„Ich denke darüber nach, nach Westdeutschland zu ziehen“: Wie Ausländer in Chemnitz auf das AfD-Wahlergebnis in Sachsen reagieren

Was sagen Migranten zur Bundestagswahl und dem starken Abschneiden der AfD? Die „Freie Presse“ hat mit vier von ihnen in Chemnitz gesprochen.
Chemnitz.
Bei der Bundestagswahl war die AfD in Sachsen so stark wie nie zuvor: Mit 37,3 Prozent der Zweitstimmen holte sie fast doppelt so viele Stimmen wie die zweitplatzierte CDU. Mit Ausnahme des Wahlkreises Leipzig II errang sie auch alle Direktmandate. Das sagen Migranten zu dem Ergebnis.
Adib Jaafari aus Syrien
Adib Jaafari stammt aus Syrien. Er kam 2015 nach Deutschland und arbeitet in einem Wohnheim für Migranten in Chemnitz. Der 50-jährige Sozialarbeiter zeigt sich besorgt über den AfD-Wahlerfolg „Das ist sehr gefährlich. Nicht nur als Migrant sehe ich das.“ Wenn Fachkräfte in Sachsen fehlten, werde hier niemand investieren. Der vierfache Vater, der in Chemnitz nach eigenen Aussagen schon mehrfach Diskriminierung erlebte, hat darüber nachgedacht, in den Westen zu ziehen – zurück nach Aachen, wo er früher gearbeitet hat. Doch seine Kinder möchten in Chemnitz bleiben. An den künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz richtet er klare Erwartungen: „Dass er an das Land denkt und nicht an sich selbst oder die Partei.“ Die kommende Regierungszeit sei für CDU und SPD die letzte Chance.
Ayesha Bottar aus Pakistan
Ayesha Bottar aus Pakistan lebt seit drei Jahren in Deutschland. „Ich bin ziemlich besorgt darüber, wie sich das Wahlergebnis auf die ausländische Community in Sachsen auswirken wird“, sagt die 27-Jährige. Die Stimmung in Sachsen empfindet sie nicht immer als einladend. Zwar sei sie noch nicht direkt mit Rassismus konfrontiert worden, doch sie spüre ein „Unwohlsein“ durch Sprache und Umgangston: „Man erkennt es daran, wie die Leute mit dir reden oder dich ansehen.“ Die Pakistanerin ist unentschlossen, ob sie in den Westen gehen soll. Dort sei die Gesellschaft toleranter, es gebe bessere Arbeitsmöglichkeiten. „Aber hier haben wir Freunde und unsere Community.“
Amit Baida aus Israel
Amit Baida ist Israeli. Er lebt seit 2019 in Deutschland und besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft. „Ich bin nicht überrascht, dass so viele Menschen die AfD gewählt haben“, sagt der 26-jährige. Das habe sich schon in vorangegangenen Wahlen angedeutet. Die kontinuierlich wachsende Unterstützung für die AfD weise auf tiefer liegende gesellschaftliche Probleme: „Viele Menschen sind unzufrieden – sei es mit staatlicher Kontrolle, der Lebensqualität oder der Sicherheit.“
Persönlich hat er in Sachsen kaum negative Erfahrungen gemacht. Ein Umzug in den Westen komme für ihn nicht infrage. „Ich lebe seit meiner Ankunft in Deutschland in Sachsen und bin zufrieden.“ Die Region habe Potenzial. Amit sieht jedoch strukturelle Probleme, die Integration erschweren. „Es gibt viele Migranten, die arbeiten wollen, aber das System macht es ihnen schwer.“ Bürokratie verhindere, dass Fachkräfte in ihren Berufen arbeiten können. „Und dann heißt es, sie wollten nicht.“ Der junge Israeli warnt davor, dass die aktuelle Situation die politische Landschaft weiter verändern wird. „Wenn die neue Regierung die Erwartungen der Menschen nicht erfüllt, wird die AfD noch stärker.“
Abdulrazak Alkhalf aus Syrien
Abdulrazak Alkhalf ist Dozent am Studienkolleg der Hochschule Mittweida und Vorsitzender eines arabisch-deutschen Verbands. Der 36-Jährige sagt, viele seiner Studierenden hätten wegen der erstarkenden AfD Angst um ihre Zukunft. „Einige haben mich gefragt: ‚Müssen wir diese Stadt oder das Bundesland verlassen?‘“ Wer auf der Straße mit feindlichen Blicken oder Parolen konfrontiert werde, der fühle sich nicht willkommen.
„Ich denke darüber nach, nach Westdeutschland zu ziehen“, sagt er. „Viele meiner Kollegen – hochqualifizierte Menschen aus Syrien – suchen bereits nach Jobs in anderen Städten.“ In Westdeutschland gebe es mehr Chancen und eine offenere Gesellschaft. Aber eigentlich wolle er nicht wegziehen. „Ich möchte, dass wir hier gemeinsam an einer besseren Zukunft arbeiten.“ Auch Abdulrazak hat die doppelte Staatsbürgerschaft. Er habe diesmal die Linke gewählt, erzählt er, obwohl er sich selbst eher in der politischen Mitte sieht. Mit Blick auf die künftige Bundesregierung hofft er, dass sie Lösungen „für alle Menschen“ findet – für Deutsche und Migranten.