Sachsen halbiert Geld für Ehrenamtler: Tafel Muldental in Gefahr, Sorgen in Borna

Sachsen hat die Unkostenpauschale für ehrenamtliche Helfer stark gekürzt. Das trifft gemeinnützige Organisationen, Kultur und Sport. Betroffene fürchten um die Zukunft des Ehrenamtes – auch in Borna, Wurzen und Grimma.
Egal, auf welche Bühne man schaut, das Ehrenamt ist bei Politikern ein beliebtes Thema. Sei es im Ober- und Bürgermeisterwahlkampf in Grimma und Colditz oder auf Bundesebene. Doch in Sachsen hakt es aktuell mit der Finanzierung. Ein Problem auch für die Tafel, Sport, Kultur und gemeinnützige Vereine im Landkreis Leipzig. Einige bangen um ihre Zukunft.
Denn eigentlich lag die Unkostenpauschale für Ehrenamtler im Freistaat bislang bei 40 Euro im Monat. Aktuell wird über das Förderprogramm „Wir für Sachsen“ aber weniger als die Hälfte ausgezahlt. „Aufgrund der vorläufigen Haushaltsführung 2025 konnte für alle Ehrenamtsprojekte zunächst nur eine Teil-Pauschale von 19 Euro pro Monat bewilligt werden“, erklärt das Sächsische Staatsministerium für Soziales auf LVZ-Anfrage.
„Ich bin verärgert und entrüstet. Die Tafelarbeit steht auf dem Spiel“, sagt Christian Kamprad, Vorstandsvorsitzender der Tafel Muldental. „Unsere Arbeit ist nur mit ehrenamtlichen Helfern zu realisieren.“ Rund 35 engagieren sich bei der gemeinnützigen Hilfsorganisation. Und alle werden dringend gebraucht. Denn nur mit der Ausgabe ist es nicht getan. Die Lebensmittel sind Spenden, die nicht mehr im regulären Verkauf sind. Das ist gut für die Nachhaltigkeit, aber auch zeitaufwendig. „Die Lebensmittel müssen oft kurzfristig abgeholt und sortiert werden. Da müssen wir immer sehr viel personelle Kapazitäten vorhalten“, erklärt Kamprad.
An drei Tagen und insgesamt fünf Ausgabestellen in Bad Lausick, Grimma, Wurzen, Colditz und Trebsen verteilt die Tafel Muldental Lebensmittel an Bedürftige. Noch. Die Kürzung macht sich bemerkbar. „Wir haben mit 40 Euro gerechnet und es geht auch gar nicht anders, denn die Helfer müssen wenigstens ihr Busticket bezahlen können, um zu uns kommen zu können.“ Und deshalb bezahlt die Tafel Muldental ihren Helfern weiter die volle Unkostenpauschale aus. „Weil wir unsere Arbeit einfach fortsetzen müssen. Aber wir sind dringend darauf angewiesen, dass wir wieder mehr Geld bekommen“, sagt Christian Kamprad.
Tafel zahlt Differenz aus eigener Tasche
Aktuell zahlt die Tafel die Differenz aus eigener Tasche. „Wir hatten noch kleinere Reserven, haben beim Bundesverband um finanzielle Hilfe gebeten. Und wenn Menschen bei Lidl ihr Pfand abgeben und das Geld spenden, landet das bei uns. Das ist aber keine Dauerlösung.“ Über den Sommer hinweg könne sich die Organisation das Aufstocken der Pauschale noch leisten. „Aber wenn es bei den 19 Euro bleibt, müssten wir dann die Tafelarbeit entweder sehr einschränken oder sogar ganz einstellen. Es ist eine sehr ernste Situation.“
Die Tafel Muldental ist nicht der einzige betroffene Verein, der für seine ehrenamtlichen Helfer in die eigene Tasche greift. Der Fußballverein ATSV Frisch Auf Wurzen belässt es nicht bloß bei den 40 Euro pro Monat. „Wir bezahlen die maximal mögliche Pauschale“, erklärt Club-Präsident Daniel Weist. Das sind immerhin 840 Euro pro Jahr, 70 im Monat. Allerdings würden über die „Wir für Sachsen“- Förderung nur zehn Monate im Jahr abgedeckt.
Sportverein fehlt über 3000 Euro
„Wir haben bestimmt 15 Leute, die wir über die Gelder vom Freistaat mitfinanzieren. Die fehlenden 21 Euro sind da eine Menge Geld.“ 3150 Euro, um genau zu sein, rechnet Weist vor. „Wir werden den Ehrenamtlern aber nicht die Gelder kürzen. Was wir ihnen geben können, steht so oder so in keinem Verhältnis zu deren Aufwand. Aber es geht um Anerkennung und Wertschätzung ihrer Arbeit.“
Betroffen sind ausgerechnet Trainer ohne Lizenz, die im Kinder- und Jugendbereich eingesetzt werden. Aber auch das Angebot für den Nachwuchs will Daniel Weist auf keinen Fall eindampfen. Denn der Sport sei auch Jugend- und Sozialarbeit. Dafür müsse an anderer Stelle gespart werden. „Oder wir müssen versuchen, Sponsoren zu gewinnen, um die Lücke schließen zu können.“
Dass das Ehrenamt aufgrund von Mittelkürzungen irgendeinmal ganz verschwinden könnte, glaubt der ATSV-Chef nicht, fordert aber mehr Unterstützung aus der Politik. „Das ist der Kitt der Gesellschaft. Es muss Geld investiert werden – in die Menschen. Wenn das Ehrenamt nicht unterstützt wird, dann spaltet sich die Gesellschaft noch weiter.“
„Das freiwillige Ehrenamt steht auf dem Spiel“
Während zumindest die Sportler in Wurzen trotz der Einsparungen optimistisch in die Zukunft schauen, macht sich Steffi Selzer vom Mehrgenerationenhaus in Grimma Sorgen um die Zukunft des Ehrenamts. Etwa 50 Personen helfen jährlich in der Einrichtung aus. Einen Rückzieher habe ihr gegenüber bislang noch keiner angedeutet, sagt die Einrichtungsleiterin.
Aber: „Ganz ohne Geld geht es nicht. Wir müssen Leute finden und motivieren. Das freiwillige Ehrenamt steht auf dem Spiel.“ Und mit ihm auch Angebote der Grimmaer Einrichtung. „Wenn es gar nächstes Jahr noch so weitergehen sollte, müssten wir Projekte einstellen.“
Ministerium stellt Besserung in Aussicht
Dass es schon jetzt schwer ist, ehrenamtlichen Nachwuchs zu finden, weiß Jörg Fritsch. Er ist Vorsitzender der Geschichtsverein Borna, dem Förderverein des städtischen Museums. „Wir, die hier arbeiten, sind alle die ältere Garde, über 60 Jahre alt und noch das Standbein des Museums.“ Neben der Rente sei die Aufwandsentschädigung ein netter Obolus, um zum Beispiel den Enkelkindern Geschenke machen zu können. „Ob die Jüngeren den Job quasi umsonst machen würden, weiß ich nicht. Wenn es so weitergeht, sieht es für das Ehrenamt in der Zukunft nicht gut aus.“
Dass es in Zukunft wieder mehr Geld für Ehrenamtler geben könnte, stellt zumindest das Sozialministerium des Freistaats in Aussicht. Eine weitere Teil-Pauschale solle nach Verabschiedung des Doppelhaushaltes 2025/26 bewilligt werden, „sodass die Gesamtpauschale annähernd das Niveau von 2024 erreichen würde.“
Tafelchef appelliert an Politik
Voraussetzung dafür sei allerdings, dass der Landtag den entsprechenden
Haushaltsansatz für „Wir für Sachsen“ beschließt. Beschlossen wurde immerhin vor einer Woche schon der Regierungsentwurf für den Doppelhaushalt. Ein Durchatmen für Tafel, Mehrgenerationenhaus, Sport- und Geschichtsverein heißt das aber noch nicht. Denn der Entwurf muss nun im Landtag beraten werden. Änderungen sind möglich, heißt es aus dem Sozialministerium.
Änderungen, die das Aus von wichtigen Projekten bedeuten könnten. Tafel-Chef Christian Kamprad richtet deshalb einen Appell in Richtung Landeshauptstadt: „Es geht um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es ist völlig abwegig, diesen so aufs Spiel zu setzen. Ich hoffe, dass in Dresden noch jemand zur Vernunft kommt.“