NSU: Zschäpe spricht von wachsender Panik ihrer beiden Komplizen

Ahnten die Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, dass das Ende nahte? Das deuten Aussagen von Beate Zschäpe gegenüber dem bayrischen NSU-Ausschuss an. Nur hakte an der Stelle keiner so richtig nach.

Die verurteilte Rechtsterroristin Beate Zschäpe hat nicht ausgeschlossen, dass es weitere, noch unentdeckte Morde und Anschläge der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gegeben hat. Morde und Anschläge, von denen sie selbst nicht wisse. Zu denen ihre beiden seit 2011 toten Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sie vielleicht nie informiert hatten. Das sagte Zschäpe in ihrer Vernehmung durch den zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags. Zschäpe nahm in ihrer ganztägigen Vernehmung, deren mehr als 200-seitiges Wortlautprotokoll die „Freie Presse“ komplett ausgewertet hat, Bezug auf den sogenannten Taschenlampen-Anschlag.Von diesem habe sie, wie auch die Öffentlichkeit, ja erst auf der Anklagebank am Oberlandesgericht München erfahren. Unter Tränen hatte der reuige NSU-Helfer Carsten S. im NSU-Prozess davon berichtet, wie er den beiden Männern aus dem NSU-Kerntrio im Jahr 2000 jene Ceska-83-Pistole von Jena nach Chemnitz gebracht hatte, die dann zur namensgebenden Waffe der Ceska-Mordserie an neun ausländischstämmigen Kleinunternehmern wurde. Beim Treffen im Café des früheren Chemnitzer Kaufhofs hatten Mundlos und Böhnhardt geprahlt. Konkret damit, ein Jahr zuvor in einer Nürnberger Gaststätte bereits einen in einer Taschenlampe verborgenen Sprengsatz platziert zu haben. Als Beate Zschäpe zum Gespräch im Café dazukam, hätten die Uwes mit einem Zischlaut klar gemacht, das Thema nicht weiter zu erwähnen. Erst mit Carsten S.‘ Aussage im Prozess wurde der Anschlag in einer türkischen Gaststätte, bei dem am 24. Juni 1999 ein junger Mann schwer verletzt worden war, dem NSU zugeordnet.

Anhaltspunkte für weitere, auch heute noch unbekannte Anschläge nannte Zschäpe in ihrer jetzigen Vernehmung indes nicht. Ihre Aussage, keine weiteren Anschläge ausschließen zu können, knüpfte somit nur nahtlos an ihre Darstellung aus dem Prozess an, dass sie von Anschlägen ja nie im Voraus, sondern immer erst nach dem Geschehen erfahren habe.

Erneut bohrten Ausschussmitglieder nach, ob Zschäpe nicht doch auch selbst an Planungen beteiligt gewesen sei. Einen solchen Beweis zu führen, war selbst der Bundesanwaltschaft im Prozess nur über Indizien gelungen. Allein ein Beweisantrag von Opferanwalt Yavus Narin förderte Beweise zutage, dass Zschäpe für einen möglichen Anschlag auf die Berliner Synagoge diese wohl selbst mit ausgespäht habe.

Auf das erneute Bohren reagierte Zschäpe bei ihrer Vernehmung in der Chemnitzer Haftanstalt jetzt auch unwirsch: „Ich habe nichts mit ausspioniert. Ich bin aber trotzdem mit daran schuld. Und da macht es für mich jetzt auch keinen Sinn, sage ich mal jetzt, da drüber zu reden. Ich bin schuldig.“

In der Tat: Nachdem das Urteil zu Zschäpes vollumfänglicher Mitschuld und zu deren „besonderer Schwere“ vom Bundesgerichtshof höchstrichterlich bestätigt wurde, ist der Sinn darin doch sehr fraglich, sich erneut in der Schuld-wegen-Mitwisserschaft-Frage zu verbeißen. Zumindest wenn es darum geht, nach wie vor offene Fragen und unbestimmt zerfaserte Stränge des Kriminalfalls zu beleuchten. Und derer gibt es schließlich genug.

Genau an einer solchen Stelle, hörte der Ausschuss allerdings auf, zu fragen, als es in Zschäpes Aussage gerade spannend wurde. Der Abgeordnete Arif Tasdelen konfrontierte Zschäpe mit einer Einschätzung, die nur jemand treffen konnte, der bestimmte Details des Falls nicht kennt: „Vor allen Dingen, glaube ich auch, dass man, wenn man mordend in der Republik rumfährt, irgendwann auch das Gefühl dafür verliert, dass man erwischt wird, und sich auch unsterblich fühlt“, sagte Tasdelen zu Zschäpe.

Angesichts der zumindest ab den Zwickauer Unterschlupfen stets gewachsenen scheinbaren Paranoia eine schräge Schlussfolgerung. Nachdem das Trio aus der Polenzstraße weggezogen war, von wo sämtliche Morde koordiniert worden waren, teilte das Trio nicht nur die neue Wohnung an der Frühlingsstraße in zwei Teile auf, von denen der größere hinter einer verschiebbaren Wand verborgen war. Auch setzten die Komplizen nicht nur Panzerriegel auf die Wohnungstür. Die Fenster und Blumenkästen wurden mit nach außen gerichteten Kameras versehen. Fotos vom Haus belegten im Prozess, dass weitere Kameras an der Frontseite erst anderthalb Wochen vor dem Auffliegen beziehungsweise der Selbstenttarnung des NSU angebracht worden waren. Anderthalb Wochen, bevor mutmaßlich Mundlos, sich und Böhnhardt im bereits angezündeten Wohnmobil in Eisenach erschoss. Selbst am Wohnmobil hatten die beiden Männer zum Schluss Außenkameras angebracht, um ihr Umfeld jederzeit im Blick behalten zu können. Also eher keine Anzeichen von Übermut, von Unsterblichkeit!

Genau so reagierte auch Zschäpe auf den Satz des Abgeordneten Tasdelen. „Das sehe ich anders … Ich bin der Meinung bezüglich der beiden, dass sie immer nervöser geworden sind. Also diese Kameraüberwachung und was wir alles Mögliche so hatten. Die gemacht wurden an Türen, falls jemand reinkommt … also ich habe es nicht entspannter empfunden. Ich habe es nachteilig immer mehr empfunden, dass diese Panik, erwischt zu werden, Mal zu Mal gestiegen ist. So habe ich das wahrgenommen“, sagt Beate Zschäpe. Sie beschrieb auch, wie die Männer später sofort zur Waffe griffen, wenn jemand unangekündigt an der Tür klingelte. „Also an solche Sachen habe ich festgemacht, warum es für sie eigentlich unruhiger wurde, als dass es ruhiger wurde.“

Keine Rückfrage nach den Ursachen der Panik der Komplizen. War das reine Paranoia im Untergrund? Oder gab es Gründe? Gründe für den Umzug von der Polenz- zur Frühlingsstraße? Gründe für den Ausbau der dortigen Wohnung im ersten Stock zur Festung? Gründe für wuchernde Überwachungstechnik, die schließlich auch die genutzten Fahrzeuge sicherer machen sollte?

Welche Rolle übrigens der V-Mann-Führer Andreas Temme vom hessischen Verfassungsschutz gespielt habe, der beim letzten Mord der Ceska-Serie am Kasseler Tatort zugegen war, darauf könne sie sich keinen Reim machen, sagte Zschäpe. Sie habe Temme nicht gekannt.


Verlinkte Artikel:

https://www.freiepresse.de/FILES/SERVICE/314_der_im_naziuntergrund_graebt.pdf

https://www.freiepresse.de/FILES/SERVICE/313_die_letzten_fragen_zum_nsu.pdf

https://www.freiepresse.de/FILES/SERVICE/294_luegen_mit_zu_langen_beinen.pdf