Protest gegen Flüchtlingsunterkunft – „Das trifft einen schon bis ins Mark“ – Laußigs Bürgermeister zu Beleidigungen und Falschbehauptungen

Nach der Demo gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Laußig geriet Bürgermeister Lothar Schneider in die Kritik, er habe Verständnis für rechtsextreme Demonstranten. Hat er das wirklich? Und wie geht er mit Beleidigungen gegen sich und seine Familie um?

In Laußig haben am Donnerstagabend rund 280 Bürgerinnen und Bürger gegen eine mögliche Unterkunft für Flüchtlinge demonstriert. Danach sorgten Äußerungen des Bürgermeisters der kleinen Gemeinde für Kritik. Der parteilose Lothar Schneider soll seine Zustimmung zu fremdenfeindlichen Parolen geäußert haben. Den Protestzug gegen eine geplante Geflüchtetenunterkunft hatten auch Mitglieder der Kleinstpartei Freie Sachsen mitorganisiert, die vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird.

Später berichtete unter anderem DER SPIEGEL, dass Schneider Verständnis für rechtsextreme Demonstranten äußerte und stellte den Bürgermeister in die rechte Ecke. Betrachtet man die Ereignisse in Laußig genauer – und spricht mit Lothar Schneider – stellt man fest, dass vieles von dem, was berichtet wurde, ersichtlich überzogen ist.

Schneider: Wir haben seit 2015 Flüchtlingsfamilien in Laußig

Herr Schneider, fühlen Sie sich nach dem Donnerstagabend allein gelassen?

Ich stehe zu meiner Kritik an der derzeitigen Asylpolitik. Wir nehmen zwar Asylsuchende auf, aber ich sehe nicht, dass unser Staat auch nur annähernd eine erkennbare Strategie hat. Nehmen wir doch mal den syrischen Bürger als Beispiel. Er bekommt hier eine Unterkunft und er wird versorgt. Das ist so weit auch in Ordnung. Aber wie bringe ich ihm unsere Gesellschaftsform und unsere Sprache bei – all das ist leider nicht mit klugen Ideen untersetzt.

Wir haben seit 2015 Flüchtlingsfamilien in Laußig und haben die Integration nach unserem System vorgenommen. Wir bringen sie von Beginn an dazu und helfen dabei, in allen Lebenslagen Deutsch zu lernen, zu sprechen, auch wenn es erstmal nur ein paar Sätze sind. Egal, ob sie mit dem Bus nach Bad Düben wollen, zum Arzt müssen oder Einkaufen gehen. Und wir sagen ihnen, dass sie Termine und Zeiten einhalten müssen. Wir sind gut damit gefahren, dass wir den Kontakt gesucht haben, indem wir ihnen unsere Regeln und unsere Mentalitäten nahegebracht haben. Die große Politik vermittelt aber aktuell Angst, bietet keine Lösungen an.

Für die Bürger bleiben viele Fragen offen. Wir brauchen bei diesem Thema mehr Transparenz, damit die Gerüchteküche nicht weiter brodelt. Das führt dann auch zur Verdrossenheit bei denen, die helfen wollen und auch, wie Lützerath gezeigt hat, zur Radikalisierung von gutem Willen.

Jetzt sind in Laußig viele Falschinformationen im Umlauf. Unter anderem wird verbreitet, es sei längst entschieden, dass eine Flüchtlingsunterkunft im Ort eingerichtet wird. Was stimmt davon?

Ganz deutlich gesagt: Es gibt keine Entscheidung, dass die Ex-Grundschule Flüchtlingsunterkunft wird. Es gibt noch keinen Vertrag. Richtig ist, dass der Landkreis entsprechende Möglichkeiten geprüft hat. Es gibt aber weder eine Zahl an Flüchtlingen, noch wissen wir, aus welchen Ländern sie kommen. Bisher waren lediglich Firmen im Gebäude, um zu prüfen, ob es überhaupt als Unterkunft geeignet ist. Die Tafel hat im Gebäude ihren Sitz und das soll auch so bleiben.

„Laußiger Bürger haben berechtigte Nöte und Sorgen“

Wann fällt die Entscheidung?

Wenn der Landkreis an uns herantritt und einen Vertrag vorlegt. Bis jetzt sehe ich das nicht. Im Moment sehe ich den Bund und den Freistaat in erster Linie in der Pflicht, die steigende Anzahl von Geflüchteten unterzubringen.

War Ihnen bekannt, dass sich unter den Demonstranten auch Mitglieder der rechtsextremen Freien Sachsen befunden haben? Es waren immerhin Fahnen zu sehen.

Nein. Zu denen habe ich nicht gesprochen und die habe ich auch nicht gemeint. Ich habe zu unseren Laußiger Bürgerinnen und Bürgern gesprochen, die ihre berechtigten Nöte und Sorgen haben. Steigende Asylzahlen und ständige Krisenwarnungen führen bei vielen Bürgern zu Angst und Verunsicherung. Sie haben ein Recht darauf, dass ihre Sorgen mit Lösungen aus der Welt geschafft werden. Ich habe nicht zu denen gesprochen, die der Meinung sind, wir lösen die Probleme mit Krawall. Dies in so einer Situation wie am Donnerstagabend auseinanderzuhalten, ist allerdings schwer.

Bürgermeister von Laußig: Die Menschen sind im Vorfeld belogen worden

Warum haben Sie versucht, rund eine halbe Stunde einen Dialog zu führen, der angesichts der aufgeheizten Stimmung offensichtlich kaum Aussicht auf Erfolg hatte?

Nochmal. Ich verstehe die Bürger – und da bleibe ich dabei – sie haben ein gutes Recht darauf, dass politische Verantwortungsträger Antworten auf ihre Fragen geben, auch wenn sie unbequem sind. So nehme ich meinen Job wahr. Ich habe die politische und gesellschaftliche Verantwortung, aber auch die für unsere Bevölkerung. Für mich waren die Menschen wichtig, die Sorgen und Nöte haben. Und die sind im Vorfeld belogen worden, weil sie nach den kursierenden Informationen der Meinung sein mussten, da oben steht einer, der fragt mich nicht, der entscheidet einfach über mich hinweg und hört mich nicht mal an.

Das muss der verantworten, der diese Falschinformationen gestreut hat. In den sozialen Medien existierte aber auch der Aufruf, dass die Leute eine Erklärung von mir wollen. Damit habe ich kein Problem und mir war wichtig, dass ich die Möglichkeit bekomme. Also habe ich es im Rahmen des Möglichen versucht. Anders ging es nicht.

Hätte es einen anderen Weg der Verständigung gegeben, wenn die Demo nicht stattgefunden hätte?

Ich sage ja, wir wären auf anderer Ebene ins Gespräch gekommen. Da wäre sicher auch der ein oder andere laut geworden, aber wir hätten vernünftig über Lösungen, Verfahrensweisen und Auswirkungen reden können. Ich behaupte mal, da wären auch viele Menschen mitgegangen.

Es gab heftige Kritik, dass Sie die Gemeinderäte nicht früher über die Pläne des Landratsamtes informiert haben.

Auch ich bin nicht fehlerfrei. Ich bin als Bürgermeister mit der Situation konfrontiert worden, dass weitere Flüchtlinge kommen. Konkrete Angaben gibt es bis heute nicht. Ich habe aber auch gesagt, wir müssen uns vorbereiten. Ich will wissen, was auf uns zukommen kann. Das war die Lage Ende November. Zu diesem Zeitpunkt habe ich den Ortschaftsrat für Mitte Dezember zu einem Arbeitsgespräch eingeladen, bei dem es aber um allgemeine Themen für die nächsten Jahre im Ort und nicht nur um die Flüchtlingsproblematik gehen sollte. Dieser Termin musste noch zweimal verschoben werden, fand dann am 17. Januar statt.

Weil mir das Thema Asyl unter den Nägeln brannte, genaueres aber immer noch nicht feststand, habe ich Kontakt zum Landratsamt aufgenommen und erklärt, dass wir dringend einen Termin finden müssen, um die Gemeinde- und Ortsräte zu informieren. Ich wollte das nicht aus der Zeitung erfahren und mir war es wichtig, dass die Räte informiert werden. Dass sie in einem offenen Informationsaustausch den Entscheidungsträgern des Landratsamtes ihre Sorgen mitteilen und ihre Fragen stellen, abwägen, Varianten diskutieren können. Sie müssen schließlich auch entscheiden. Das war dann der 19. Januar, die Einladung ist am 10. Januar rausgegangen.

„Das trifft einen schon bis ins Knochenmark“

Und das wurde dann Ihrer Meinung nach so ausgelegt, dass am 19. Januar Tatsachen verkündet werden?

Ja, und das stimmte einfach nicht.

Die Ereignisse vom Donnerstagabend haben kein gutes Bild der Gemeinde in der Öffentlichkeit hinterlassen – auch überregional.

Ja, das wird für Laußig noch viele negative Folgen haben. Viele machen sich auch keine Vorstellungen davon, in welche Bereiche sich das schon jetzt auswirkt. Ein Beispiel: Wir sind gerade bei unserer Wohnstätten GmbH auf Zuzug angewiesen. Der Leerstand ist jetzt schon erheblich hoch.

Wie haben Sie den Abend persönlich empfunden? Sie wurden niedergebrüllt, beleidigt und beschimpft.

Getroffen hat mich vor allem, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch die engste Familie und die Verwandtschaft angegriffen werden. Das ist schon eine neue Qualität im negativen Sinne. Man kann sich streiten, aber wenn man anfängt, das zu personifizieren, wird es schwierig. Ich kann viel ab, aber das trifft einen schon bis ins Knochenmark.

Das ist Lothar Schneider

Lothar Schneider ist 65 Jahre alt und in keiner Partei. Nach 2007 und 2014 ist er 2021 zum dritten Mal zum Bürgermeister in Laußig gewählt worden. Schneider lebt in Authausen und ist geschieden.


19.01.2023 LVZ

Am Donnerstagabend – Protest gegen Geflüchtete in Nordsachsen: Hunderte ziehen durch Gemeinde Laußig

In der Gemeinde Laußig haben am Donnerstagabend etwa 300 Menschen gegen die Aufnahme von Geflüchteten demonstriert. Der Protestzug wurde von einem Banner und Menschen mit Fahnen der rechtsextremen „Freie Sachsen“ angeführt.

Leipzig/Laußig. In der nordsächsischen Gemeinde Laußig haben am Donnerstagabend Menschen gegen die Aufnahme von Geflüchteten demonstriert. Laut Augenzeugen versammelten sich am späteren Nachmittag gut 300 Personen am Feuerwehrgebäude – darunter auch Gruppen, die den rechtsextremen „Freien Sachsen“ zuzuordnen sind. Die Menge zog anschließend in Richtung Gemeindehaus und skandierte „Wir wollen keine Asylantenheime“. Selbiges war auch auf dem Frontbanner der vorher nicht bei den Behörden angezeigten Versammlung zu lesen.

Protest stoppt vor Laußiger Gemeindehaus

Wie eine Polizeisprecherin gegenüber der LVZ erklärte, wartete die Menge dann vor dem Gemeindehaus – wo am Abend eine nicht öffentliche Besprechung von Bürgermeister und Vertretern des Landratsamtes stattfinden sollte. „Die Stimmung war aufgeheizt, die Bürger fühlten sich offenbar nicht ausreichend informiert“, so die Sprecherin weiter.

Die Menge forderte lautstark, dass Bürgermeister Lothar Schneider (parteilos) ans Fenster treten und sich erklären solle. Als das Gemeindeoberhaupt dies gegen 19 Uhr tat, kam er allerdings kaum zu Wort – immer wieder wurde Schneider von wütenden Rufen unterbrochen. Gegen 20.30 Uhr löste sich die Versammlung auf. Laut Polizeiangaben blieb es weitgehend friedlich.

Initiative „Laußig wehrt sich“ will „Asylflut stoppen“

Bereits seit Tagen kursierte in sozialen Netzwerken ein Aufruf einer angeblichen Initiative „Laußig wehrt sich“, der mit dem Titel „Asylflut stoppen“ zur Demo gegen eine Unterbringung von Geflüchteten in der ehemaligen Laußiger Grundschule mobilisieren wollte.

Auslöser waren offenbar die Pläne des Landkreises Nordsachsen, in der gut 5000 Einwohner fassenden Gemeinde einige Asylbewerberinnen und Asylbewerber unterzubringen. Bis April sollen in mehreren Orten des Kreises Möglichkeiten geschaffen werden, um absehbar 200 Menschen aufnehmen zu können.

Im ganzen Jahr 2023 rechnet Landrat Kai Emanuel (parteilos) dann mit 1500 Menschen, die Nordsachsen ihren Antrag auf Asyl abgeben werden. Damit würde sich die Zahl der bisherigen Asylbewerberinnen und Asylbewerber in der Region verdoppeln, so Emanuel.