Für Verbrecher ohne Strafe: So funktioniert Maßregelvollzug in Altscherbitz
Im Sächsischen Krankenhaus Altscherbitz werden psychisch kranke Straftäter therapiert. 118 Patienten sind derzeit dort untergebracht. Viele von ihnen sprechen nur eine Fremdsprache, was die Behandlung erschwert.
Leipzig/Schkeuditz. Hier sitzen Verbrecher, die für ihre Taten nicht bestraft werden können: Im streng abgesicherten Areal des Maßregelvollzugs im Sächsischen Krankenhaus (SKH) Altscherbitz landen Kriminelle, die wegen einer psychischen Erkrankung als schuldunfähig und weiterhin gefährlich gelten. 118 Patienten waren Ende vorigen Jahres hier untergebracht, teilte das sächsische Sozialministerium auf LVZ-Anfrage mit. Etwa so viel wie in den beiden Jahren zuvor und mehr als an jeder anderen derartigen Einrichtung im Freistaat.
Das SKH Altscherbitz ist eines von drei Krankenhäusern in Sachsen, die für den Vollzug der Maßregel nach Paragraf 63 des Strafgesetzbuches zur Unterbringung psychisch kranker Straftäter zuständig sind. Weitere Einrichtungen dieser Art befinden sich in Arnsdorf und Rodewisch. Darüber hinaus kümmern sich das Städtische Klinikum St. Georg Leipzig und das Krankenhaus Großschweidnitz um den Maßregelvollzug für suchtkranke Rechtsbrecher in einer Entziehungsanstalt (Paragraf 64 Strafgesetzbuch). Während die Behandlung von alkohol- und drogenabhängigen Straftätern zeitlich befristet ist und meistens zwei Jahre dauert, kommen psychisch kranke Kriminelle grundsätzlich auf unbestimmte Zeit hinter Schloss und Riegel.
Externes Prognosegutachten bei schweren Verbrechen
Teil des Therapieprozesses ist jedoch eine in Stufen verlaufende Erleichterung und schließlich Lockerung des Vollzuges, erläuterte das Ministerium. Das reiche von der Teilnahme an gemeinsamen therapeutischen Maßnahmen über verschiedene Zwischenstufen schließlich bis zur Langzeitbeurlaubung von mehr als zwei Wochen, die insbesondere das Probewohnen und das betreute Wohnen umfasse. Patienten würden dadurch auf ein Leben in Freiheit vorbereitet.
Die Voraussetzungen für eine Unterbringung im Maßregelvollzug sind streng geregelt. Laut Gesetz handelt ohne Schuld, „wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“.
Wie lange sie im Maßregelvollzug bleiben müssen, prüft das zuständige Gericht mindestens einmal pro Jahr. Ausnahmen sind besonders schwere Verbrechen wie Sexualdelikte, schwere Körperverletzungen sowie Totschlag und Mord. In diesen Fällen ist vor einer Entlassung ein externes Prognosegutachten notwendig. Danach stehen die Patienten bis zu fünf Jahre unter Führungsaufsicht. Altscherbitz ist für die Maßregel psychisch Kranker im gesamten Landgerichtsbezirk Leipzig zuständig und kümmert sich zudem um alle Frauen, für die in Sachsen ein derartiger Vollzug angeordnet wurde.
Erst im Dezember vorigen Jahres schickte das Landgericht einen 23-Jährigen in die geschlossene Psychiatrie. Er soll im März 2020 auf einem Bahngelände an der Rosa-Luxemburg-Straße eine Obdachlose (25) brutal getötet haben, gilt aber aufgrund einer diagnostizierten Schizophrenie als schuldunfähig. Auch für eine 34-jährige Leipzigerin war 2022 ein Maßregelvollzug angeordnet worden. Die psychisch Kranke hatte ihr völlig fremde Frauen auf offener Straße attackiert und teilweise verletzt. Ein Dutzend Fälle wurden bekannt. Im Maßregelvollzug landete auch ein Mann, der im April 2019 im Clara-Zetkin-Park mit einem Messer mindestens elf Mal auf Kopf, Hals und Oberkörper einer ihm völlig unbekannten Frau eingestochen hatte. Bei dem damals 35-Jährigen wurde eine schizophrene Psychose diagnostiziert.
Auffällige Zunahme an schizophrenen Psychosen
Behandelt werden diese Patienten in Altscherbitz auf vier Stationen. Zudem gibt es eine besonders gesicherte Aufnahmestation. Hier kommt etwa vandalismusbeständigeres Mobiliar zum Einsatz. Zudem sind alle Zimmertüren mit Kostklappen ausgestattet, Terrasse und Garten sind separat und speziell gesichert. „Die neuen Patienten werden zum Teil mit akut schweren psychischen Erkrankungen aufgenommen“, begründet das Ministerium diese zusätzlichen Vorkehrungen. „Diagnose und Therapieansätze sind noch nicht sicher festzulegen, sodass sich aus diesen Aspekten die besondere Anforderung ergibt.“
Blickt man auf die vergangenen 15 Jahre, so ist nach Angaben des Ministeriums besonders eine auffällige Zunahme an schizophrenen Psychosen festzustellen. Zwei Drittel der Patienten in Altscherbitz haben demnach einen hohen Anteil an sogenannter komorbider Suchtproblematik. Das bedeutet, dass neben einer Abhängigkeitserkrankung eine weitere psychische Störung vorliegt. Demgegenüber seien Persönlichkeitsstörungen rückläufig. Therapeutische Maßnahmen sind aber noch aus einem anderen Grund herausfordernder geworden: Nach Informationen des Sozialministeriums gibt es inzwischen einen höheren Anteil an Patienten, die nur eine Fremdsprache beherrschen.