Haussanierung und Eigenbedarf: Leipzig droht neue Entmietungswelle
In Leipzig und Dresden gibt es immer mehr Kündigungen von Wohnungen wegen Eigenbedarf. Betroffene müssen oft den Stadtteil verlassen. Hinzu kommen Versuche, ganze Gebäude – brachial – leerzuräumen.
Auch ein Bundestagsmitglied hat es schon erwischt. Seit seiner Hochzeit 2011 wohnte der Linken-Politiker Sören Pellmann in Leipzig-Plagwitz. Doch jüngst musste seine Familie ausziehen, weil ein neuer Besitzer Eigenbedarf für diese Wohnung angemeldet hatte. „Es war nicht vorgetäuscht, sondern wirklich Eigenbedarf“, sagt Pellmann auf Anfrage. Doch viele Menschen würden durch ähnliche Vorgänge weit schlimmer getroffen als ein Parlamentarier mit gutem Einkommen, betont er.
Auf Leipzig rauscht eine neue Entmietungswelle zu, bestätigt Anke Matejka, die Chefin vom örtlichen Mieterverein. Zwar gebe es hierzu keine Statistik. Aber: „In unseren Beratungen hat das Thema Eigenbedarfskündigung stark zugenommen. Anders als früher trifft das nun viele Haushalte besonders drastisch, weil sie in ihrem Viertel keinen bezahlbaren Ersatz mehr finden.“
Große Entmietungswelle vor zehn Jahren
Eine große Entmietungswelle erlebte Leipzig zuletzt von 2010 bis 2014, erinnert sich Roman Grabolle vom Bündnis Stadt für alle. „Da liefen viele harte Auseinandersetzungen.“ Grund: Der kommunale Wohnungsriese LWB und auch Genossenschaften verkauften damals viele Häuser, um ihre Schulden zu verringern. „Die neuen Privateigentümer versuchten oft mit brachialen Mitteln, die Mieter rauszudrängen, um einfacher sanieren zu können und fette Gewinne zu machen“, sagt Grabolle.
Aus jener Zeit stammten noch einige bekannte Konflikte in Leipzig. Etwa um die Thierbacher Straße 6 in Connewitz – dort feierten die Mieterinnen jüngst ihr „Zehnjähriges“ im Kampf gegen einen Eigentümer, der nach ihren Angaben nicht vor dem Abdecken des Daches und einer Unterbrechung des Warmwassers zurückschreckte. Heute ist das Haus – auch durch Engagement der Bewohner – saniert. Der rabiate Eigentümer verfolgt dem Vernehmen nach ein neues Sanierungsprojekt in einem früheren Wächterhaus in Lindenau.
In der Kantstraße 55 beginnt gerade die Sanierung des letzten von acht Gebäuden, um die ebenfalls lange gerungen wurde. Insgesamt entstehen dort 96 Eigentumswohnungen in der teuren Südvorstadt. Vor Weihnachten 2022 zogen die letzten früheren Bewohner aus, „weil bei Bauarbeiten die Gasleitung zerhackt wurde – angeblich aus Versehen“, erzählt eine Ex-Mieterin. Sie lebt heute in Möckern im Norden der Stadt. „Natürlich haben wir letztlich die Abfindung angenommen. Aber eigentlich wollten Dutzende Haushalte und Familien mit normalem Einkommen in der Kantstraße wohnen bleiben.“
Plötzlich geht die Gasleitung kaputt
Eine plötzlich nicht mehr nutzbare Gasleitung taucht auch bei einem aktuellen Fall in Volkmarsdorf auf. In der Eisenbahnstraße 97 will ein neuer Eigentümer etwa 30 Mieterinnen loswerden, berichten dortige Bewohnerinnen. „Die meisten Fälle werden aber erst gar nicht öffentlich bekannt, weil die Betroffenen das nicht wollen oder weil ihre Anwälte glauben, das würde ihre Verhandlungsposition verschlechtern“, sagt Grabolle. So sei jüngst die Zwenkauer Straße 3 in Connewitz geräuschlos entmietet worden.
Juristische Auseinandersetzungen um Kündigungen für alle Mieter laufen nach LVZ-Informationen derzeit unter anderem in zwei Häusern an der Gießerstraße in Plagwitz und zwei Nachbarbauten an der Georg-Schwarz-Straße in Leutzsch. Zwar verkaufen Leipzigs Genossenschaften und die LWB (mit Ausnahme des Sonderfalls Grünauer Komm-Haus) schon lange keine Wohnobjekte mehr. Trotzdem sieht auch Grabolle eine neue Entmietungswelle anrollen: „Bei den Verkäufen früher wurde oft eine Spekulationsfrist von zehn Jahren zugunsten der Mieter verhängt. Die Fristen laufen nun gerade ab.“
Hinzu kommen immer öfter Umwandlungen von normalen Wohnungen – nicht nur in Ferienapartments. Oft wird versucht, Altmieter rauszuwerfen, um dann hochpreisige Einzelzimmer (25 bis 35 Euro warm pro Quadratmeter) für Studenten einzurichten, die sich Küche und Bad teilen. Beispiele dafür wären die Harnackstraße 10 in Eutritzsch sowie Stockartstraße 24 in Connewitz.
Viele Konflikte in Milieuschutzgebieten
Für Mathias Weber ist es kein Zufall, dass die krassen Fälle vor allem in den acht Leipziger Gebieten mit sozialen Erhaltungssatzungen spielen. Dabei sollen die Satzungen eigentlich vor Luxussanierungen schützen. „Das zeigt, dass Leipzig den Milieuschutz eben genau dort beschlossen hat, wo die Verdrängungsgefahr am höchsten ist“, meint der Stadtrat (Linke). Allerdings fehle in Sachsen ein Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen wie es Berlin hat, so Weber. „In Sachsen gibt es nach einer Umwandlung nur drei Jahre Schutz für die Mieter. Dadurch finden böswillige Eigentümer oftmals Wege, um sie loszuwerden.“
In den kleineren Städten Mitteldeutschlands sei die Lage ganz anders, sagt Dietmar Rauh vom Mieterschutzbund in Altenburg. „Bei uns freuen sich die Hausbesitzer über jeden Mieter, weil es hohe Leerstände gibt.“ In Dresden wurden zuletzt kaum noch Auseinandersetzungen um ganze Häuser publik, berichtet Florian Bau vom dortigen Mieterverein. „Das Hechtviertel und die Neustadt sind weitgehend durchsaniert und gentrifiziert. Der Stadtrat überlegt jetzt aber, erstmals den Milieuschutz für drei andere Gebiete einzuführen.“
Die bislang größte Entmietungsaktion hatte die Stadt Dresden selbst eingeleitet – und zwar 2018 für 180 Wohnungen im Hochhaus am Pirnaischen Platz. „Dort traf es die Ärmsten der Armen, aber der fehlende Brandschutz war wirklich lebensgefährlich“, meint Bau. 2020 habe die Leipziger Firma Quarterback Immobilien das Haus gekauft und die Sanierung gestartet – sie soll in sechs Monaten abgeschlossen werden.
Mieter verzichten aus Angst auf ihre Rechte
Auch in Dresden ziehe eine Entmietungswelle auf, betont der Fachmann. Viele Kapitalanleger aus dem Westen würden jetzt ihre Eigentumswohnungen verkaufen – und zwar an Einheimische, die sich so vor steigenden Mieten schützen wollen. „Das Risiko, nach einem Eigentümerwechsel die Kündigung zu erhalten, ist extrem gestiegen.“ Obendrein würden Wohnungskündigungen immer öfter als Retourkutsche benutzt. „Wenn ein Haushalt Ärger macht, eine Mieterhöhung nicht akzeptiert, setzen manche Eigentümer die Bedarfskündigung als Druckmittel ein.“
Aus Angst davor, die Wohnung zu verlieren und in einen ganz anderen Stadtteil ziehen zu müssen, würden immer mehr Mieter auf ihre Rechte verzichten, warnt Anke Matejka in Leipzig. „Das ist besonders besorgniserregend und trägt leider dazu bei, dass die Mieten immer schneller steigen.“