Same old game, so boring!

Letztens traf ich mich mal wieder mit einem Bekannten von der Hänger:innen-Fraktion. Wir gingen spazieren. Wir hatten uns länger nicht mehr gesehen und waren dann plötzlich bekifft – wie’s halt schnell gehen kann. Laut schwadronierend schlenderten wir durch die dunklen Straßen, dafür einen angenervten Blick einer älteren Dame erntend, die aber vielleicht auch einfach nur so aussieht. Und so kamen wir auf ein Thema, was manche erhitzten Gemüter unserer Tage so arg zu beschäftigen scheint: „Queerfeministische Identitätspolitik“ versus „materialistischer Feminismus“, antideutscher Provenienz. Bam bam ba bammmm. – Ihr erinnert euch, dass Thema hatte letzten Herbst in unserer Nachbar-bubble Wogen geschlagen: Die AG Antifa des StuRa führte eine Veranstaltung mit dem Titel „Austreibung der Natur. Zur Queer- und Transideologie der Gegenwart“ durch.[1] Darauf wurde von verschiedenen linken Gruppen unter dem Vorwurf der Transfeindlichkeit und Törfigkeit zum Protest gegen die antideutsche Scharlatanerie vor der VL aufgerufen. Wie mensch hört, hat diese Zankerei allerdings schon eine lange Vorgeschichte.[2]

However. Mein Companion steigerte sich in seiner Rede so sehr in Rage, dass ich schon dachte, insbesondere er müsse wohl ganz außerordentlich unter der aufziehenden neoliberalen Transdiktatur leiden. Der arme Cis-Mann! Wiederholt brachte er alltagsnahe Beispiele wie: Wenn ein Typ sich für trans erklärt und dann als aufgepumpte Boxerin im Ring in der Frauen-Gruppe die Nicht-trans-Frauen fertig macht, dann ist doch wohl nicht zu leugnen, dass dies aufgrund seiner biologisch veranlagten körperlichen Überlegenheit der Fall ist. – Ich erinnerte ihn daran, dass dieses Beispiel nicht gerade häufig vorkommen dürfte. Und außerdem von einer Folge Southpark geklaut ist, wenn ich mich dunkel entsinne. – Ein weiteres skurriles Argument lautete: Der IS / die Taliban würden ja wohl keinen Unterschied darin machen, welche Geschlechtsidentitäten Menschen von sich aus annehmen, sondern sie nach „objektiven“ Äußerlichkeiten einem Geschlecht zuweisen und entsprechend unterdrücken. – Ich entgegnete, dass doch gerade dies ein Beleg dafür sei, dass die Zweigeschlechtlichkeit äußerst gewaltsam produziert und aufrecht erhalten werde. –

Er spottete, dass die Zeit, welche in queeren Gruppen angeblich für Identitätsfindungsprozesse und abgehobene Debatten über Geschlechtlichkeit überhaupt geführt werden würden, wohl für andere Zwecke weit besser eingesetzt wäre. – Ich erwiderte, dass mir diese Aussage aus seinem Munde doch recht seltsam erscheint. Immerhin bekam er doch seinen Arsch so gut wie noch nie auf irgendein Plenum gehievt, wenn er stattdessen auf der Couch bleiben konnte. Das war auch kein Vorwurf meinerseits, sondern eine bloße Feststellung. Abgesehen davon wäre ich selbst von diesem Thema wenig betroffen, würde es aber den Betroffenen überlassen, sich dazu zu äußern. Warum in diesem Zusammenhang irgendwelchen dahergelaufenen Hatern zuhören, die nur ihren eigenen Selbsthass an anderen auslassen? Eigentlich kommen sie doch bloß nicht mit der Komplexität der Welt zurecht und erhalten deswegen auf lächerliche Weise eine reduktionistische Ideologie aufrecht, von der sie so krampfhaft behaupten, es handle sich um die Wahrheit schlechthin. – Er konterte damit, dass seine aufgeschnappten Meinungen eben „materialistisch“ wären. (Er verwendete dies als so eine Art „ideologiekritisches“ Zauberwort, von dem er knuffigerweise ausging, dass es an sich erhaben über Ideologie wäre.) Und das im intersektionalen Feminismus immer nur rumgejammert werde, wer wie und wer noch mehr unterdrückt sei, während Klasse gar nicht mehr betrachtet werden würde. – Ich entgegnete, dass es meines Wissens nach gerade Autorinnen wie bell hooks oder Alicia Garza sind, die die Klassenfrage sehr ernst nehmen und gut aufzeigen, wie die verschiedenen Unterdrückungsverhältnisse ineinander greifen und sich einander bedingen. Außerdem sei es wohl wünschenswert, dass viele Menschen, sich ihrer Unterdrückung bewusst werden, statt sich weiterhin einreden zu lassen, die Welt wäre nun mal so. –

Schließlich fragte er, woher ich denn wisse, dass unter den Kritiker:innen der „Queer- und Transideologie“ nicht selbst Menschen wären, die von Transphobie betroffen wären.

– Hm, Mist. Touché. Ich gab zu, dass ich nicht wisse, ob sich unter den verblödeten „Ideologiekritiker:innen“ auch diskriminierte, ausgegrenzte Personen befänden. So gibt es ja auch Schwarze bei der AfD, Juden bei der BDS-Kampagne, Frauen an der Spitze antifeministischer Gruppen und so weiter. Wenn mensch immer als Opfer behandelt wird, insbesondere von den gutmenschlichen Weltverbesser:innen mit dem schlechten bürgerlichen Gewissen, kann es schon mal sein, dass die Über-Identifikation mit dem Unterdrücker als die letzte Ausflucht aus dem Opferstatus erscheint. Das ist ja auch in jeder heternormativen romantischen Zweierbeziehung so. „Ist das vielleicht dein Problem?“, fragte ich, „Fühlst du dich irgendwie in deiner Rolle verunsichert, weil andere Menschen anders sein und leben möchten?“

Puh. Wir versuchten über etwas anderes zu reden. Es klappte nicht so gut. „Weißt du“, sagte ich, „ich würde ja gern mit dir über etwas anderes reden, aber ich frag mich eigentlich, was das für ein Gespräch sein sollte eben. Warum plusterst du dich denn so auf?“ (Und ich vermutete, mein Bekannter fühlte sich vielleicht einfach nicht woke genug und hatte aber aus irgendeinem Grund wohl das Gefühl, sich vor mir profilieren zu müssen. So kam es zu diesem kommunikativen Schlamassel. Nun ja, kein Beinbruch.) Allerdings begriff ich aufgrund meiner Bekifftheit erst später, was mich störte und das war jetzt weniger er als Person. Ich kann mich verschiedenen Menschen umgehen, auch wenn ihre Gedankengänge manchmal … unausgereift … sind. Nein, ich dachte einfach, das Ganze ist doch das gleiche alte Spiel, wie ich es schon vierfünf Mal durchgemacht habe.

Leute, denen sowas wichtig ist, meinen, hierbei eine Debatte auf inhaltlicher Ebene auszutragen. Eigentlich geht es doch aber um was ganz anderes. Die antideutsche Ideologie ist schlecht, weil sie hermetisch abgeschlossen ist, eigene Widersprüche ausgrenzt und solche bei anderen genüsslich seziert, um sie einer vernichtenden „Kritik“ zu unterziehen. Weil jene wiederum die Unzulänglichkeit ihrer eigenen Theorie nicht aushalten können, fühlen sie sich in ihren fragilen Identitäten angegriffen – und reagieren dementsprechend reflexhaft aggressiv. Im Grunde genommen bewegt sich die Debatte auf dem reinsten Schulhof-Niveau. Beide Seiten sind davon überzeugt, Wahrheiten für sich gepachtet zu haben und nicht begründen zu müssen. Wer sich heute noch vom billigen, phrasenhaften Hokuspokus einiger Allzudeutscher beeindrucken lässt, glaubt auch an die heilende Wirkung beim Zitieren von Adorno. Wer glaubt, mit dem bloßen queeren von Geschlechtsidentität Gesellschaftskritik zu üben, hat dagegen nicht verstanden, was herrschende Verhältnisse sind. In beiden Fällen geht jedenfalls aus der Theorie selbst nicht die Erzeugung einer bestimmten Realität hervor. Anzunehmen, dem sei so, heißt, dass mal ein Blick über die eigenen Schädelwände und diffusen Gefühlsstrudel bitter nötig wäre.

Noch mal mit anderen Worten: Da hat jemand vor lauter Arschlochmäßigkeit direkt vor die Haustür einer anderen Person geschissen. So nen richtig großen, stinkenden Haufen voller krampfhaft heraus gepresster Arroganz. Da würde ich mich zurecht angekackt fühlen. Statt aber diese offensichtliche Provokation einfach souverän zu ignorieren – weil dies das Beste ist, was mensch mit nach Aufmerksamkeit heischenden Arschlöchern machen kann – tun die Provozierten Folgendes: Sie treten absichtlich direkt in den Scheißhaufen rein, rümpfen die Nase, schauen sich nach allen Richtungen um und fangen dann theatralisch-aufgesetzt an zu zetern, sodass es alle im Dorf unweigerlich mitkriegen müssen: „Oh mein Gott. Was für ein scheiß riesiger Haufen Scheiße! Und sowas vor meiner Haustür! Das ist so ekelhaft!!! Ich könnte kotzen! Aber stattdessen organisiere ich eine Gegenkundgebung, damit wir diese Menschenfeind:innen anprangern können.“ Daraufhin reiben sie sich im Lager der Ersteren glücklich die Hände. Denn endlich können sie sich als Opfer fühlen und inszenieren. Niemand weiß, wie der Schluss gezogen wird, aber er wird es ja auch nicht, weil schon vorher fest stand: Das muss diese neoliberale Gesinnungsdiktatur sein!

Und das meine ich halt: Same old game. Es ist so langweilig. Es ist so billig. Und es ist sozial idiotisch. Sicherlich liegt die Wahrheit nicht irgendwo in der Mitte zwischen den meist als Strohpuppen aufgebauten Extrempositionen. Aber meine Fresse, gerade deswegen muss mensch doch Kontroversen aushalten können. Denn wer sich der eigenen Position sicher ist, braucht weder anderen vor die Tür zu kacken, noch sich darauf hin in der eigenen Identität angegriffen fühlen. Der Streit wird daher nicht konstruktiv geführt – mit ihm wird nicht auf irgendwas abgezielt, außer die Selbstbestätigung der eigenen Positionen – und diese sind mehr als ausbaufähig. Berechtigt wäre allerdings die Frage, ab welchem Punkt sich einige Szenen und Strömungen einer herrschenden Ideologie unterwerfen, obwohl sie im süffisanten Gewand auftreten, von dieser unterdrückt zu werden. Das geschieht aber meiner Erfahrung nach fast durch das ganze Spektrum der gesellschaftlichen Linken hinweg. In vielen Kreisen war es und ist es leider auch noch Gang und Gebe, sich vor allem in Abgrenzung zu konkurrierenden, gegnerischen oder feindlichen Gruppierungen zu definieren, statt durch eigene Inhalte, Positionen und Praktiken.

Naja, das wollte ich euch nur mitteilen. Ihr habt ja vermutlich auch alle „Meinungen“ dazu…

eure casi knacksi

[1] https://antifa.uni-halle.de/2021/09/die-austreibung-der-natur-zur-queer-und-transideologie-vortraege-und-diskussion/

[2] https://radiocorax.de/betroffenenperspektive-zu-umstrittener-veranstaltung-der-ag-antifa-in-halle/