Das L-Wort: Annalena Schmidt und die Rassismus-Debatte um „Lumumba“
Patrice Lumumba war ein Freiheitsheld im Kongo – er wurde ermordet. Auf den Weihnachtsmärkten wird gern „Lumumba“ getrunken – Kakao mit Schuss. Kann das Getränk mit diesem Bewusstsein noch so heißen? Annalena Schmidt, Historikerin aus Bautzen, meint: nein. Und trat eine Debatte in Gang.
Im April 1961 bekam die Döllnitzer Straße in Leipzig-Gohlis einen neuen Namen: Lumumbastraße. Patrice Lumumba war 1960 der erste demokratisch gewählte Premierminister der Republik Kongo. Er hatte das Land aus der belgischen Kolonialherrschaft geführt. Nach einem Putsch musste er fliehen, wurde gefasst und am 17. Januar 1961 von den kongolesischen Putschisten unter Beteiligung eines US-Geheimdienstes und mit Wissen der belgischen Regierung ermordet. Straße und Denkmal in Leipzig erinnern an den Unabhängigkeitskämpfer.
Doch auch ein alkoholisches Mischgetränk trägt seinen Namen. Am 2. Dezember postete Annalena Schmidt auf X (Twitter): „Da gerade Weihnachtsmärkte starten und Kakao mit Rum als ,Lumumba’ verkauft wird: Die Bezeichnung des Getränks ist rassistisch! Patrice Lumumba steht für die Unabhängigkeitsbewegung in Afrika! Er wurde erschossen! Und ihr benennt ,Kakao mit Schuss’ nach ihm!“. Über 3000 Kommentare haben sich in den Tagen danach unter ihrer Veröffentlichung gesammelt. Auf der weitaus friedlicheren Plattform Bluesky, wo Schmidt ebenfalls aktiv ist, waren es bis Freitag rund 60.
„Solidarischer Beiklang“ statt Rassismus
Annalena Schmidt kam 2015 aus Hessen nach Sachsen, engagierte sich für Geflüchtete und gegen Rechtsextremismus, saß von 2019 bis 2020 im Bautzener Stadtrat. Inzwischen arbeitet sie in Dresden bei der Diakonie Sachsen für das Projekt „Demokratie gewinnt! – Haltung zeigen, Verantwortung leben“. Sie habe ihr Hobby zum Beruf gemacht, sagte Schmidt am Freitag am Telefon. Sie habe „überhaupt nicht damit gerechnet“, dass sie so eine Resonanz von Hass bis Zustimmung bekommt.
Schon im vergangenen Jahr habe Tahir Della, der Pressesprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, die Wortwahl kritisiert. „Und da gab es nicht die Riesenwelle“, sagt Schmidt. Sie habe einfach nur am ersten Wochenende der Weihnachtsmärkte und vor dem ersten Advent darauf hinweisen wollen – „für die, die es interessiert“. Sie sei jetzt aber froh, „dass die Debatte ins Laufen gekommen ist, sich immer mehr Texte und Meinungsbeiträge mit dem Thema auseinandersetzen“.
Ihre Intention sei es gewesen, „die Leute, die für Rassismus sensibilisiert sind“, auf den Hintergrund in diesem Fall hinzuweisen. „Und für die Leute, die das Getränk weiterhin so nennen wollen, ändert sich ja nichts. Es will ihnen ja niemand verbieten.“
Dass Rezepte für „Lumumba“ heiß oder kalt seit den frühen 60er-Jahren kursierten, war 2011 in „Brickners Blog“ im Online-Auftritt der österreichischen Zeitung „Der Standard“ zu lesen. Zuvor hatte der Journalist Simon Inou auf Facebook eine ähnliche Diskussion angestoßen. Die Reaktionen ähneln sich: Die einen sehen ein Beispiel für rassistische Benennung wie beim Gebrauch des N-Wortes oder des Z-Wortes. Andere winken ab, auch ein „solidarischer Beiklang“ wird wahrgenommen. Doch mit Beiklängen verhält es sich wie mit der Ironie: Kann immer falsch verstanden werden.
Aufklärung über Patrice Lumumba
Wird der Kakao heißer getrunken, als er gekocht wurde? Annalena Schmidt verlinkt einen Beitrag auf katapult.de. Dort schrieb im April Redakteur Tim Ehlers über die Geschichte des Kongo und die Rolle Patrice Lumumbas. Und über das Getränk: „Klärt euer Umfeld auf und sprecht es in Cafés an, die den alkoholhaltigen Kakao unter diesem Namen verkaufen. Bedenkt dabei: Die allermeisten benutzen diese Bezeichnung aus Unwissenheit. Alternative Namen wären etwa Tote Tante oder Kakao mit Schuss.“
Nüchtern betrachtet zeigt ein Blick auf die Namen berühmter Mixgetränke, dass Konsumenten und Konsumentinnen in Vorfreude auf einen Rausch zu Humor neigen. Ob „Sex on the Beach“, „Zombie“, oder „B52“ – die Bezeichnungen spielen mit der die Sinne verändernden Wirkung ihrer Zutaten. Doch sie beziehen sich nicht auf Personen. Deshalb sind sie nicht menschenverachtend.
Unverhohlene Boshaftigkeit gegen Annalena Schmidt
Das Besondere an der aktuellen Debatte um das Getränk „Lumumba“ ist nicht, dass, sondern wann sie aufflammt. Zum einen geht es um die Herabwürdigung eines afrikanischen Politikers durch Anspielung auf seine Hautfarbe. Auf diesem Gebiet gibt es bereits einen Konsens in der Sprachsensibilität. Vergleichsweise neu ist der öffentliche Umgang mit Kolonialgeschichte, der Blick auf die Folgen kolonialer Ausbeutung.
Seitdem rassistische Stereotype benannt oder überhaupt erst enttarnt werden, sind Meinen und Sagen nicht mehr voneinander zu trennen. Das postironische Zeitalter hat begonnen, und die Wortwahl führt zu Rückschlüssen auf die Parteienwahl. Damit einhergehende Vorgaben, wie sie zum Beispiel beim gendergerechten Sprechen Verletzungen vermeiden sollen, fordern die Kreativität heraus, will man Trends und Vereinfachungen umgehen. Denn nicht die Sprache wandelt sich mal eben so, sondern im guten Fall verändert das Meinen den Sprachgebrauch. Im schlechten Fall allerdings auch.
Die politische Seite des modischen Plapperns
Mit Reaktionen in unverhohlener Boshaftigkeit hat es Annalena Schmidt so sehr zu tun bekommen, dass sie vorübergehend ihr X-Profil verschließen musste. Sie schrieb in der Folge von anonymen Nachrichten und Drohungen. Und bedankte sich gleichzeitig für die Solidarität. Andere Nutzer würdigten die Aufklärung, denn um diskriminierende Begriffe zu vermeiden, muss man sie als solche erkennen. „Krass, hab mir da bisher auch nix weiter bei gedacht“, kommentierte jemand auf Bluesky.
Auch auf der politischen Seite modischen Plapperns, wie beim unbedachten Verwenden herabsetzender oder kontaminierter Begriffe, sind Rückschlüsse von der Sprache auf die Sprechenden nicht immer fair. Das Menschsein bestimmt das Bewusstsein. Und wenn das eine Wort zu überdenken ist, heißt das noch lange nicht, dass ein anderes automatisch zum Guten führt. Es gibt übrigens auch Kaffee mit Rum und Schlagsahne. Weil er den Alkohol tarnt, wird der Trinker zum Heuchler. Das Getränk heißt „Pharisäer“.