Sie will doch nur (mit den Männern) kicken: Wie Nele Walter Sachsens Fußball aufmischt
Bei den „Alten Herren“ spielt die 21-Jährige schon mit, jetzt möchte Nele Walter auch Punktspiele bei den Männern des SV Großbardau bestreiten. Doch dafür müsste der Sächsische Fußball-Verband die Spielordnung ändern.
Gut 170 Zentimeter könnten den sächsischen Fußball für immer verändern. Es sind die 170 Zentimeter Körpergröße von Nele Walter, Torhüterin des SV Großbardau. Was ihr im Weg steht: Bislang dürfen Frauen nicht an offiziellen Spielen im Männerbereich des Verbandes SFV teilnehmen. Weil ihr Verein sie trotzdem zweimal einsetzte, kassierte er bereits zwei Geldstrafen. Ein weiterer Verstoß könnte gar den Ausschluss vom Spielbetrieb zur Folge haben. All das wollen Nele Walter und der SV Großbardau nicht länger hinnehmen.
„Eigentlich möchte ich nur mit meinen Kumpels zusammen Fußball spielen“, sagt Nele Walter. „Jetzt habe ich Aufmerksamkeit, die ich nie wollte, das ist nervenraubend. Aber ich bin damit mit Sicherheit in Sachsen nicht allein und deswegen bin ich gern vorn dabei.“ Sozusagen als Gesicht der Bewegung. Doch der Gegenwind weht rau.
Zwei Fälle vor dem Sportgericht
Als die LVZ vor kurzem das Thema erstmals aufgriff, kramte Verbandsvize Volkmar Beier unter anderem folgende Sätze hervor: „Die Verletzungsgefahr ist eines der Risiken, die wir dort sehen. Eine junge Frau bei einem Männerspiel ins Tor zu stellen, halte ich für keine gute Idee.“ Ein Argument, das Nele Walter auf die verbale Palme bringt: „Wenn ich Fußball spiele, was ist dann bei mir anders als bei einem Mann, der 1,70 m groß ist? Das klingt, als werde ich gezwungen. Ich möchte das! Ich kann mithalten!“ Vor Verletzungen hat sie jedenfalls keine Angst. „Auch ich bekomme im Training mal unabsichtlich einen Ellenbogen ab oder teile aus.“
Ungeahnte Dynamik nahm ihre Geschichte bereits im vergangenen Sommer auf. In Absprache mit Gegner und Schiedsrichter bestritt Nele Walter ein Vorbereitungsspiel. Ihr Name landete im Spielprotokoll. Der Verband fand das gar nicht lustig. Der Fall wanderte vors Sportgericht, das eine Geldstrafe von 250 Euro verhängte. „Unser Fehler war, dass wir zu ehrlich waren. Wir hätten die Ergänzung auch einfach weglassen können“, sagt Marcus Vettermann, Abteilungsleiter beim SV Großbardau.
Änderung der Spielordnung schon zur neuen Saison?
Die zweite Missetat folgte im Winter, als Nele Walter ein Hallenturnier in Naunhof bestritt – an dessen Ende sie übrigens zum „besten Torhüter“ gewählt wurde. Ein Freizeitkick, dachten alle. Doch auch dieses Turnier war offiziell beim Verband angemeldet, das Sportgericht schritt erneut ein. Diesmal setzte es eine Strafe von 600 Euro. Turnierveranstalter Fuchshainer SV übernahm das Bußgeld. Offenbar war niemandem bewusst, dass überhaupt ein Problem vorliegt. Ungeachtet dessen droht dem SV Großbardau nach LVZ-Informationen beim nächsten Verstoß dieser Art der komplette Ausschluss vom Spielbetrieb.
Doch so weit dürfte es nicht kommen. Der Verein hat inzwischen einen Spieler(innen)-Pass beantragt und will den offiziellen Weg beschreiten, um Nele Walter auch in Pflichtspielen einsetzen zu dürfen. Dafür müsste zunächst der Kreisverband – in diesem Fall der Fußballverband Muldental/Leipziger Land – einen entsprechenden Antrag beim Sächsischen Fußballverband einreichen. Dessen Vorstand wiederum müsste dann eine Änderung der Spielordnung beschließen. „Das Thema liegt auf der Agenda. Es wurde schon 2023 abgeprüft, das passiert jetzt wieder. Wir schauen, ob es einen größeren Bedarf gibt“, sagt Volkmar Beier. Wenn alles glatt geht, könnten Frauen schon zur neuen Saison, also ab August 2024, Pflichtspiele gemeinsam mit Männern bestreiten. In anderen Bundesländern ist das schon länger möglich, in Sachsen aber bleiben Bedenken.
Entweder 1. FC Magdeburg oder RB Leipzig
„Wir fürchten, dass es zulasten unseres stabilen Frauenspielbetriebs gehen könnte“, erklärt Beier. Nele Walter lässt das nur zum Teil gelten: „Ja, in unserer Gegend gibt es genügend Frauenteams. Aber ich weiß nicht, wie es zum Beispiel im Erzgebirge aussieht. Der Verband sollte das als Chance sehen.“ Immerhin: Seit 1. Juli 2023 dürfen Frauen in Breiten- und Freizeitsport-Teams der Männer dabei sein. Seitdem ist Nele Walter eine von ihnen: Sie steht regelmäßig bei den „Alten Herren“ von Großbardau zwischen den Pfosten. „Ich habe noch nie einen blöden Kommentar gehört“, erzählt sie. Im Gegenteil: „Ich bekomme sehr viel positive Resonanz, echt krass.“ Und Marcus Vettermann sagt: „Sie hält mit den Männern problemlos mit.“ An dieser Stelle sei ergänzt, es geht in Großbardau um die Kreisliga A – die zweitniedrigste Spielklasse.
Schon von Kindheit an stand Nele Walter neben Jungs auf dem Rasen. Mit zehn Jahren fing sie in der D-Jugend des Otterwischer SV an, wurde rasch in die Kreisauswahl berufen und wechselte später zum Frauenfußballverein Leipzig. Als der FFV langsam zerbröselte, stand die Frage: wohin jetzt? Die Optionen lauteten RB Leipzig oder aufs Internat des 1. FC Magdeburg. Sie entschied sich für Magdeburg, spielte dort in der B-Juniorinnen-Bundesliga – mit gerade einmal 13 Jahren. Doch dann erkrankte sie an Pfeifferschem Drüsenfieber und kam wieder nach Hause. Nach ihrer Genesung spielte sie zunächst bei den B-Junioren des FC Grimma. Bis zu dieser Altersklasse sind in Sachsen gemischte Teams erlaubt, danach nicht mehr. Dann bleiben nur die „Alten Herren“ oder Breitensport-Mannschaften.
„Beim Duschen haben die Kerle zu warten“
Also musste sich Nele Walter ein weiteres Mal umorientieren und kam zu den Regionalliga-Frauen von Eintracht Leipzig Süd. Bis sie während der Corona-Pause 2021 zunächst ganz mit dem Fußball aufhörte. „Es hat mir keinen Spaß mehr gemacht, weil es sehr zeitintensiv war. Dreimal pro Woche nach Leipzig zum Training, an den Wochenenden dann Spiele in Berlin oder Bischofswerda.“
Und dann kam jener Tag, der bis in die Gegenwart und womöglich auch in die Zukunft nachwirkt. Bei einem Spaziergang mit ihrem Hund kam Nele Walter am Sportplatz Großbardau vorbei. Marcus Vettermann sprach sie an und fragte, ob sie bei den Männern mit Fußball spielen wolle. Sie wollte. Seitdem „ist sie fest in den Verein integriert, zahlt Mitgliedsbeitrag und in die Mannschaftskasse ein“, erzählt Vettermann und schiebt nonchalant nach:
„Und beim Duschen haben die Kerle zu warten und ihr den Vortritt zu lassen.“ Nur offiziell mit den Kerlen Fußball spielen darf Nele Walter nicht. Bis jetzt.