„Das lassen wir uns nicht verbieten“: Rechtsextreme Parolen bei Dorffest in Borsdorf?
Auf den Song „L‘Amour toujours“ den Text „Ausländer raus“ mitzusingen, hat sich als rechter Partygag etabliert – aber ist nicht per se strafbar. Nun zieht die Gemeinde Borsdorf Konsequenzen aus einem Vorfall beim Parthenfest am Wochenende.
Der kurze Videoausschnitt zeigt friedlich Feiernde in einem Festzelt. Im Hintergrund läuft ein Lied, dessen Titel zuletzt immer wieder in Schlagzeilen und Strafanzeigen auftauchte: „L‘amour toujours“ von Gigi D‘Agostino. Das Lied endet, die Kamera schwenkt zum DJ. „Genau“, ruft der zufrieden ins Mikro. „Und das lassen wir uns nicht verbieten hier.“
Wurde beim Parthenfest in Borsdorf, Ortsteil Panitzsch, etwa eine rechtsradikale Parole angestimmt?
Das behauptet zumindest Augenzeugin F., die das Video, das der LVZ vorliegt, mit ihrem Handy aufzeichnete. „Sind wir denn hier auf Sylt oder was?“, habe der DJ gerufen. Dann sei „L‘amour toujours“ erklungen. Beim Refrain habe „fast das ganze Zelt“ mitgesungen, so berichtet es F. gegenüber LVZ: „Ausländer raus, Ausländer raus“.
Sie sagt: „Ich habe mich so fremd geschämt.“ Und ergänzt: „Ich finde, dieser DJ sollte nicht mehr auf solchen Stadtfesten spielen.“
„Es gibt immer zwei, drei Idioten“
Anruf bei Matthias Borchert, der seit den Neunziger Jahren als „DJ Sachsendisco“ auf Hochzeiten, Firmenfeiern oder Dorffesten auflegt – und eben auch am Freitag, beim Parthenfest in Borsdorf.
„Ich habe mir da keine Gedanken gemacht“, sagt er zu seiner Song-Auswahl. Dass der Song manche anstiften könne, eine rechtsradikale Parole anzustimmen? „Es gibt immer zwei, drei Idioten“, sagt Borchert. Mehr seien es aber nicht gewesen. Er finde: „Davon lässt man sich den Song nicht kaputtmachen.“ Musik gehöre nicht verboten. Daher auch seine Ansage.
Borchert nennt noch Lieder wie Layla (DJ Robin & Schürze), Moskau (Dschinghis Khan) oder Jeanny (Falco), die einst aus anderen Gründen auf Festen oder Radiosendern nicht gespielt werden sollten. „Manchmal wird man vor einem Auftritt darum gebeten, diesen oder jenen Song nicht zu spielen“, sagt er. „Ich finde das schade – gerade wenn ein Mix seit vielen Jahren gut funktioniert.“
Es bleibt die Frage: Warum zog Borchert übers Mikro den Vergleich zu Sylt? Warum forderte er, den Song „nicht verbieten“ zu lassen? Warum ermahnte er nicht jene, die „Ausländer raus“ grölten? „Ich will mich nicht positionieren oder politisieren, es geht mir mehr um die Musik“, sagt er.
Matthias Borchert, das muss man vielleicht noch dazusagen, ist selbst nicht in Deutschland geboren – sondern in Russland. In den späten Siebziger Jahren kam er als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland.
„Es hat nicht das ganze Zelt mitgesungen“
Anruf im Borsdorfer Rathaus. „Uns ist der Vorfall bekannt“, sagt Bürgermeisterin Birgit Kaden. Man sei in der Gemeinde dabei auszuwerten, was passiert sei – und was nicht.
Einige Dinge will sie schon am Telefon mit der LVZ gerade rücken. Erstens, so Kaden, habe „nicht das ganze Zelt mitgesungen.“ Anders als Anne F. es behauptet, habe sie die Situation eher wie DJ Matthias Borchert erlebt. „Wir sind alles, aber nicht rechtsradikal“, so Kaden. Zudem seien etwa die Security-Leute auf dem Parthenfest keine gebürtigen Deutschen. „Ohne die ginge es hier aber gar nicht“, so Kaden.
Zweitens, fährt Kaden fort: „Wir haben dem DJ keine Lieder genannt, die er nicht spielen darf.“ Von „verbieten“ könne also keine Rede sein. Sie selbst habe nicht gewusst, dass das Lied von Rechten zweckentfremdet wird – auch wenn sie die Debatte verfolgte: „Als damals die Videos davon die Runde machten, wollte ich den Idioten nicht noch einen Klick schenken.“
Kaden zieht jetzt Konsequenzen: DJ Sachsendisco, der schon einige Male beim Parthenfest aufgetreten ist, wolle sie nicht noch einmal engagieren. Das habe die Gemeinde ihm mitgeteilt. „Der ist eigentlich einer, der die Tanzfläche immer vollkriegt“, sagt sie. Am Freitagabend habe er aber „eine eigentlich schöne Situation ausgenutzt“.
Bürgermeisterin Kaden erlebte ihr Festzelt in einiger Aufregung, als das Lied um kurz vor Mitternacht erklang. Als einige Gäste grölten: „Ausländer raus“. Kaden: „Da kamen junge Frauen zu mir und sagten: Da vorne werden Parolen mitgesungen, das geht nicht, ich habe Angst um meinen Job.“
„Ausländer raus“: Parole fällt unter Meinungsfreiheit
Hintergrund: Im Mai war ein Video aus Sylt aufgetaucht, bei dem Partygäste eines noblen Clubs „Ausländer raus“ sangen. Einige Personen aus dem Video wurden im Internet schnell identifiziert, die Staatsanwaltschaft ermittelte. Mindestens eine Frau verlor daraufhin auch ihren Job.
Strafbar ist die Parole „Ausländer raus“ allerdings nicht per se, erklärt Ricardo Schulz, Sprecher der Leipziger Staatsanwaltschaft. „Allein die Aussage ist nicht volksverhetzend, dafür müsste noch etwas hinzukommen“, so Schulz. 2010 erinnerte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass „Ausländer raus“ unter die Meinungsfreiheit fällt. Anders verhält es sich, wenn beispielsweise ein Hitlergruß dazu gezeigt wird.
Dennoch ermittelt die Polizei immer wieder wegen eines Anfangsverdachts, wenn Fälle von „Ausländer raus“ zu „L‘amour toujours“ bekannt und angezeigt werden. Zuletzt etwa nach einer Grimmaer Beachparty Ende August, nach der das politische Bündnis „Grimma zeigt Kante“ Anzeige stellte. Am Montag wurde ein ähnlicher Fall aus Brandenburg vom Wochenende bekannt. Die Leipziger Polizeidirektion kündigte an, in den kommenden Tagen eine Übersicht bisheriger Anzeigen solcher Fälle vorzulegen.
„Das Lied selbst kann nichts dafür“, sagt Bürgermeisterin Kaden noch. Sie habe auch kein Problem, wenn es gespielt wird. Doch DJ Sachsendisco habe es mit seinen Ansagen in einen radikalen Kontext gerückt. Kaden: „Ich finde, da verliert das friedliche Feiern seine Unschuld.“
Transparenzhinweis: Den Fakt, dass Matthias Borchert mit seinen Eltern aus Russland nach Deutschland einwanderte, haben wir nachträglich ergänzt.