Deutschlandweite Sabotageserie offenbar von Russland gesteuert

Auspuffrohre verklebten sie mit Bauschaum, Scheiben mit Robert-Habeck-Stickern: Was wie das Werk radikaler Klimaaktivisten aussah, soll nach SPIEGEL-Recherchen auf das Konto russischer Auftraggeber gehen.
Am 11. Dezember 2024, gegen 2.10 Uhr, kontrollierte eine Polizeistreife im brandenburgischen Schönefeld einen Opel-Transporter. Der Wagen mit Ulmer Nummernschild war den Beamten verdächtig vorgekommen: Was machte das Fahrzeug mitten in der Nacht in der Rathausgasse?
Im Transporter saßen drei junge Männer, bei denen es sich augenscheinlich um Handwerker handelte. Sie waren 20, 17 und 18 Jahre alt und hatten Ausweispapiere aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Deutschland. Die Polizei fand bei ihnen kein Einbruchswerkzeug, sondern nur Material für Bauarbeiten, darunter mehrere Kartuschen mit Montageschaum, wie er zum Abdichten von Fensterrahmen verwendet wird. Nach Feststellung der Personalien durften die drei weiterfahren. Falscher Alarm, so schien es.
Doch als es hell wurde, stellte sich heraus, dass der Verdacht offenbar doch begründet gewesen war. Wenige Stunden nach der Routinekontrolle gingen Dutzende Strafanzeigen ein: im Ortsteil Alt-Schönefeld, nicht weit von der Stelle, wo die Beamten den Transporter gestoppt hatten, waren in der Nacht 43 Autos lahmgelegt worden – mithilfe von Bauschaum. Die Saboteure hatten das Dichtungsmaterial unter anderem in die Auspuffrohre gesprüht und diese so verstopft. An Front- und Heckscheiben der angegriffenen Fahrzeuge hatten sie Aufkleber hinterlassen. Darauf war der Slogan »Grüner sein!« zu lesen – neben einem Foto des grinsenden Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck.
Die vermeintlich links-grüne Protestaktion zeigte bald Wirkung: »Klima-Radikale attackieren Autos mit Bauschaum«, titelte »Bild«. Auf Facebook entlud sich unterdessen der Volkszorn gegen Habeck und seine Partei. Mit den Bauschaumangriffen wolle die »Grünen-Sekte Andersdenkenden ihre Ideologie aufzuzwingen«, schrieb ein Nutzer. Ein anderer forderte, »radikal gegen die Grünlinge vorzugehen«.
Auf die falsche Fährte gelockt
Doch offenbar waren Medien und Öffentlichkeit gezielt auf eine falsche Fährte gelockt worden: Die Spur der Saboteure führt nach SPIEGEL-Informationen nicht zu militanten Klimaaktivisten – sondern nach Moskau. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden soll die Sabotageserie in Wahrheit auf das Konto russischer Auftraggeber gehen. Deutschlandweit wurden mehr als 270 Fahrzeuge beschädigt, in Berlin, Brandenburg, Bayern und Baden-Württemberg. Die Empörung über die vermeintlich grünen Straftäter war offenbar beabsichtigt. Sicherheitskreise sprechen von einer gezielten Kampagne mit der Absicht, im Bundestagswahlkampf Hass auf die Grünen und ihren Kanzlerkandidaten Habeck zu schüren und die Gesellschaft zu spalten.
Nach SPIEGEL-Informationen sollen die drei mutmaßlichen Saboteure, die in Schönefeld kontrolliert wurden, gezielt per Chat angeworben worden sein. Demnach sollten sie bundesweit Autos – vorzugsweise deutschen Fabrikats – mit Montageschaum lahmlegen und an den Tatorten Grünen-Aufkleber hinterlassen. Im Gegenzug sollen sie mehrere Tausend Euro bekommen haben.
Falls sich der Verdacht erhärtet, würden sich die Befürchtungen der deutschen Spionageabwehr bewahrheiten: Seit Wochen warnt das Bundesamt für Verfassungsschutz vor einer Einmischung fremder Mächte in den Bundestagswahlkampf. Russland habe dabei »das wohl größte und naheliegendste Interesse, die Wahl im eigenen Sinne zu beeinflussen«.
»Wegwerfagenten« im Auftrag des Kreml?
Statt professionell ausgebildete Spione einzusetzen, heuern russische Geheimdienste für ihre Einflussoperationen zunehmend Amateure an, oft junge Leute aus dem kleinkriminellen Milieu. Gegen Geld sollen sie klandestine Aktionen in Europa durchführen: von Propaganda-Graffiti bis zur Sabotage. Als »low level agents«
bezeichnen Sicherheitsexperten dieses neue Phänomen.
Westliche Nachrichtendienste gehen davon aus, dass Moskau bereits mehrfach so vorgegangen ist. So tauchten nach dem Überfall der Hamas auf Israel in Paris Hunderte Davidsterne auf, die mithilfe von Schablonen an Mauern und Fassaden gesprüht wurden und für erhebliche Unruhe sorgten. Als Urheber vermutete man islamistische oder propalästinensische Aktivisten – bis ein Paar aus der ehemaligen Sowjetrepublik Moldau auf frischer Tat beim Sprühen ertappt wurde. Den Auftrag, so gaben die beiden zu, hätten sie von einem russlandfreundlichen Geschäftsmann bekommen.
Ein aktueller Spionageprozess in London förderte Ähnliches zutage. Eine Gruppe Bulgaren soll im Auftrag des nach Russland geflohenen Ex-Wirecard-Managers Jan Marsalek in Europa klandestine Aktionen ausgeheckt haben. Bei Hausdurchsuchungen fanden britische Fahnder auch Propagandamaterial, mit dem Habeck offenbar als Nationalsozialist verunglimpft werden sollte.
Auch in einen besonders beunruhigenden Vorfall könnten Amateur-Agenten eingebunden gewesen sein: Im Sommer entzündete sich am Leipziger Flughafen ein Brandsatz in einem Luftfracht-Paket der DHL , nur durch Zufall war die Transportmaschine noch nicht in der Luft. In Polen und Litauen nahm die Polizei Verdächtige fest, auch hier führt die Spur nach Russland.
Für Moskau hat der Einsatz gekaufter Handlanger Vorteile. Fliegen sie auf, ist der Schaden nicht so groß, als würden Profi-Spione geschnappt. Von »Wegwerfagenten« sprechen Experten deshalb auch. Oft werden laut Sicherheitskreisen junge, russischsprachige Männer mit ideologischer Nähe zu Moskau für derartige Aufträge angeheuert. »Die Rekrutierung erfolgt über soziale Medien und Messenger-Dienste«, schrieb der Verfassungsschutz in einer Warnmitteilung.
100 Euro für jedes beschädigte Auto
Genau so soll es auch im Fall der Bauschaum-Saboteure gelaufen sein. Nach SPIEGEL-Informationen hat einer der drei Verdächtigen, die in Schönefeld in die Polizeikontrolle geraten waren, inzwischen gegenüber Ermittlern ausgepackt. Seinen Angaben zufolge seien sie über den Messenger »Viber« von einem Russen angeschrieben worden, der ihnen detaillierte Instruktionen für die Sabotageaktionen gegeben habe. Als Arbeitsnachweis sollten sie Fotos der lahmgelegten Autos schicken; für jedes beschädigte Fahrzeug sei ihnen ein Honorar von 100 Euro versprochen worden. Ein Teil des Geldes, mehrere Tausend Euro, soll den Verdächtigen bereits überbracht worden sein – bar, in einem Briefumschlag. Zudem habe der Auftraggeber den Männern zugesichert, für etwaige Kosten aufzukommen, falls sie ertappt und bestraft würden.
Die Aussage wird nach SPIEGEL-Informationen durch sichergestellte Beweismittel untermauert. Kurz nach der Kontrolle des Transporters in Schönefeld hatte die brandenburgische Polizei ihre baden-württembergischen Kollegen informiert und ihnen die Personalien der drei Männer übermittelt. Am 13. Dezember durchsuchten Ermittler dann Wohnungen in Ulm, dem Alb-Donau-Kreis sowie im bayerischen Landkreis Günzburg. Sie stellten Mobiltelefone, Laptops und Datenträger sicher – sowie mehrere Dosen Bauschaum.
Die für einen Teil der Fälle zuständige Staatsanwaltschaft Ulm teilte auf Anfrage mit, wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung gegen insgesamt vier Beschuldigte zu ermitteln. Allein im Raum Ulm seien 123 Fahrzeuge beschädigt worden, der Schaden belaufe sich hier auf rund 6000 Euro. Zu den Hintergründen der Taten könne man derzeit keine Angaben machen, die Ermittlungen dauerten an.
Festnahmen gab es bislang keine. Nach SPIEGEL-Informationen sollen zwei der Beschuldigten Deutschland inzwischen verlassen haben.