Im Osten trachtet die AfD danach, zivilgesellschaftliche Initiativen von ihrer Arbeit abzuhalten – Auf dünnem Eis
Wie viele kleine soziokulturelle Initiativen hangelt sich Sowas von Projektfinanzierung zu Projektfinanzierung, die oft jährlich beantragt werden müssen. Das Festival wird über die Partnerschaft für Demokratie finanziert, eine kommunale Initiative, wie es sie in Hunderten Kommunen bundesweit gibt. Die Mittel der Partnerschaften kommen größtenteils vom Bund. Weil jedoch die Finanzierung über die Kommune läuft und diese einen kleinen Eigenanteil beisteuern muss, entscheiden die Stadträte beziehungsweise Kreistage darüber, für welche Projekte Gelder beim Bund beantragt werden.
Inzwischen stellt die AfD im Gemeinderat von Merseburg mit 34,5 Prozent der Stimmen die größte Fraktion, ebenso im Kreistag des Saalekreises. Ähnlich sieht es nach den Kommunalwahlen am 9. Juni in etlichen Kommunen und Landkreisen in Ostdeutschland aus. Insgesamt wurde die AfD dabei stärkste Kraft, vielerorts erhielt sie über 30 Prozent der Stimmen.
Für Initiativen wie Sowas könnte das zum Problem werden. Jüngst sagte der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider der Mitteldeutschen Zeitung, seine Partei werde sich auch in der kommenden Legislaturperiode dafür einsetzen, dass im Saalekreis die Mittel der Partnerschaft für Demokratie gestrichen werden.
In den vergangenen Jahren hatte die AfD-Fraktion im Saalekreis bereits mehrere entsprechende Anträge eingebracht, die aber abgelehnt wurden. »Wir wissen jedes Jahr nicht, ob wir die Förderung für unser Festival bekommen, doch in diesem Jahr werden wir mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit durch Sabotage und Blockade von Mitteln in eine finanzielle Notlage geraten«, sagt ein Mitglied von Sowas der Jungle World.
AfD versucht gezielt, Schlüsselpositionen zu besetzen
Aus dem ostsächsischen Görlitz berichtet Rebecca Jakob von der Initiative Feministisches Forum, dass die AfD auch hier in den sogenannten Begleitausschuss drängt, der über die Einzelmaßnahmen der städtischen Partnerschaft für Demokratie entscheidet. Dort sind in der Regel Vertreter aus Zivilgesellschaft, Stadtrat und Stadtverwaltung vertreten.
»Die AfD versucht gezielt, Schlüsselpositionen in der Kommune zu besetzen, um Projekte lahmzulegen oder die Finanzierung zu streichen«, sagt Jakob der Jungle World. Wie bereits 2019 ging die AfD aus den jüngsten Kommunalwahlen in Görlitz als stärkste Kraft hervor, sowohl im Kreis- wie im Stadtrat, jeweils mit über 36 Prozent der Stimmen.
Anfang des Jahres wollte die AfD im Görlitzer Stadtrat erreichen, dass die Kommune den Betreiber:innen des soziokulturellen Zentrums »Werk 1/Rabryka« den Mietvertrag kündigt. Die Begründung, wie so oft: Das Zentrum sei politisch zu einseitig, nicht »neutral«. Auch hier fand der AfD-Antrag keine Mehrheit. Jakob wirft der AfD vor, mit Anträgen wie diesem eine »Beschäftigungstaktik« zu verfolgen: »Da geht es darum, zivilgesellschaftliche Initiativen von ihrer eigentlichen Arbeit abzuhalten.« Stattdessen sei man ständig damit beschäftigt, Stellungnahmen zu verfassen und sich gegen die Attacken zu verteidigen – »es ist ein Mürbemachen«.
Aberkennung von Gemeinnützigkeit
Im Gespräch mit anderen Initiativen wird deutlich, dass die AfD diesen kommunalpolitischen Stil im Osten vielerorts pflegt – etwa indem sie in Gremien wie den Begleitausschüssen regelmäßig gar nicht erst erscheint, weshalb Beschlüsse immer wieder vertagt werden müssen.
Auf eine weitere Problematik verwies ein offener Brief, den gut 100 Initiativen vergangene Woche an die Bundesregierung adressierten. Vereine, die sich politisch engagierten und beispielsweise Demonstrationen veranstalteten, riskierten nach derzeitiger Rechtslage, die Gemeinnützigkeit aberkannt zu bekommen. Für die betroffene Organisation sei das meist existenzbedrohend. In dem offenen Brief wird deshalb die Bundesregierung aufgefordert, für Rechtssicherheit zu sorgen und die im Koalitionsvertrag versprochene Reform des Gemeinnützigkeitsrechts endlich zu vollziehen.
Den Verein »München ist bunt« zeigte der damalige AfD-Landtagsabgeordnete Uli Henkel Anfang 2023 beim Finanzamt an. Er habe mehrere Hundert Dokumente an die zuständigen Behörden übergeben, sagte Henkel damals in einem Youtube-Video. »So wie die linken Zecken unsere Arbeit behindern, wo immer sie nur können, so werden auch wir AfD-Abgeordnete in Bund und Land nicht müde werden, deren Verfehlungen anzuprangern«, so Henkel. In diesem Fall war die Anzeige erfolglos.
Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg
In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen im September Landtagswahlen an. Viele Träger, die bereits durch den AfD-Erfolg auf Kommunalebene unter Druck stehen, machen sich auch deshalb Sorgen. Das Netzwerk für Demokratische Kultur (NDK) in Wurzen im Landkreis Leipzig etwa rief Mitte Juni zu Spenden auf. Die Grundlage seiner Arbeit »droht zukünftig noch stärker in Gefahr zu geraten, da sie zu großen Teilen auf Fördergeldern basiert«, heißt es in einer Stellungnahme des NDK.
Von mehreren Initiativen in Sachsen ist zu hören, dass es bereits in der vergangenen Förderperiode deutlich schwerer geworden sei, über das Landesprogramm »Weltoffenes Sachsen« Förderung zu erhalten. »Die Fördermittelgeber befinden sich in einer Habachtstellung, die haben offenbar zu viel Angst – aber die haben wir doch auch«, meint Rebecca Jakob aus Görlitz. Ihr Eindruck: Wer sich politisch zu deutlich positioniere, bekomme verstärkt Probleme mit seinem Antrag.
Auch deshalb schauen sich viele Organisationen nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten um und beginnen etwa eigene Crowdfunding-Projekte. Das NDK plädiert dafür, vermehrt den Kontakt zu Stiftungen zu suchen, um sich weniger abhängig von Landes- und kommunalen Mitteln zu machen. Martina Glass vom NDK sagt der Jungle World jedoch, es gebe generell zu wenige Stiftungen im Osten. Mehrere Initiativen berichten, dass zum Beispiel die Amadeu-Antonio-Stiftung, die viele lokale Projekte fördert, der hohen Nachfrage aus der ostdeutschen Provinz bei weitem nicht gerecht werden könne.
Das 2019 gegründete Netzwerk Polylux ist eine weitere Geldquelle, allerdings kann es im Vergleich zu Bundes- oder Landesfördertöpfen nur kleine Summen abdecken. Der Verein sammelt über Fördermitgliedschaften Gelder ein und verteilt sie an kleine antifaschistische Initiativen im ländlichen Ostdeutschland.
Am Tag der Kommunalwahlen warb Polylux um neue Fördermitglieder, mit dem Ziel, die »unabhängige Finanzierung von emanzipatorischen Projekten im Osten abzusichern«. Innerhalb weniger Wochen konnte Polylux seine Zahl an Fördermitgliedern fast verdoppeln. »Wir nähren uns sozusagen vom Ruin«, sagt ein Polylux-Mitglied der Jungle World zerknirscht. Bei vielen engagierten Menschen im Osten hat Polylux in den vergangenen Jahren eine erstarkte kämpferische Mentalität wahrgenommen; nach dem 9. Juni seien viele nun eher niedergeschlagen.
An manchen Orten herrscht zudem Angst um die eigene Sicherheit. In Sonneberg in Thüringen – dort, wo die AfD ihren ersten Landrat stellt – verabschiedete sich die Initiative »Sonneberg gegen Nazis« zwei Wochen nach den jüngsten Kommunalwahlen von Social Media. Das Betreiben der Online-Kanäle sei zu gefährlich geworden, es gebe zu viele Anfeindungen und gar Morddrohungen.
»So schlimm wie jetzt war es noch nie«, schrieb das Bündnis. »Wir müssen uns und unsere Familien schützen.« Diese bedrohliche Atmosphäre zeigte sich auch daran, dass eine von der Jungle World für diesen Text angefragte Initiative angab, man wolle sich aufgrund des äußeren Drucks derzeit nicht öffentlich äußern.
Im sächsischen Bautzen wurde kürzlich der selbstverwaltete Jugendclub Kurti angegriffen: Nach Angaben der Opferberatungsstelle RAA bespuckten und zerstörten etwa fünf vermummte Personen wenige Tage nach den Kommunalwahlen, bei denen die AfD erstmals stärkste Kraft im Bautzener Stadtrat wurde, die Glasscheibe der Eingangstür. Dabei soll die Gruppe »Scheiß Antifa!« gerufen haben.
Rechte Angriffe gegen das alternative Jugendzentrum gebe es schon immer, berichten Lea und Emely vom Kurti der Jungle World, doch die Gewaltneigung habe zuletzt zugenommen. Im Kreistag sitzt nun für die rechtsextreme Partei Freien Sachsen Benjamin Moses, ein bekanntes Mitglied der lokalen Neonazi-Szene. »Das, was die Neonazis hier immer beschreien – ›Nazi-Kiez‹ –, ist jetzt im Grunde gewählt worden«, klagt Lea.