Geständnisse im Dresdner Prozess um Leipziger Neonazi-Verlag „Der Schelm“

Von Leipzig aus verschickte der „Schelm“-Verlag rechtsextreme Bücher. Die Geständnisse im Prozess um den Verlag am Oberlandesgericht Dresden zeigen: Das war ein lukratives Geschäft.

Ob das denn überhaupt jemand liest, will Richter Hans Schlüter-Staats wissen, Hitlers „Mein Kampf“. Er habe mal reingeschaut, es sei ja sehr anstrengend. Matthias B. war mit dafür verantwortlich, dass „Mein Kampf“ von Leipzig aus versendet worden ist, tausendfach und in unkommentierter Fassung. Das hat er vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden gerade zugegeben. Er glaube nicht, antwortet B. nun auf die Frage des Richters, dass seine ehemaligen Kunden Hitlers Buch gelesen haben. „Es ist wahrscheinlich so eine Art Trophäe.“ Er, Matthias B., habe das Buch nicht gelesen.

Wohl 2014 ist der Neonazi-Verlag „Der Schelm“ in Leipzig gegründet worden. Bis heute verkauft er online antisemitische und neonazistische Bücher. Das OLG Dresden verhandelt seit Donnerstag gegen zwei Männer und eine Frau, die am „Schelm“ beteiligt gewesen sein sollen. Ihnen wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung vorgeworfen. Von allen werden in dem Prozess Geständnisse erwartet.

Großteil der Bücher ist volksverhetzend

Als Beamte des Landeskriminalamts Sachsen Ende 2020 eine Halle in Bad Lausick durchsuchen, finden sie mehr als 53 000 Bücher. Ware des „Schelm“-Verlags, davon sind die Ermittler überzeugt. Bald ist auch klar: Der Großteil der Bücher ist volksverhetzend, meistens geht es darin gegen Jüdinnen und Juden.

Am Donnerstag dauert es lange, bis Generalbundesanwalt Kai Lohse während der Anklageverlesung am OLG eine Auswahl der Werke vorgetragen hat. Der „Giftpilz“ ist dabei, ein antisemitisches Kinderbuch, Lagerbestand beim „Schelm“ 761 Exemplare. Oder „Die jüdische Weltpest“, 131 Exemplare. „Mein Kampf“ natürlich, der Bestseller, 742 Exemplare. Der Warenwert aller beschlagnahmten Bücher: mehr als 900 000 Euro.

Bücher zum Sechsfachen des Herstellungspreises

Wie lukrativ das Geschäft mit Büchern ist, die der NS-Ideologie huldigen, hassen, hetzen und den Holocaust leugnen – darauf stößt der Gründer des „Schelm“-Verlages nebenbei. Davon berichtet jedenfalls Matthias B. vor Gericht, ein langjähriger Weggefährte von Preißinger. B. ist ein 38 Jahre alter Mann aus dem Landkreis Meißen, früher NPD-Mitglied. Er ist angeklagt, Bücher für den „Schelm“ gesetzt und sich um die Bestellsoftware gekümmert zu haben. Mit dem ersten „Schelm“-Buch, so sagt B., habe Preißinger gemerkt, „in welcher Nische er gelandet ist und welch gutes Geld damit zu verdienen ist.“

Warum das Geschäft offenbar so gut funktioniert, erklärt B. so: Die Margen seien hoch gewesen, Bücher zum Sechsfachen ihres Druckpreises verkauft worden. Eine Broschüre über die angebliche „Auschwitz-Lüge“ habe zehn Euro gekostet, bei vielleicht 1,50 Euro Herstellungskosten. Zwischen 2018 und 2020 sind beim „Schelm“ den Ermittlungen zufolge mehr als 800 000 Euro Umsatz gemacht worden. Seinen drei mutmaßlich wichtigsten Mitarbeitern in dieser Zeit, die nun vor dem OLG angeklagt sind, zahlte Verlagschef Preißinger insgesamt knapp 125 000 Euro.

Verlagschef in Russland vermutet

Um ihn, Adrian Preißinger, ging es vor dem OLG am Donnerstag nur in Abwesenheit. Preißinger war jahrelang als Rechtsextremist in Sachsen aktiv, saß schon wegen Volksverhetzung im Gefängnis. Um 2015 herum soll er nach Russland ausgewandert sein. Dort vermuten ihn Ermittler bis heute – und von dort aus soll er weiter den „Schelm“ betreiben. Laut Matthias B. hat Preißinger aber weiter Hilfe in Deutschland. Eine Testbestellung der LVZ beim „Schelm“ im vergangenen Jahr kam laut – offensichtlich falschen – „Schelm“-Angaben über Polen. Aus der Sendungsverfolgung geht hervor, dass das Paket in Weilheim in Oberbayern einem deutschen Versender übergeben wurde. Adrian Preißinger nimmt dazu auf Anfrage keine Stellung.

Matthias B. soll führend beim „Schelm“ eingebunden gewesen sein, seine beiden Mitangeklagten am OLG Dresden für Lager und Versand zuständig. Darunter ist der ehemalige Leipziger NPD-Stadtrat Enrico Böhm, 41 Jahre alt, mehrfach vorbestraft. Er habe die Halle in Bad Lausick zusammen mit Preißinger angemietet, will dort auch rechten Kitsch untergestellt haben, den er für seinen eigenen Handel „Lokis Truhe“ benötigt habe.

Ex-NPD-Stadtrat Böhm gibt sich unwissend

„Dienstag und Donnerstag war Packtag“, sagt Böhm zum „Schelm“, bis zu 50 Bestellungen habe er dann im Bad Lausicker Lager zusammengestellt. 2020 filmte ihn ein Team des NDR, wie er mehrere Pakete in einen Leipziger Paketshop schleppte. Mit dem Verlagsprogramm des „Schelm“, sagt Böhm vor Gericht, habe er nichts zu tun gehabt. Auch er habe „Mein Kampf“, habe all die „Schelm“-Bücher nicht gelesen. „Die waren ja eingeschweißt.“ Transparent, wie Böhm auf Nachfrage des Gerichts ergänzen muss, und: Er habe sich die antisemitischen Inhalte der Bücher schon vorstellen können. Aber strafbar? „Die Bücher gab es ja auch über Amazon“, sagte er. Ende 2019 schmiss der Versandriese das „Schelm“-Portfolio aus seinem Shop.

Matthias B. ist eigenen Aussagen nach in einem Aussteigerprogramm. Er sei in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald gewesen, habe sich sehr geschämt. Böhm war zuletzt etwa auf einem Video zu sehen, wie er in Leipzig linke Demonstranten jagte. Er soll in dem OLG-Prozess am Freitag weiter befragt werden.