because the world is on fire – eine Antwort auf „Schluss mit Feuerwehrpolitik“
Es ist nicht wirklich etwas Neues: In Leipzig hat es ein bisschen geknallt, da kommt neben dem üblichen Geschimpfe in der LVZ, der Pressemitteilung der Bullen und der Empörung aus der Politik noch irgendwer daher, um zu sagen, dass wieder einmal alles falsch gemacht wurde. Wie „Rassismus tötet“ schon auf ihrem X-Account schreiben, gab es schon einiges an solcher Debatte. Zu finden sind die Beiträge bei inventati. Und ob nun dieser Text ausgerechnet en Debatenbeitrag ist, würden wir vielleicht anders bewerten, aber gut, dann antworten wir auch noch auf diesen Text, damit dieser Beitrag nicht so isoliert stehen bleibt und es dann auch eine Debatte gibt. Insgesamt aber ist es für Debatten besser, wenn sich aber mehr Zeit gelassen wird für die Beiträge, damit diese auch eine gewisse Substanz enthalten und nicht nur Ausdruck von Frust oder ähnlichem sind, wie es die Verfasser:innen schreiben: „Der polemische Ton des Textes ist vor allem Zeichen für Wut und Frust, dass so wenig fruchtbares passiert.“ Das ist umso verwirrender, weil ja gerade etwas passiert ist, aber das fällt wohl nicht in den Bereich dessen, was von den Verfasser:innen gewünscht wird.
„Schluss mit Feuerwehrpolitik – warum Leipzig nicht besetzt werden kann“, so heißt der neue Text, und allein die Überschrift lässt doch die Frage zu, seit wann um alles in der Welt das Besetzen von Häusern als „Feuerwehrpolitik“ bezeichnet wird. Das mag ja einfach ein sprachlicher Lapsus sein, aber Feuerwehrpolitik, das ist ja eigentlich der Begriff gewesen, mit dem man auf eine Politik anspielen will, die sich etwa darauf beschränkt „den Nazis hinterherzulaufen“, oder „immer nur zu reagieren, nie zu agieren“, und Hausbesetzungen galten im Grunde immer als ein Beispiel gerade für das Gegenteil von Feuerwehrpolitik. Es ist ja Ausdruck des Selber-Machens, aus eigenem Antrieb aktiv werden usw., sofern es sich eben auf die Errichtung eines sozialen Zentrums oder ähnlichem richtet und nicht einfach aus der eigenen Wohnungsnot resultiert. Und das jemand vorhat gleich ganz Leipzig zu besetzen, das dürfte wohl zuletzt im 2. Weltkrieg der Fall gewesen sein und vielleicht davor dann bei Napoleon, aber eine Hausbesetzung damit zu schmähen, dass das nicht geht, nunja. Im Text selber kommt ja dann auch wieder etwas zur Feuerwehrpolitik, aber der Begriff wird auch da so wenig plausibel gemacht, dass er eher Ausdruck davon ist, dass er ganz falsch und unreflektiert benutzt wird und das sollte man niemandem einfach so durchgehen lassen. Gehen wir mal auf den Text ein.
Da heißt es zu Beginn: „Leipzig hat es als linksradikale Hochburg wieder in die bundesweiten Medien geschafft. Diesmal reichten schon ein paar brennende Barrikaden im Osten der Stadt, nachdem am Tage zuvor ein weiterer Versuche der Gruppe »Leipzig besetzen« gescheitert war und durch die Polizei aufgelöst wurde.“ Was heißt hier diesmal? Wie kommt denn sonst Leipzig als linksradikale Hochburg in die Presse? Wenn, dann doch eigentlich nur dadurch, dass es irgendwelchen Krawall gibt. Für die mediale Berichterstattung ist ja vor allem der Krawall das Handwerk der Linksradikalen, und nichts anderes. Wenn über andere Sachen mal berichtet wird, dann weniger als Teil der linksradikalen Praxis, sondern als Teil von irgendwas anderem, aber eben nicht als Handwerk der Linksradikalen. Vielleicht gilt es dann als hip, progressiv oder einfach nur links, aber wenn es darum geht, dass Leipzig als Hochburg der Linksradikalen genannt wird, dann muss es dafür Krawall geben. Und was heißt hier „diesmal reichten ein paar brennende Mülltonnen“? Dass Mülltonnen auf der Straße brennen und sich drum herum über Stunden Passant:innen und Vermummte aufhalten, das ist ja nicht nur für Leipzig eine Seltenheit, sondern ganz allgemein in Deutschland alles andere als üblich. Es darzustellen, als würde hier durch die Presse aus der Mücke ein Elefant gemacht, verweist wohl darauf, dass die Verfasser:innen des Textes dies ganz persönlich als Belanglosigkeit betrachten und sich wünschten, es würde auch so behandelt, aber dass dies alltäglich ist, ist nicht der Fall.
Nun wird aber vor allem beklagt, dass die Gruppe „Leipzig besetzen“ auf der einen Seite einen als abschreckend eingestuften autonomen Look, auf der anderen Seite aber ganz auf Mitmachen setzt und es wird so dargestellt, als sei dies ein Widerspruch. Dahinter stecken die Gedanke, dass zum einen Autonome ganz allgemein auf alle anderen außer ihnen selbst abschreckend wirken und zum anderen Aussehen und Auftreten von politischen Gruppen sich nicht an dem eigenen Wunsch nach Ausdruck orientieren sollen, sondern daran, wie es eine irgendwie ganz allgemein gedachte Allgemeinheit, die ein ganz allgemeines und gleiches ästhetischen Empfinden besitzt, gerne hätte. Dabei muss es sich um irgendeine Art neutralen Durchschnittsgeschmack an neutraler Kleidung und Frisur handeln, die dann dem Mitmachen nicht im Wege steht. Dass also Menschen, die dem autonomen Look sagen wir mal ganz und gar verfallen sind, ein Interesse haben und dieses auch verfolgen, dass sich jemand ihnen quasi gar aufgrund ihres Looks anschließt, das erscheint wohl so abwegig, dass es in den Bereich des Unqualifizierten und Unmöglichen verdammt wird. Wir schließen daraus einmal: „If you wanna squat a social center – dress normal.“
Dazu muss auch noch unbedingt etwas deutlich gemacht werden: Gerade im Leipiger Osten gehören auch Linksradikale zur Nachbar:innenschaft. Immer wieder so zu tun, als würde man sich nicht an die Nachbar:innen wenden, wenn die Adressat:innen nicht irgendwie der linksradikalen Szene zugehörig sind, dass mag für Gegenden stimmen, wo dann außerhalb des Kreises der Besetzer:innen niemand anderes Linksradikales übrig bleibt, wie es in Städten mit kleinen Szenen dann der Fall ist – geschenkt. Aber das ist in Leipzig nicht so. Und es sind bei der Heliumbesetzung einige Menschen vorbeigekommen und auch welche, die schon eher der Rand der Linksradikalen Szene zuzuordnen sind. Darüber einfach so hinwegzugehen, weil die, die die radikale Linke eh nicht schätzen, nicht kommen, ist vielleicht auch eher Ausdruck des eigenen Traums, mit den eigenen Botschaften in die hinter der harten Schale liegenden unvoreingenommenen Herzen der Masse vorstoßen zu können.
Dass es bei dem Besetzungsvorhaben, wie dann aus dem Mitmachkonzept von „Leipzig besetzen“ abgeleitet wird, eher um etwas Symbolisches geht, als darum, tatsächlich ein Haus zu besetzen, mag sogar sein. Zumindest das aber ist nachvollziehbar, dass jemand, der eh davon ausgeht, ganz fix geräumt zu werden, sich nicht wirklich konkret etwas dafür überlegt, was gemacht wird, wenn überraschenderweise nicht geräumt wird. Allerdings wäre die Kritik daran doch eher, dass es ja sehr wohl gelingen kann, ein Haus länger als 24 Stunden zu besetzen, zuletzt ja bei der Luwi-Besetzung, die doch noch gar nicht so lange her ist. Woher dann die magische 24 Stunden-Grenze kommt, ist daher unklar, noch unklarer aber ist es, wenn dann weiterführend gesagt wird: „Dass das Helium als erste Besetzung seit Jahren mal die magischen 24 Stunden geknackt hat, lässt sich wohl damit erklären, dass man entweder zu wenig Beamt*innen hatte oder sich die Mehrkosten für einen Einsatz am Sonntag nicht gelohnt hätten. Ein linker Erfolg ist es aber nicht.“
Bäm! Kein Erfolg, da habt ihr es. Wer legt denn das fest, beziehungsweise wo können wir denn einsehen, was es an linke Erfolgen gab in den letzten Jahren? Gerade in Bezug auf Gentrifizierungen gibt es wohl richtige Erfolge nicht vorzuweisen, weswegen es auch umso wichtiger ist, dem Missfallen darüber, wie es läuft, einen deutlichen Ausdruck zu verleihen und zwar gerade weil es in der Ausgestaltung der Stadt kein Feld ist, in welchem Selbstbestimmung und Partizipation der Bewohner:innen der Stadt vorgesehen ist. Damit jedenfalls in die Öffentlichkeit zu kommen, ist sehr wohl als Verdienst anzusehen und auch als Erfolg. Eine Politik zu wollen, die nur macht, was auch ein abzählbares und konkretes Ergebnis erbringt, ist ja von vornherein auf Opportunismus und die Unterwerfung unter das Bestehende verwiesen, dass es naheliegt, gleich in eine etablierte Partei einzutreten, um dann den eigenen ach so konkreten und wichtigen Bestrebungen im Endeffekt genausowenig konkreten Ausdruck und Wirkung verleihen zu können, wie es hier „Leipzig besetzen“ angekreidet wird.
Wofür „Leipzig besetzen“ jetzt aber definitiv nichts kann, ist was dann als nächster Vorwurf kommt: „Nachdem jahrelang antifaschistische Feuerwehr-Politik in der Leipziger Linken im Zentrum stand und seit den Protesten in Schneeberg im Winter 2015 mindestens wöchentlich organisierte Anreisen ins Umland und die Randbezirke stattfanden bis ein Großteil der antifaschistischen Aktivist*innen ausgebrannt war, geht es heute wohl mehr um Feuerwerk-Politik: Ein kurzes Spektakel und am Ende kriegt man einen Stock auf den Kopf.“ Das ist ja eher eine sehr überraschend auftauchende Kritik an der Antifabewegung in Leipzig seit 2015, also gut gleich mal 8 Jahren und das in sage und schreibe: Einem Satz. Mag sein, dass das manche Antifas ausgebrannt hat, aber was wäre denn die gute Alternative gewesen? Nicht hinzufahren? Einfach abwarten und zugucken, während man irgendwelche Nicht-Feuerwehrpolitik betreibt? Wie nennt man das gleich, Realpolitik? Das wird übrigens auf vielen Dörfern, in die man dann trotzdem fahren muss, auf die genau gewünschte Weise, nämlich ohne Hassi und Balaklava gemacht, nämlich von der Linkspartei, den Grünen und zum Teil von der SPD, die da versuchen den rechte Strukturen etwas Langfristiges entgegenzusetzen, mit erheblich mehr Möglichkeiten, als wir das als Szene haben. Wie erfolgreich ist denn das? Dass immer wieder neue Vorfälle dazu führten, dass Antifas aus Leipzig in die Provinz gefahren sind, wurde damit jedenfalls nicht überflüssig gemacht. Und was überhaupt soll das mit dem Stock auf den Kopf? „Denn den Stock gab es am Ende immer.“ Wer bekommt denn hier am Ende immer einen Stock auf den Kopf? „Ein ums andere Mal wird jede Besetzung mit Repression überzogen. Ein ums andere Mal rücken die Hundertschaften an und ein ums andere mal tragen wir alle zusammen die Folgen. Und das ohne irgendwelche Erfolge.“
Das stimmt doch einfach gar nicht. Es gibt doch gar nicht immer „einen Stock auf den Kopf“, gerade bei Hausbesetzungen, um die es ja nun wieder geht, geht es doch gar nicht um so viel Repression und auch nicht um hohe Kosten. Und wenn, dann tragen wir die selbstverständlich solidarisch und wer da nichts dazugeben will, der lässt es doch einfach. Niemand muss doch hier ständig in die Tasche greifen, um schon wieder eine dieser nutzlosen Hausbesetzungen zu finanzieren. Oder doch? Wir weigern uns jedenfalls zu glauben, dass sich wegen der paar Hausbesetzungen sich hier irgendwer in die Armut gespendet hat, um die Kosten, die daraus entstanden, mitzutragen. Oder sind hier etwa gar die politischen Kosten gemeint? Ausführungen jedenfalls fehlen. Aber das hat uns gefallen: „Folgen ohne Erfolge“. Wir schlagen vor, diese tolle Wortfigur das nächste Mal noch weiter auszubauen, am besten mit Begriffen wie „verfolgen“: Es gibt Folgen ohne Erfolge, aber stattdessen werden wir verfolgt. Oder vielleicht was mit Staffeln: Ist die Folge schlecht, wird auch die Staffel kein Erfolg.
Der Vorwurf jedenfalls wird noch ausgeweitet: „Die Besetzungen werden nicht gehalten, in der Stadt gibt es keine nennenswerte Diskussion über Wohnraum und Leerstand oder Kritik an der Warenförmigkeit von städtischem Raum.“ Da können wir ja nur wieder sagen: Diese Debatten gibt es, aber vielleicht sind sie nicht „nennenswert“. Allerdings fehlt uns hier auch das besondere Wissen, ab wann eine Debatte nennenswert geführt wird. Wir haben den Eindruck, dass dazu doch dann auch nennenswerte Leute gehören. Wenn jetzt zB wir mit irgendwem, den wir kennen, darüber debattieren, dann ist das sicherlich nicht nennenswert, wenn aber die LVZ Burkhardt Jung dazu interviewt, ist es dann vielleicht nennenswert? Dass es aber keine öffentliche Debatte über Leerstand und bezahlbaren Wohnraum gibt, das ist einfach allgemeine Blindheit gegenüber der öffentliche Debatte. Denn in dieser spielt das Problem mit bezahlbarem Wohnraum und Verdrängung sehr wohl eine Rolle, nur ändern tut sich nichts. Was glauben denn die Verfasser:innen des Textes: Dass nur noch die richtigen Inhalte in die Debatte müssen, damit sich etwas ändert? Das ist offen gesagt ziemlich leichtgläubig. Vor allem, wenn man auch noch glaubt, durch geschicktes eigenes Handeln selbst zu denen zu gehören, die in die Debatte mit einsteigen, in eine Debatte freilich mit den nennenswerten Leuten und das man dann etwas anderes ist als ein:e Statist:in. Wir geben diesbezüglich einmal den Tipp, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie es sein kann, dass selbst die nennenswerten Leute etwas statistenhaftes an sich haben und selbst diejenigen, die Willens sind, etwas an den Umständen zu ändern, dafür keinen wesentlichen Handlungsspielraum finden. Kleiner Powertipp: Es hat etwas mit ‚Kapitalismus‘ zu tun. Und jetzt ein ganz kleiner Nachtrag und nur weil der Absatz damit endet, der Satz „Am Ende verpuffen die Besetzungen wie Silvesterraketen.“ ist so lahm, dass er fast schon wieder gut ist. Aber nur fast.
Jetzt kommen wir aber zum grande Finale des Textes. Denn weil ja nun erläutert wurde, dass das mit dem Besetzen nix ist, wird nun noch schnell gesagt, was stattdessen gut ist: Mit den Betroffenen der Ungerechtigkeit Bündnisse schließen und sich dabei am wahnsinnig guten Vorbild der Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ orientieren. Da passt nämlich alles, keine Vermummten, Organizing und Kampagne, Berliner*innen, die Frage „wem gehört die Stadt“, kein Stock aufm Kopp, aufgeplatzte Szenebubble, mit der wir eh nix machen können (nicht mal Reformen!), usw., alles in allem megamäßige Erfolge, oder wie wir wohl besser sagen sollten: Erfolge ohne Folgen (Zäpp! Wer hat’s gemerkt?), weil so wahnsinnig erfolgreich die Kampagne auch ist, hat ja die Verknappung des Wohnraums in Berlin einen aktuellen Rekordstand erreicht und den Leuten dort geht es auch nicht um mehr als um ihre eigene bezahlbare Bude. Wenn gar nichts mehr geht, ist man da sogar bereit sich von Linksradikalen ein x für ein o verkaufen zu lassen. Das ist aber gar kein Erfolg, sondern nur Ausdruck der Verzweiflung derjenigen, die um ihren Wohnraum in der Stadt bangen müssen. Es ist jedenfalls nicht der Erfolg des adretten Kleidungsstils ohne Balaklava und mit sonstwie vorbildlichem Verhalten. Wir sind fernab davon, uns darüber zu täuschen, dass Krawall auf der Straße die Veränderung zum Besseren mit sich bringt. Und wir wollen hier keine Versöhnung über diese Frage herstellen, wo wir nicht zu versöhnen sind und daran scheint sich ja bei aller Wiederholung der Debatte nichts zu ändern. Aber: Gerade gegenüber den versteinerten Verhältnissen ist auch ein ohnmächtiges Feuer auf der Straße bisweilen einfach nur das: Ein Zeichen der Lebendigkeit.
Und manchmal muss auch einfach nur ein Zeichen gesetzt werden.