Die Destruktionsform des Dunklen Kapitalismus

Produktionsweisen sind permanenten Wandlungen durch Veränderungen in den Besitzverhältnissen, Kapitalstrukturen, Produktionsbedingungen usw.. unterworfen. Als Akkumulationsregime werden in der marxistischen Theorie jene festgesetzten Rahmenbedingungen bezeichnet, unter denen bestimmte Produktionsweisen staatlich reguliert werden. So kann vom Manchesterkapitalismus, Fordismus, der Neoliberalismus oder einem möglicherweise anbrechenden neofaschistischen Akkumulationsregime gesprochen werden, in denen die jeweiligen Paradigmen verschoben sind.

Galt es beim Fordismus, die Arbeiter*innenklasse mit höheren Löhnen an den Gewinnen der Unternehmen zu beteiligen, damit sie selbst Konsument*innen ihrer Produkte werden und sich auf den Klassenkompromiss einlassen, so wurden im Neoliberalismus der Finanzmarkt enorm ausgeweitet, Globalisierung und Individualisierung vorangetrieben.

Bekannterweise geriet das neoliberale Akkumulationsregime spätestens 2008 in eine massive Krise. Diese wurde verlagert, indem Zentralbanken Geld erschufen, Banken durch Steuergelder retteten und in peripheren Staaten Sparpolitik („Austeritätspolitik“) auferlegt wurde, mit welcher Staatsausgaben gedrosselt und Produktivität durch Arbeitszwang erhöht werden sollte. Zwar wurden in diesen Krisenjahren auch Werte vernichtet – dies änderte aber nichts an den Machtverhältnissen und dem Reichtum der besitzenden Klassen, der insbesondere unter den Superreichen seit dem stetig angestiegen ist.

Mit anhaltender Abwanderung von Industrieproduktion aus Europa und den USA nach China, dem Bewusstwerden über die Folgen (und Kosten) der Klimaerwärmung, dem Aufflammen von militärischen Konflikten und dem Druck, den Migration perspektivisch noch ausüben wird, wurde offensichtlich, dass der Neoliberalismus nicht endlos verlängert werden kann. – Protektionistische Wirtschaftspolitik und weiterer Abbau des Sozialstaates, Aus- und Eingrenzung, nationalistische, rassistische und patriarchale Rhetoriken und imperialistische Bestrebungen werden nun nicht mehr nur von Akteuren am rechten Rand, sondern durch die Regierungen zunehmend direkt angewandt und umgesetzt.

Der Kapitalismus ist ein ökonomisches Herrschaftsverhältnis, das grundlegend menschenfeindlich und ökologisch zerstörerisch ist. Durch Kolonialismus, die Ausbeutung von Arbeitskraft und der Mitwelt erzielte er eine zuvor nie gekannte Produktivität menschlicher Gesellschaften – und transformierte diese grundsätzlich. In Phasen, in denen eine Produktionsform als verträglich erachtet wird, in welcher Reichtum gerechter verteilt und Konsum für breitere Schichten ermöglicht wird, wird auch die jeweilige Ausprägung des Kapitalismus von einem ausreichend großen Teil der Bevölkerung akzeptiert oder aktiv mitgetragen.

Dies setzte bislang stets umfangreiche staatliche Regulierung voraus, die einerseits Ergebnis sozialer Kämpfe, andererseits vernünftige Strategie für die Herrschaftssicherung war und damit einen lohnenswerten Kompromiss versprach (zumindest für jene, die in ihm beteiligt wurden und abgesehen von der fortschreitenden Vernichtung der Mitwelt). Wie erwähnt, scheint sich dieses Verhältnis nun im Großen zu verändern – zumindest engagieren sich offenbar ein Großteil der Superreichen dagegen, wobei ihre omnipräsenten Figuren zwar auch aktive Protagonisten sind, zugleich aber dem neuen ökonomisch-politischen Herrschaftsarrangement lediglich die Gesichter verleihen.

Insofern muss über die Wirtschaftsweise als Ganzes gesprochen werden. Und ich selbst bin dafür keine geeignete Person, sondern kommentiere lediglich das Zeitgeschehen aus meiner Perspektive. Was mir auffällt ist allerdings, dass bei der Diskussion um Wirtschaftsformen, häufig lediglich von der Sphäre der Produktion und des Konsums gesprochen wird. Linke Akteure thematisieren dann zusätzlich, dass die Distribution, also Verteilung, von Reichtum und gesellschaftlicher Arbeitskraft ungleich und ungerecht ist – und als Sphäre im Wirtschaftskreislauf verändert werden müsste. Angesichts des aufziehenden dunklen Kapitalismus gilt es jedoch endlich auch die Destruktions-Sphäre zu beachten. (Von „dunklem Kapitalismus“ lässt sich in einer Adaption der neofaschistischen Ideologie einer „dunklen Aufklärung“ sprechen. Dass Kapitalismus nicht in „gute“ und „böse“ Varianten unterteilt werden muss, sondern als ökonomisches Herrschaftsverhältnis grundsätzlich zu überwinden muss, habe ich bereits oben geschrieben. Zugleich gilt es seine verschiedenen Ausprägungen zu verstehen und zu beschreiben.)

Aus folgenden Gründen, wird die Ausgestaltung Destruktionssphäre im Wirtschaftskreislauf heute relevanter und gewinnt diese Form:

(1) Sogenanntes Risikokapital wird im Sekundentakt hin und her verschoben, ohne das die Folgen in der Realwirtschaft interessieren.

(2) Es wird vermehrt in Rüstungsgüter investiert und Krieg dient der Vernichtung von Werten, um für die Sieger*innen potenziell neue bzw. überhaupt Gewinne in der Zukunft zu generieren.

(3) Sozialstaatliche Absicherungen werden geschliffen, Gewerkschaften zerstört und der Lohnarbeiterstandpunkt untergraben. – Dadurch werden die sozialen Verwerfungen als Folgeerscheinungen des Kapitalismus nicht (gesamtgesellschaftlich und koordiniert) weiter kompensiert.

(4) Die ökologische Zerstörung der Produktionsweise wird aus der Kosten-Nutzen-Rechnung ausgeklammert – obwohl dies aus anderer Sicht völlig unökonomisch, eben nicht nachhaltig, ist.

(5) Um die Folgen von Militarisierung, Prekarisierung, Verelendung und ökologischer Verwüstung zu unterdrücken steigt die Repressivität von Staaten; werden demokratische Grundrechte ausgehebelt; vermeintlich „unproduktive“ und „ungehorsame“ Bevölkerungsgruppen der Bürgerschaftsstatus entzogen; Zwangsarbeit eingeführt; Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt usw. – Mit anderen Worten werden Regime diktatorischer – wozu sie auch sich verstärkt ihrer destruktiven Potenziale bedienen müssen.

Es wäre nun jedoch völlig verkehrt, zu meinen, dass die Destruktionssphäre die Überhand über die anderen Elemente des Wirtschaftskreislaufes übernehmen würde – und es vor allem dies zurückzuschrauben gälte, damit wir wieder wie gewohnt vermeintlich „für das Leben“ produzieren und konsumieren könnten. Diese Erscheinungen sind auch keineswegs neu, denn die Ausweitung des gefängnis-industriellen Komplexes in den USA, ebenso wie der Schattenwirtschaft unter mächtigen Kartellen war ja keineswegs ein Gegenbild, sondern ein Bestandteil des Neoliberalismus, der nun beerbt wird.

Was geschieht ist vielmehr eine Neuanordnung des Verhältnisses der Elemente zueinander und ihrer Ausprägung. Die Destruktionsphäre gab es immer und ist für einen funktionierenden Wirtschaftskreislauf notwendig. Denken wir in einer Analogie an ein Ökosystem, müssen Lebensformen darin ebenfalls sterben, in ihre Elemente zersetzt werden und wieder in den Kreislauf eingespeist werden, damit alles funktioniert.

Was Fleisch- und Aasfresser, Würmer, Käfer, Bakterien und Pilze in der Natur leisten, ist selbstverständlich nicht das Gleiche wie die feindliche Übernahme eines Betriebs, Massenentlassungen oder die Verheerung im Krieg, welche den Wiederaufbau ermöglicht. Dieser Vergleich wäre schon deswegen falsch, weil Wirtschaftsformen eben nicht „natürlich“, sondern gesellschaftlich – und damit bewusst, nach Paradigmen und Interessen – gestaltet sind. Gleichwohl lässt sich feststellen, dass die größere Teile der herrschenden Klassen gezielt destruktive Mittel anwenden, um ihre Profitinteressen abzusichern und die kapitalistische Wirtschaftsmaschine schneller laufen zu lassen – obwohl sie schon kurz vor dem Explodieren ist.

Daher müsste auch die Frage gestellt werden, welche Form und welchen Stellenwert die Destruktionssphäre in einer libertär-sozialistischen Wirtschaftsform annehmen würde. Ausgehend von den heutigen Produktionsbedingungen und Besitzverhältnissen würde dies zweifellos bedeuten, vieles zu vernichten, was nicht sinnvollerweise in einer libertär-sozialistische Gesellschaftsform benötigt wird, sondern deren Aufkeimen im Gegenteil vorrangig blockiert.

Darunter ist der dysfunktionale Über-Luxus der Superreichen – Yachten, Villen, Golfplätze und Ressorts lassen sich schlecht gebrauchen und umfunktionieren. Der interkontinentale Warenverkehr müsste deutlich reduziert werden, was bedeutet, dass es zahlreiche Frachter einzumotten gälte. Gleiches gilt für Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke. Die gesamte Automobilindustrie wäre umzustellen und deutlich abzubauen, damit auch die auf Autos ausgerichtete, zubetonierte Infrastruktur in Städten und Autobahnen. Statt die Erde und den Meeresbodens weiter zur Gewinnung von Metallen aufzureißen, gälte es vielmehr zu recyclen und langlebige Produkte herzustellen. Finanzkapital müsste konsequent entwertet werden, was ebenfalls eine Destruktion von Werten darstellt. Und die Anhäufung von Reichtum in den Händen einzelner Personen und ihrer Familien oder einzelner Unternehmen, müsste verhindert werden, weit bevor diese Monopole bilden.

Sprich, eine regelmäßige Destruktion des angeeigneten Reichtums wäre in einem libertär-sozialistisches Wirtschaftssystem fest zu etablieren. Zersetzung ist die Voraussetzung für eine kollektive und sinnvolle Aneignung der freigesetzten Elemente, die keine zentrale Steuerung braucht. Lieber lebensdienlich destruieren, als täglich weiter den Tod produzieren! Vom heutigen Standpunkt aus, kann die erforderliche Destruktionsleistung keineswegs mit einem Schlag bewältigt werden. Vielmehr ist sie systemisch in die Wirtschaftsform einzubauen, bis sich ein Regime etabliert hat, welches den Interessen aller Menschen zumindest deutlich eher dient. Kurz und knapp: Destruktion muss nichts Negatives sein, sondern ist ein wesentlicher Beitrag für funktionierende Wirtschaftskreisläufe. Daher gilt es, sie nicht nur den Bonzen zu überlassen. – Kapitalismus kompostieren!