Ostdeutsche Antifa sucht in Chemnitz Strategie nach dem Rechtsruck: Zwischen Überlebenskampf und Visionen
Beim größten ostdeutschen Antifa-Kongress des Jahres standen vor allem die jüngsten Wahlergebnisse im Fokus. Im Alternativen Jugendzentrum (AJZ) in Chemnitz wurden aber auch innerlinke Konflikte sichtbar.
„Kerstin Köditz war über 20 Jahre Mitglied des Sächsischen Landtags“, beginnt Steve Hummel von der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Vorstellung seiner Gesprächspartner auf dem Podium. „Bin ich immer noch“, fährt Köditz ihm dazwischen. Gelächter im Publikum. Köditz nimmt es genau. Zwar ist sie nicht noch einmal zur Wahl angetreten, aber eine Sitzung wird der alte Landtag noch abhalten, bevor die Sprecherin für antifaschistische Politik der Linkspartei in Sachsen ihren Rückzug antritt. In dieser Funktion sitzt Köditz am Samstag auch noch auf der Bühne des AJZ in Chemnitz.
Größtes Antifa-Treffen in Ostdeutschland
Hier fand am Wochenende der 9. antifaschistische Jugendkongress (Juko) statt. Es ist das größte Treffen der radikalen Linken in Ostdeutschland, bestätigen mehrere Teilnehmer. Etwa 200 von ihnen sind gekommen. In Seminaren bilden sie sich gegenseitig fort; üben Demonstrationstaktiken; machen Ausflüge zum CSD nach Döbeln oder ins KZ Sachsenburg. „Der Juko ist vor allem wichtig, um den Leuten zu zeigen, dass sie nicht allein sind“, sagt Organisator Florian Bach von der Interventionistischen Linken Leipzig (IL). Viele Teilnehmer sind zum ersten Mal dabei. Die meisten leben in großen Städten. Chemnitz sei für sie der ländliche Raum, heißt es mehrmals.
Die Podiumsdiskussion am Samstagabend beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie die antifaschistische Bewegung in Ostdeutschland mit den Wahlergebnissen umgehen soll. Rechte Parteien haben etwa in Sachsen große Mehrheiten. Die Linke, die die parteipolitische Heimat vieler hier ist, hat es nur dank zweier Direktmandate in Leipzig knapp in den Landtag geschafft.
Auf dem Podium sitzen neben Kerstin Köditz noch Sarah Schröder von der Alten Spitzenfabrik Grimma, einem linken Jugendprojekt und Johanna von der IL. Moderiert wird das Gespräch von Steve Hummel von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Wahlergebnis nicht überraschend, aber folgenreich
Eine Überraschung sei das Wahlergebnis für keine der Diskutantinnen gewesen, antworten sie auf Hummels erste Frage. „Da war der Schock 2019 deutlich größer, als die AfD diesen großen Sprung gemacht hat“, erklärt Schröder. Die Folgen seien trotzdem vielfältig. Da sind Fragen der Finanzierung: „Wir sind froh, dass Juliane Nagel (Linke) den Sprung ins Parlament geschafft hat, weil sie uns auch finanziell unterstützt“, sagt Johanna von der Interventionistischen Linken Leipzig.
Die Mittel für linke Projekte werden in den kommenden Jahren aber trotzdem knapper, ist sich das Podium einig. „Die staatlichen Repressionen werden auch zunehmen“, prognostiziert Köditz. Der Druck der AfD auf die Regierung würde Wirkung zeigen. Man sehe das heute schon, etwa am Polizeikessel beim „Tag X“ im vergangenen Jahr in Leipzig. Viele Versammlungsteilnehmer würden juristisch verfolgt.
„Die AfD ist klar auf dem Weg zum Faschismus“, ist sich Kerstin Köditz sicher. Das die Partei inzwischen aber auch Regierungen in der Migrationsfrage vor sich hertreibt, sehen alle Anwesenden mit Sorge. Die Kritik dürfe daher nicht bei der AfD stehen bleiben, meint Johanna. „In Zukunft müssen wir wieder mehr auf die CDU schießen und klar machen, dass die Partei ein Steigbügelhalter für AfD-Politik ist“, sagt sie.
Bereits am Freitag hatte sich ein Seminar unter dem Titel „Was will ich? Was willst du? Das Verbot der CDU!“ zusammengefunden. Ein Referent der Undogmatischen Radikalen Antifa Dresden (URA) trug dabei vor, dass die CDU in der Vergangenheit alle Parteineugründungen rechts von ihr, versucht habe rechts zu überholen. Die Union sei daher kein Bündnispartner für antifaschistische Politik, schloss er. Zwar fordere er kein Verbot – das sei nur ein „catchy Titel“ – aber die politische Linke sollte wieder mehr Politik gegen die CDU machen. Taktisches CDU-Wählen, um die AfD zu verhindern, sei in seinen Augen keine Lösung.
Visionen oder Überlebenskampf der Linken?
Doch reicht das als Strategie der Antifa, um in den kommenden Jahren gegen den Rechtsruck anzugehen? Bei inhaltlichen Themen wurden auch auf dem Podium innerlinke Konfliktlinien deutlich. Während Johanna aus Leipzig vorschlug, die Themen Mieten und ÖPNV als Schwerpunkte voranzutreiben, erwiderten Köditz und Schröder, dass man damit im ländlichen Raum „niemanden auf die Straße lockt“.
Mehrere Kongressteilnehmer übten aus dem Publikum anschließend Kritik, dass derzeit in der Szene viel zu wenig über die eigenen politischen Visionen gesprochen werde und man sich nur an der AfD abarbeite. „Ich habe Visionen, aber derzeit sehe ich uns in einem Abwehrkampf, in einem Überlebenskampf“, erwiderte Kerstin Köditz darauf. Sarah Schröder versuchte einen Kompromissvorschlag zu machen: „Vielleicht ist es auch eine Vision, dass wir gesellschaftliche Rückschritte verhindern.“