Abschiebe-Songs und rassistische Töne: Wer steckt hinter dem Musiklabel NDS?

Das Musiklabel Neuer Deutscher Standard verbreitet Songs mit rechtsextremen Texten und ist damit vor allem bei jungen Zuhörern erfolgreich. Zu finden ist es in Weifa im Landkreis Bautzen. Das wissen das Kulturbüro und der Verfassungsschutz über NDS.

Es ist kurz vor Heiligabend 2024 in einem Keller in Berlin. Der Musiker „Kavalier“ vom Label „Neuer Deutscher Standard“ (NDS) tritt mit seiner Gitarre vor den Konzertbesuchern auf. Als er offensichtlich die Melodie eines Songs von Gigi D’Agostino spielt, singen mehrere Gäste „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus“, rufen „Sieg Heil“ oder zeigen den verbotenen Hitlergruß.

Zu sehen ist die Szene in der RTL-Reportage „Braune Kinderzimmer“, für die eine Reporterin verdeckt in der rechten Szene recherchierte. Seit Ende April ist die halbstündige Dokumentation online zu sehen ist.

Gemeinsam mit seinem NDS-Kollegen „Proto“ ist „Kavalier“ seit 2024 bundesweit auf Tour unter dem Motto „Abschiebehauptmeisterparty“. „Denn so wie Du hier grade bist, hast Du hier nichts mehr verloren. Nein, Du bist kein echter Deutscher, bist Du auch mal hier geboren“, heißt es in einem der Lieder.

Die jüngste Veranstaltung hat am 3. Mai im Saal des Gasthofes „Deutsche Eiche“ in Neukirch/Lausitz stattgefunden. Laut Polizei haben 76 Besucher daran teilgenommen. Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen (LfV) stuft die Party als „rechtsextremistische Musikveranstaltung“ ein.

Das gesamte Tonträger-Label und Vertriebsunternehmen „NDS Records“ sei erwiesen rechtsextremistisch. Sitz des Labels ist Neukirchs Nachbargemeinde Steinigtwolmsdorf, Ortsteil Weifa.

NDS sitzt in Umgebindehaus in Weifa

Wer sich im idyllischen Weifa mit seinen rund 600 Einwohnern umschaut, käme wohl kaum auf die Idee, dass dort ein bundesweit bekanntes Label aus der rechtsextremistischen Szene seinen Sitz hat. Zumindest deutet in der Lindenstraße 4 von außen nichts darauf hin.

Das Umgebindehaus aus dem 19. Jahrhundert steht unter Denkmalschutz. Die Fassade des Obergeschosses ist verschiefert. Unweit des Hauses klärt eine Infotafel über die Umgebindehäuser der Lindenstraße auf. Die Nummer vier gehörte demnach schon einem Leinwandhändler, war Bäckerei und ab 1978 Kinderferienlager.

NDS seit 2020 im Landkreis Bautzen

Jetzt sitzt dort das Label „NDS“ und vertreibt Musik und Kleidung. Laut dem LfV „wird das genannte Objekt als Wohnort und Sitz des Unternehmens genutzt. Darin befindet sich ein Tonstudio des Labels.“

NDS Records wurde laut dem Kulturbüro Sachsen im Jahr 2019 von dem Rechtsrapper Chris Ares und von Kai Naggert, aktueller Künstlername Proto, gegründet. 2020 kamen sie in die Oberlausitz und wollten einen Jugendtreff etablieren. Während Ares die Region im Spätsommer 2020 wieder verließ, ist Naggert geblieben.

Weitere aktuelle NDS-Akteure sind laut Verfassungsschutz Dominik Raupbach alias „Kavalier“ und „Runa“, Ramona Naggert. Seine Wurzeln habe das Label in der Identitären Bewegung, so das Kulturbüro. NDS arbeite „mit extrem rechten und neonazistischen Parteien wie dem dritten Weg oder den Freien Sachsen zusammen.“

Das LfV spricht im Berichtsjahr 2023 von einer „zunehmenden Radikalisierung“. Im selben Jahr veröffentlichte Kai Naggert mit dem Rapper Makss Damage das Album „Weiß Männlich Kampfbereit“.

In den Liedtexten werde laut Kulturbüro „das Bild eines übertrieben männlichkeitsbetonten, weißen Deutschen gezeichnet, der stets zum Kampf bereit sein muss, da er sich für sein ‚Volk‘ und gegen die ‚Bedrohungen‘ der Moderne zur Wehr zu setzen hat.“

Das Album ist auf den großen Streaminganbietern wie Apple Music oder auf Spotify nicht zu finden. „Dennoch sind viele Einzeltitel auf einschlägigen Musikportalen erhältlich, da die extrem rechten Inhalte oft subtil verpackt sind und sich an der Grenze zur Legalität bewegen“, so das Kulturbüro. Auf Youtube hatten die meisten ihrer Videos bis vor kurzem sechsstellige Klickzahlen, teils bei knapp über einer Million. Am Freitag, dem 9. Mai 2025, war die Youtube-Seite des Labels nicht mehr zu erreichen. Auf Spotify liegt der bestgeklickte Track bei rund 500.000 Aufrufen.

NDS-Musik enthält rassistische Elemente

Das LfV teilt mit, die „Musik enthält teilweise gewaltaffine, rassistische Elemente und richtet sich mitunter gegen den politischen Gegner sowie das Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland“.

Der Nachrichtendienst macht das am Beispiel „Arminius“ von Proto, also Naggert, deutlich. Darin beschreibe er Nationalismus „als ‚natürliches Rückgrat‘ und fordert, dass ‚damals wie heute Europa erwache‘.“

NDS macht jetzt Ballermann-Mallorcaschlager-Style

Mit „damals“ meine er die Zeit des Nationalsozialismus, „denn im Lied heißt es weiter ‚für Heimat und Volk griff dein Opa zur Waffe‘.“ Außerdem würde „der Zuzug von Migranten nach Deutschland als Angriff gewertet und in kriegerischer, appellierender Rhetorik gefordert: ‚Kämpf für die Heimat‘, denn ‘Wir sind längst im Krieg‘.“

Thorsten Hindrichs ist Musikwissenschaftler der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Er forscht seit einigen Jahren über die rechtsextreme Musikszene. NDS unterscheide sich von der klassischen Rechtsrock-Szene. Rechtsextreme Bands „verticken noch CDs“, ihre Haupteinnahmequelle. Bei NDS „scheint es mir so zu sein, dass vor allem der Merch-Kram das meiste Geld bringt.“ Merch steht für Merchandising, also den Verkauf von Band-T-Shirts und Fan-Artikeln.

Laut Hindrichs sei das Label „seit circa einem Jahr nicht mehr nur auf der Rechtsrap-Schiene unterwegs, sondern sie machen auch diesen Ballermann-Mallorcaschlager-Style.“

Damit das Geschäft läuft, springe NDS auf aktuelle Ereignisse auf, es gehe um Aufmerksamkeit. Ein Beispiel dafür: das umstrittene Sylt-Video, das 2024 in der Medienwelt tausendfach geteilt wurde. „Das ist ein super Beispiel für die Geschäftstüchtigkeit von Kai Naggert. Wenige Tage danach waren die zwei auf Sylt und haben ihr Video zu Düsi Düsi gedreht.“

NDS kooperiert mit anderen Rechtsextremisten

Das habe NDS Klickzahlen und Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken beschert. „Das Gefährliche daran ist, dass sie erheblich zum Normalisierungsprozess von rechten und rassistischen Narrativen beitragen.“ Sie hätten das Potenzial, weiter in die Mehrheitsgesellschaft vorzudringen, als Neonazis mit szenetypischen Klamotten.

Dabei hätten beide auch kein Problem, „sich in den Bundestagswahlkampf einzumischen“. NDS hatte wenige Tage vor der Bundestagswahl 2025 einen Song veröffentlicht, der ein musikalischer Aufruf war, die in Sachsen als rechtsextremistisch eingestufte AfD zu wählen. Laut Hindrichs ist auch die sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Carolin Bachmann Teil des Videos. Sie hatte sich am Wahlabend mit Kai Naggert, Dominik Raupbach und Ramona Naggert sogar ablichten lassen. Der Freien Presse teilte sie mit, man könne und wolle keine politische Eignungsprüfung der Gäste auf Demos und Veranstaltungen durchführen.

Dass die Vertreter von NDS die Nähe zu bekannten Rechtsextremen suchen, zeigt auch der Auftritt von Finley Prügner, Anführer der „Elblandrevolte“, in einem Musikvideo von „Kavalier“. Er wird zusammen mit weiteren Personen verdächtigt, kurz vor Weihnachten in Görlitz eine Gruppe Aktivisten der Linken attackiert zu haben.

Das LfV berichtet von mehreren NDS-Konzerten unter dem Motto „Abschiebehauptmeister“ in ganz Deutschland. Viel Publikum ziehen die Veranstaltungen nicht. Der Großteil bewegt sich im zweistelligen Bereich. Ein Teil wurde vorzeitig aufgelöst.

Dabei trete NDS in Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Kleinstpartei „Der dritte Weg“ oder in Lokalitäten bekannter Nazis auf. Bei einem Konzert am 7. Februar 2025 in Neukirch/Lausitz seien auch Vertreter der rechtsextremen Gruppierung „Urbs Turrium“ aus Bautzen dabei gewesen.

NDS-Musik zum Teil kinder- und jugendgefährdend

Nach Einschätzung des LfV spreche NDS insbesondere junge Menschen an, durch den populären Musikstil auch außerhalb der rechtsextremistischen Szene. Über Musikvideos, Social Media oder kostenpflichtige Downloads der Musik erreiche NDS ein „jüngeres, digitalaffines Publikum“.

Einen Tonträger von NDS habe die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) indiziert, weil er mehrere Titel enthalte, „die die NS-Ideologie verherrlichen. Zudem identifizierte die BzKJ Inhalte, welche Frauen und homosexuelle Menschen diskriminieren und zum Rassenhass anreizen“, erklärt der Verfassungsschutz.

Für die Party am 3. Mai in Neukirch hatte der Landkreis Bautzen die Anordnung erlassen, dass Kinder nicht daran teilnehmen dürfen und Jugendliche nur in Begleitung eines Erziehungsberechtigten.

Vertreter von NDS haben auf die schriftlichen Anfragen von Sächsische.de bislang nicht reagiert. Telefonische Anfragen und Mailboxnachrichten sind unbeantwortet.

NDS-Widerspruch aus Weifa und Neukirch

Im Ort und der Gemeinde lösen Anfragen zu NDS Zurückhaltung aus. Aktuell wolle Bürgermeisterin Kathrin Gessel (CDU) sich gegenüber Sächsische.de nicht zu dem Thema äußern.

Zwei langjährige Einwohner aus Weifa wollen anonym bleiben, sehen die Ansiedlung von NDS und vor allem Kai Naggert in ihrem Ort aber skeptisch. Bislang habe er hier nicht die Unterstützung bekommen, die er sich vielleicht erhofft habe, und das sei gut. „Noch besser wäre es, wenn er gar nicht da wäre.“

Die zwei Männer berichten, dass sich Kai Naggert nicht in die Dorfgemeinschaft einbinde, aber auch keinen Ärger mache. „Zu Beginn gab es da vielleicht Bedenken, und viele Einwohner werden froh sein, dass es bislang ruhig geblieben ist. Andere haben allerdings nach wie vor Sorge, dass es auch anders kommen könnte.“

In Neukirch, dem Ort der jüngsten NDS-Party, gab es am 3. Mai aber noch eine andere Veranstaltung. Es war die erste der neuen Initiative „Neukirch miteinander“, ganz bewusst am selben Tag. Die Initiative gibt es laut Mitorganisatorin Nora Weller, „weil uns ein friedlicher, respektvoller und offener Umgang wichtig ist“. Dieser sei gesamtgesellschaftlich und im Dorf selbst zunehmend vor allem durch Rechtsextreme gefährdet.

Die Bilanz der Initiative nach dem Auftakt mit Getränken, Musik, Tanz und Spielen falle positiv aus. Circa 40 Personen seien da gewesen. „Als alles lief und interessierte Bürger kamen, „wussten wir, dass wir richtig gehandelt haben, dass es gut ist, einen eigenen Raum zu öffnen – für Vernetzung, gute Gespräche, Spaß und Party, die ganz ohne menschenverachtende Songtexte auskommt.“ Wie es jetzt weitergeht, werde die Initiative demnächst beraten.