Leipzigs Jugendparlament will Erinnerung an Ex-OBM Goerdeler löschen
Hintergrund zu Carl Friedrich Goerdeler unter dem Artikel der LVZ. Der LVZ Artikel lässt wichtige Informationen weg.#
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Seit Jahrzehnten verehrt Leipzig Carl Friedrich Goerdeler. Der Oberbürgermeister in den Anfangsjahren der NS-Herrschaft gilt als Verteter des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Jetzt wollen junge Politiker sein Denkmal schleifen.
Leipzigs Jugendparlament ruft zum Denkmalsturm: Die Nachwuchspolitiker, die erst in diesem Jahr gewählt wurden, wollen die Erinnerung an den früheren, von den Nazis hingerichteten Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler (1881–1945) löschen.
Das Gremium um Sprecherin Hannah Lilly Lehmann (19) hat jetzt in einem Antrag an den Stadtrat gefordert, das Goerdeler-Denkmal vor dem Neuen Rathaus bis spätestens Ende 2024 zu beseitigen, den Goerdelerring umzubenennen und das Bildnis Goerdelers aus der Porträt-Galerie ehemaliger Oberbürgermeister im Neuen Rathaus „sofort“ zu entfernen.
Das Denkmal, ein Werk des US-amerikanischen Künstlers Michael Glier, hat die Form einer begehbaren Arena. Sie besteht aus drei Ringen, auf denen Zitate aus Goerdelers Reden und Schriften eingraviert sind. In deren Mitte befindet sich eine in den Boden eingelassene Glocke, die viermal am Tag läutet.
Vorwurf: Tolerierung durch NSDAP und Antisemitismus
Die Gründe für den Bruch mit dem in Leipzig bislang als Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus verehrten Politiker sehen die Jugendparlamentarier in „dem Wirken Goerdelers in Leipzig von 1930 bis 1936/37 sowie seiner antisemitischen Grundhaltung“. Goerdeler war von 1930 bis 1936 Oberbürgermeister in Leipzig. Die Nationalsozialisten hätten seine Wahl als ihren Verdienst angesehen, heißt es in dem Antrag. Und weiter: „Goerdeler war darüber hinaus gewiss nie ein Demokrat.“
Die Mitglieder des Jugendparlaments werfen ihm vor, dass er einer von lediglich vier Oberbürgermeistern im Deutschen Reich war, der nach Hitlers Machtergreifung 1933 im Amt bleiben durfte. Er habe jüdischen Bediensteten der Stadtverwaltung gekündigt, Straßen mit Namen von jüdischen Künstlerinnen und Künstlern umbenennen lassen und sei noch an den Planungen für die Einebnung des alten jüdischen Friedhofs im Johannistal beteiligt gewesen.
Historiker: Goerdeler lehnte Eintritt in Nazi-Partei ab und verhinderte Bücherverbrennung
Die Rolle Goerdelers ist nicht unumstritten. Der konservative Wirtschafts- und Finanzexperte führte sein Amt wie ein strenger preußischer Beamter. Dem Druck der Nationalsozialisten, in die NSDAP einzutreten, hat er widerstanden. Er verstand es jedoch, geschickt zu taktieren. „Von den Nationalsozialisten erwartete Goerdeler eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, neue Handlungsmöglichkeiten für eine effizientere Stadtverwaltung mit einem starken Oberbürgermeister an der Spitze, dessen Entscheidungen ohne größere Debatten oder parteipolitische Winkelzüge umgesetzt werden sollten“, schrieb der Leipziger Historiker Steffen Held 70 Jahre nach der Hinrichtung Goerdelers zur historischen Einordnung des Politikers in der LVZ.
Dass am 10. Mai 1933 in Leipzig keine Bücherverbrennung stattfand, sei auch auf den Widerspruch Goerdelers zurückzuführen. Als der im November 1936 auf einer Auslandsreise war, habe sein Stellvertreter, der nationalsozialistische Bürgermeister Haake, Goerdelers Abwesenheit ausgenutzt und am 9. November den Abriss des Mendelssohn-Bartholdy-Denkmals vor dem damaligen Gewandhaus veranlasst.
Held: „Nachdem die von Goerdeler geforderte Disziplinarmaßnahme gegen seinen Stellvertreter und eine Wiederaufstellung des Denkmals durch den NSDAP-Kreisleiter und das sächsische Innenministerium zurückgewiesen wurden, erklärte er seinen Rücktritt als Oberbürgermeister zum 31. März 1937.“ Goerdeler wurde noch 1936 beurlaubt. Daraufhin begann er, oppositionelle Alternativen zur Politik der Nazis zu entwerfen.
Goerdeler war an Vorbereitungen des Attentats auf Hitler beteiligt
Goerdeler zählte schließlich zu den führenden zivilen Köpfen, die den Widerstand und das gescheiterte Attentat deutscher Offiziere um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 vorbereiteten. Am 2. Februar 1945 wurde Goerdeler wegen „Verrats am Volke“ im Strafgefängnis Plötzensee in Berlin durch das Fallbeil hingerichtet.
Über den Antrag des Jugendparlaments, sein Andenken in Leipzig zu löschen, muss in den kommenden Wochen der Stadtrat entscheiden.
Die Goerdeler-Ehrung in Leipzig stören! Einer für alle – alle für einen!
Carl-Friedrich Goerdeler: Antisemit, Nationalsozialist, Monarchist, Militarist
(Quelle: https://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/aufrufe/goerdel.htm)
Der Antisemit Goerdeler und das Bewußtsein des deutschen Kollektivs
Carl Friedrich Goerdeler war einer der unzähligen willigen Vollstrecker dieser antisemitischen deutschen Volksweisheit, die geradewegs nach Auschwitz führte. Gleichzeitig steht er durch seine Zeit als Kommunalpolitiker in Leipzig für das Charakteristikum des Nationalsozialismus schlechthin: Das System funktionierte weniger von oben denn von unten! Die Befugnisse, die z.B. der Kommunalpolitik im Nationalsozialismus oblagen, führen Totalitarismutheoretiker wie auch den Glauben deutscher Antifaschisten an ein unterdrücktes deutsches Volk ad absurdum: Seit Jahren wollen sie der Welt immer wieder Glauben machen, es hätte keine individuelle Entscheidungsfreiheit im Nationalsozialismus gegeben und die Schuldfähigkeit der deutschen Normalbevölkerung sei quasi unmöglich. Dafür wurde mit der Zeit ein Anti-Kollekivschuld-These-Reflex kultiviert, der hinter jeder Kritik an den normaldeutschen Systemträgern eine Kollektivschuldthese vermutet und darauf mit einer wahnwitzigen Abwehr reagiert. Auf Goerdeler bezogen heißt das für jeden guten Deutschen von heute: ‚Wer ihn als einen der Besten von uns angreift, greift uns alle an!‘ Schizophrenerweise wird zur Entlastung eines Antisemiten wie Goerdeler das historische Wissen zugrunde gelegt, daß er, als Vertreter seiner Zeit, auch nicht weniger antisemitisch sein konnte, als es der Zeitgeist von damals gewesen sei. Wer genau hinhört, stellt fest, daß solche Erklärungsmuster Eingeständnis sind, wie bekannt doch ist, welche Rolle und Umfang der Antisemitismus in Deutschland gesellschaftlich einnahm bzw. besaß. Es ist eine Art sekundärer Affirmation der Täterinnen und Täter von damals. Denn, explizit und offiziell wird jeder gute Deutsche von heute, der aus Auschwitz „gelernt“ haben will, Goerdeler zugute halten, daß er ‚Antifaschist‘ war.
Angesichts dieser ungeheuerlichen, von Goerdeler zu verantwortenden Maßnahmen, stellt der Leipziger Geschichtsforscher und Kabarettist Bernd Lutz Lange in dem Buch „Juden in Leipzig. Eine Dokumentation“ (Leipzig, 1989) ergänzend fest: „All dies geschah in Leipzig (…), bevor die Nazis an zentraler Stelle solche Maßnahmen für opportun hielten“. Von diesem Wahnsinn waren unter der Verantwortung von Goerdeler schätzungsweise 20 000 Menschen in Leipzig betroffen (vgl. Bernd-Lutz Lange, Jüdische Spuren in Leipzig, Leipzig, 1993). Goerdeler war mehr als der normale deutsche Antisemit. Schon 1934 äußerte er sich in einer Denkschrift für eine „Konsolidierung der deutschen Rassepolitik“. Dort empfahl er, die Reinheit der „arischen Rasse“ „unter eiserner Disziplin und unter Vermeidung von Ausartungen und Kleinlichkeiten“ zu vollziehen. Konkreter wird er dann Ende 1940/Anfang 1941, zu einer Zeit, wo er angeblich schon zum Widerstandskämpfer konvertiert sein soll. In der unter dem Pseudonym Kaiser erschienenen Schrift namens „Ziel“ stellt Goerdeler fest, „daß es eine Binsenweisheit (sei), daß das jüdische Volk einer anderen Rasse angehört“. Deshalb sei „eine Neuordnung der Stellung der Juden“ unumgänglich.
Die Philosophin Hannah Arendt schrieb 1963 an ihren Kollegen Karl Jaspers zur Situation im nationalsozialistischen Deutschland: „Was ich meine, ist, daß jeder, der politisch auftrat, auch wenn er dagegen war, auch wenn er im geheimen ein Attentat vorbereitete, in Wort und Tat von der Seuche angesteckt war. In diesem Sinne war die Demoralisation komplett“. (Natürlich soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß es sich bei Antisemitismus und Nazismus nicht um eine „Seuche“ handelt. In diesem Sinne ist die Arendtsche Metaphorik etwas irreführend.)
An der Person Carl Friedrich Goerdeler läßt sich ohne Zweifel ein Geschichtsbild verfestigen, daß zur Doktrin der unheimlichen Berliner Republik gehören soll: Was in Auschwitz gipfelte, ist menschlich erklärbar und letztlich normal, zumal ja das „bessere Deutschland“ damals Widerstand geleistet hat. In diesem Sinne muß der Antisemitismus der Deutschen nicht nur kleingeredet, sondern ignoriert werden. Im Falle Goerdelers bietet sich das insbesondere an, war der doch 1936 angeblich „tief bestürzt“ über den Abriß des Denkmals zu Ehren des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy und somit tauglich als Kronzeuge dafür, wie anti-antisemitisch doch der „deutsche Widerstand“ gewesen sei.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr – das meint: Was die Nachkriegsgeneration nicht begreift, kann die der Täterinnen und Täter von damals erst recht nicht begreifen. Diese urdeutsche Faustregel paßt hier wieder mal aufs Auge derjenigen, die der vor kurzem aus dem Amt geschiedene OBM Leipzigs, Hinrich Lehmann-Grube, Anfang der 90er Jahre als „verwirrte Geister“ charakterisierte, weil sie sich nicht in die fest geschlossenen Reihen derjenigen einreihten, die Goerdeler zum verdienten Antifaschisten zurechtlogen.
Carl Friedrich Goerdeler – ein Antifaschist?
Die Regelung der Arbeitsbedingungen soll durch den Betriebsleiter erfolgen. Goerdeler befürwortet voll und ganz die Errichtung der deutschen Arbeitsfront. 1934 wird er, diesmal von Hitler, erneut zu Reichspreiskommisar ernannt. Er sprach sich 1934 gegen den Nichtangriffspakt mit Polen aus, weil er befürchtete, die deutschen Ansprüche auf polnisches Gebiet aufgeben zu müssen. Nach der Wiederwahl als Leipziger OBM 1936 ließ er sich 1937 auf Grund von Differenzen zur NSDAP pensionieren und wurde Finanzberater bei Bosch. Vor 1939 verhandelte Goerdeler mit westlichen Vertretern, um einen Krieg mit Deutschland zu vermeiden. In einem Friedensplan von 1941 fordert er die Anerkennung der Vormachtstellung von Deutschland. In diesem Plan fordert er unter anderem die Wiederherstellung der Grenzen Deutschlands von 1914 gegenüber Polen, Frankreich und Belgien. Weiter sollten die Annexionen von Österreich, dem „Sudetenland“ und dem „Memeland“ vor dem 2.Weltkrieg anerkannt werden und die Kolonien Deutschlands zurückgegeben werden. Anfang 1941 verfaßt Goerdeler die Denkschrift „Das Ziel“. Dort kommt zum Ausdruck worin, die Differenzen zwischen Goerdeler und den herrschenden Nazis bestanden. Goerdeler warf der NSDAP vor, daß sie dem imperialen Großmachtstreben Deutschlands schadeten und er kritisierte die Methoden der Nazis nur dort, wo er meinte, daß sie die großdeutschen Interessen gefährdeten. Goerdeler formuliert im „Ziel“ unter anderen Folgendes:
- Der für die deutsche Wirtschaft in Frage kommende „Großwirtschaftsraum“ sei Europa. Dieser solle durch die „organische Zusammenfassung“ selbständiger Nationalstaaten gesichert werden. Dem deutschen Volk komme hierbei die führende Rolle im europäischem Block zu. Es sei ein „schwächlicher Verzicht“, die deutsche Leistungsfähigkeit nicht in aller Welt einzusetzen (Goerdeler und Beck sprechen hier von Eroberung, die nichts mit militärischer Eroberung zu tun hätte). Deutschland soll die kleinen europäischen Nationen neu mit „weisem Rat und weiser Hand (…) leiten“. Bei rechtzeitigem Abbruch des Krieges könne ein europäischer Staatenbund unter deutscher Führung in einigen Jahren erreicht werden.
- Mit der Sowjetunion sei keine Zusammenarbeit möglich. Die Leistungsfähigkeit des russischen Volkes sei nicht so entwickelt. Rußland solle allmählich und unter „ständige[r] Fühlung mit England, den USA, China und Japan“ in die europäische Zusammenfassung mit einbezogen, sprich in den Schoß des Kapitalismus zurückgeführt werden.
- Um das deutsche Volk nicht zu ,,demütigen“, fordern Goerdeler und Beck ein geschlossenes Kolonialgebiet in Afrika.
- Gefordert wird eine „Wirtschaftsgesinnung, die weiter nichts ist als ein Anerkenntnis harter Naturgesetze und daher auch keine Theorien verträgt“. „Streiks und Aussperrung bleiben verboten. An ihre Stelle tritt letztlich die ausgleichende Entscheidung des Staates“. Arbeiter und Angestellte sollen durch verantwortliche Mitarbeit an Wirtschaftsfragen von „vernunftwidrigen und phantastischen wirtschaftlichen und politischen Ideen und Anforderungen“ geheilt werden. Letztlich erteilen Goerdeler und Beck eine klare Absage an die ArbeiterInnenbewegung und die Gewerkschaften und erst recht an marxistische oder anarchistische Ideen und fordern eine bereitwillige Unterstützung eines ,darwinistischen‘ Kapitalismus.
- Der Arbeitsdienst solle ebenfalls von einem General geführt werden und bestehen bleiben. Für Mädchen solle er aufgehoben werden. Sie hätten im Haushalt genug zu tun. Die NSDAP solle bestehen bleiben.
Als Goerdeler im März 1943 in einer Denkschrift die Notwendigkeit eines Putsches begründet, hält er an der Idee eines Großdeutschlands fest. Noch immer hält er die führende Position Deutschlands auf dem „Kontinent“ für notwendig und erreichbar. Das Problem sieht Goerdeler dabei weniger im Krieg selbst, sondern wie er geführt wird. Goerdeler bezeichnet etwa den „Raub“ Südtirols durch Italien 1919 als „bevölkerungspolitische Infamie“, vor der die Deutschen sich nicht scheuen müßten, sie wieder gutzumachen. Goerdeler war weit davon entfernt, Antifaschist zu sein. Er hat die Nazis mit an die Macht gehievt und bis zum Ende gab es keine prinzipiellen Differenzen zum Nationalsozialismus. Sein Hauptvorwurf richtete sich gegen das seiner Meinung nach unvernünftige Vorgehen der Nazis, mit dem sie die großdeutsche Chance verspielen würden.
Die Männer des 20. Juli
Was Aly hier nur andeutungsweise zu erkennen gibt, ist die Tatsache des unterschiedlichen Umganges mit dem Widerstand gegen Hitler in den beiden bis 1990 existierenden Staaten BRD und DDR. So hielt noch 1963 etwa jeder vierte Bundesbürger, die Verschwörer des 20. Juli und andere Widerstandskämpfer für schlichte Vaterlandsverräter. In der DDR bediente die ideologisierte Geschichtsdoktrin andere Ressentiments: Die Schlagwörter von der „Generalskaste“ oder der „reaktionär-antisowjetischen Beck-Goerdeler-Politik“ füllten dort die Erinnerung des stets umworbenen, mittlerweile chronifizierten Mitläufers. Stalins Diktum von den Hitlers, die „kommen und gehen, das deutsche Volk aber“ werde bleiben, vermittelte den „kleinen Leuten“ jenes an Schamlosigkeit grenzende Bewußtsein der Freiheit von persönlicher und völkischer Schuld. Der sogenannte Entspannungsprozeß zwischen den politisch-militärischen Blöcken NATO und Warschauer Pakt führte sowohl in der BRD als auch in der DDR zu einem pragmatischerem Umgang mit allem, was sich irgendwie als bessere Deutsche gegen Nazideutschland artikuliert hatte.
Die SED dagegen vollzog im Rahmen der Anerkennung der DDR als völkerrechtliches Subjekt ab etwa der frühen 70er Jahre eine Politik der Subsumtion all dessen aus deutscher Geschichte, was irgendwie geeignet erschien, eine eigenständige „sozialistische Nation“ zu definieren. Der Begriff vom Patrioten erlebte eine Renaissance in der DDR-Geschichtsdeutung. Und Staufenberg, aber auch utilitaristisch die anderen Verschwörer des 20. Juli, wurden zu solchen stilisiert. Zumal, und hier schließt sich ein ideologisch determinierter Kreis, es Verbindungen zwischen den Verschwörern und kommunistischem Widerstand gegeben hatte. Zudem läßt sich mit nur kommunistischen oder nichtelitärem Widerstand im Geschichtsverständnis der kapitalistischen BRD im Ausland wenig Staat machen. Gerade in einer Zeit, da deutsche Soldaten erstmals wieder dort ihr mörderisches Handwerk erledigen, wo einst Hitlers Soldateska im bewußtem Führergehorsam (lt. Eidesformel der Nazi-Wehrmacht) gemeinsam mit kroatischen Ustascha-Faschisten und der albanischen SS-Division Skanderbeg gegen „die Serben“ wütete und hundertausende umbrachte, macht es Sinn, die „Ausrottungskämpfe unter den Würdenträgern des Dritten Reiches“ (Winston Churchill) zur Ehrenrettung preußisch-deutschen Militärs zu nutzen. Eine Vereidigung von Rekruten der neuen bundesdeutschen Wehrmacht im „Bendlerblock“ am 20. Juli 1999 wird damit weniger Ehrung von Widerstand als Alibierung neuer deutscher Kriegslüsternheit. Wer wie Verteidigungsminister Scharping mit der „Entdeckung“ serbischer „KZ’s“ die Vernichtungslager der Nazis relativiert, muß konsequenterweise auch eine Motivation für den Einsatz seiner Soldaten erbringen. Wie die Männer des 20. Juli zum Nationalsozialismus standen, läßt sich an ihrer zeitweilig ungehemmten Involvierung in seine Verbrechen ablesen. Deutlicher macht dies aber nachfolgender „Bericht“:Sehr geehrter Parteigenosse BORMANN! Anliegend übersende ich Ihnen einen Sonderbericht über die Stellung der Verschwörer zum Nationalsozialismus und zur NSDAP. (…) Eine große Zahl der Vernommenen erklärt, daß sie sich mit den Zielen der NSDAP im Jahre 1933 zum größten Teil einverstanden erklärt hätten. So sagt zum Beispiel Berthold Graf STAUFFENBERG: »Auf innerpolitischem Gebiet hatten wir die Grundideen des Nationalsozialismus zum größten Teil durchaus bejaht: Der Gedanke des Führertums, der selbstverantwortlichen und sachverständigen Führung, verbunden mit dem einer gesunden Rangordnung und dem der Volksgemeinschaft, der Grundsatz >Gemeinnutz geht vor Eigennutz< und der Kampf gegen die Korruption, die Betonung des Bäuerlichen und der Kampf gegen den Geist der Großstädte, der Rassegedanke und der Wille zu einer neuen, deutsch bestimmten Rechtsordnung erschien uns gesund und zukunftsträchtig.« Ähnlich heißt es in der Vernehmung von POPITZ: »Ich bejahe in jeder Weise den nationalsozialistischen Staat und sehe in ihm die geschichtliche Notwendigkeit gegenüber dem Internationalismus und der Verjudung der Systemzeit und gegenüber den unerträglichen Krisen der parlamentarischen Parteien, das deutsche Volk in seinen gesamten nationalen Grenzen zu einen und es so zu regieren, wie es nach seiner geographischen Lage allein regiert werden kann….«(…)
Nikolaus Graf ÜXKÜLL: »Ich war nach der Machtergreifung ein ausgesprochener Anhänger des Führers und war auch der Überzeugung, daß er uns zu großen Zielen führen werde. Ich sah daher hinweg über manche Begleiterscheinungen, die ich im Dritten Reich feststellen mußte und die meiner Überzeugung nicht entsprachen. Ich sagte mir, wo Holz gefällt wird, fliegen Späne.«(…)
Die gleichen Personen behaupten vielfach, daß sie bei grundsätzlicher Zustimmung zu den Hauptzielen der NSDAP allmählich durch die praktische Durchführung in ihrer zustimmenden Haltung schwankend geworden seien. So sagt Graf HELLDORF: »Das, was sich mir heute aber als Verwirklichung des Nationalsozialismus darstellt, kann ich nicht mehr gutheißen.«(…)
GOERDELER: »Mit manchen meiner alten Mitarbeiter sah ich allmählich dunkle Flecken in einer in sich geschlossenen Weltanschauung sich entwickeln.«
GUTTENBERG: »Dem Nationalsozialismus stehe ich als Idee und Programm ohne Ablehnung gegenüber, glaube aber, daß innerhalb der Partei Strömungen und Gedankengänge vertreten werden, die es mir bis jetzt nicht möglich gemacht haben, aus voller Überzeugung der Partei beizutreten. « (…)
Bei dieser Einstellung einzelner Beteiligter ist es immer wieder auffällig, daß gewisse Grundgedanken des Nationalsozialismus von den Verschwörern ohne weiteres übernommen werden. Des öfteren wird ausdrücklich erklärt, daß es in der Entwicklung ein Zurück nicht gibt, so daß selbst die Verschwörer, die vom Gedankenkreis der Reaktion ausgehen, über die innere Notwendigkeit und Lebenskraft der nationalsozialistischen Idee nicht weiterkommen. Aus der Bejahung des Programms und der Kritik an der Durchführung des Programms ergibt sich zuweilen eine Auffassung, als müsse der wirkliche Nationalsozialismus durch die Verschwörer verteidigtwerden. (…)
BECK war der Auffassung, daß die Vitalität des nationalsozialistischen Staates dazu treibe, Fragen vorzeitig und überstürzt in Angriff zu nehmen. Die gesamten innerpolitischen Maßnahmen, insbesondere in der Juden- und Kirchenfrage, seien zu jäh und übereilt durchgeführt worden.(…)
Diese Auffassung wird immer wieder deutlich in der Einstellung zur Rassenfrage. ÜXKÜLL bemerkt hierzu über die Pläne der Verschwörer: »Am Rassegedanken sollte festgehalten werden, soweit dies möglich war.«
An der Umsetzung des Rassegedankens, wie sie in der Vorkriegszeit geschah, wurde viel Kritik geübt. Man war der Meinung, daß die Enteignung der Juden in einer für Deutschland »würdigeren« Form hätte vorgenommen werden können. POPITZ sagt darüber: »In der Judenfrage war ich als recht eingehender Kenner der Zustände in der Systemzeit durchaus der Auffassung, daß die Juden aus dem Staats- und Wirtschaftsleben verschwinden müßten. In der Methode habe ich mehrfach ein etwas allmählicheres Vorgehen empfohlen, insbesondere aus Rücksichten der äußeren Politik.« …
Graf LEHNDORFF erklärt, »er sei zwar Judengegner, habe aber trotzdem die nationalsozialistische Auffassung von der Rasse nie ganz gebilligt, insbesondere aber nicht ihre praktische Durchführung«.
Alexander Graf STAUFFENBERG äußert, »er sei der Meinung, daß die Judenfrage in weniger krasser Form hätte durchgeführt werden sollen, weil dadurch weniger Unruhe in die Bevölkerung hineingetragen worden wäre«. Ähnlich bemerkt Berthold Graf STAUFFENBERG: »Er und sein Bruder hätten die Rassengrundsätze des Nationalsozialismus an sich bejaht, hätten sie aber für überspitzt und übersteigert gehalten.«[ 1 ]
Ab 1990 erhielt die Wertung von Widerstand gegen die Nazis eine neue, großdeutsche Qualität. In die bisherige, schon antikommunistisch determinierte Geschichtsschreibung der BRD hielt die „Totalitarismustheorie“ Einzug. Nicht nur war sie hervorragend geeignet, den Bezug der DDR auf einen begrenzten, weil nur historischen Antifaschismus zu diskreditieren und damit natürlich auch alle kommunistischen WiderständlerInnen, sondern es bot sich zudem die Möglichkeit, die Individuen aus ihrer Sozialität zu lösen, die Tat und nicht mehr ihre Motivation zu betrachten. Götz Aly sagt das im o.a. Artikel wie folgt: „Doch so verschieden die Rolle einzelner Widerständler, so vielfältig ihre Motive zum Widerstand gegen Volk und Führer gewesen sein mochten, der gewaltsame Tod hatte die Hingerichteten gleich gemacht – gleich auch in ihrer Distanz zu den überlebenden Mehrheitsdeutschen.“
Wir tanzen aus der Reihe!
Goerdeler soll der Mehrzahl der Deutschen als willkommene Figur dienen, sich aus der Geschichte des Nationalsozialismus und der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden zu stehlen. Und zwar soweit, wie es einer normalisierten Geschichte dienlich ist. Mit dem Goerdeler-Denkmal soll öffentlich klar gemacht werden, welches Verständnis vom Nationalsozialismus sich das wiedervereinigte Deutschland zugrunde legt. Die Lehre, die hier aus dem Nationalsozialismus gezogen wurde, heißt: Nie wieder einen Krieg verlieren. Dies ist auch die Botschaft, auf die es die Berliner Republik ankommt: Die Nation als Höchstwert – jenseits aller Wandlungen in der Art des Regierens. Die Denkmalsetzung für Goerdeler ist Bestandteil einer von so gut wie allen Deutschen getragenen Geschichtsoffensive, die 1985 begann und mit der Wiedervereinigung enormen Auftrieb erhielt: Die deutschen Verbrechen sollen auf ein greifbares Maß reduziert werden und so ihren einmaligen Charakter verlieren, so daß das Vermächtnis – wegen Auschwitz – trivial und jederzeit erfüllbar scheint – insbesondere via außenpolitischer Großmachtpolitik und der Fortsetzung mittels militärischer Intervention.
Außerdem soll der, wenn auch äußerst marginale aber dennoch vehemente, Widerstand insbesondere der deutschen Kommunistinnen und Kommunisten dadurch geleugnet werden, daß mit den „Männern des 20. Juli“ eine Monopolisierung des „deutschen Widerstandes“ einhergeht. (In Leipzig beispielsweise dadurch symbolisiert, daß das ehemalige Georgi Dimitroff-Museum wieder in Reichsgericht umbenannt wurde.) Bei diesem Unterfangen aus der Reihe zu tanzen und dagegen Widerstand zu leisten, sehen wir als Linke, Antifaschistinnen und Antifaschisten als unsere Pflicht gegenüber den Opfern der Deutschen. Auch wenn wir in diesem Land wenige sind, müssen wir uns der Geschichtsrevision entgegenstellen, müssen wir benennen, wes Geistes Kind ein Carl Friedrich Goerdeler war. Die entscheidende Fragestellung bei der Bewertung von Goerdeler lautet für uns deshalb: WARUM hat Goerdeler selbst einen Märtyrertod bei seinen Aktivitäten mit einkalkuliert?! Goerdelers Motivation war nicht etwa eine grundlegende Kritik am Nationalsozialismus, sondern lediglich der Versuch der Abwendung einer militärischen Niederlage von Deutschland. Als radikale Linke rufen wir alle auf, sich an den Protesten gegen die Denkmaleinweihung für Goerdeler zu beteiligen.
Die Männer des 20. Juli vom Sockel stoßen!
Den Mythos vom „deutschen Widerstand“ angreifen!
Die Goerdeler-Ehrung am 8. September in Leipzig stören!
[ 1 ] aus dem Bericht des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Ernst Kaltenbrunner, an den Leiter der Parteikanzlei, Martin Bormann, vom 16. Oktober 1944; abgedruckt in: »Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt«, hrsg. v. Hans-Adolf Jacobsen, Bd.I, Stuttgart 1989, S. 447ff., Konkret 07/94, S. 15
Redebeitrag:
Carl Friedrich Goerdeler und die Reichspogromnacht
Wir stehen hier beim Denkmal von Carl Friedrich Goerdeler. Diejenigen, die ihm dieses Denkmal gesetzt haben, betonen vor allem das, wogegen Goerdeler sich gewandt hat. Sie heben hervor, daß er Hitler stürzen wollte, daß er wegen der Entfernung des Mendelsohn-Denkmales als Oberbürgermeister von Leipzig zurückgetreten ist und antisemitische Pogrome, insbesondere auch die vom 9. November 1938 scharf verurteilt hat. Dass Goerdeler auf der anderen Seite die Ernennung von Hitler zum Reichskanzler befürwortet hat und bereits vor den Nürnberger Gesetzen Verordnungen geschaffen hat, mit denen die Juden aus dem öffentlichen Leben Leipzigs immer mehr verdrängt wurden, wird damit gerechtfertigt, daß Goerdeler im Laufe der Zeit einen Lernprozeß durchgemacht habe oder als taktisches Verhalten verharmlost. Tatsächlich war aber Goerdelers Politik immer zielstrebig, direkt und unter anderen durch folgende stark ausgeprägte Haltungen bestimmt: Antisemitismus, Nationalismus und ein erzkonservatives Rechts- und Moralverständnis. Von diesen Haltungen ist Goerdeler in keiner seiner Schriften erkennbar abgewichen.
Sein Entsetzen über die Pogrome und den weiteren Verlauf des Holocaust war echt. Das ist aber kein Argument gegen seinen Antisemitismus. Das, was Goerdeler und die Mehrheit der Deutschen einte, war die Grundlage ihres Antisemitismus. Goerdeler sah in den Juden eine eigene Rasse, die zudem nicht von der deutschen Gesellschaft assimilierbar war, sondern ihr vielmehr schadete. Deshalb, so Goerdeler, müßten die Juden aus der deutschen Gesellschaft entfernt werden.
In dieser Haltung war sich Goerdeler mit allen anderen deutschen Antisemiten einig. Diese Haltung bildete die ideelle Grundlage zur industriellen Vernichtung von 6 Millionen Menschen. Auch wenn Goerdeler den Holocaust verurteilt hat, so hat er ihn doch durch seine eigene antisemitische Politik mit vorbereitet. Durch das Entsetzen Goerdelers über den Holocaust ist es seitens derjenigen, die ihm hier ein Denkmal gesetzt haben, möglich, Goerdeler zum Gegner des Antisemitismus umzudeuten.