»Fahrrad-Gate«

Zwischen 2014 und 2018 wurden über 260 Fahrräder aus der Asservatenkammer der Leipziger Polizei illegal verkauft. Die Hauptangeklagte muss sich nun wegen Diebstahl, Bestechlichkeit und Urkundenfälschung vor dem Landesgericht in Leipzig verantworten. Hier berichten wir von den Entwicklungen an den einzelnen Prozesstagen.

Zweiter Prozesstag, 4. Juni: Anke S. weist Vorwürfe zurück – ihr ehemaliger Vorgesetzter widerspricht

Die Verhandlung beginnt, wie in der vorangegangenen Woche angekündigt: Erik Bergmüller, der Anwalt der Angeklagten Anke S., verliest die Stellungnahme seiner Mandantin. Darin beschreibt Bergmüller, wie die Asservierung der sichergestellten Fahrräder ablief. Er betont, dass die Herausgabe an gemeinnützige Vereine nie eigenmächtig stattgefunden habe und alle Schritte stets offengelegt worden seien.

Weil sich immer mehr Fahrräder angesammelt hätten, sei in der Asservatenkammer irgendwann ein Platzproblem entstanden. Die Abnahme der Fahrräder durch Vereine, besonders den Kleingartenverein (KGV) des Vaters der Angeklagte, habe also vielmehr als Entlastung gedient und nicht der persönlichen Bereicherung. »Ich bin bemüht, an der Klärung mitzuwirken«, zitiert Bergmüller seine Mandantin gegen Ende.

In der anschließenden Befragung von Anke S. liegt der Fokus auf der Herausgabe der Fahrräder. Ruhig und besonnen antwortet sie auf alle Fragen. Zwischendurch spricht sie sich einige Male mit ihrem Verteidiger ab. Auch wenn deutlich wird, dass sie nicht immer zufriedenstellende Antworten für die Kammer parat hat, wirkt sie kaum verunsichert. Unter ihren Kollegen hätte sich herumgesprochen, dass Fahrräder über gemeinnützige Vereine abzugeben seien. Viele hätten im Namen eines Vereins Räder abgeholt, ob diese tatsächlich beim Verein ankamen, sei nicht kontrolliert worden. Wer keinen Verein als Abnehmer hatte, habe trotzdem ein Fahrrad direkt vor Ort gegen Bargeld bekommen, die Abwicklung sei dann über den KGV des Vater der Angeklagten gelaufen.

In dem Moment, als sie das Geld entgegennahm, habe sie als Privatperson gehandelt, auch wenn es während ihrer Dienstzeit gewesen sei, sagt S. Auf die Frage, wo die Grenze zwischen ihrer Rolle als Privatperson und Polizistin verlaufen sein, hat S. keine Antwort. Auch gibt es keine Erklärung dafür, weshalb sie mit dem Namen ihres Vaters und nicht mit dem eigenen die Quittungen unterschrieben hat. Teilweise seien die Unterschriften auch unleserlich gewesen. Staatsanwalt Christian Kuka legt den Verdacht nahe, dass vertuscht werden sollte, dass so viele Fahrräder über den KGV des Vaters abgegeben wurden.

Immer wieder werden Fragen zu Regelungen bezüglich der Herausgabe von Asservaten gestellt. Doch laut der Angeklagten gab es keine. In der folgenden Vernehmung bestätigen sowohl ihr ehemaliger Vorgesetzter als auch ihre Vorgängerin als Zuständige für die Asservaten, dass es keine Vorgaben oder Vorschriften gegeben habe, wie bei der Herausgabe von Fahrrädern vorzugehen war.

Nur die Gemeinnützigkeit der Vereine war Voraussetzung für die Abgabe, ansonsten hätten die Vereine frei ausgewählt werden können. Auch eine Kontrolle der Verfahrensweise von Anke S. habe nie stattgefunden. Trotzdem ergeben sich auch Widersprüche, denn laut der Angeklagten habe ihr Vorgesetzter über alle Schritte Bescheid gewusst. Dem widerspricht er: von der Weitergabe gegen Bargeld sei ihm nichts bekannt gewesen.

Die Vorgängerin von Anke S. hingegen habe davon gewusst, nachdem sie selbst nicht mehr für die Asservaten zuständig gewesen sei. Sie wird zunehmend unruhiger und rutscht immer mehr in eine rechtfertigende Position. Die Frage, ob es zu ihrer Zeit bereits möglich gewesen sei, Fahrräder vor Ort zu bekommen, verneint sie und verweigert genauere Angaben dazu, weil gegen sie auch ein Verfahren läuft. Die Vorgängerin berichtet davon, dass Anke S. gegen ihren neuen Vorgesetzen gewettert habe, weil der das Vorgehen genauer kontrolliert habe. Eine dritte Zeugenvernehmung, die für den Termin angesetzt war, wird auf einen späteren Termin verschoben. LEONIE BEER

Erster Prozesstag, 28. Mai: Verhandlung mit neuer Verteidigung beginnt neu – Anklageschrift bleibt gleich

»Ich versuche bis zum Mittag damit durchzukommen«, erklärt Staatsanwalt Christian Kuka dem Richter Rüdiger Harr, als dieser ihn fragt, ob er für die Verlesung der Anklageschrift eine Pause brauche. Das Vorlesen der Anklage dauert etwa vier Stunden, wie sich im Laufe des Dienstags herausstellen wird.

Es ist die gleiche Anklage, die bereits Mitte März zum eigentlichen Verhandlungsbeginn im »Fahrrad-Gate«-Prozess verlesen wurde. Damals wurde der Prozess nach einem Monat unterbrochen, da der ehemalige Verteidiger der Angeklagten Anke S. angab, sich in einem Interessenkonflikt zu befinden, weil er noch andere Beschuldigte im Verfahren vertritt. Mit dem neuen Verteidiger Erik Bergmüller sind 16 Prozesstage bis Ende Oktober angesetzt.

Der angeklagten und inzwischen suspendierten Polizeihauptmeisterin Anke S. wird von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden vorgeworfen, zwischen August 2014 und November 2018 mindestens 265 sichergestellte Fahrräder aus der Asservatenkammer der Leipziger Polizeibehörde an Polizeibeamte und Privatpersonen weitergegeben zu haben.

Pro Fahrrad nahm sie eine Spende zwischen 5 und 50 Euro. Die Spenden erhielt ein Gartenverein bei Leipzig, dessen Vorsitzender: der Vater der Angeklagten. Dabei soll sie Spenendenquittungen anstelle der Spendenden selbst unterschrieben und Unterschriften gefälscht haben, weshalb S. sich auch wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung verantworten muss.

Von den etwa 4.800 Euro, die sie damit einnahm, soll S. 3.000 Euro selbst behalten haben. Zu den insgesamt 189 Abnehmerinnen und Abnehmern gehörten nicht nur Privatpersonen, sondern auch Polizistinnen und Polizisten, gegen alle ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft Dresden seit 2019. Die meisten Verfahren wurden gegen Zahlung einer Geldauflage oder aufgrund mangelnder Beweise eingestellt.

Nächste Woche wird sich Anke S. zur Anklage äußern, das stellte ihr neuer Verteidiger am Dienstag in Aussicht. Bisher hatte S. die Vorwürfe von sich gewiesen, erhaltene Spenden habe sie an einen gemeinnützigen Verein weitergegeben. Sollte es zu einer »anständigen Einlassung« kommen, so erklärte es der Richter Harr, könne die Kammer eine Geldstrafe erteilen. Die Generalstaatsanwaltschaft besteht auf einer Freiheitsstrafe.

Bliebe es bei einer Geldstrafe, müsste die zuständige Polizeidirektion in einer internen Verhandlung entscheiden, ob S. nach Beendigung des Gerichtsprozesses wieder als Polizeibeamtin arbeiten kann. Der nächste Verhandlungstag ist auf Dienstag, den 4. Juni angesetzt. FRAUKE OTT


Alexander Bischoff mopo 04.06.2024

„Fahrradgate“-Prozess: Angeklagte Polizistin weist alle Schuld von sich

Leipzig – Sie ist sich keiner Schuld bewusst: Im „Fahrradgate“-Prozess um den illegalen Verkauf sichergestellter Räder bei der Polizei hat die ehemalige Asservatenverantwortliche Anke S. (47) die Vorwürfe des Diebstahls und der Bestechlichkeit zurückgewiesen. Die Weitergabe der Fahrräder sei mit ihren Vorgesetzten abgesprochen gewesen.

Auch im zweiten Prozess-Anlauf erklärte sich die suspendierte Polizeihauptmeisterin zunächst über eine von ihrem Verteidiger Erik Bergmüller verlesene Erklärung.

Sie habe sich nicht persönlich bereichert und auch kein Geld für sich behalten, ließ die Angeklagte vortragen.

Alle Spenden, die sie erhalten habe, habe sie an einen gemeinnützigen Verein weitergegeben. Gemeint ist der Pegauer Kleingartenverein „Freundschaft“, dessen Vorsitzender der Vater der Polizistin war.

Auf Nachfragen des Gerichts erklärte Anke S. später, dass sie einerseits Asservatenverantwortliche der Polizei und andererseits Bevollmächtigte des begünstigten Vereins in einer Person war.

Fahrradgate-Prozess in Leipzig wird fortgesetzt

Sie habe das jedoch strikt getrennt, versicherte die Angeklagte. Und erklärte: „Ich habe nichts verheimlicht und die Vorgänge meinen Vorgesetzten immer mitgeteilt.“

Dem widersprach der ehemalige Vorgesetzte von Anke S. im Zeugenstand.

Ihm sei von Bargeldübergaben an die Angeklagte nichts bekannt gewesen, sagte André F. (49).

„Wenn ich davon erfahren hätte, hätte ich es auch untersagt.“

Gegen den Hauptkommissar war im „Fahrradgate“ ebenfalls ermittelt worden.

Das Verfahren wurde jedoch eingestellt – wie im Übrigen alle Ermittlungsverfahren gegen die sieben Polizeiführer, die zwischen 2014 und 2018 für die ZentraB (Zentrale Bearbeitung Fahrradkriminalität) und deren Asservaten verantwortlich waren. Der Prozess wird fortgesetzt.


LVZ 04.06.2024

„Fahrradgate“-Prozess in Leipzig: Polizistin weist Vorwürfe zurück

Hunderte Fahrräder aus der Asservatenkammer der Leipziger Polizei werden illegal verkauft. Eine angeklagte Polizistin als damalige Verantwortliche bei der Polizei ist sich keiner Schuld bewusst.

Im „Fahrradgate-Prozess“ um den illegalen Weiterverkauf von sichergestellten Rädern bei der Polizei Leipzig hat die angeklagte Polizistin die Vorwürfe zurückgewiesen. Sie habe sich nicht persönlich bereichert und kein Geld für sich behalten, ließ die 47-Jährige am Dienstag über ihren Verteidiger erklären.

Vor dem Landgericht Leipzig muss sich die suspendierte Polizeihauptmeisterin als damalige Verantwortliche in der Asservatenkammer wegen Diebstahls, Bestechlichkeit und Urkundenfälschung verantworten.

Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihr vor, von August 2014 bis November 2018 mindestens 265 zum Teil hochwertige Fahrräder weitergegeben zu haben – überwiegend an Polizisten, auch von der Bereitschaftspolizei und dem Landeskriminalamt. Insgesamt soll sie so 4795 Euro eingenommen und mindestens 3000 Euro für sich behalten haben.

Angeklagte: Räder aus Asservatenkammer der Polizei Leipzig für guten Zweck verkauft
Die Fahrräder waren größtenteils gestohlen und später von der Polizei sichergestellt worden. Die ursprünglichen Besitzer und auch die Versicherungen hatten die Fälle bereits abgegolten und kein Interesse mehr an den Rädern gehabt. Diese sollten entweder entsorgt oder an einen gemeinnützigen Verein übergeben werden.

Sie habe die Spenden, die sie erhalten habe, an einen gemeinnützigen Verein weitergegeben, hieß es in der Einlassung. Die Gelder seien an einen Gartenverein im Landkreis Leipzig gegangen, dessen Vorsitzender der Vater der Angeklagten war. „Ich habe nichts verheimlicht und die Vorgänge meinen Vorgesetzten immer mitgeteilt.“

Widersprüchliche Aussagen beim „Fahrradgate“-Prozess

Dem widersprach der damalige Vorgesetzte der Angeklagten am Dienstag. Ihm sei von Bargeldübergaben an die Angeklagte nichts bekannt gewesen, sagte der 49-Jährige als Zeuge am Dienstag. „Wenn ich davon erfahren hätte, hätte ich es auch untersagt“. Gegen den Polizeibeamten war in diesem Zusammenhang auch ermittelt worden. Die Ermittlungen waren aber eingestellt worden.

Auf die Nachfrage des Gerichts, ob sie sich keine Gedanken gemacht habe, dass sie als Polizistin Bargeld entgegengenommen und weitergeleitet habe, antwortet die Angeklagte. „Auch das habe ich meinen Vorgesetzten geschildert. Es hieß, dass dies nicht strafbar sei.“ Der Prozess sollte am 11. Juni fortgesetzt werden. Das Landgericht hat Termine bis Ende Oktober angesetzt.


MDR 04.06.2024

Landgericht Leipzig „Alles rechtens“ – Polizistin sagt bei „Fahrradgate“-Prozess aus

Hunderte Fahrräder aus der Asservatenkammer der Leipziger Polizei werden illegal verkauft. Eine angeklagte Polizistin als damalige Verantwortliche bei der Polizei ist sich keiner Schuld bewusst.

Im sogenannten Fahrradgate-Prozess um den illegalen Weiterverkauf von sichergestellten Rädern bei der Polizei Leipzig hat die angeklagte Polizistin die Vorwürfe zurückgewiesen. Sie habe sich nicht persönlich bereichert und kein Geld für sich behalten, ließ die 47-Jährige am Dienstag über ihren Verteidiger erklären.

Vorgesetzter widerspricht angeklagter Polizistin

Eine größere Anzahl an Fahrrädern war an den Gartenverein ihres Vaters gegangen und von ihr weiterverkauft worden. Da sie eine Vollmacht des Vereins hatte, habe sie diese Räder nicht als Polizistin weiterverkauft, sondern im Namen des Vereins, so die Angeklagte. Sie habe die Spenden, die sie erhalten habe, an den Verein weitergegeben, hieß es in ihrer Stellungnahme. „Ich habe nichts verheimlicht und die Vorgänge meinen Vorgesetzten immer mitgeteilt.“
Dem widersprach der damalige Vorgesetzte der Angeklagten. Ihm sei von Bargeldübergaben an die Angeklagte nichts bekannt gewesen, sagte der 49-Jährige als Zeuge am Dienstag. „Wenn ich davon erfahren hätte, hätte ich es auch untersagt“. Gegen den Polizeibeamten war in diesem Zusammenhang auch ermittelt worden. Die Ermittlungen waren aber eingestellt worden.

Die suspendierte Polizeihauptmeisterin muss sich wegen Diebstahls, Bestechlichkeit und Urkundenfälschung verantworten. Die 47-Jährige war zuständig für die Asservatenkammer der Leipziger Polizei. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihr vor, von August 2014 bis November 2018 mindestens 265 sichergestellte Fahrräder unter anderem an Kollegen von der Bereitschaftspolizei und des Landeskriminalamts verkauft zu haben. Insgesamt soll sie so knapp 5.000 Euro eingenommen und den Großteil davon behalten haben.

Erster Prozess war geplatzt

In einem ersten Verfahren hatte die Angeklagte die Vorwürfe zurückgewiesen. Der erste Prozess hatte Mitte März begonnen, war aber nach einem Wechsel der Verteidigung geplatzt und musste neu aufgerollt werden.

Während der Hauptverhandlung habe sich herausgestellt, dass der Verteidiger weitere Beschuldigte in dem Verfahren vertreten hat. Es habe die Gefahr einer Doppelvertretung bestanden, erklärte Landgerichtssprecher Johann Jagenlauf MDR SACHSEN. Der Anwalt legte aus diesem Grund das Mandat nieder.

Ein Anwalt darf nicht zwei oder mehreren Mandanten gleichzeitig zur Seite stehen, wenn sich daraus Interessenskonflikte ergeben. Diese Doppelvertretung ist nicht erlaubt.

Mehr als drei Jahre lang ist wegen des Rad-Skandals gegen fast 200 Polizisten, Juristen und Privatpersonen – die Abnehmer der Fahrräder – ermittelt worden. Die meisten Verfahren sind aus Mangel an Beweisen oder gegen eine Geldstrafe eingestellt worden. Übrig geblieben ist die Hauptangeklagte. Gegen sie steht eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe im Raum.