Leipziger Polizei räumt Fehler beim Einsatz am „Tag X“ ein
Die Polizei hat eingeräumt, dass bei der Einschließung von Demonstrierenden am 3. Juni in der Leipziger Südvorstadt einiges schiefgelaufen ist. Ausgangspunkt dabei war eine falsche Einschätzung, wie viele Menschen eingekesselt wurden. Die Polizei ging anfangs von bis zu 400 Menschen aus, es waren aber mehr als 1.000. Dadurch verzögerte sich der Einsatz bis tief in die Nacht. Probleme gab es auch bei der Kommunikation mit den Demonstrierenden und Versorgung der Eingeschlossenen.
- Polizeipräsident Demmler erklärt, wie es zur „Einkesselung“ kam
- Identitätsfeststellung zog sich über Stunden hin
- Hunderte Handys wurden eingezogen
- Probleme bei der Versorgung der Eingeschlossenen
- Massenhaft Verfahren wegen Anfangsverdacht auf Hausfriedensbruch
Die Leipziger Polizei hat Fehler beim Einsatz am 3. Juni gegen Teilnehmer einer Demonstration in der Südvorstadt eingeräumt. Polizeipräsident René Demmler sagte dem MDR, die Einsatzleitung sei bei der Umschließung zunächst von einer falschen Zahl Menschen ausgegangen.
Nach Polizeiangaben erfolgte die Schätzung von etwa 300 bis 400 Eingeschlossenen vom Hubschrauber aus sowie durch Einsatzkräfte vor Ort. Die Polizei begründete die große Differenz zur tatsächlichen Zahl von mehr als 1.000 Menschen im Kessel mit der unübersichtlichen Lage am Schützplatz in der Leipziger Südvorstadt. Bäume hätten die Sicht von oben und Büsche die Sicht am Boden beeinträchtigt.
Demmler zufolge wurden bei der angemeldeten Demonstration am 3. Juni am gegenüber liegenden Alexis-Schumann-Platz etwa 1.500 Menschen gezählt. Davon seien von sogenannten Tatbeobachtern 200 als gewaltbereit und weitere als „gewaltsuchend“ eingestuft worden. Etwa 1.000 Einsatzkräfte seien vor Ort gewesen.
Polizeipräsident Demmler erklärt, wie es zur „Einkesselung“ kam
Demmler schilderte, bei der Demo am Schumann-Platz habe es Brände auf der Freifläche und an Containern gegeben. Zu dem Zeitpunkt habe sich die Polizei mit der Versammlungsleitung noch um eine friedliche Durchführung bemüht. Am frühen Abend habe die Polizei dann wahrgenommen, dass sich Demo-Teilnehmer vermummten, Steine sammelten und sich Gruppen außerhalb des Veranstaltungsgeländes sammelten.
Die Polizei forderte nach Demmlers Worten daraufhin die Kundgebungsteilnehmer auf, die Vermummung abzulegen und habe Zwangsmaßnahmen angedroht. Dann habe es vereinzelt Angriffe auf der Karl-Liebknecht-Straße auf Polizeibeamte gegeben und Pyrotechnik sei verwendet worden. Die Polizei habe wiederholt friedliche Kundgebungsteilnehmer aufgefordert, sich von gewaltbereiten zu trennen und das Gelände zu verlassen. Als dann Steine und ein Brandsatz geflogen seien, habe die Einsatzleitung sich zur Einschließung der verbliebenen mutmaßlichen Gewalttäter und Gewaltbereiten entschlossen. So sollte eine Eskalation und Ausbreitung der Gefahrenlage verhindert werden.
Letztendlich wurden die verbliebenen Personen umstellt, um die Lage einzufrieren und Gefahr abzuwenden.
Unklar blieb zunächst, ob der zuständige Bereitschaftsrichter auch auf Basis der zunächst viel geringeren Schätzung möglicher Betroffener der Einschließung zustimmte – ein wichtiger Punkt bei der Frage der Angemessenheit.
Identitätsfeststellung zog sich über Stunden hin
Die Fehleinschätzung der Polizei bei der Zahl der Eingeschlossenen zog dann am Abend verschiedene Probleme nach sich. Dass es sich um etwa 1.000 Menschen handelte, wurde der Polizei nach Aussage von Demmler erst später klar.
Infolge der hohen Zahl der Menschen im „Kessel“ dauerte die Identitätsfeststellung viel länger als erwartet. Laut Demmler musste die Zahl der Kräfte zur Aufnahme der Personalien „nachgebessert“ und der Umfang der Befragung später beschränkt werden. Auch die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Eingeschlossenen habe dazu geführt, dass sich der Einsatz bis spät in die Nacht hingezogen habe.
Insgesamt seien 1.040 Personalien aufgenommen worden – darunter 87 Jugendliche und zwei Kinder. Die Kinder seien ihren Erziehungsberechtigten übergeben worden. Die Minderjährigen seien nicht vernommen worden und man habe versucht, ihre Eltern zu erreichen. Mehr als die Hälfte der erfassten Personen stammte Demmler zufolge nicht aus Sachsen, etwa 20 seien ausländische Staatsbürger.
Hunderte Handys wurden eingezogen
Demmler zufolge wurden von den Eingeschlossenen im Zuge der kriminaltechnischen Bearbeitung etwa 300 Handys bzw. Smartphones einbehalten. Diese würden nun als Beweismittel ausgewertet. Bei Widerspruch gebe es eine Einzelbewertung zur Beschlagnahmung. Die Polizei machte keine Angaben dazu, wie lange die Datenauswertung dauert, welche Daten wofür ausgewertet werden und wann die Betroffenen ihre Geräte zurückerhalten.
Probleme bei der Versorgung der Eingeschlossenen
Polizeichef Demmler zeigt sich im Nachgang auch selbstkritisch bei der Kommunikation der Polizei und Versorgung der über Stunden eingeschlossenen Menschen. Sprechchöre hätten die Ansprachen der Polizei übertönt, individuell und durch ein Kommunikationseinsatzteam sei man nicht durchgedrungen – auch aufgrund mangelnder Bereitschaft der Eingeschlossenen. Die Polizei hätte jedoch länger versuchen müssen, die Demonstrierenden über Lautsprecherwagen zur Lage zu informieren. Da müsse man besser werden.
Zur Versorgung der Eingeschlossenen sagte Demmler, es seien Wagen zur Wasserversorgung und auch Toiletten bereitgestellt worden. Auch Rettungskräfte der Stadt seien vor Ort gewesen. Der Leipziger Polizeichef räumte zugleich ein, dass das Klo der Bundespolizei kaputt gewesen sei. Außerdem standen die Toiletten außerhalb der Umschließung, die Nutzung sei mit einer Identitätsfeststellung verbunden gewesen. Demmler zufolge wurde den Eingeschlossenen auch Essen bereitgestellt, das aber nicht genutzt worden sei.
Daneben seien sogenannte Demosanitäter aktiv gewesen. (Red.: Das ist medizinisch geschultes Fachpersonal, das bei politischen Kundgebungen ehrenamtlich Ersthilfe leistet.) In Einzelfällen kam es Demmler zufolge möglicherweise zu Behinderungen. Dazu hätte mit den Einsatzkräften besser kommuniziert werden müssen. Diese Demosanitäter haben nach Worten von Demmler sogar bei der Kommunikation zwischen Polizei und Eingeschlossenen geholfen.
Massenhaft Verfahren wegen Anfangsverdacht auf Hausfriedensbruch
Demmler erklärte dem MDR auch, wie es nun mit den etwa 1.000 erfassten Personen weitergeht. Demnach werden Verfahren eingeleitet und der Anfangsverdacht auf schweren Hausfriedensbruch und mögliche Gewalthandlungen geprüft. Dabei gehe es um Straftaten vor der Einschließung. Er halte die Entscheidung zur Festsetzung und Identitätsfeststellung grundsätzlich für angemessen. Insgesamt zog er ein gemischtes Fazit zu dem Einsatz am 3. und 4. Juni 2023 in der Leipziger Südvorstadt. Man habe Gewalt verhindert, doch es habe beim Einsatz auch Fehler gegeben.
Die taktischen Ziele zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit in Leipzig wurden erreicht. Im Bereich der Umschließung gab es Defizite.
Die Staatsanwaltschaft Leipzig informierte im Zusammenhang mit den gewalttätigen Ausschreitungen am 2. und 3. Juni 2023 in Leipzig über zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen bekannte und unbekannte Beschuldigte, insbesondere wegen des Tatvorwurfs des Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall, des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und der gefährlichen Körperverletzung.