Nachtrag zum 1. Mai – Die andere ‚autoritäre Wende‘, oder: Anarchosyndikalismus und der Krieg (DE/EN)

„Wir dürften alle wissen, was schon immer das elende Schicksal von sozialen Bewegungen während eines Krieges gewesen ist; sofern sie sich eben nicht schon früh darauf vorbereitet hatten, ihn durch die Androhung von militantem Ungehorsam an der Heimatfront zu verhindern. Wir plädieren in diesem Beitrag für die Wichtigkeit anarchistischer antipolitischer Organisierung gegen die autoritäre Zeitenwende, welche wir als Bedingung dafür sehen, dass unser gemeinsamer Kampf eine Zukunft hat. Unser Kampf muss antinational wie international sein.“

Ein Beitrag des Orga-Kollektivs der anarchistischen Versammlung zum 1. Mai in Leipzig

English version below

Der folgende Beitrag wurde bereits als Rede auf der „Syndikalistischen 1. Mai“ Demo der FAU Leipzig gehalten. Auf deren Aufruf nehmen wir, als Orgakreis der anarchistischen Veranstaltungsreihe (de.indymedia.org/node/503359 und knack.news/12167) rund um den 1. Mai in Leipzig Bezug, zu finden hier: leipzig.fau.org/hinaus-zum-syndikalistischen-1-mai/

Wir unterstützen den Ansatz des Aufrufs zur Demonstration, sich nicht an >der< Politik – also dem Staat und den ihn verwaltenden bürgerlichen Parteien – zu orientieren. Es ist wahr, wir sollten uns auf unsere eigene Macht besinnen, unsere Macht autonom kämpfen zu können, ohne an die Politik zu appellieren Unsere Stärke liegt in der selbstbestimmten Organisierung von unten, im Klassenkampf am Arbeitsplatz und auf der Straße.

Wir möchten die von der FAU Leipzig angestoßenen Gedanken weiterführen und zeigen wie der gewerkschaftliche Kampf, über die lokale Ebene hinaus in Bezug auf die großen Fragen unserer Zeit, wie die von Krieg und Frieden, gedacht werden sollte. Wir plädieren dabei für die Wichtigkeit anarchistischer antipolitischer Organisierung gegen die autoritäre Zeitenwende, welche wir als Bedingung dafür sehen, dass unser gemeinsamer Kampf eine Zukunft hat.

Unbeirrt vom Tagesgeschäft der bürgerlichen- wie auch Szenepolitik stets den Klassengegensatz am Arbeitsplatz ins Auge zu nehmen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn wir uns aber nur auf Alltagskämpfe fokussieren, begeben wir uns in Gefahr, den Blick für das große Ganze zu verlieren. Eben diese Alltagskämpfe finden nicht einfach losgelöst vom weltpolitischen Geschehen statt – sie werden direkt davon mitbestimmt. Die aktuelle politische Agenda intensiviert die Klassenherrschaft, was wir in unseren lokalen Struggles berücksichtigen müssen.

In der sich aktuell vollziehenden autoritären Wende wird eine Stimmung erzeugt, bei der mit Verweis auf einen äußeren Feind von einem angeblichen gemeinsamen “Wir” gesprochen wird. Uns wird eine falsche Einheit von Lohnabhängigen und Kapitalisten, Beherrschten und Herrscher*innen, vorgegaukelt. Dies hat keinen anderen Zweck, als uns zu entmachten.

Wir sollen entgegen unseren eigentlichen gemeinsamen Klasseninteressen als lohnabhängige Arbeiter*innen für den fremden Zweck der Stabilisierung der Macht des Staates eingespannt werden. Wir sollen die Füße stillhalten, den Gürtel enger schnallen, und am Ende heißt es dann „Kanonen statt Butter“ [Ursprünglich ein Slogan der Nazi Propaganda, den inzwischen aber sogar liberale Ökonomen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen aufgreifen, siehe archive.ph/AnoFy].

Immer wenn eine imaginäre Gemeinschaft wie „Deutschland“ oder „der Westen“ beschworen wird, während Klassengegensätze verschleiert werden, ist dies nichts Anderes als ein Angriff auf die Grundlagen unserer Bewegung. Arbeiter*innen sollen im Namen der Nation zurückstecken.

Ein Beispiel dafür ist die Forderung nach Streikverboten für systemrelevante Sektoren im Zuge der GDL-Bahnstreiks, um die deutsche Wirtschaft zu schützen. Deutschland unterbindet, um den sozialen Frieden zu wahren, im europäischen Vergleich ohnehin schon Streiks besonders hart.

Historisch wie ideologisch ist es dabei kein weiter Weg vom Burgfrieden [ursprünglich vom deutschen Linken gerechtfertigt zur Abwehr der ‚Bedrohung‘ durch das das zaristische Russland], oder der sogenannten deutschen Sozialpartnerschaft zur Volksgemeinschaft.

Ja, „Angriffe auf Arbeitsrechte und das Streikrecht werden in den nächsten Jahren kommen“ [der Meinung ist nicht nur die FAU Leipzig, siehe Aufruf, sondern auch das höchste deutsche Gericht auf dem Gebiet der ‚ordentlichen Gerichtbarkeit siehe oj.is/2512024 Absatz 40 sowie Absnatz 58 „cc)“], und eine besondere Bedrohung geht dabei von staatlichen Maßnahmen zur Kriegstüchtigkeit aus.

Wir dürften alle wissen, was schon immer das elende Schicksal von Arbeiterinnenbewegungen während eines Krieges gewesen ist; sofern sie sich eben nicht schon früh darauf vorbereitet hatten, ihn durch die Androhung von militantem Ungehorsam an der Heimatfront zu verhindern.

Es mag medial untergangen sein und klingt erstmal kaum zu fassen, aber die deutschen Behörden haben erst zu Anfang dieses Jahres die Aufstellung einer ‘Heimatschutzdivision’ der Bundeswehr verkündet, die die ausdrückliche Aufgabe hat in Zukunft die ‘innere Sicherheit’ im Kriegsfall sicherzustellen.

Dabei soll das Militär die ‘Friedlichkeit der Bevölkerung’ durch Unterdrückung von Protesten und wenn nötig auch gewaltsame Niederschlagung von Streiks garantieren.

International regt sich Widerstand von Gewerkschaften gegen den europaweiten Wahn der Rüstung zum Krieg, auch wenn im medialen Diskurs hierzulande kaum etwas davon zu hören war.

In den letzten anderthalb Jahren haben Transportgewerkschaften und Hafenarbeiter*innen in Belgien, in Griechenland, in Spanien und Italien, es selbst in die Hand genommen den Export von Waffen aufzuhalten.

Wir sollten uns diesem international geführten Kampf anschließen, und sei es auch als erster Schritt nur, dass wir zunächst versuchen ihn in unserem lokalen Kontext durch Solidaritätsaktionen sichtbar zu machen.

Auch in Deutschland gibt es erste gewerkschaftliche Ansätze, sich gegen die drohende militärische und soziale Katastrophe zu wehren. Seit letztem Jahr gibt es die Initiative „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg“ [gewerkschaften-gegen-aufruestung.de/], die bereits von Teilen der Ver.di und der GEW unterstützt wird, und die sich klar gegen das Programm der Herrschenden stellt.

Sie kritisiert, dass hunderte Milliarden in die Vorbereitung eines Krieges investiert werden, in dem nicht die Herrschenden, sondern tausende unserer Freundinnen, Genossinnen, Nachbar*innen und Mitmenschen gezwungen werden sollen zu sterben und zu töten [wobei es dabei ganz egal ist ob liberale oder linke Menschen persönliche Gründe haben die Unterstützung der Kriegsführung gut zu finden – das, oder auch ob der Krieg ‚gerecht‘ ist, ist der Staatsgewalt die ihn führt und über sein Ende bestimmt egal].

Es stimmt: Wir „müssen Strukturen aufbauen, die den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen sind“ (Zitat FAU) und die autoritäre, nationalistisch-militaristische Zeitenwende ist eine der größten politischen Herausforderungen unserer Zeit.

Um die Herausforderungen von morgen zu bewältigen, müssen wir aus der Geschichte und den historischen Fehlern unserer Bewegung lernen.

Der Erste Weltkrieg und die Beteiligung der Gewerkschaften und Linken daran führten uns damals vor einen vorher unvorstellbar tiefen Abgrund, indem sie sich gegen die internationale Solidarität im Kampf gegen Staat und Kapital und für Komplizenschaft mit der staatlichen Agenda entschieden.

All unsere Kämpfe sind Teil eines größeren Ganzen. Die Bedingungen, unter denen wir in Alltagskämpfen Erfolge erzielen können, werden vom Ausgang diesen großen Fragen bestimmt.

Nichts ist schädlicher für unsere Kämpfe für Selbstbestimmung als das Einreihen in den Kurs einer vermeintlichen nationalen oder „Werte“-Gemeinschaft. Schon vor hundert Jahren erkannten anarchistische Genoss*innen wie Rudolf Rocker, Mitbegründer der FAUD, Emma Goldman oder Errico Malatesta diese Wahrheit [siehe archive.ph/ZkQ0L, archive.ph/WlI3Z, archive.ph/fqmkP, archive.ph/jA0nB, archive.ph/ZaY1I]

Rufen wir sie uns heute, an einem so historischen Tag, in Erinnerung. Ohne Geschichte keine Zukunft.

Wir müssen unsere grenzübergreifenden gemeinsamen Interessen als Lohnabhängige im Klassenkampf gegen die Herrschenden und ihr Programm der Zeitenwende erkennen. Dieser Kampf muss ebenso antinational wie international sein.

Wir befürworten den Aufbau von Gegenmacht von unten durch autonome Basisorganisationen und begrüßen den Beitrag der FAU durch die Wiederbelebung anarcho-syndikalistischer Ideen daran. Der Kampf in den Betrieben hat nach wie vor großes Potenzial.

Es braucht aber nicht nur gewerkschaftliche, sondern auch andere Formen langfristiger, verbindlicher anarchistischer Organisation. Gegenwärtig versumpfen wir zu oft in diffuser Szenekultur oder kleinkarierten Projekten. Es gilt, ernsthaft darüber nachzudenken, wie wir unsere Kräfte sammeln, verlässliche Netzwerke knüpfen und eine schlagkräftige Organisierung aufbauen können – in Leipzig und bundesweit, damit wir über Kampfesfelder hinweg die großen Fragen unserer Zeit selbst in die Hand nehmen können. Die Zeit läuft.

Wir schließen uns also dem heutigen Aufruf an, und ermutigen alle Anwesenden, sich zu organisieren um am Arbeitsplatz, oder außerhalb, die Saat des kommenden Aufstands zu legen.

Seien wir unregierbar!

English:

Contribution of the Jardinier·e·s de l‘espoir to the syndicalist 1st of May Protest in Leipzig

Dear comrades. We support the idea put forward by the FAU in their call to protest that should we seek to not try to appeal to established politics—that is, the state and the political parties that administer it. Our strength lies in autonomous organization from below, in the class struggle – against the bourgeois order – be it at work or in combative street movements.

We want to elaborate on this idea and demonstrate how trade-union struggle, should not only be conceived as concerning only the local level of the workplace, but be thought in relation to the major questions of our time, questions of utmost importance, such as the question of war and peace. In doing so, we advocate the importance of anarchist antipolitical organization against the “Zeitenwende” (the break, proclaimed almost unanimously by “progressive” as well as liberal and conservative politicians, from post-1945 posture of relative abstention from imperialist military power projection, with the biggest campaign of militarization since the rise of the Nazis), which we regard as a precondition for our common struggle to even have a future.

It is a step in the right direction, to remain unfazed by the day-to-day propaganda and banalities of both bourgeois and subcultural politics, and instead to focus on the concrete class antagonism at work. Yet if we focus solely on workplace struggles, we risk losing sight of the bigger picture. Precisely everyday workplace struggles do not occur in isolation from world-political events—they are directly conditioned and shaped by them. The current political agenda of militarization and supposed national unity against foreign threats intensifies class domination, which we must take into account in our local struggles.

The authoritarian shift now being instituted, takes hold by the cultivation of political climate, where politicians (and people parroting them) talk of a common “us”, which supposedly „has to be defended” against an external enemy. A false unity (of interests) between the rulers and ruled, the people and the state, workers and capitalists is propagated. This serves no other purpose than to disempower us.

We are to be mobilized, contrary to our genuine shared class interests as workers, for the aim of stabilizing state power, which is in fact contrary to our interests, the pursuit of which we are demanded to cease in favor of the ability to militarize more. We are told to let our own interests take a backseat, and in the end the logic of the talking points of the warmongers finds its logical conclusion in the old slogans “Kanonen statt Butter” (‘Guns instead of Butter’ – a slogan originating with literal Nazi propaganda, but recently taken up by top level liberal economists in German state sponsored prime time TV see: archive.ph/AnoFy)

Whenever they speak of an imaginary community such as “Germany” or “the West”, while class antagonisms are obscured, this constitutes nothing other than an attack on the foundations of our movement. Workers are expected to concede in the name of the nation.

One example is the demand for bans on strikes in so-called system-relevant sectors in the context of the GDL railway strikes, “to protect the German economy”. Even though the German state already suppresses strikes particularly harshly compared to other European countries in order to preserve social peace, it may intensify this, if the establishment has their way.

Historically as much as ideologically, there is no great distance between the so-called german “Sozialpartnerschaft” (a corporatist ‘social partnership’ between union and enterprises), and the “Volksgemeinschaft” (the fascist idea, of a national community which supercedes and surpresses class divisions in favor of unity under the leadership of a strong state – historically former Nazis were the ones who shaped Germany’s repressive labor law)

Indeed, “attacks on labor rights and the right to strike will come in the coming years” (as the FAU also predicts), and a particularly great threat stems from state measures aimed at “Kriegstüchtigkeit” (a phrase used by the SPD-Greens-FDP Government, meaning ‘War-readiness’).

We all should know all too well what has always been the miserable fate of workers’ movements during a war—unless of course they had prepared early on to prevent it at the home front through the threat of militant disobedience.

It may have passed largely unnoticed and sounds almost unbelievable, but the German authorities recently announced the formation of a “Homeland Security Division” (Heimatschutzdivision) of the Bundeswehr, with the expressed task of securing “internal security” in the event of war.

The military is to guarantee the “peacefulness of the population” by suppressing protests and—if necessary—by forcibly quelling strikes.

Internationally, trade unions are resisting the Europe-wide madness of rearmament for war, even though virtually nothing of this has been audible in our media discourse – the odd silence of leftists on anti-war issues notwithstanding as a cause.

Over the past eighteen months, transport unions and dockworkers in Belgium, Greece, Spain, and Italy have taken matters into their own hands to halt the export of arms.

We must join this international struggle, and we can immediately begin with that, by making it visible in our local context through solidarity actions, and coordinating antimilitarist initiatives.

In Germany, too, there are initial union-based efforts to resist the impending military and social catastrophe. Since last year, the initiative “Unions Against Rearmament and War” (Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg – gewerkschaften-gegen-aufruestung.de/) has existed, already supported by sections of ver.di and GEW, and positions itself clearly against the ruling agenda.

The initiative criticizes that hundreds of billions are being invested in preparing a war in which not the rulers, but thousands of our friends, comrades, neighbours, and fellow human beings will be forced to die and to kill.

It is true: we “must build structures that are capable of meeting the challenges of our time” (quote FAU), and the authoritarian, nationalist-militarist “Zeitenwende” is one of the greatest social challenges of our era.

To meet the challenges of tomorrow, we must learn from the history and the historical errors of our movement.

World War I and the support of unions and the Left for the war effort, as they chose against international solidarity in the struggle against state and capital and in favor of complicity with the agenda of the state, led us to a catastrophe, more devastating than anyone had thought possible before.

All our struggles are part of a larger whole. The conditions under which we can achieve success in everyday struggles are determined by the outcome of these major questions.

Few things are more detrimental to our struggles for self-determination than falling into line with a purported national or “value” community. Already a century ago, anarchist comrades such as Rudolf Rocker, co-founder of the FAUD, Emma Goldman, and Errico Malatesta recognized this truth [see: archive.ph/ZkQ0L, archive.ph/ERF0m, archive.ph/CMlYY]. Let us recall it on this historic day, international workers day. Without history – no future.

We must recognize, across borders and frontlines, our common interests as part of the working class in class struggle against the politicians and their program of militarization. This struggle must be internationalist.

We strongly advocate the construction of popular counter-power from below through autonomous grassroots organizations, and welcome the contribution of the FAU to this cause, through the revitalization of anarcho-syndicalist ideas. The struggle in the workplaces still retains great potential.

However, not only union-based but also other forms of long-term, reliable/disciplined anarchist organization are needed. At present moment, we are too much bound up in diffuse subcultural scenes or small-time projects. It is imperative to consider seriously how to gather our strength into a formidable force, forge reliable networks, and build up organizations —in Leipzig and nationwide— that are capable and ready to strike swiftly even in dire situations, we can take the great questions of our time into our own hands. Time is running out.

We therefore join today’s call, and encourage all present to organize—whether in the workplace or beyond—to sow the seeds of the forthcoming uprising.

Be ungovernable!

– Jardinier·e·s de l’espoir


de.indymedia.org/node/515729