Syrischer Inhaber vermutet Rassismus – Mobiles Leipziger Café angezündet: Sam kämpft um sein Chaicycle
2023 ist Sam mit seinem Leipziger Mini-Café Chaicycle erfolgreich gestartet. In diesem Jahr trafen ihn Absagen von Festivals, ein Achsenbruch, ein Brandanschlag. Der Syrer hofft auf Unterstützer.
Den exotischen Duft umgeben farbenfrohe Muster auf Tüchern und Teppichen, Gewürzschalen und Kerzen: Das Chaicycle ist Leipzigs wohl kleinstes Café. Auf drei Rädern hat Sam das Aroma des Orients zu den Treffpunkten der Stadt und auf Festivals transportiert. Bis zu der Nacht vor gut drei Wochen, in der seine Existenzgrundlage angezündet wurde.
Von dem Brandanschlag erfuhr Sam, der nur mit Vornamen genannt werden möchte, in den frühen Morgenstunden nach dem abendlichen Verkauf auf der Sachsenbrücke: Unbekannte hatten die Schutzfolie seines Chaicycle, das er wegen eines Achsenbruchs dort stehen lassen musste, an zwei Stellen in Brand gesetzt. Dass das rollende Café nicht komplett niederbrannte, verdankt er zwei jungen Frauen, die das Feuer bemerkten und löschten.
Mehr als ein materieller Schaden
„Darüber bin ich sehr froh“, betont der Syrer, der seit 2016 in Leipzig lebt. „Leider ist das Vehikel trotzdem nicht mehr funktionsfähig und muss teuer repariert werden.“ Unterhält man sich mit dem 40-Jährigen, wird schnell klar: Die Attacke hat weit mehr als einen materiellen Schaden hinterlassen. Sie ist auch mit Vertrauensverlust und Angst verbunden.
Als Sam vor acht Jahren nach Leipzig zog, lag die Flucht aus Damaskus wegen des Krieges hinter ihm sowie ein Bürojob im Süden der Türkei, der wenig Lohn und keine Existenzsicherheit bot. Er entschied sich für Deutschland – auch um hier den Traum weiterzuleben, dessen Umsetzung er in seiner Heimatstadt begonnen hatte: Ein eigenes kleines Café zu führen. Dass es auf einem Dreirad installiert würde, entschieden der Zufall und Sams Kreativität.
In Leipzig: Seit eineinhalb Jahren in Betrieb
2019 wurde er auf das zum Verkauf stehende Transportrad aufmerksam und erwarb es, teilweise aus eigenen Mitteln und aus Spenden. Kurz nach der Umgestaltung und ersten Verkaufs-Stationen im Stadtbild machte ihm die Corona-Pandemie fast zwei Jahre lang einen dicken Strich durch den Plan. Nach der Zwangspause jobbte Sam auf Festivals, um einen finanziellen Grundstock für einen neuen Anlauf zu haben. Er baute das Vehikel weiter um.
Nach langwierigem Warten auf die behördliche Betriebsgenehmigung ging es vor eineinhalb Jahren endlich los: Das Chaicycle gab seine Premiere. Ein stilvoller Mikrokosmos für orientalischen Tee- und Kaffeegenuss sowie Snacks, mit Präsenz an kleinen Leipziger Orten und auf Festivals. Eine Mini-Insel mit einem Duft, der Urlaub suggeriert.
„Wunderbare Begegnungen“
Das ungemein positive Echo der Kundschaft beschränkte sich nicht nur auf den frisch zubereiteten Massala-Chai aus Ingwer, Zimt, Nelke, Muskatnuss, Kardamom und Milch. „Ich hatte wunderbare Begegnungen mit den Leuten, tolle Gespräche“, sagt Sam. „Das hat meinen Eindruck bestärkt, dass die Menschen in Leipzig weltoffen sind und mein Anliegen erkennen: Es geht mir um Gemeinschaft und Toleranz, um Respekt und Neugier.“
2023 schien der Auftakt einer kleinen Erfolgsgeschichte zu werden – bis Sam plötzlich Widerstände spürte. Seine Anfragen, bei Festivals zu verkaufen, wurden entweder nicht beantwortet oder mit einem „Nein“ quittiert. „Ein Veranstalter sagte, das Chaicycle passe nicht ins Konzept und behauptete, es gebe schon genug Getränkestände bei seinem Event.“
Unerwartete Festival-Absagen und politische Klimaveränderung in Leipzig
Mehrere Dämpfer und teils bemüht wirkende Begründungen in Serie, die den 40-Jährigen irritierten. „Niemand hat wirklich offen mit mir gesprochen, deshalb kann ich den wahren Grund nur vermuten: Durch den Krieg in Nahost seit vergangenem Oktober haben Festivalmacher Bedenken, arabischen Händlern eine Fläche zu geben.“
Sam hadert damit, durch seine Herkunft in Sippenhaft genommen zu werden. „Religion und Nationalismus sind mir völlig fremd“, sagt er. Auch in Leipzig registriert er eine politische Klimaveränderung. „In den letzten Monaten habe ich mehr rassistische Anfeindungen und Beleidigungen bekommen als in den sieben Jahren zuvor.“
Ein Angriff wie eine Botschaft
Auch beim Brandanschlag auf sein fahrbares Café schließt er Fremdenfeindlichkeit als Motiv nicht aus. Deshalb bekommt das, was Anfang Juli passiert ist, etwas Symbolhaftes. „Dieser Angriff wirkt wie eine Botschaft: Dass ich hier nicht mehr gewollt bin.“ Runtergezogen hat den Syrer außerdem der Rechtsruck in Sachsen bei den Europa- und Kommunalwahlen.
Derzeit pendelt Sam emotional zwischen Niedergeschlagenheit und finaler Hoffnung. Eigentlich mag er Leipzig sehr. Und eigentlich möchte er das Chaicycle nicht aufgeben, „es ist meine Leidenschaft und mein Traum.“
Für die benötigte Reparatur hat er auf der Plattform Gofundme eine neue Crowdfunding-Aktion gestartet. Von den benötigten 3000 Euro sind derzeit knapp 900 eingespielt. Ausgang des Rettungsversuchs: offen.