Proteste in Sachsen: Wie eine Leipziger Journalistin Angriffe auf sich erlebt

Spätestens seit Beginn der Pandemie gibt es in Sachsen immer wieder Proteste. Viele werden von extrem rechten Akteuren wie den „Freien Sachsen“ mit organisiert. Oft kommt es zu Übergriffen, auch auf die Presse. Eine junge Leipzigerin erzählt, warum sie trotzdem jede Woche berichtet.

Mehrere Fahnen der rechtsextremen „Freien Sachsen“ wehen über dem Protestzug. Laternen hüllen die Straßen Wurzens in gedämpftes, orangegelbes Licht. Aus der Masse schallen aggressive und spöttische Rufe in Richtung der Journalisten, die die Demonstration vom Gehweg aus filmen. Dann plötzlich, an einer Kreuzung, eskaliert die Situation: Ein Mann aus der Menge kommt auf einen der Fotografen zu und holt zum Schlag aus. Von drei Seiten sind die Journalisten plötzlich umstellt. Es ist unübersichtlich, Schreie und Rufe aus allen Richtungen, Pfefferspray wird gesprüht. Polizisten eilen herbei und fixieren einen Demonstranten auf dem Asphalt. Die Masse empört das: „Was seid ihr für Polizisten?“ und „Das System muss gestürzt werden!“ lauten die Rufe.

Unter den Journalisten ist auch Kili Weber aus Leipzig. Die junge Frau wirkt in der Situation ruhig, tippt auf ihrem Handy. Seit Oktober 2021 berichtet sie von Demonstrationen aus dem Umfeld von „Querdenken“ oder den „Freien Sachsen“, ist nahezu jede Woche auf Kundgebungen. „Ich finde es wichtig, rechte Demonstrationen auch in der Provinz zu dokumentieren und dort zu sein, wo sonst keine anderen Journalisten sind“, erklärt Weber. Meistens sei sie in und um Leipzig unterwegs, zu größeren Demos fahre sie auch weiter. Ihre Bilder, Videos und Berichte teilt sie – oftmals live – auf Twitter, wo ihr mehr als 5000 Menschen folgen. Da sie frei und ohne Auftrag berichtet, bittet sie dort regelmäßig um Spenden.

Von Beschimpfungen bis zu körperlichen Attacken

Es habe auch Demos gegeben, auf denen nichts passiert sei, sagt Weber. „Auf den meisten kommt es aber zu Übergriffen, ob verbal oder körperlich.“ Im Sommer hätten bei den Protesten weniger und vor allem ältere Leute teilgenommen, die teilweise aber auch aggressiv gewesen seien. Jetzt, im Herbst, würden wieder mehr junge, gewaltbereite Rechtsradikale zu den Demos kommen. Die Angriffe gehen nach Webers Worten meist mit Beschimpfungen los, eskalierten dann in Schlägen gegen ihr Handy, ihren Begleitschutz, sie selbst. Öfter als ihre Kollegen sei sie das Ziel von Angriffen, sagt Weber. „Ich werde als Hassobjekt wahrgenommen, auch weil ich eine Frau bin.“ Die Berichterstattung in Wurzen brach Kili Weber in Absprache mit der Polizei nach dem Angriff ab.

Polizeisprecher: Schon Filmen wird als Provokation gesehen

Dass Kili Weber häufig angegriffen wird, bestätigt auch die Polizei: „Sie ist in der Region bekannt und fällt in der Berichterstattung über Twitter auf, da sie nur dieses eine Themenfeld bedient“, erklärt Olaf Hoppe, Sprecher der Polizei Leipzig. Bei der Einsatzplanung werde sie daher immer mit bedacht. In Wurzen war die Polizei demnach mit zusätzlichen Kräften vor Ort. Trotzdem sei man auf die Lage nicht gut vorbereitet gewesen, so Hoppe. Man sei nur von einer zu schützenden Person ausgegangen, es waren aber mehrere Journalisten da.

Die Teilnehmer des Protestes schätzt der Polizeisprecher als heterogene Masse ein, teilweise mit Personen aus dem rechten Spektrum. „Kili Weber ist für einige dort wie eine Persona non grata“, meint Hoppe. Schon das Filmen mit dem Handy würde dann als Provokation gesehen. Provozieren möchte Weber nicht, nur dokumentieren. Doch wenn sie sich mit ihrer Handykamera den Demonstrierenden nähert, um Bilder zu machen, reagieren diese gereizt. Viele fühlen sich auch von der Berichterstattung verunglimpft.

Ehrenamtlicher Begleitschutz für Journalisten

Wegen der Übergriffe auf Medienschaffende hat sich schon vor knapp einem Jahr ein ehrenamtlicher Personenschutz gebildet. „Between The Lines“ begleitet Journalistinnen und Journalisten kostenlos, in Wurzen etwa auch Kili Weber. Johanna und Max, eigentlich heißen sie anders, engagieren sich schon länger bei dem Dienst. „Ich wollte helfen, die Pressefreiheit zu schützen“, sagt Johanna. „Es ist total verrückt, dass man sich damit so zur Zielscheibe macht.“ Ihr sei es wichtig, möglichst unparteiisch aufzutreten. Bei Angriffen reiche manchmal schon eine Art „Stellungsspiel“ – also ein paar Schritte nach vorne zu machen und sich aufzubauen.

Max ist im Security-Bereich tätig und daher Gefahrensituationen gewohnt. Häufig versuche er, schon im Vorhinein deeskalierend zu wirken und etwa die Leute anzusprechen. Trotzdem habe er bereits Schläge abblocken müssen. Ein großes Problem sei, wenn sich die Masse der Demonstranten mit den Angreifern solidarisiere.

31 Übergriffe auf Journalisten bei Demos im Jahr 2022 gemeldet

2022 wurden bisher 38 Übergriffe gegen Medien in Sachsen gemeldet, teilt das Sächsische Innenministerium auf LVZ-Anfrage mit. Das sind elf mehr als im Vorjahr. 31-mal habe es 2022 Angriffe im Zusammenhang mit „demonstrativen Ereignissen“ gegeben, die Art der Versammlung wird vom Ministerium allerdings nicht erfasst. Bei den Übergriffen gehe es um Behinderung der journalistischen Arbeit, aber auch um Angriffe auf Ausrüstung oder die körperliche Unversehrtheit. Mittlerweile, so das Ministerium, seien einheitliche Grundsätze zum Schutz von Medienschaffenden in Sachsen erlassen worden.

Extremismusexpertin: Protestpotenzial höher als in Pandemie

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty schätzt, dass die Radikalisierung der Proteste regional sehr unterschiedlich ist. Lamberty ist Mitgründerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie und forscht zu Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus. „Häufig sieht man eine Mischung von Menschen mit einzeldemokratischen Meinungen und Personen aus dem rechtsextremen Milieu, etwa aus Kreisen der AfD“, erklärt sie. „Die Presse und Menschen mit anderer Meinung sind dort häufig das Feindbild.“

Lamberty meint, dass oftmals versucht werde, auf bestehende Proteste aufzusatteln, etwa von Handwerkern. „Deshalb darf man nicht alles unter der Extremismusbrille sehen“, warnt sie. „In Sachsen sieht man aber, dass die Aggressionen zunehmen.“

Übergriffe bringen Betroffene an psychische Grenzen

An den Betroffenen gehen die Übergriffe nicht spurlos vorbei. „Ich komme sehr oft an meine psychischen Grenzen oder überschreite sie“, erzählt Kili Weber. „Aber ans Aufhören habe ich trotzdem noch nie gedacht.“ Und so wird sie auch die kommenden Montage wieder Demonstrationen auf Sachsens Straßen begleiten.