Funkstille bei Radio Corax? Zur Doppelmoral im Umgang mit sexualisierter Gewalt

Quelle: https://de.indymedia.org/node/518682
Markus Kurze (CDU), langjähriger Vorsitzender der Versammlung der Medienanstalt Sachsen-Anhalt, trat am 14. Juni 2025 infolge eines Vorwurfs sexueller Belästigung nicht von diesem Amt, sondern lediglich als Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt zurück.
Nur zehn Tage zuvor hatte eben jene Versammlung unter seinem Vorsitz die Lizenz für das nichtkommerzielle Lokalradio Radio Corax bis 2035 verlängert. Corax, ein selbsternanntes „Freies Radio“ mit feministischen und antiautoritären Grundsätzen, schweigt bislang zu den Vorwürfen gegen seinen einstigen Förderer und Interviewgast.
Der vorliegende Beitrag beleuchtet die politischen Verflechtungen, die unkritische Nähe Corax‘ zu seinem Geldgeber, und fragt, wie glaubwürdig ein Radio bleiben kann, das sexualisierte Gewalt im eigenen Umfeld empört anprangert, aber beim Missbrauch durch Mächtige der CDU in institutioneller Verantwortung lieber weghört. Wird eine kritische Medienpraxis für Fördermittel geopfert? Wo bleibt der Aufschrei? Wir fordern: Keine Radioförderung von Sexisten!
Keine Radioförderung von Sexisten? Der Fall Markus Kurze, die Medienanstalt Sachsen-Anhalt und das Schweigen von Radio Corax
Am 4. Juni 2025 wurde die Lizenz von Radio Corax durch die Versammlung der Medienanstalt Sachsen-Anhalt um zehn weitere Jahre bis 2035 verlängert. Am 12. Juni 2025 dann der politische Knall: Markus Kurze, Vorsitzender jener Versammlung, CDU-Politiker, Kreistags- und Stadtratsvorsitzender aus Burg, wird beschuldigt, bei einem Sommerfest des Landtages eine Frau sexuell belästigt zu haben. Zwei Tage später tritt er als Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion zurück.
Augenzeugen sprechen von starkem Alkohol, der Vorfall erinnert nicht zufällig an frühere Eskapaden desselben Mannes, der bereits 2018 durch ein Video auffiel, das ihn lallend im Plenarsaal zeigt.
Was aber bedeutet das für die Integrität der Medienanstalt Sachsen-Anhalt – und vor allem für jene nichtkommerziellen Akteur*innen, die durch sie gefördert werden? Und warum schweigt Radio Corax, das sich selbst als „Freies Radio“ mit explizit feministischem, antirassistischem und basisdemokratischem Anspruch versteht, zu all dem?
Medienmacht, Missbrauch und moralischer Bankrott
Markus Kurze war nicht einfach ein x-beliebiger CDU-Hinterbänkler. Er war als Vorsitzender der Versammlung der MSA eine Schaltstelle der Medienaufsicht im Land. Diese Versammlung ist das Gremium, das über Lizenzen, Programmaufsicht, Grundsätze der Medienförderung und damit über das Überleben freier Radios entscheidet. Wer dort den Ton angibt, hat Macht – über Inhalte, über Fördergeld, über Frequenzzuteilung. Dass gerade Kurze mit dem gestischen Vokabular eines patriarchalen Herrenwitzes aus dem letzten Jahrhundert auffällt, ist mehr als nur peinlich. Es entlarvt die institutionellen Brücken zwischen öffentlichem Ethos und privater Entgleisung als brüchig.
Die Medienanstalt Sachsen-Anhalt wird durch zwei Gremien geleitet: den Vorstand und die Versammlung. Die Versammlung ist das eigentliche Machtzentrum. Sie besteht aus 28 ehrenamtlichen Vertreter*innen gesellschaftlicher Gruppen, die jedoch überwiegend parteinah, wirtschaftsfreundlich und konservativ besetzt sind. In der Praxis bedeutet das: wer gegen das Establishment sendet, tut gut daran, nicht anzuecken. Und wer auf öffentliche Mittel angewiesen ist, muss sich stillstellen, um nicht ins Visier zu geraten.
Corax: Freies Radio oder institutionalisiert angepasst?
Radio Corax hat sich über 25 Jahre hinweg ein Image als widerständiges Medium aufgebaut: queerfreundlich, antifaschistisch, basisdemokratisch, antikapitalistisch. In unzähligen Beiträgen wurde sexualisierte Gewalt thematisiert, patriarchale Strukturen angeprangert, über sexistische Sprache, Safe Spaces und Betroffenenperspektiven diskutiert. Sendungen wie „Radio Revolten“, das Jugendradio oder auch Formate wie „Salty Soundz“ gelten als Aushängeschilder kritischer Medienpraxis.
Doch gerade an „Salty Soundz“ zeigt sich ein drastischer Kontrast: Eine Folge wurde einst live abgebrochen und die beteiligten Macher wegen abfälliger Sprüche über Frauen mit Hausverbot belegt. Die klare Linie gegen Sexismus war damals ausdrucksstark und konsequent. Und heute?
Heute schweigt Corax zu einem CDU-Funktionär, der einer Frau in trunkenem Zustand die Finger in den Mund steckte – angeblich als „Handkuss“. Man stelle sich die Reaktion vor, wäre das in einem Club, auf der Straße oder im Studio passiert. Was wäre los, wenn ein solcher Übergriff von einem linken Aktivisten begangen worden wäre? Die mediale und interne Aufarbeitung wäre umgehend erfolgt. Doch beim eigenen Geldgeber herrscht Stille. Und dieses Schweigen spricht Bände.
Doppelmoral und Abhängigkeit
Corax interviewte Markus Kurze 2018 anlässlich des Vereinsjubiläums, lobte öffentlich die Zusammenarbeit mit der MSA, verlas wohlwollende Grußworte bei Preisverleihungen und feierte im September 2024 beim Bürgermedienpreis gemeinsam mit Kurze die Auszeichnung für den „besten Radiobeitrag“.
Man könnte sagen: das ist politische Realität. Andere würden sagen: das ist schleichende Kooptation. Wer sich so eng mit Institutionen vernetzt, deren Führungspersonal nun durch sexistische Übergriffe auffällt, muss sich fragen lassen, wie ernst die eigene Unabhängigkeit noch genommen werden kann.
Wenn Corax glaubhaft bleiben will, muss jetzt ein Zeichen folgen: Eine klare Stellungnahme. Ein offener Brief an die Medienanstalt. Die Forderung nach einem personellen Neuanfang. Und, falls keine glaubhafte Aufarbeitung erfolgt, ein Rückgang der Lizenzverlängerung, um ein Zeichen zu setzen: Wir lassen uns nicht von patriarchalen Machtstrukturen alimentieren.
Pressefreiheit braucht Haltung, nicht Gnade
Freier Rundfunk ist kein Almosen. Er ist ein demokratisches Recht. Doch dieses Recht verliert seine Substanz, wenn es nur solange verteidigt wird, wie es finanziell oder institutionell bequem bleibt. Wenn die eigene Glaubwürdigkeit davon abhängt, gegen wen sich Kritik richtet, dann war sie nie vorhanden.
Deshalb: Keine Radioförderung von Sexisten. Keine stille Duldung von Machtmissbrauch. Und keine öffentlich geförderte Kultur des Wegsehens. Wer von „Freien Radios“ spricht, muss auch frei sein von Abhängigkeiten, die Schweigen erzwingen. Corax, es liegt an euch.