Dresdner Stadtrat Frank Hannig ist kein Rechtsanwalt mehr
Frank Hannig ist der bekannteste Politiker der Freien Wähler in Dresden und auch als Strafverteidiger prominent. Doch nun hat er ein Problem und will kürzertreten.
In Gerichtssälen wird man den Dresdner Anwalt vorerst nicht mehr sehen. Jedenfalls nicht als Strafverteidiger. Frank Hannig hat seine Anwaltszulassung zurückgegeben. Er müsse kürzertreten, sagte er gegenüber Sächsische.de. Der 52-Jährige, der für die Freien Wähler im Dresdner Stadtrat sitzt und zuletzt mit seiner Unterstützung von Corona-Protesten, etwa am vergangenen Montag, aufgefallen ist, hatte 2021 für den Bundestag kandidiert.
Gesundheitliche Gründe hätten Hannig zu diesem Schritt bewogen. Er sei nur noch unterwegs gewesen, von einer Hauptverhandlung zur nächsten. Nach einem Herzinfarkt habe er in diesem Jahr erkannt, dass er so nicht mehr weitermachen könne, so Hannig. Er werde jetzt eine Pause von mindestens einem Jahr einlegen.
„Kein Rechtsanwalt mehr zu sein, gibt mir neue Freiheiten“, sagt Hannig. Sein Geld werde er als Influencer verdienen. Er plane auch, ein Buch über kuriose Strafverfahren zu schreiben, die er selbst erlebt habe, darunter etwa den Prozess um den Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Hannig hatte dessen Mörder vertreten.
Gegenüber Sächsische.de betonte er, dass er keinen Mandanten im Stich lassen werde, er habe seine Nachfolge geregelt. Auch werde er sein Engagement gegen die Corona-Impfpflicht und als Stadtrat fortsetzen. An seinem neuen Leben jenseits von Gerichtsterminen schätze er, „weniger fremdbestimmt“ zu sein: „‚Du musst jetzt mal nicht‘, ist ein schönes Gefühl“, sagt er.
Seit Wochen gab es in Dresden Gerüchte um Hannig. Der Anwalt war in keiner Verhandlung mehr. Mindestens ein Prozess soll vertagt worden sein, weil Hannig fehlte. Am Mittwoch bestätigte die Rechtsanwaltskammer Sachsen, Hannig „ist kein zugelassenes Mitglied des Bezirks mehr“. Einzelheiten teilte die Kammer mit Verweis auf den Datenschutz nicht mit. Es sei jedoch nicht ungewöhnlich, dass Mitglieder auch vorübergehend etwa aus gesundheitlichen Gründen, auf ihre Zulassung verzichteten.
Ein Anwalt, der öfter Ärger mit der Justiz hat
Der gebürtige Hallenser war in Wendezeiten nach dem Jura-Studium in Erlangen nach Dresden gekommen. Das einstige CDU-Mitglied protokollierte die Gründungsversammlung von Pegida. Später sollte er dort auch einmal als Redner auftreten. Zwischen 2015 und 2016 führte Hannig gemeinsam mit dem MDR-Moderator Peter Escher das Rechtshilfe-Unternehmen Escher-Hilft-GmbH. Das aber ging nach einem Zerwürfnis der Partner in die Insolvenz. Seit 2019 ist er wirtschafts- und sicherheitspolitischer Sprecher der Freie-Wähler-Fraktion im Dresdner Rathaus.
Bundesweit bekannt wurde Hannig als vorübergehender Pflichtverteidiger des rechtsextremen Mörders vom Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Nach einem Jahr wurde er jedoch in diesem Prozess in einem rechtlich umstrittenen Verfahren als Anwalt abgelöst. In Kassel ermittelte die Staatsanwaltschaft Kassel wegen Anstiftung zur falschen Verdächtigung gegen den Dresdner Verteidiger; dieses Verfahren sei inzwischen mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden, teilte die Behörde am Mittwoch mit.
Im Frühjahr 2021 hatte die Staatsanwaltschaft Dresden seine Kanzlei und Wohnräume durchsucht. Der Grund ist bis heute nicht bekannt, einige Beobachter hatten über Geldwäsche spekuliert.
Frank Hannig war im vergangenen Sommer in Dresden als Anwalt im Einsatz. Er verteidigte unter anderem den Justizvollzugsbeamten Daniel Zabel, der mittlerweile AfD-Funktionär ist.
10.06.2022
Dresdner Gefängniswärter stehen jetzt vor Gericht
Fünf Beamte sollen in der Justizvollzugsanstalt Dresden Gefangene geschlagen und verletzt haben. Jahre nach den Taten hat nun der Prozess gegen sie begonnen.
Fünf suspendierte Justizvollzugsbeamte stehen seit Freitag unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt vor dem Amtsgericht Dresden. Die Männer im Alter von 31 bis 53 Jahren waren 2018 Bedienstete der Justizvollzugsanstalt Dresden und sollen dort wiederholt ausländische Gefangene geschlagen und anderweitig verletzt haben. Der Prozess findet in einem Saal des Oberlandesgerichts Dresden am Schlossplatz statt. Anlass dafür ist die derzeit akute Knappheit an Verhandlungssälen im Dresdner Justizzentrum.
Bekanntester Angeklagter ist der Dresdner Daniel Zabel (43), der 2018 den Haftbefehl gegen einen irakischen Untersuchungsgefangenen veröffentlicht und rechtsextremen Kreisen zugespielt hatte. Auf der Suche nach dem Täter stieß die Polizei auf den Handys von verdächtigen Justizbediensteten der JVA Dresden auf mehrere Chatgruppen. Darin sollen sich Bedienstete über ausländische Gefangene lustig gemacht und sich auch für tätliche Übergriffe gebrüstet haben. So konnten die Ermittler mehrere Taten rekonstruieren, die den Angeklagten nun vorgeworfen werden.
Gefangene in Dresden getreten und geschlagen
Laut Anklage soll Zabel, der mittlerweile im Vorstand der Sachsen-AfD sitzt, mit zwei weiteren Kollegen (31, 40) etwa einen heute 28-jährigen Tunesier misshandelt haben, der im Juli 2018 in einem sogenannten Besonders gesicherten Haftraum (bgH) untergebracht war. Das ist ein Raum, in dem Gefangene untergebracht werden, um sie vor Fremd- und Eigengefährdungen zu schützen. Sie werden dort rund um die Uhr beobachtet. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft habe Zabel den 28-Jährigen gegen 21.40 Uhr von außen durch die Kostklappe mit einer Taschenlampe geblendet. Daraufhin habe sich der Gefangene hinter einer Matratze versteckt. Nun seien die drei Angeklagten in den bgH, hätten den Tunesier zu Boden gebracht, an den Händen gefesselt. Während der 40-jährige Wärter auf dem Kopf des Gefangenen gesessen habe, sollen ihn die anderen beiden getreten und geschlagen haben.
Nur eine knappe Woche zuvor haben die 40 und 53 Jahre alten Bediensteten mit einem weiteren Kollegen laut Anklage einen weiteren Gefangenen geschlagen. Der Insasse habe mehrfach laut um Feuer gebeten, um rauchen zu können. Daraufhin seien die Männer zu ihm gegangen und hätten den Gefangenen aufgefordert, aus seiner Zelle zu kommen. Da er sich weigerte, sollen sie ihn herausgezogen, zu Boden gebracht und mehrfach mit Fäusten auf ihn eingeschlagen haben, wie sie es zuvor geplant hatten. Das Verfahren gegen den zunächst mitangeklagten dritten Mittäter wurde inzwischen gegen Zahlung einer Geldauflage im vierstelligen Bereich eingestellt. Der Mann ist nun als Zeuge geladen.
Mitte August 2018 soll der 48-jährige Angeklagte einen Gefangenen, der seine Zelle unter Wasser gesetzt habe, geschubst haben, sodass er auf dem glatten Boden ausgerutscht und mit dem Kopf gegen die Tür geprallt sei. Dadurch habe er eine blutende Wunde erlitten. Dem 48-Jährigen wird weiter vorgeworfen, im Februar 2018 einen Gefangenen fotografiert und das Bild in der privaten Chatgruppe „CORPS53“ veröffentlicht zu haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm daher auch Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen vor. Diesen Vorwurf hat der Mann unmittelbar nach Verlesung der Anklage eingeräumt. Die Fotos seien nicht lange zu sehen gewesen, sagte er.
Beweislage offenbar recht dünn
Die Beweislage ist offenbar nicht besonders gut. Neben dem Umstand, dass die Vorwürfe bereits vier Jahre zurückliegen, sind einige der Geschädigten nicht mehr auffindbar. Drei Prügel-Übergriffe werden in der Anklage genannt, im Ermittlungsverfahren war zunächst von rund zehn Fällen die Rede gewesen. Nach Verlesung der Anklage unterbrach der Vorsitzende Richter die Sitzung für ein Rechtsgespräch. Darin ging es neben einer möglichen Verfahrensabsprache auch um Fragen der Hauptverhandlung.
So kritisierte Zabels Verteidiger Frank Hannig etwa, dass der 28-jährige Geschädigte, der in dem Verfahren als Nebenkläger von Rechtsanwältin Rita Belter vertreten wird, nicht zur Hauptverhandlung geladen sei. Der Nebenkläger wurde Mitte 2020 nach Tunesien abgeschoben und darf bis 2025 nicht mehr nach Deutschland einreisen. „Man könnte ihm freies Geleit zusichern“, schlug Hannig vor. „Eine Einigung hat nicht stattgefunden“, teilte der Richter im Anschluss mit.
Die Angeklagten, die an dem Übergriff im bgH beteiligt waren, erklärten, dass sie sich nichts zuschulden hätten kommen lassen. Der 28-Jährige sei wegen Übergriffe auf Mitgefangene und Bedienstete isoliert worden, so Zabel. Das Licht des Raums sei aus gewesen, die Kostklappe habe offen gestanden – beides sei nicht vorschriftsmäßig gewesen, weshalb er mit seiner Taschenlampe in den Raum geleuchtet habe. Der Gefangene habe den Raum auch verunreinigt. Weil er sich hinter seiner Matratze versteckt habe, seien sie hinein und hätten den Mann gefesselt, bis er sich wieder beruhigt habe, so Zabel. Alle drei Männer lehnten es vorerst ab, Fragen von Prozessbeteiligten zu beantworteten.
Ehemaliger Mitangeklagter nun Zeuge
Der interessanteste Zeuge war der 58-Jährige ursprünglich Mitangeklagte. Sein Verfahren wurde im Oktober 2021 gegen Zahlung einer Geldauflage von 6.000 Euro eingestellt. Auch er ist jedoch noch immer vom Dienst suspendiert, sein Disziplinarverfahren wie die der Angeklagten anhängig.
Der 58-Jährige soll den Gefangenen, der immer wieder Feuer verlangt hatte, aus der Zelle gezogen haben. Er sagte nun, er habe den Geschädigten nicht aus dem Haftraum gezerrt. Der Insasse sei laut gewesen, habe immer wieder über die Gegensprechanlage Feuer verlangt und auch gegen die Tür gehämmert. Daher seien sie zu ihm gegangen, habe die Tür geöffnet und ihn aufgefordert, herauszukommen. Der Mann sei jedoch „aggressiv herausgestürmt“, weshalb seine Kollegen ihn zu Boden gebracht hätten. Das habe er jedoch selbst nicht beobachtet. In kurzer Zeit habe sich der Gefangene wieder beruhigt, sodass er zurück in die Zelle kam: „Das war’s.“
Ein Mitinsasse hat jedoch gegenüber der Polizei ausgesagt, die Bediensteten hätten den Geschädigten am Hals gepackt und aus der Zelle gezerrt. Er habe gehört, wie sein Zellengenosse draußen von den Beamten geschlagen worden sei. Das bestritt der 58-Jährige. Der Geschädigte habe nichts gesagt und sich auch nicht beschwert.
„Warum zahlen sie 6.000 Euro, wenn da nichts war?“, fragte die Staatsanwältin mit Blick auf dessen Verfahrenseinstellung. Sein Anwalt habe ihm dazu geraten, so erwiderte der Zeuge.
„Kuck weg und lass es wie einen Unfall aussehen“
In den Chats der Bediensteten wurde unter anderem Folgendes dazu geschrieben: „Mr. Schiefnase (der Geschädigte, Anm. d. Red.) wollte heute unbedingt Feuer, hat gegen die Tür geklopft und wollte meine Mutter ficken. Dann hat er Feuer bekommen.“ Ein anderer schrieb: „Zur Info: wir waren es nicht.“ Auch der 58-Jährige soll hinzugefügt haben: „Was für ein Arschloch“ und „Kuck weg und lass es wie einen Unfall aussehen“. Der Mann nannte seinen Beitrag einen „Spaß“, ein Zitat aus einem Film. Er habe sich nicht für den Chat interessiert. In 90 Prozent sei es darin um Fußball gegangen.
Hässliche Chats fanden sich auch bei anderen Angeklagten. So habe offenbar der 48-Jährige an einem Kollegen eine Nachricht geschickt, in der er hieß, er sei beim Arzt gewesen, sein EKG sei in Ordnung – bei dem vermeintlichen EKG handelte es sich um ein Hakenkreuz. Davon berichtete der Beamte des Landeskriminalamtes, der das Handy des 48-Jährigen ausgewertet hatte. Der Hauptkommissar konnte sich nicht an Einzelheiten dazu und seine weiteren Vernehmungen erinnern. Die gesamten Chats, in denen sich die Angeklagten und weitere Bedienstete ihrer Abteilung teilweise sehr derb und auch rassistisch ausgetauscht haben sollen, wurden nicht gezeigt, sondern im sogenannten Selbstleseverfahren den Prozessbeteiligten zugänglich gemacht.
Ein weiterer LKA-Vernehmer sagte, der Mitinsasse des Geschädigten habe etwa ein Jahr nach der Tat von sich aus von dem Übergriff der JVA-Bediensteten berichtet, nachdem ihm die Beamten ein Foto des Geschädigten gezeigt hatten.
Das Gericht hat zunächst vier Sitzungstage bis Ende Juni geplant.
28.07.2020
Lübcke-Prozess: Hannig wird abberufen
Der wegen Mordes angeklagte Stephan Ernst trennt sich von seinem Pflichtverteidiger aus Dresden. Der Bruch war nicht mehr zu kitten.
Im Prozess um den gewaltsamen Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist einer der beiden Anwälte des Hauptangeklagten Stephan Ernst abberufen worden. Das Oberlandesgericht Frankfurt gab am Dienstag einen entsprechenden Beschluss bekannt. Die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen Ernst und seinem Pflichtverteidiger Frank Hannig sei nachvollziehbar, so das Gericht. Auch die Argumentation, dass „eine derart unsachliche“ Verteidigung Ernst sogar schaden könne, ließen die Richter gelten. Als neuen weiteren Pflichtverteidiger bestellte das Gericht den Kölner Anwalt Jörg Hardies.
Noch vor dem offiziellen Beginn des Verhandlungstags hatte Hannig längere Zeit auf Ernst eingeredet. Der allerdings zeigte wenig Interesse. Ein weiteres Gespräch mit Hannig sei nicht notwendig, ließ er das Gericht wissen. Wie schon am Vortag saß er in der Verhandlung dann möglichst weit abgerückt von Hannig.
Wenig Zusammenarbeit zwischen Ernst und Hannig
Ernst wurde in dem Verfahren bislang von zwei Verteidigern vertreten. Der Kölner Anwalt Mustafa Kaplan hatte am Vortag beantragt, den bisherigen Pflichtverteidiger Frank Hannig zu entpflichten und erklärt, das Vertrauensverhältnis seines Mandanten zu dem Anwalt sei dauerhaft zerstört. Ernst widerrufe auch alle Vollmachten und Genehmigungen, die er Hannig unterschrieben habe, ergänzte Kaplan. Der Jurist, der im NSU-Prozess Nebenklagevertreter war, ist ebenfalls als Pflichtverteidiger Ernsts bestellt.
Anlass für den eskalierten Konflikt waren mehrere nicht abgesprochene Beweisanträge, die Hannig am Montag eingebracht hatte. Darin wollte der Anwalt die Vernehmung weiterer Zeugen erreichen, die womöglich ebenfalls am Tatort waren. Auch einen Einbruch im Kasseler Regierungspräsidium, bei dem Akten verschwunden seien, wollte er untersuchen lassen. Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel hatte daraufhin erklärt, er müsse sich angesichts der Anträge Gedanken machen, ob Ernst eine wirksame Verteidigung habe.
Bereits seit Beginn der Verfahrens hatten Kaplan und Hannig wenig Zusammenarbeit bei der Verteidigung ihres Mandanten erkennen lassen und ihre jeweiligen Anträge getrennt gestellt. Dass das Gericht geneigt sein könnte, dem Antrag auf Entlassung Hannigs nachzukommen, ließ schon die Bitte an Kaplan erkennen, „vorsorglich“ bei seinem Kollegen anzufragen, ob er Kapazitäten für das Mandat habe.
Sohn von Walter Lübcke sagt aus
In bestimmten Verfahren – etwa wenn der Prozess vor einem Oberlandes- oder Landgericht läuft und es um den Vorwurf eines Verbrechens geht – ist ein Verteidiger notwendig. Hat ein Beschuldigter in einem Strafverfahren keinen Anwalt, kann ihm ein gerichtlich bestellter Pflichtverteidiger zur Seite gestellt werden. In der Regel bezahlt diesen die Staatskasse. Wird ein Angeklagter verurteilt, muss er damit rechnen, dass sie sich das Geld zurückholt.
Der Deutsche Ernst soll im Juni 2019 Lübcke auf der Terrasse von dessen Wohnhaus erschossen haben. Motiv für die Tat war nach Auffassung der Bundesanwaltschaft eine rechtsextremistische Gesinnung.
Mit der Zeugenaussage von Jan-Hendrik Lübcke, dem jüngeren Sohn des getöteten CDU-Politikers, kam am Dienstag erstmals ein Familienmitglied des Politikers zu Wort. Der heute 30-Jährige hatte seinen Vater in der Tatnacht gefunden, und zunächst gedacht, er sei auf der Terrasse eingeschlafen. Da sein Vater nicht reagierte und seine Haut sich kalt anfühlte, habe er an einen Herzinfarkt geglaubt, sagte er.
Er habe versucht, Lübcke zu reanimieren. Auch der Notarzt habe nicht bemerkt, dass Lübcke eine Schussverletzung hatte. Er habe erst am frühen Morgen und durch Nachfragen, was es mit dem Blut aus Mund und Nase seines Vaters auf sich habe, von einem Kriminalbeamten erfahren, dass „ein Gegenstand“ im Kopf seines Vaters gefunden worden sei, sagte Lübcke, der sich vor Gericht um ein möglichst sachliches Auftreten bemühte.
27.10.2020
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Hannig
Wegen eines mutmaßlich erfundenen Geständnisses des Angeklagten im Mordfall Lübcke wird gegen seinen Ex-Anwalt, Frank Hannig aus Dresden, ermittelt.
Wegen eines mutmaßlich erfundenen Geständnisses des Hauptangeklagten im Mordfall Lübcke ermittelt die Staatsanwaltschaft Kassel nun gegen seinen Ex-Anwalt. Es sei ein Verfahren gegen einen früheren Verteidiger wegen des anfänglichen Verdachts der Anstiftung zur falschen Verdächtigung eingeleitet worden, sagte ein Behördensprecher.
Der Mord am nordhessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke wird momentan vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verhandelt. Frank Hannig aus Sachsen hatte dort bis Juli den Verdächtigen Stefan Ernst verteidigt und soll für ihn Teile eines Geständnisses erfunden haben.
Ernst wird vorgeworfen, im Juni 2019 Lübcke auf dessen Terrasse im Kreis Kassel erschossen zu haben. Der Generalbundesanwalt geht von einem rechtsextremen Motiv aus. Ernst hatte verschiedene Geständnisse zur Tat abgegeben. In einem beschuldigte er den Mitangeklagten Markus H., den Schuss abgefeuert zu haben. Das hat Ernst inzwischen widerrufen. Er beschuldigt Hannig, ihn zu der falschen Aussage gedrängt zu haben. Der Hauptangeklagte hatte sich im laufenden Prozess von dem Pflichtverteidiger getrennt, das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet.
Im dem Prozess gegen Ernst und H. war im September auch Hannig als Zeuge vorgeladen worden. Ernst hatte ihn zuvor in Teilen von der Schweigepflicht entbunden. Angesichts einer drohenden Strafverfolgung gegen seine Person hatte sich der Dresdener Jurist aber auf ein Aussage-Verweigerungsrecht berufen. Hannigs Rechtsanwalt reagierte am Dienstag zunächst nicht auf eine Anfrage zu den Ermittlungen. Bis zu einem rechtkräftigen Abschluss des Verfahrens gilt die Unschuldsvermutung.
02.06.2021
Razzia bei Dresdner Anwalt Hannig
Die Polizei hat Kanzlei und Wohnung des Dresdner Strafverteidigers und Stadtrats Frank Hannig durchsucht. Über den Anlass wird nun spekuliert.
Der Dresdner Rechtsanwalt und Stadtrat der Freien Wähler Frank Hannig hat offenbar schon wieder Ärger mit der Justiz. Vergangene Woche wurden seine Kanzlei und seine Privatwohnung durchsucht. Das bestätigte Hannig selbst in einer kurzen Nachricht auf seiner Internet-Seite. Weitere Angaben macht er dort mit Verweis auf seine Verschwiegenheitspflicht gegenüber seinem Mandanten nicht. Nun wird allerdings spekuliert, dass er selbst der Mandant, ist.
Den ersten Verdacht äußerte „Querdenken-351“-Organisator Marcus Fuchs auf der Querdenker-Demo am Montagabend. Dort war Hannig am offenen Mikrofon als Redner angekündigt worden. Fuchs entschuldigte den Anwalt mit dem Verweis, dass Hannig derzeit viel um die Ohren habe, und sprach auch die Durchsuchungen an. Weiter spekulierte Fuchs über einen Zusammenhang der Maßnahme mit Hannigs Rede auf einer Kundgebung im Thüringischen Schmalkalden am Montag zuvor.
Am Abend bestätigte die Staatsanwaltschaft Dresden gegenüber der SZ die Durchsuchungsmaßnahmen, ohne jedoch den Anlass zu nennen. Unklar blieb daher, ob Hannig Beschuldigter oder Zeuge eines Strafverfahrens ist.
Gegen den Dresdner Strafverteidiger ermittelt unter anderen die Staatsanwaltschaft Kassel wegen Anstiftung zur falschen Verdächtigung. Es geht um Hannigs Verteidigung von Stephan E., dem inzwischen verurteilten Mörder von Kassels Regierungspräsident Walter Lübcke. Der Angeklagte E. hatte in seinem Mordprozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt ausgesagt, Hannig habe sich ausgedacht, den Mitangeklagten Markus H. zu belasten. In Medienberichten wird jedoch auch über einen länger zurückliegenden Geldwäscheverdacht spekuliert.
Hannig war am Mittwoch für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Erst vor wenigen Wochen hatte er mitgeteilt, er werde als parteiunabhängiger Kandidat für den Bundestag kandidieren.
04.04.2016
Ein überaus wendiger Anwalt
Der Dresdner Jurist Frank Hannig half der Stasi und Pegida. Als Christdemokrat verklagte er die Kanzlerin. Und jetzt hilft er dem Fernsehmann Peter Escher.
Von Marta Orosz*, David Schraven* und Ulrich Wolf
Sein Büro liegt inmitten der historischen Innenstadt Dresdens. Es ist überaus funktional eingerichtet. Sogar auf den Tischen liegen Stifte und Blöcke im rechten Winkel zueinander. Aus dem Fenster blickt Rechtsanwalt Frank Hannig auf die filigrane Frauenkirche, vor der sich seit anderthalb Jahren Tausende Pegida-Anhänger versammeln, wenn der Theaterplatz belegt ist.
Der 45 Jahre alte Jurist kennt sich mit der Bewegung aus. Er war es, der Pegida wieder auf die Beine half, nachdem sich das Organisationsteam Anfang 2015 im Streit getrennt hatte. Der Neustart manifestierte sich in der Gründung des Pegida-Fördervereins; er ist inzwischen zu einer wichtigen Stütze der Bewegung geworden.
Es ist der 5. März 2015, ein Donnerstag, als sieben Personen am frühen Nachmittag in der Töpferstraße 2 zusammenkommen. Es ist die Kanzleiadresse von Rechtsanwalt Hannig. Zu den sieben Leuten zählt auch das heutige Pegida-Führungstrio: Gründer Lutz Bachmann, sein Vertreter Siegfried Däbritz und die spätere Dresdner Oberbürgermeisterkandidatin Tatjana Festerling. Doch keiner von ihnen leitet die Gründungsversammlung, diesen Part übernimmt Hannig. Er führt auch Protokoll.
Der in Dresdner Gesellschafts- und Wirtschaftskreisen gut vernetzte Anwalt eröffnet um Punkt 14 Uhr die Versammlung. Er erläutert den Zweck der Zusammenkunft: die Gründung eines Fördervereins zur Akquise von Mitgliedern sowie zur Förderung politischer Bildung. Der neue Verein wird damit auch zu einer potenziellen Finanzierungsquelle.
Hannig tritt dem Verein nicht bei. Es könnte seinem Image schaden. So posiert er auf seiner Facebook-Seite staatstragend in schwarzer Robe. Seine Homepage ziert ein männlich-herb wirkendes Porträt von ihm im Halbschatten. Selbstbewusst verkündet der 1970 in Halle an der Saale geborene Mann: „Frank Hannig = Persönlichkeit + Strategie + Erfolg.“
Zu seinen Mandanten zählen etwa Defa-Star und Old-Shatterhand-Darsteller Jürgen Polzin oder Waldmensch Öff-Öff. Aber auch Dresdner Rotlichtgrößen sind darunter, Junkies, Messerstecher, Hooligans der verbotenen Gruppierung „Elbflorenz“. Hannig berät Existenzgründer und gestandene Firmenchefs. Mitunter greift er seinen Mandanten kräftig unter die Arme. So gründete er für den wirtschaftlich gescheiterten Dresdner Flughafengastronomen Roland Hess die Onlinefirma Die Canapémanufaktur GmbH in Radebeul.
Hannig ist sein Leben lang umtriebig. In dem Jahr, in dem die DDR zusammenbricht, ist er 19 Jahre. Trotz seiner Jugend hat er zu dieser Zeit bereits eine ansehnliche Stasi-Vergangenheit. Seine Akte umfasst 120 Seiten. Demnach hat Hannig schon als Schüler unter dem Decknamen „Starter“ eifrig Mitschüler und Freunde bespitzelt. Über das private Bekenntnis eines Bekannten, der sich gerade von seiner Freundin getrennt hat, teilt Hannig mit: „Er hatte fast ständig Tränen in den Augen und erzählte, dass er sehr viel getrunken hat.“ Er berichtet über eine Kirchengruppe, weil er deren Mitglieder verdächtigt, in der „Opposition“ zu sein, denunziert mehrere Schüler als „aktive Christen“. Offiziell leitet Hannig ein „Agitatorenkollektiv“. Er absolviert Vorbereitungskurse für die Einstellung als hauptamtlicher Stasi-Mann.
Im März 1989, so steht es in der Akte, lobt sein Stasi-Anwerber: „In Diskussionen kommt ein klarer Klassenstandpunkt zum Ausdruck. Er steht hinter der Politik unseres Staates. Er vertritt offen sein Berufsziel als Offizier und bereitet sich selbst intensiv darauf vor.“ Am 1. September 1989, wenige Wochen vor dem Mauerfall, tritt Hannig als Offiziersschüler in die Stasi ein. Er wird der Hauptabteilung „Kader und Schulungen“ zugeordnet, Dienststelle „Ermittlungen“. Hannig soll Kriminalistik lernen.
Der Zusammenbruch der DDR bereitet den Plänen ein Ende, dem Hang zum Kriminalistischen aber bleibt er auch in den neuen Verhältnissen treu. Hannig studiert Jura, wird Rechtsanwalt, gründet in Dresden eine Kanzlei. Er tritt der CDU bei und engagiert sich: als Präsident des Handballclubs Dresden, als Sprecher der Gewerbetreibenden in Heidenau, als Vorsitzender der Bürgerinitiative „Mügeln ohne Müll und Lärm“. In der nordsächsischen Kleinstadt tritt er sogar als Bürgermeisterkandidat an, scheitert aber. Hannig zeigt sich auf den großen gesellschaftlichen Partys Dresdens, posiert mit Models wie Gina Lisa Lohfink, heiratet im Sommer 2014 auf Schloss Wackerbarth eine 19 Jahre jüngere Frau. Bei den Dresdner Filmnächten wirbt er für seine Kanzlei mit einem Spot, in dem eine blutverschmierte Frau mit einer Kettensäge durch die Gegend stapft. „Darf ein Anwalt das?“, fragt die Bild-Zeitung.
Der sonst so selbstbewusst und selbstsicher auftretende Anwalt verliert die Contenance, wenn man ihn auf seine Stasi-Zeit anspricht. Sein Gesicht läuft rot an. Ist es Scham? Ist es Wut? „Ich war im Wachregiment Feliks Dzierzynski“, sagt Hannig. Deshalb habe er eine Stasi-Akte. „Die kriege ich nie wieder los, ja, mit 18 Jahren ist das halt so. Dieses Schicksal teile ich mit vielen jungen DDR-Bürgern.“
Anfang 2010 schafft es der Anwalt in die überregionale Presse. Der Grund ist seine Anzeige gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen des Kaufs von Schweizer Steuer-CDs. Er, der seine Mitschüler bespitzelte, sieht darin eine „Aufforderung zum Denunziantentum“. Für die Bundesregierung sei das „moralisch ein Armutszeugnis“. Dass er zu dieser Zeit CDU-Mitglied ist, stört ihn nicht. Er erklärt mit Verweis auf die beiden deutschen Diktaturen: „Der Zweck heiligt nicht die Mittel.“ Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer hingegen reagiert seinerzeit gereizt. Er sieht in Hannigs Anzeige „ein gutes Stück Populismus“. Das Verfahren gegen Merkel wird später eingestellt, Hannig verließ die Christdemokraten.
Eine solche öffentliche Rolle hat der Jurist bei Pegida nie gespielt. Als Anwalt der Rechtspopulisten kommt er nur einmal wegen eines Urheberrechtstreits im Frühjahr vorigen Jahres in die Meldungsspalten. Die Macher der Pegida-Facebook-Seite hatten ein Bild eines Fotografen für eigene Werbezwecke ohne dessen Erlaubnis benutzt. Der Fauxpas kostete Pegida 3 000 Euro. Das Geld floss von einem Konto des Fördervereins bei der Volksbank Pirna. Es ist das Konto, das Hannig als Anwalt treuhänderisch für Pegida zu jener Zeit verwaltete. Monatelang waren darauf die Mitgliedsbeiträge gesammelt worden. Das offizielle Pegida-Konto ist bei der Ostsächsischen Sparkasse Dresden eingerichtet. Von da aus werden einmal mehr als 10 000 Euro auf das von Hannig verwaltete Treuhandkonto überwiesen. Warum? Wer oder was wird damit bezahlt? Hannig schweigt dazu. Anwaltsgeheimnis.
Im Oktober 2015 vertritt er eine Elterninitiative, die gegen eine Flüchtlingsunterkunft im Dresdner Stadtteil Prohlis protestiert. Die Notunterkunft könne die Sicherheit der Schulkinder gefährden, teilt er mit. Inzwischen aber, versichert Hannig, habe er sich von Pegida losgesagt und das Mandat für den Förderverein niedergelegt. Auch das Treuhandkonto führe er nicht mehr. Es ist nach Recherchen von SZ und Correctiv aufgelöst worden. Hannig sagt, er habe Pegida nur unter die Arme gegriffen, weil jeder einen Rechtsanwalt brauche. „Es ist mein Job, dafür zu sorgen, dass die Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt. Ohne Ansehen sowohl von Hautfarbe, von Religion, von Geschlecht, aber eben auch von politischer Überzeugung und Anschauung.“
Das Bewahren der Rechtsstaatlichkeit als Motiv? Warum schreibt er dann in sozialen Netzwerken: „Merkt Ihr es denn immer noch nicht??? Wir haben unseren freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat bereits abgeschafft!“? Oder: „Ich denke: Was für Menschen mit Aufenthaltserlaubnis ein U-Haftgrund ist, muss für Asylbewerber ein Abschiebungsgrund sein! (…) Dringender Tatverdacht + Wiederholungs- oder Verdunklungsgefahr = RAUS!“
Stasi, CDU, Merkel, Pegida, Flüchtlinge – in jüngster Zeit hat sich Hannig zurückgehalten. Er hat ein neues interessantes Betätigungsfeld entdeckt und gemeinsam mit dem bekannten Fernsehmann Peter Escher die Firma Escher hilft GmbH gegründet. Das Unternehmen betreibt unter anderem Internetseiten „mit Inhalten zu allgemeinen Lebensfragen, dem Angebot allgemeiner Lebensberatung sowie der Produktion von internetbasierten Filmen“. Die Adresse der jungen Firma ist identisch mit der von Hannigs Kanzlei. Der 61-jährige Escher hat sein Büro gleich nebenan. Seit Ende November ist der neue Ratgeber online. Hannig führt das dort präsentierte juristische Expertenteam an, das mutmaßliche Fälle von Willkür jedweder Art untersucht, was Escher wiederum filmisch umsetzt.
Die Geschäftsidee scheint zu funktionieren. Zur Weihnachtsfeier kochte das zwölfköpfige Escher-Team mit dem Dresdner Nachtbar-, Werbe- und Gastronomie-Unternehmer Wolle Förster in dessen großer Sushi-Küche: Kürbissuppe, Schweinefilet und Vanille-Käse-Quark. Dazu gab’s Wein und viel Wodka. Und auf Facebook fragt Hannig: „Wer hat Lust, eine Woche mit uns zu segeln? Zwei Plätze auf meiner 18-Meter-Segeljacht in Kroatien sind frei!“
*Marta Orosz und David Schraven sind Mitarbeiter des Recherchezentrums Correctiv. Die Redaktion finanziert sich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Correctiv gibt seine Recherchen grundsätzlich kostenlos an andere Medien ab, ist unabhängig und nicht gewinnorientiert.