Brutal jung

Sie kommen maskiert und mit Schlaghandschuhen, greifen Stadtfeste, Homosexuelle und Politiker an: Rechtsextreme Schlägerbanden agieren so schnell wie gewalttätig. Ihre Mitglieder sind jung, vernetzt und flexibel im Feindbild.
Die Schläger kamen kurz vor Mittag. 40 bis 50 Menschen hatten sich da bereits auf dem Marktplatz im brandenburgischen Bad Freienwalde versammelt. Männer, Frauen, Kinder. Es gab Kaffee und Kuchen, an einem Stand konnte man Graffitis sprayen, an einem anderen die Kinder schminken lassen. Die Initiative „Bad Freienwalde ist bunt“ hatte zum Sommerfest eingeladen. Ein paar Minuten noch, dann sollte es an diesem Sonntag losgehen. Doch stattdessen wurden die Teilnehmer attackiert.
Wie aus dem Nichts tauchte rund ein Dutzend Vermummter auf, nach Berichten von Augenzeugen waren einige von ihnen mit Holzlatten bewaffnet, andere sollen Quarzsandhandschuhe getragen haben. Damit wird die Wucht eines Schlages verstärkt. Mindestens zwei Männer seien im Gesicht verletzt worden, bilanzierte die Polizei später. Die Angreifer seien sehr sportlich gewesen, vermutlich Jugendliche. Sie verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.
Der Überfall vom Sonntag passt in ein Muster, das Polizei und Verfassungsschutz seit mindestens eineinhalb Jahren beobachten: Sehr junge Männer, rechtsextrem und gewalttätig, mobilisieren gegen alles, was ihnen zu links, zu vielfältig oder auch nur queer erscheint. Sei es eine Kneipe in Berlin-Friedrichshain, die kürzlich angegriffen wurde, oder ein Wahlkämpfer für die SPD, der im vergangenen Winter in Berlin von jungen Neonazis zusammengetreten wurde.
Eine lange Liste von Angriffen
Im Fall von Bad Freienwalde soll es nach Informationen des RBB einen ersten Tatverdächtigen geben: einen Mann Anfang zwanzig, der bereits mehrfach Veranstaltungen wie die am Sonntag gestört haben soll. Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt (Oder) will sich dazu aus ermittlungstaktischen Gründen vorerst nicht äußern. Lorenz Blumenthaler, der sich bei der Amadeu-Antonio-Stiftung mit Rechtsextremismus befasst, hat jedenfalls keinen Zweifel, woher die Attacke vom Sonntag rührt:
„Der Angriff in Bad Freienwalde zeigt eben noch mal sehr genau, dass sich Rechtsextreme gerade total im Aufwind fühlen.“ In der Stadt nahe der polnischen Grenze erhielt die rechtsextremistische AfD bei der Bundestagswahl 40 Prozent. Bad Freienwalde gilt außerdem als Treffpunkt der rechtsradikalen Szene.
Und es ist nur ein Ort in einer langen Liste von Angriffen der vergangenen Monate. Erst im Mai ließ der Generalbundesanwalt fünf Teenager festnehmen, die sich unter dem Namen „Letzte Verteidigungswelle“ zu einer Terrorgruppe zusammengeschlossen haben sollen. Zwei von ihnen werden für einen Brandanschlag im brandenburgischen Altdöbern verantwortlich gemacht. Die Gruppe soll zudem im Januar dieses Jahres einen Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete im thüringischen Schmölln verübt haben – nur durch Glück kam niemand ernsthaft körperlich zu Schaden.
So war es auch in Chemnitz, wo im Januar 20 Jugendliche die Balboa-Bar auf dem Brühl in der Innenstadt überfielen und auf Gäste losgingen. Die Angreifer werden der recht neuen Gruppierung „Chemnitz Revolte“ zugerechnet, die sich 2024 im Zuge von Protesten gegen den Christopher Street Day gebildet hatte. Die Polizei war schnell vor Ort, ein Großteil der Angreifer flüchtete – seither ermittelt der Staatsschutz wegen Landfriedensbruchs. Ende April wurden die Wohnungen von neun Verdächtigen im Alter zwischen 15 und 21 durchsucht, die Polizei stellte Protektorenhandschuhe, Sturmhauben und weitere Beweismittel sicher.
Die Themen sind austauschbar, Hauptsache, es wird gewalttätig
Der sächsische Verfassungsschutz hat die Gruppe seit vergangenem Jahr im Visier und prophezeite im Herbst: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Gruppierung Chemnitz Revolte und insbesondere junge, aktionsorientierte Rechtsextremisten auch in Chemnitz in zunehmendem Maße Aktivitäten entfalten werden.“
Die „Chemnitz Revolte“ hat Verbindungen zu ähnlichen Gruppen wie „Urbs Turrium“ aus Bautzen oder der „Elblandrevolte“. Letztere wird für den Überfall auf den SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden verantwortlich gemacht, der vergangenes Jahr beim Aufhängen von Wahlplakaten krankenhausreif geschlagen wurde – von drei 17-Jährigen.
Der sächsische Verfassungsschutz subsumiert solche Gruppen in der Rubrik „Subkulturell geprägtes sowie unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial“ – und er geht davon aus, dass diese Jugendbanden „event- und aktionsorientiert“ handeln. Dabei seien die Themen austauschbar. Als 2024 Proteste gegen eine Reihe von CSD-Veranstaltungen vorüber waren, wandten sich die Gruppen schnell dem politischen Gegner zu. Die Verfassungsschützer rechnen damit, dass sich die Szene weiter verjüngen und immer schneller Verbündete finden und mobilisieren kann.
Das beobachtet auch Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen, das seit mehr als 20 Jahren Vereine, Kommunalpolitiker und Netzwerke zum Umgang mit rechtsextremistischen Strukturen berät. Nattke sagt der Süddeutschen Zeitung: „Es gibt in Sachsen eine große Basis von Jugendlichen, die für rechtsextreme Gruppen verfügbar sind. Diese Bündnisse entstehen sehr schnell – können aber ebenso schnell wieder zerfallen, wenn Führungskader beispielsweise in Haft sitzen. Sind die weg, gehen die Jugendlichen in die nächste Gruppe.“ Genau das macht es Ermittlern auch schwer, wirksam gegen einzelne Gruppierungen vorzugehen.
Wie viele dieser Gruppen es überhaupt gibt, schon das lässt sich kaum sagen. Die Behörden gehen nach SZ-Informationen aus Sicherheitskreisen von einer mittleren zweistelligen Zahl aus. Rechnet man regionale Ableger dazu, lassen sich allein über Profile bei Instagram und Tiktok sowie Telegram-Kanäle und Whatsapp-Gruppen mehr als 100 identifizieren.
Andreas Ritzmann vom Thinktank „Counter Extremism Project“ beobachtet diese Gruppen genau. Er sagt, im Frühjahr 2024 habe die Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD) mit ihrer Nachwuchsorganisation „Junge Nationalisten“ (JN) die Strategie geändert, weil ihr die Mitglieder ausgingen. Statt Partei-Kaderschmiede zu sein, will man Leute auf die Straße bringen – und gründet neue Ortsgruppen unter dem Label „Revolte“, etwa die Elblandrevolte in Dresden.
„Saufen und Rumhitlern“
Ebenfalls im Frühjahr 2024 haben junge Neonazis lose Gruppen gegründet, sie nennen sich „Jung und Stark“ oder „Deutsche Jugend Voran“. Auf Instagram und Tiktok inszenieren sie sich mit Sturmhauben, Springerstiefeln, Bomberjacken. Sie posen an Bahnsteigen auf dem Weg zu Protesten, Bierflaschen in der Hand, halten schwarz-rot-goldene und schwarz-weiß-rote Flaggen ins Bild oder auch mal eine Regenbogenfahne – aber nur, um sie anzuzünden.
„Wirklich professionell agieren die meisten aber bisher nicht“, sagt Andreas Ritzmann. Und immerhin, eine mutmaßliche Terrorgruppe wie die „Letzte Verteidigungswelle“ scheine selbst in dieser gewaltbereiten Szene die Ausnahme zu sein.
Berlins Verfassungsschutzchef hat neulich gesagt, die Beschreibung „Saufen und Rumhitlern“ sei für das Phänomen zutreffend. Ritzmann beschreibt es so: „Party, Prügel, Posting.“
Dass die meisten dieser Gruppen seit dem Frühjahr 2024 entstanden sind, habe mehrere Gründe, sagt Ritzmann. Erstens eine rechtsextreme Jugendkultur in manchen Gegenden, Freundeskreisen und Fußball-Fankurven. Zweitens soziale Medien, die es möglich machen, sich zu vernetzen und zu präsentieren. Drittens genug Anlässe, um Leute auf die Straße zu bekommen: die Wahlkämpfe für die Europawahl, die drei Landtagswahlen im Osten, der Bundestagswahlkampf plus die CSD-Paraden in Dutzenden Städten, weil queere Menschen und Vielfalt für Neonazis nun mal ein gemeinsames Feindbild sind.
CSD-Paraden als Feindbild
Auch Joe Düker von der Forschungsstelle „Center für Monitoring und Analyse“ (Cemas) sagt deshalb: „Es ist schwierig zu beurteilen, ob die Gewaltbereitschaft zunimmt, oder ob sie schon länger da war und jetzt eben ein Ventil bekommt.“ Düker hat im vergangenen Jahr beobachtet, dass rechtsextreme Jugendgruppen auf sozialen Netzwerken bei 27 CSDs zu Gegenprotesten mobilisiert haben. Manchmal kam nur eine Handvoll Leute, in Bautzen waren es 700. Diese Mobilisierung registriert Düker auch jetzt. „Das bedeutet eine erhöhte Gefahr für die Teilnehmenden und für queere Menschen.“
Nicht wenige erinnert das im Osten an die Baseballschlägerjahre, als in den Neunzigern rechtsextreme Banden systematisch Jagd auf Linke und Menschen mit Migrationshintergrund machten. Im Gegensatz zu damals sei es für Jugendliche heute noch viel leichter, sich zu vernetzen, entsprechend hoch sei die Durchlässigkeit der Gruppen, sagt Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen.
Ein weiterer Unterschied: „Damals hat man das Problem geleugnet, heute nimmt man es ernst.“ In den Neunzigerjahren habe man das als Jugendphänomen abgetan, „diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem“. Auch deshalb, weil es mit der AfD politischen Rückenwind für solche Gruppierungen gebe. Nattke: „Die Jugendlichen haben das Gefühl, sie tun etwas, was sie gesellschaftlich für erwünscht halten. Nach dem Motto: Die Alten reden nur und wir handeln jetzt.“
Wie viel die Sicherheitsbehörden aus den letzten Monaten gelernt haben, kann man schon dieses Wochenende beobachten: In Berlin-Marzahn mobilisieren rechtsextreme Gruppen, unter ihnen die „Deutsche Jugend Voran“, gegen die CSD-Parade. In Regensburg mussten die Organisatoren des CSD bereits wegen einer „abstrakten Bedrohungslage“ den geplanten Demonstrationszug durch eine Kundgebung ersetzen. Das soll der Polizei den Schutz erleichtern.