Die kleine Welt der Roten Wende Leipzig: Eine linke Selbstdisqualifizierung

Die kleine Welt der Roten Wende Leipzig: Eine linke Selbstdisqualifizierung
Das aktuelle Statement der Rote Wende Leipzig und von Jugend im Kampf[1] zum Nahost-Konflikt gibt einen Eindruck zur Gedankenwelt dieser Gruppen. Beide versuchen in ihrem Text mit Hilfe einer eigenwilligen historischen Herleitung ihre Unterstützung der „palästinensischen Nation“ zu begründen, indem sie dem Zionismus und damit Israel einen rassistischen Imperialismus unterstellen, der die „Palästinenser:innen“ im Sinne eines Kolonialstaates systematisch unterdrückt, vertreibt und ermordet. Diese verzerrte Kombination von Ereignissen bezeugt im Grunde aber vor allem ein dogmatisches und verstaubtes Weltbild.
Leider haben die letzten Monate gezeigt [2], dass solche Positionen von einigen Menschen, die sich der linken Bewegung bzw. Szene zugehörig fühlen, entweder unhinterfragt toleriert oder sogar als anschlussfähig und legitim wahrgenommen werden. Eine Kritik ist daher nötig, um den Weg für eine solidarische, emanzipatorische und freiheitliche Alternative zum Kapitalismus durch eine linksradikale Bewegung voranzubringen. Im Folgenden soll die problematische Weltanschauung dieser Gruppen exemplarisch an zwei zentralen Argumentationsmustern aufgezeigt werden.
Eine Welt in schwarzweiß
Der gesamte Text der Roten Wende basiert auf der Ideologie des (post-)kolonialen Antiimperialismus, in dem die Welt stets in nur zwei Formen von Menschen bzw. Gesellschaften eingeteilt wird: Unterdrücker und Unterdrückte. Für Vielschichtigkeit, Zwischentöne, Widersprüchlichkeiten oder Veränderungen ist kein Platz in dieser Perspektive. Deshalb kann die Herangehensweise der Roten Wende Leipzig nur dann einigermaßen verständlich erscheinen, wenn viele geschichtliche Fakten und gesellschaftliche Hintergründe verfälscht, nicht erwähnt oder bewusst verschwiegen werden. So fehlen zentrale Zusammenhänge und Ereignisse im Nahen Osten wie bspw. die Verbreitung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert durch Christen aus Europa, die Übernahme dieser Narrative durch palästinensisch-nationalistische Kräfte in den 1920er Jahren [3],  die Kooperation zwischen Nazideutschland mit dem Großmufti von Jerusalem Amin al-Husseini (1896/7-1974) und den durch arabisch-palästinensische Nationalisten durchgeführten Pogromen auf Jüdinnen und Juden [4], die weitere Verfestigung des Antisemitismus als politische Strategie in den 1950ern und 1960ern durch arabische Nationalisten wie Abdel Nasser oder die Politik der Muslimbruderschaft als zentralen Akteur der islamischen Rechten. Dass selbst der aktuelle Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 im Text keine Einordnung findet, zeugt deutlich von der eindimensionalen Sichtweise.
Sicherlich spielen in der globalisierten Welt stets kritikwürdige kapitalistische Verwertungslogiken eine Rolle. Für eine ehrliche Analyse des komplexen Konflikts im Nahen Osten ist es auch erforderlich sich kritisch mit Antisemitismus, der Geschichte der islamistischen Rechten sowie den geschichtlichen und aktuellen geopolitischen Prozessen in ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit zu beschäftigen. Auch die Rolle der autoritären und antifeministischen Hamas als repressiver Unterdrücker der Bevölkerung in Gaza wird nicht thematisiert [5]. Im Gegenteil wird diese Gruppe als strategischer Partner („Zweckbündnis“) für den „völkischen Befreiungskampf der Palästinenser:innen“ durch die Rote Wende ins Feld geführt. Wer solche Akteure als legitime Partner anzieht, lebt entweder in einer eigenen Traumwelt oder hat sich bereits vom humanistischen Weg (hin zu einer besseren Welt) verabschiedet.
Nationalismus
Die Rote Wende Leipzig nimmt in ihrem Statement immer wieder einen positiven Bezug auf den „nationalen Befreiungskampf der Palästinenser:innen“. Einerseits wird dabei deutlich, dass den Menschen in Gaza und Umgebung jegliche Individualität und Unterschiedlichkeit aberkannt wird, weil sie zu einer homogenen Masse zusammendefiniert werden. Andererseits erscheint das Konzept des Nationalismus für die Rote Wende mindestens eine gute Seite zu haben [6].
Der positive Bezug zum Nationalismus wird auch an den Stellen deutlich, in dem die vermeintliche Rolle Deutschlands beschrieben wird. So wird an diesen Stellen scheinbar größten Wert darauf gelegt die Begrifflichkeit „BRD“ zu nutzen. Eine Unterscheidung zwischen einer bösen „BRD“ und einem guten „Deutschland“ scheint für die Rote Wende wichtig zu sein. Dies konterkariert den angeblichen Kampf gegen den Kapitalismus, da Nation als Produkt der Moderne eng in Zusammenhang mit der kapitalistischen Produktionsweise steht und als gesellschaftliche Konstruktion nationale Identitäten schafft [7]. Aus einem linksradikalen Verständnis heraus ist jede Form von Nationalismus abzulehnen, da hierdurch nur Machtansprüche über andere Menschen legitimiert werden und es somit einer befreiten und universalistischen Gesellschaft widerspricht. Nationalismus kann nie eine gute Seite haben und führt schnell zu Vorstellungen wie dem Ethnopluralismus der Neuen Rechten. Nation, Staat, Patriarchat und Kapital stehen einer sozialen Emanzipation entgegen und müssen in ihrem Wechselspiel gefasst werden. Dass dies möglich ist, zeigen die linken Bewegungen der Zapatistas oder der Befreiungskampf im Norden Syriens, wo die dort lebenden Menschen mit ihrer auf demokratischen Kommunen basierenden Föderation eine echte Alternative zum Nationalstaat errichten.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist durchaus wichtig, dass sich die Lage für die Menschen u.a. in Gaza und Umgebung verbessert. Eine solidarische Unterstützung für diese Menschen, die sich für realpolitische Verbesserungen einsetzen, ist richtig. Für eine nachhaltige und aufgeklärte Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände vor Ort ist eine humanistische und demokratische Einstellung der zu unterstützenden Akteure grundlegend und sollte daher differenziert erfolgen.
Fazit
Das Statement der Roten Wende Leipzig erinnert aufgrund der Argumentationsmuster an die dogmatischen und repressiven Wertvorstellungen des „realexistierenden Sozialismus“ der DDR und steht damit einer freiheitlichen, antiautoritären und demokratischen Sichtweise für eine bessere Gesellschaft entgegen. Die lückenhafte und dichotome Darstellung des Nahost-Konflikts ist daher nur billige Propaganda, die nur der Selbstdarstellung dient. Das politische Angebot der Roten Wende Leipzig ist vor allem ein Aktionismus für einen verstaubten Sozialismus, der aufgrund der ideologischen Herangehensweise am Ende selbst schnell in repressiven Machtverhältnissen und Autokratie enden kann.
Eine linksradikale Bewegung muss sich von solchen verkürzten Denkmustern und Vorgehensweise lossagen, damit eine ehrliche und kapitalismuskritische Analyse mit anschließender emanzipatorischer und reflektierter Praxis möglich wird.
Eine linksradikale Bewegung muss die Welt in ihrer Vielschichtigkeit verstehen, um so die gesellschaftlichen Zwänge und systematische Diskriminierung von Menschen und Umwelt zu begreifen und nachhaltig abzuschaffen.
Eine linksradikale Bewegung muss auf die reflektierte Mündigkeit der Menschen abzielen und individuelle Selbstwirksamkeit stärken, um repressive Machtverhältnisse von Menschen über Menschen zu beseitigen.
Für eine undogmatische und antiautoritäre linksradikale Bewegung!
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 [1] Im Folgenden werden beide Gruppen unter dem Namen Rote Wende Leipzig zusammengefasst.
 [2] Die Demonstration zum 1. Mai 2024 am Südplatz hat gezeigt, dass Gruppen wie die Rote Wende mittlerweile Demonstrationen prägen können und viele Leute bereit sind dies zu akzeptieren oder zu tolerieren.
 [3] Weinstock, Nathan: Der zerrissene Faden.
 [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Mohammed_Amin_al-Husseini
 [5] https://www.dw.com/de/hamas-schl%C3%A4gt-proteste-im-gazastreifen-gewaltsam-nieder/a-47954779
https://katapult-magazin.de/de/artikel/gaza-unterstuetzt-die-hamas-nicht
https://www.spiegel.de/ausland/gaza-hamas-soll-seit-jahren-mit-eigener-geheimpolizei-palaestinenser-bespitzeln-a-d6d56439-d372-4536-9f84-d038858acb89 
[6] In dieser Gedankenwelt kann der Zionismus als eine Bewegung zum „nationalen Befreiungskampf“ verstanden werden.
 [7] Mense, Thorsten: Kritik des Nationalismus