Sänger werden sich alsbald melden.
Denn die Ausstellung mit dem Arbeitstitel „Eine Jahrhundertgeschichte – Leipziger Fotoarchiv Mittelmann“ soll Anfang Juni 2026 ihre Pforten öffnen.