Queere Jugend in Nordsachsen: „Ich möchte mich an meiner Schule nicht outen“

Sie fürchten Häme und fühlen sich auf der Schultoilette nicht wohl: Queere Jugendliche im ländlichen Raum sind häufig Diskriminierung ausgesetzt. Ein Aktionstag in Schkeuditz sensibilisierte für die Probleme.

Eine regenbogenfarbene Pride-Flagge flatterte am Dienstagmittag vor dem Schkeuditzer Rathaus. Zum bundesweiten Diversity-Tag am 28. Mai bekannten Vereine, Akteurinnen sowie Akteure der Stadt bereits zum dritten Mal Farbe. Doch bei dem queeren Aktionstag zeigte sich vor allem: Offen queer sein ist in Schkeuditz noch immer mit Diskriminierung verbunden – auch im Schulalltag.

„Ich möchte mich hier an meiner Schule nicht outen, da ich große Angst vor Beleidigungen habe“ und „Als Transperson wird mir sowohl in der Mädchen- als auch in der Jungentoilette gezeigt, dass ich da absolut fehl am Platz bin“ steht auf den Plakaten vor dem Rathausplatz.

Queere Schülerinnen und Schüler trauen sich nicht teilzunehmen

Schulsozialarbeiterinnen, Beratungslehrerinnen und Streetworker haben Stimmen von queeren Schülern und Schülerinnen aber auch von Lehrpersonal der Oberschule und des Gymnasiums gesammelt. Diese geben deutliche und zum Teil erdrückende Einblicke in den Alltag junger queerer Menschen der Stadt und zeigen, wie sich die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität auf deren Leben auswirkt.

Dass das es sich bei den gesammelten Zitaten nicht um eine Handvoll Einzelfälle handelt, weiß auch Sarah Martinovic, Beratungslehrerin an der Lessing-Oberschule. Viele der jungen Menschen, die auch die Regenbogen-AG der Schule besuchen, würden sich nicht einmal trauen, an Aktionstagen wie diesem teilzunehmen – aus Angst, dass Outing könnte zu Häme und Beleidigungen von Gleichaltrigen führen. „Kids kommen immer wieder zu mir und erzählen von Diskriminierungserfahrungen – auch im Schulalltag.“

Gleichzeitig erlebe sie auf der anderen Seite auch eine wachsende Toleranz und Offenheit: „ Ich bin selbst queer und gehe offen damit um.“ Sie findet, dass sich die Situation in den vergangenen Jahren innerhalb der Schule schon deutlich verbessert habe – auch durch die Sensibilisierung der Lehrkräfte, Aktionstage wie diesen und die Regenbogen-AG.

Vielfältige Lebensformen müssten auch im Unterricht stattfinden

Trotzdem sei „schwul“ immer noch eines der beliebtesten Schimpfworte auf dem Schulhof. Auch ein Grund, warum Schule nicht von allen queeren Jugendlichen als sicherer Ort empfunden wird, sagt Mira Jasef. Sie ist Schulsozialarbeiterin am Maria-Merian-Gymnasium. „Der aktuelle Diskurs zum Thema in unserer Gesellschaft spiegelt sich auch in der schulischen Umgebung wider. Deshalb ist es wichtig, dass auch vielfältige Familien- und Lebensformen im Unterricht stattfinden.“

Wichtig sei aber insbesondere, dass es für queere Jugendliche eine Gemeinschaft – eine unterstützende Community gibt, erklärt Dascha Bondarew vom Verein Rosalinde. Mit dem Beratungsangebot „queer durch Sachsen“ ist der Verein bei dem Aktionstag in Schkeuditz dabei. „Wir wissen aus unserer Arbeit mit Betroffenen, dass es in den Landkreisen Nordsachsen, Leipzig und Mittelsachsen schwierig für viele ist, offen queer zu leben.“

Generell gebe es zwar queere Communitys, sagt sie, aber diese seien weniger vernetzt und für Betroffene schwerer zu erreichen als in den Großstädten – das habe auch mit der Mobilität zu tun. „Besonders ältere, jüngere oder behinderte queere Personen betreffe das. „Offen queer zu leben und dann auf den ÖPNV angewiesen zu sein, ist mitunter gefährlich, wie aktuelle Statistiken zeigen.“

Opferberatung warnt vor zunehmender Brutalität

Damit bezieht sie sich auf jährliche Statistik der Opferberatung „Support“ des RAA Sachsen: Mit 248 Angriffen zählten die Opferberatungsstellen 2023 in Sachsen deutlich mehr Fälle rechter Gewalt. 20 davon richteten sich gegen LGBTQ-Personen. „Damit scheint sich der Anstieg vom letzten Jahr in den Fallzahlen zu verfestigen“, betont die Opferberatung und warnt gleichzeitig vor einer zunehmenden Brutalität.

So fanden die Angriffe im Vergleich zum Vorjahr nicht am Rande von queeren Demonstrationen statt, sondern vielmehr im öffentlichen Raum, im ÖPNV, an Haltestellen oder im Wohnumfeld. Auch der Anteil an Körperverletzungen sei dabei gefährlich gestiegen.

„Gerade deshalb müssen wir uns auch als Unterstützer offen positionieren“, sagt Streetworker Andreas Pohle. Auch wenn die geplante Menschenkette um das Rathaus nicht stattfinden konnte, war der Aktionstag für ihn ein Erfolg. Denn es sei schon ein wichtiger Schritt, dass Schülerinnen und Schüler durch solche Aktionen sehen, dass es Ansprechpersonen und eine Gemeinschaft für sie vor Ort gibt.