Politische Überlegungen zur Zusammenarbeit mit Anwält*innen. Ein Diskussionsstand.

In der Antirepressionsarbeit arbeiten wir als EAs¹ regelmäßig mit Anwält*innen zusammen und unterstützen Betroffene von staatlicher Repression dabei, sich anwaltliche Hilfe zu holen. Dabei ist es uns wichtig zu bedenken, welche Rolle die Anwält*innen in unserer Antirepressionsarbeit spielen und welche politischen Anforderungen wir daher an die Praxis von Anwält*innen haben.

Mit diesem Text wollen wir darauf hinwirken, dass sich insgesamt mehr mit Repression und dem Umgang damit auseinandergesetzt wird. Antirepressionsarbeit bedeutet, sich Gedanken zu machen bevor etwas passiert. Dazu gehört auch bewusst zu entscheiden, von welchen Anwält*innen und wie mensch sich vertreten lassen möchte, wenn es erforderlich wird.

Im folgenden Text formulieren wir einige Kriterien, die uns dafür wichtig sind:

Politische Prozessführung
Gerichtsverfahren gegen linke Aktivist*innen sind Teil der staatlichen Repression, gegen die wir uns gemeinsam und solidarisch organisieren. Uns geht es in Gerichtsverfahren daher nicht nur um die individuelle Verteidigung der einzelnen Angeklagten, sondern um ein solidarisches und politisches Handeln. Unter einer politischen Prozessführung verstehen wir eine Prozessführung, die diesen Gedanken zu ihrem Leitgedanken macht und daher z.B. Prinzipien wie Aussageverweigerung und eine grundsätzliche Ablehnung der Strafverfolgungsbehörden beinhaltet. Anwält*innen mit denen wir zusammenarbeiten, müssen daher diese Grundhaltung zumindest ernst nehmen und respektieren.

Auch wenn Mandant*innen formal immer darüber entscheiden können, wie sie verteidigt werden
möchten, ist das in der Praxis nicht immer der Fall. Wir wollen nicht, dass Mandant*innen einseitig beraten oder zu Aussagen/Geständnissen gedrängt werden. Es ist uns wichtig, dass Anwält*innen sowohl die Wünsche der Mandant*innen als auch deren politische Haltung respektieren. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die von den Mandant*innen gewählte politische Prozessstragie nach Ansicht der anwaltlichen Vertretung falsch ist, z.B. weil sie zu einer höheren Strafe führen könnte. Beispiel: Eine angeklagte Person könnte sich selbst vor Gericht durch eine Aussage entlasten, entscheidet sich aber aus politischen Gründen dagegen.

Wichtig ist auch die Bereitschaft des*der Anwält*in mit Antirepressionsstrukturen wie der Roten Hilfe, EAs und Soli-Strukturen zusammenzuarbeiten, sich mit diesen zu beraten und abzustimmen.

Oft sind mehrere Personen in einem Verfahren angeklagt. Für eine politische Prozessführung ist es wichtig, dass die Angeklagten ihre Strategien untereinander abstimmen und koordinieren. Anwält*innen sollten dazu grundsätzlich bereit sein und sich in diesem Fall auch mit ihren Kolleg*innen abstimmen und eine gemeinsame Prozessstrategie entwickeln.

Repression geht ins Geld, das wir oft nicht haben. Damit keine*r damit allein bleibt, tragen wir entstehende Kosten solidarisch. Dafür sollten Anwält*innen transparent kommunizieren was ihre Arbeit kosten wird. Dann können wir uns gemeinsam um das Geld kümmern. Es ist wichtig, dass sich alle an diese Absprachen halten.

Bewusstsein für gesellschaftliche Machtstrukturen
Für eine solidarische Verteidigung wünschen wir uns ein allgemeines Bewusstsein für und einen kritischen Umgang mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Gerichtsprozesse sind von diesen beeinflusst und reproduzieren sie, z. B. wenn marginalisierten Personen vor Gericht, die von ihnen erlebte Gewalt abgesprochen wird.

Die Verteidigung von Tätern (sehr viel seltener Täter*innen) von sexualisierter Gewalt steht einem emzipatorischen Grundverständnis entgegen. Es entspricht der inneren Logik der Verteidigung, Betroffene unglaubwürdig und lächerlich zu machen, ihnen ihre Erfahrungen und Gefühle abzusprechen und sie persönlich anzugreifen. Die Erfahrung, dass das Erlebte in Frage gestellt und nicht geglaubt oder heruntergespielt wird, kann für Betroffene sexualisierter Gewalt eine Retraumatisierung darstellen.
Anwält*innen übernehmen in der Verteidigung weitgehend und zwangsläufig Darstellungen und Argumentationen der Täterposition und stabilisieren dadurch patriarchale Gewalt. Wir schließen also die Zusammenarbeit mit Anwält*innen aus, die Täter sexualisierter Gewalt verteidigen.

Ebenfalls schließen wir die Zusammenarbeit mit Anwält*innen aus, die (Neo-)Nazis vertreten. Eine anwaltliche Betätigung für (Neo-)Nazis widerspricht grundsätzlich unserem Verständnis von Solidarität. Zusätzlich stellt eine Zusammenarbeit mit Anwält*innen, die (Neo-)Nazis verteidigen, ein enormes Sicherheitsrisiko dar.

Polizist*innen sind Teil der staatlichen Repressionsstruktur und setzen staatliche Gewalt gegen politische Bewegungen und marginalisierte Menschen durch. Oft treten sie auch als (lügende) Kläger*innen oder Zeug*innen mit einem politischen Interesse in Prozessen auf. Wir schließen daher die Zusammenarbeit mit Anwält*innen aus, die wissentlich Polizist*innen verteidigen.

Einschränkung
Uns ist klar, dass sich diese Ansprüche und Überlegungen in der Praxis nicht immer 1:1 umsetzen lassen. Abwägungen und Kompromisse können nötig sein. Dennoch ist es uns wichtig, unsere Kriterien grundsätzlich und transparent zu formulieren. Wir halten es für notwendig, diese in den eigenen Zusammenhängen und mit den Anwält*innen, mit denen wir zusammenarbeiten, zu diskutieren. Das beinhaltet auch gemeinsam zu entscheiden, wie damit umzugehen ist, wenn es keine*n Anwält*in vor Ort gibt, der*die diese Kriterien erfüllt. Das kann z. B. bedeuten Kontakte zu Anwält*innen von weiter weg aufzubauen, mit neuen Anwält*innen zusammen zu arbeiten oder auch mit Anwält*innen zusammen zu arbeiten, die nicht alle der oben genannten Kriterien erfüllen. Wichtig ist, diese Entscheidungen überlegt zu treffen und gemeinsam zu entscheiden was politisch in welcher Situation tragbar ist und was welche Konsequenzen hat.

Denn: Solidarität ist eine Waffe!
Keine Zusammenarbeit mit Repressionsbehörden! Für eine Gesellschaft ohne Knäste!
Solidarische Grüße
Ein Zusammenschluss von einigen EAs

zuerst veröffentlicht in der RHZ 01/2024

¹ WAS IST EIN EA?
Ein Ermittlungsausschuss (EA) ist eine unabhängige Gruppe, die linke Strukturen oder einzelne Menschen, die im Rahmen ihrer Aktionen Stress mit Polizei, Justiz und/oder Verfassungsschutz haben, unterstützt. Wir verstehen uns nicht als Dienstleistungsbetriebe, sondern als Teil einer emanzipatorischen Linken. Ob gewaltfrei oder militant, wir sind strömungsübergreifend für das ganze linke Spektrum da.
Bei politischen Aktionen sind wir für euch telefonisch erreichbar, wenn ihr von Festnahmen oder Polizeiübergriffen betroffen seid oder diese beobachtet habt. Wenn nötig vermitteln wir Anwält*innen unseres Vertrauens. Wenn ihr ein Anliegen habt, könnt ihr euch an euren nächsten Ermittlungsausschuss wenden.