Rabiate oder stille Entmietungen in Leipzig: Diese Gründe stecken dahinter
In Leipzig nehmen nicht nur Eigenbedarfskündigungen von Wohnungen deutlich zu, sondern auch Entmietungen ganzer Häuser. Dahinter steckt oft ein Konflikt aus Kappungsgrenzen und hohen Baukosten.
Es hat verschiedene Ursachen, warum in Leipzig jetzt wieder öfter ganze Häuser entmietet werden. Laut Fachleuten spielen dabei ausgerechnet gesetzliche Vorschriften eine große Rolle – vor allem, wenn es um die Kappungsgrenze für Modernisierungen geht. Eine Vorschrift, die Mieter eigentlich schützen soll, wird oft zum Bumerang.
Wenn Gebäude geräumt werden sollen, sind sie meist in keinem guten Zustand, sagt Anke Matejka, die Chefin vom Leipziger Mieterverein. „Das sind Altbauten, die seit der Wende vor 35 Jahren nur teilsaniert oder gar nicht angefasst wurden.“ Keinesfalls gehe es dann immer um ein besonderes Gewinnstreben der Eigentümer. Vielmehr hätten sie auch eine Instandhaltungspflicht.
Sanierung im bewohnten Zustand oft nicht sinnvoll
„Es gibt Gebäude, wo es fast unmöglich oder zumindest nicht sinnvoll ist, sie im bewohnten Zustand zu sanieren“, erklärt die Fachfrau. „Doch entscheidend ist, wie man in solchen Fällen mit den Mietern umgeht. Ob man mit ihnen spricht, einen Ausweich organisiert und dafür sorgt, dass sie anschließend zurückkehren können. Das Gesamtpaket muss stimmen. Es braucht einen fairen Umgang.“
Große Unternehmen würden das in aller Regel beachten: etwa der kommunale Wohnungsriese LWB oder die Genossenschaft Kontakt beim Umbau an der Zschampertaue in Leipzig-Grünau. Hingegen sind es fast immer kleinere, private Immobilieneigentümer, die auch rabiate Entmietungen versuchen, ist in der Branche zu hören. Das sei häufig illegal und teilweise sogar strafbar. Es habe aber auch wirtschaftliche Gründe: Durch die jüngst stark gestiegenen Baukosten seien aufwendige Instandsetzungen oder Modernisierungen sonst herbe Verlustgeschäfte.
Seit 2019 gilt bundesweit eine Kappungsgrenze für solche Arbeiten. Demnach dürfen von den angefallenen Modernisierungskosten acht Prozent auf die Jahresmiete umgelegt werden – aber nur bis zu zwei Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs Jahren. Diese Regelung gilt für alle Wohnungen, deren Kaltmiete unter sieben Euro pro Quadratmeter liegt, erläutert Florian Bau, Sprecher vom sächsischen Landesverband der Mietervereine. Im Freistaat liege die Grenze damit de facto flächendeckend bei zwei Euro. „Nur wenn die Kaltmiete vorher mehr als sieben Euro pro Quadratmeter gekostet hat, darf um bis zu drei Euro Modernisierungsumlage draufgepackt werden.“
Kappungsgrenze schneidet krasse Fälle oben ab
Fachmann Bau kennt den Fall eines Hauses, das noch vor 2019 saniert wurde. „Dort wollten die Eigentümer die Modernisierungskosten korrekt umlegen mit dem Ergebnis, dass sich die Kaltmiete um 400 Euro erhöht hätte. Das wäre mehr als das Doppelte gewesen. Und das geht eben seit 2019 nicht mehr Gott sei dank. Durch die Kappungsgrenze sind die ganz krassen Fälle oben abgeschnitten worden.“
Gerade in den weitgehend unsanierten Häusern sind die Kaltmieten entsprechend dem Standard oft noch niedrig. „Um eine Komplettsanierung mit Dach, Dämmung und Strangsanierung bezahlen zu können, müsste der Eigentümer bei aktuellen Baupreisen auf mehr als zehn Euro Kaltmiete erhöhen“, sagt ein Leipziger Baufachmann, der nicht namentlich genannt werden will. „Wenn die Kaltmiete bisher drei bis vier Euro gekostet hat und nur zwei Euro dazukommen dürfen, funktioniert das alles wirtschaftlich überhaupt nicht.“
In der Folge seien es oft eher kleinere Hasardeure mit wenig Erfahrung, die das Risiko trotzdem eingehen. Sie kaufen für ein bis zwei Millionen Euro ein weitgehend ruiniertes Gebäude und versuchen dann – auch mit dubiosen Mitteln, die Altmieter rauszuwerfen. Oft werde solange Druck aufgebaut und der Konflikt eskaliert, bis sich die vorhandenen Haushalte doch auf eine Abfindung einlassen und formaljuristisch betrachtet „freiwillig“ gehen. Nach Komplettsanierungen greift kein Mietspiegel. In Sachsen ist auch eine Umwandlung in Eigentumswohnungen mit beliebig hohen Preisen zulässig. Folglich kann der kleine Hasardeur so doch noch große Gewinne einstreichen.
In Leipzigen stehen über 19000 Wohnungen leer
Mit diesen Einnahmen werden die nächsten Objekte gekauft. Laut den aktuellen Zensus-Daten standen in Leipzig im Jahr 2022 mehr als 19000 Wohnungen leer, was 5,4 Prozent des Gesamtbestandes entsprach. Meist geht es da um nicht- oder nur gering sanierte Altbauten, die nur noch teilweise vermietet sind. Große private Unternehmen in Leipzig wollen sich das Risiko einer Entmietung und eventuell schlechter Publicity in aller Regel nicht antun. Im Zweifel verkaufen sie das entsprechende Haus lieber.
Andere lassen in stark sanierungsbedürftigen Objekten über Jahre hinweg niemanden mehr einziehen, auch wenn dort Wohnungen aus verschiedenen Gründen frei werden. Das brachte beispielsweise der kommunalen LB seit 2017 immer wieder den Vorwurf ein, sie betreibe eine „stille Entmietung“ bei ihren letzten unsanierten Altbauten in der Südvorstadt.
LWB-Sprecherin Samira Sachse verweist hingegen darauf, dass sich die Häuser teils noch im Erbauungszustand von 1950 befunden hätten. „Die Elektroanlagen sind für den heutigen Verbrauch stark unterdimensioniert.“ Um freie Wohnungen wieder anbieten zu können, hätten zunächst Strom- und Gasanlagen erneuert, auch Heizungen oder Öfen ersetzt werden müssen – um später bei einer Komplettsanierung der Häuser auch die Anlagen erneut zu tauschen, was viel zu teuer wäre.
SoWo schlägt Aufbau eines neuen Trägers vor
Tobias Bernet von der Solidarischen Wohnungsgenossenschaft Leipzig (SoWo) glaubt hingegen, mit mehr Kreativität, gutem Willen und entsprechenden Förderprogrammen ließen sich Altbauten auch immer noch so sanieren, dass im Anschluss alle zufrieden und die Mieten erschwinglich sind. Als Dachgenossenschaft habe die SoWo schon neun Mietergemeinschaften bei der preisgünstigen Sanierung von Häusern unterstützt. So seien gerade die Arbeiten in der Eisenbahnstraße 113 erfolgreich abgeschlossen worden.
„Vielleicht braucht die Stadt Leipzig noch einen neuen Träger, der sich speziell um stark sanierungsbedürftige, bewohnte Häuser kümmert“, schlägt Bernet vor. Immerhin wolle die Kommune zeitnah einen Bodenankaufsfonds mit 120 Millionen Euro ausstatten, der auch von Entmietung bedrohte Häuser erwerben könnte. Weil die Sowo fast nur im Ehrenamt agiert, müsse sie sich aber auf wenige Fälle konzentrieren. „Und die LWB ist vielleicht ein zu großes Schiff, um in Einzelfällen schnell und wendig zu handeln.“