Sexuelle Gewalt #Metoo: Leipziger Initiative sieht strukturelles Problem in Musikindustrie
Vor gut einem Jahr haben die Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann eine intensive Debatte über Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt angestoßen. Seitdem betreibt eine Initiative aus Leipzig eine Plattform, die Erfahrungsberichte Betroffener von Übergriffen in der Musikindustrie sammelt. Dutzende Meldungen sind bisher eingegangen. Sexuelle Gewalt sei ein strukturelles Problem, sagen die Aktivistinnen.
Vor gut einem Jahr sind die Vorwürfe über mutmaßlichen Machtmissbrauch und sexuelles Fehlverhalten gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann öffentlich geworden. Auch wenn die Ermittlungen gegen Lindemann mangels hinreichenden Tatverdachtes bereits Ende August 2023 eingestellt wurden, war der Fall für einige Aktivistinnen der Anlass, sich zu einer Initiative zusammenzuschließen.
Dutzende Fälle und hohe Dunkelziffer
Anne-Lena Öhmannn und ihre Mitstreiterinnen wollen mehr Aufmerksamkeit auf das Thema sexuelle Gewalt in der Musikindustrie lenken. Unter dem Label #musicmetoo betreiben sie in Leipzig eine Online-Plattform, bei der Betroffene Fälle von sexualisierter Gewalt und Diskriminierung melden und ihre Erfahrungen teilen können.
Über 80 Berichte seien seitdem bei der Plattform eingegangen, sagte Öhmann MDR KULTUR. „Wir gehen davon aus, dass die Dunkelziffer weiterhin deutlich höher ist als diese Zahl an Berichten, die wir bekommen haben“, so Öhmann. Zudem erstatten laut der Aktivistin nur wenige Betroffene Anzeige, da die Verfolgungs- und Aufklärungsquoten der ermittelnden Behörden niedrig seien.
„Wir erkennen auf jeden Fall ein strukturelles Problem“, bilanziert Öhmann. Die meisten Fälle, die bei den Aktivistinnen eingegangen seien, hätten allerdings nicht im Umfeld der Band Rammstein stattgefunden. Sexuelle Gewalt und Diskriminierung gingen vor allem von Künstlern und Künstlerinnen gegen Fans aus. Viele Fälle seien auch an Musikhochschulen zu beobachten, mit Studierenden als Betroffenen und Dozentinnen oder Dozenten als Gewaltausübenden. Die Macherinnen von #musicmetoo gehen aber davon aus, dass sexualisierte Gewalt auch in anderen Orten und Situationen stattfindet.
Erfahrungsberichte über traumatisierende Erlebnisse
Rund 80 Meldungen sind laut den engagierten Frauen bisher bei der Plattform eingangen. Auf der Website von #musicmetoo sind dutzende Erfahrungsberichte öffentlich einsehbar. Die Fälle reichen von systematischen Demütigungen durch Hochschulprofessoren über sexuelle Belästigungen durch Musiker bis zu Übergriffen auf Minderjährige und Vergewaltigungen. Die Betroffenen schildern traumatische Erfahrungen – ein Schritt, der laut Anna-Lena Öhmann „immer eine Form von Retraumatisierung sein kann“.
Der Aktivistin zufolge hat der Fall Lindemann eine wichtige Debatte angestoßen und dazu geführt, „dass sich viele auch unabhängig davon einfach noch mal melden wollten und zeigen wollten, dass es eben ein strukturelles Problem ist und dass es keine Einzelfälle sind, wie es oft dargestellt wird.“
Die Gründerinnen von #musicmetoo wollen weiter machen: „Unsere Plattform bleibt weiter bestehen und ist weiter offen für Berichte“, sagt Anna-Lena Öhmann. Das Problem sexueller Gewalt und Diskriminierung werde, so Öhmann, „weiterhin ein Teil unseres Ehrenamts bleiben und auch ein Teil der Branche bleiben. Denn wir wissen gerade noch nicht, wie wir das lösen können, damit das Thema irgendwann gar nicht mehr relevant ist.“
Weitere Informationen über #musicmetoo finden Sie hier: https://www.musicmetoo.de/