Angriffe von rechts: Mittelsachsens Landrat Dirk Neubauer zieht um
Rechtsextreme belagern mehrfach das private Umfeld von Mittelsachsens Landrat Dirk Neubauer. Der zieht aus Hohenfichte weg. Aufgeben will er nicht, aber andere schützen.
Auch ein Landrat ist mal urlaubsreif und derzeit fern der Heimat. Das politische Geschäft ist tagesfüllend und anstrengend. Darauf hatte sich Dirk Neubauer eingestellt, als er vor zwei Jahren zur Landratswahl im Landkreis Mittelsachsen antrat und gewann. Doch dass ihn Anfeindungen bis ins Private verfolgen würden, damit kann und will er sich nicht abfinden.
„In der Stellenbeschreibung stand nicht drin, dass ich mich bepöbeln, belagern, beschimpfen und bedrohen lassen muss“, sagt Neubauer. Auch: „Hab dich nicht so!“, sei ihm schon im Zusammenhang mit Bedrohungen gesagt worden. Für ihn sei das Zeichen eines schleichenden Normalisierungsprozesses, dem er sich entgegenstellen will. „Das ist nicht normal“, sagt er und das dürfe es auch nicht werden.
Vom Schellenberg, auf dem das Jagdschloss Augustusburg thront, kann er hinunter auf Hohenfichte gucken, sein Heimatdorf. Das es jetzt nicht mehr ist. Er hat seinen Wohnsitz dort aufgegeben. Wo er stattdessen hingezogen ist, soll erst mal nicht bekannt gemacht werden. Wehmut kommt auf, wenn er an die Häuser, Gärten und Straßen nahe dem Fluss Zschopau denkt. Hier scheint die Welt noch in geregelten Bahnen zu verlaufen.
Anders am Sonntag, dem 3. Juni, als etwa zwei Dutzend Autos in einem Korso aufgefahren waren. Die Freien Sachsen hatten zum Protest aufgerufen. Sie wollen Landrat Neubauer das freie Wort nehmen. Dafür berufen sie sich ausgerechnet auf das Beamtenrecht und die „Neutralitätspflicht“, die ein Landrat als Wahlbeamter an den Tag zu legen habe. Gerade diejenigen, die für sich selbst so energisch auf die Meinungsfreiheit pochen, wollen nun selbst von anderen Gesagtes zensieren.
Historische Bürgerpflicht
Das war schon das dritte Mal, dass die Freien Sachsen in das private Umfeld des Landrates vordringen wollten. Erstmals war eine Gruppe der Freien Sachsen im Februar nach Hohenfichte gezogen, um am privaten Wohnort des Landrats Krawall zu machen. Da waren es nur wenige Teilnehmer.
Die Polizei ließ die Demonstranten bis zur Zufahrt des Wohnhauses von Neugebauer gewähren. Eingreifen musste sie nicht. Es habe keine besonderen Vorfälle gegeben, hat es hinterher geheißen. Vier Wochen später wiederholten Aktivisten der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Partei das Schauspiel. Neubauer weilte zeitgleich auf der Buchmesse in Leipzig.
Dass er seinen Wohnsitz in Hohenfichte am Protesttag im Juni schon aufgegeben hatte, wussten die Demonstranten nicht. Es war für sie selbst ein Happening, das das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken sollte. Das ist ihr Beitrag für die Gesellschaft.
Aufhänger für den Zorn der Freien Sachsen war im Fall Neubauer eine Demonstration gegen Rechtsextremismus in Freiberg. Zu der hatte Anfang des Jahres das Bürgerbündnis „Freiberg für alle“ aufgerufen und Neubauer hatte teilgenommen. Für ihn keine große Sache.
Die Rechtsaufsichtsbehörde seines Landratsamtes sah das offenbar anders. Die hatte zuvor Freibergs Oberbürgermeister Sven Krüger (parteilos) empfohlen, nicht daran teilzunehmen. Begründet wurde das mit der Neutralitätspflicht in Vorwahlzeiten. Darüber berichtete die Freie Presse. Später erklärte Neubauer dazu, dass er seine Teilnahme als seine historische Bürgerpflicht ansieht, „als Mensch, als Vater und auch als Landrat.“
Fehlende Hausmacht
Von den zehn Landräten in Sachsen ist Neubauer der einzige, der nicht der CDU angehört. Vor seiner Wahl war er sieben Jahre lang Bürgermeister der Kleinstadt Augustusburg. 2017 trat er in die SPD ein, aber vier Jahre später wieder aus. Die Partei unterstützte trotzdem seine Landratskandidatur, ebenso Grüne und Linke. In der Stichwahl schaffte er knapp den Einzug ins Landratsamt.
Seine Wähler haben sich nicht daran gestört, dass er ohne jegliche Hausmacht ist. Trotzdem etwas zu bewegen, ist nicht leicht und könnte seit der Kommunalwahl im Juni noch schwieriger werden. Nicht seine Unterstützer, sondern die AfD hat zugelegt. Die ihn oft kritisierende CDU ist stark. Beide Parteien stellen 56 der 98 Kreisräte. Nun sind auch noch die Freien Sachsen mit drei Mandaten hinzugekommen.
Doch offenbar soll nicht nur dem Landrat das Agieren schwer gemacht werden. Es hätten sich auch schon mehrere Bürgermeister ihn gewandt, weil sie bedroht worden sein sollen. „Bei mir guckt die Polizei ja noch hin“, sagt Neubauer.
Bürgermeister werden bedroht
Nach einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung seien deutschlandweit 60 Prozent der befragten Kommunalpolitiker schon mal beleidigt, bedroht oder attackiert worden. Im Ländervergleich führen Sachsen und Thüringen mit 81 Prozent weit vor den anderen Bundesländern.
Dass die Bedrohungslage bedenklich zunimmt, spüre man auch beim Sächsischen Kommunalen Studieninstitut (SKSD). Dort ist die Nachfrage nach Deeskalationstrainings so groß, dass sogar Zusatztermine angeboten wurden. Das gelte für Bürgermeister als auch für Beschäftigte in Verwaltungen. Mehr wolle das Institut zum Anmeldeverhalten aber nicht sagen, weil die Angebote ein geschützter Raum seien, der nicht gefährdet werden soll. Vielen sei es wichtig, dass es kein Gerede gibt.
Die Dippoldiswalder Oberbürgermeisterin, Kerstin Körner (CDU), erklärt ganz offen, dass sie das Angebot eines Sicherheitstrainings schon wahrgenommen hat. Für sie waren die Erkenntnisse hilfreich. „Da war auch ein Psychologe dabei, der erklärt hat, wie auch Körpersprache deeskalierend wirken kann“, sagt Körner.
Seit Corona 2020 sei die Wut extremer geworden, schwappe das aus dem Internet auch ins reale Leben über. Prävention spiele eine größere Rolle und wenn es nur der Hinweis ist, Scheren nicht griffbereit auf dem Schreibtisch liegen zu haben.
Reaktion auf Übergriffe
Auch gegenüber Beschäftigten der Kreisverwaltung in Freiberg würden immer wieder Grenzen überschritten, erklärt Landrat Neubauer. Dabei dürfe aber nicht der ein Problem bekommen, der offen ausspricht, wenn etwas aus dem Ruder laufe. Sein Landratsamt arbeitet derzeit gemeinsam mit Beschäftigten von verschiedenen Fachbereichen an einem „Übergriffsmanagement“.
Gleich zu Anfang seiner Amtszeit hatte er eine Runde durch alle Büros gemacht und da erlebte er unmittelbar, dass eine Angestellte weinend Beistand von Kolleginnen suchte. Ein Mann sei wohl regelrecht durchgedreht, weil die Angestellte nicht so agieren konnte, wie er es gern gehabt hätte. Dem war zuvor eine Drohung in einem Telefonat vorausgegangen.
Alarmknöpfe in den Büros gibt es schon länger. Tatsächlich eingreifen hätte sofort aber niemand können. „Wenn man live erlebt, was so eine Eskalation mit den Mitarbeiterinnen macht, die völlig am Boden war, dann wird einem die Vorsorgepflicht noch mal besonders deutlich“, sagt Neubauer.