Riesen-Ruine in der Prager Straße 20–28 – Leipzig plant Viertelmilliarde-Neubau anstelle des alten Technischen Rathauses
Für die ärgste Leipziger Bummelbaustelle gibt es eine neue Perspektive. Laut internen Papieren will die Stadt das elfstöckige Gebäude-Gerippe in der Prager Straße kaufen, abreißen und neu bauen.
Kurz vor Weihnachten hatte Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) mit der Nachricht überrascht, dass die Stadt ernsthaft überlegt, das frühere Technische Rathaus in der Prager Straße 20–28 zu kaufen. Der Elfgeschosser steht seit 15 Jahren leer. Umbauarbeiten kamen nach einem Brandanschlag auf Kräne am 3. Oktober 2019 zum Erliegen. Seitdem ähnelt das komplett entkernte, 171 Meter lange Bürohaus einem riesigen Gebäude-Gerippe. Seit mehr als vier Jahren tut sich auf der Baustelle gegenüber vom Gerichtsweg nichts mehr.
Doch das könnte sich bald ändern. Laut internen Papieren möchte die Verwaltung dem Stadtrat nun vorschlagen, das 1,5 Hektar große Grundstück für 27 Millionen Euro zu kaufen. Hinzu kämen 1,7 Millionen Euro Erwerbsnebenkosten. Danach möchte die Stadt das Gebäude-Gerippe abreißen, um dort einen teuren Neubau zu errichten. Der bisherige Eigentümer, die wirtschaftlich angeschlagene Adler Group, hat bereits einen einseitig notariell beurkundeten Kaufvertrag für das Grundstück unterzeichnet, vermerkt das Baudezernat. „Die Annahme dieses nicht mehr verhandelbaren Angebotes muss bis zum 26. April 2024 erfolgen.“
Deutlicher Preisnachlass erzielt
Offiziell behauptete Adler in den vergangenen Jahren stets, man wolle die 2018 begonnene Umwandlung des Bürohauses in ein Wohngebäude mit 300 Apartments, Läden und einer Tiefgarage zu Ende führen.
Wie berichtet, hegten Fachleute aus der Branche daran jedoch erhebliche Zweifel. In Wahrheit habe der Eigentümer schon lange versucht, die Immobilie für etwa 40 Millionen Euro zu verkaufen, erzählten sie. Insofern hätte die Stadt Leipzig nun also einen deutlichen Preisnachlass bei den Verhandlungen erzielt.
Behörden sollen einziehen
Allerdings entsprechen die vereinbarten 27 Millionen Euro auch recht genau dem aktuellen Bodenrichtwert an der Prager Straße sowie dem Mittelwert aus zwei Gutachten, die Verkäufer und Käufer jeweils separat in Auftrag gaben. Als kleiner Bonus wurde festgelegt, dass Adler die Maklerprovision von 540 000 Euro allein bezahlen müsste – falls der Stadtrat dem Deal rechtzeitig (also in seiner Sitzung am 24. April) zustimmt.
Die Diskussion in den politischen Gremien hat aber gerade erst begonnen. Laut Baudezernat wäre der Kauf eine große Chance, um etwa 1300 Beschäftigte vor allem aus dem Umwelt- und Baudezernat in einer kommunalen Immobilie unterzubringen. Damit würde sich ein Kreis wieder schließen. Denn das 38 Meter hohe Bürohaus (erbaut 1977 bis 1983 als Projektierungsgebäude des VEB Chemieanlagenbau Leipzig-Grimma) diente nach der Wende lange Zeit als Sitz zahlreicher Ämter der Stadtverwaltung. Sie zogen erst 2009 um in das heutige Technische Rathaus – ein Stück weiter draußen in der Prager Straße 118–136.
Mietvertrag läuft bis Ende 2029
Das aktuelle Technische Rathaus war 1996 für die Allianz-Versicherung entstanden. Der Mietvertrag der Kommune läuft dort noch bis Ende 2029. Bei einem Verkaufsprozess für dieses Ensemble vor gut einem Jahr hatte die Stadt Leipzig mitgeboten. Der Zuschlag ging jedoch an das Hamburger Unternehmen Fondsgrund Investment bei knapp 100 Millionen Euro.
Daraufhin kündigte die Kommune an, den Mietvertrag nicht mehr zu verlängern. Stattdessen wolle sie rechtzeitig andere Objekte erwerben oder Neubauten errichten, um langfristig den steigenden Büromieten zu entgehen. Bei eigenen Gebäuden muss die Kommune übrigens auch keine Grundsteuer (an sich selbst) zahlen.
Ex-Kantine wäre Teil des Deals
Tatsächlich verfügt die Stadt noch über einige Baugrundstücke im Südosten. Diese Flächen sind jedoch jeweils zu klein, um alle Ämter aus dem heutigen Technischen Rathaus an einer Stelle aufzunehmen. Besser sei die Situation da, wo seit Jahren ein gewaltiges Stahlbetonskelett schlummert, ist den internen Unterlagen zu entnehmen. Dafür gebe es zwei Hauptgründe. Einerseits liege zwischen dieser Ruine und der denkmalgeschützten Kleingartenanlage „Johannistal 1832“ – es ist die älteste in Sachsen – noch ein 4500 Quadratmeter großes Grundstück, das bereits der Stadt gehört. Nach einem Abriss ließe sich also ein Neubau auf der Gesamtfläche errichten. „Je nach Bedarf könnte ein Baukörper mit einer Bruttogeschossfläche von bis zu 82 000 Quadratmeter entstehen“, heißt es in den Unterlagen. Zum Vergleich: Das aktuelle Technische Rathaus umfasst 45 000 Quadratmeter.
Andererseits habe die Stadt jüngst auch schon zwei weitere Gebäude ganz in der Nähe gekauft: konkret die Prager Straße 8 als Sitz der kommunalen IT-Firma Lecos sowie die Prager Straße 21 als Sitz des Sozialamtes. Alles zusammen würde unweit der City einen kommunalen Verwaltungscampus bilden, der sehr gut per Straßenbahn, Bus und Fahrrad erreichbar ist. Beim Deal mit Adler inbegriffen ist ebenfalls ein südlich angrenzender, denkmalgeschützter Flachbau (5100 Quadratmeter Grundfläche), der früher als Kantine diente. Jedoch darf Adler diese Teilfläche noch bis maximal Ende 2026 nutzen – als Büro, Zufahrt und Lager für eine benachbarte Baustelle am Ostplatz.
Ostforum auf der Zielgeraden
Am Ostplatz errichtet die Adler Group ein Großprojekt namens Ostforum – und zwar für den Versicherungskonzern Talanx aus Hannover. Für die drei Gebäude (hauptsächlich Büros, Läden und 50 Wohnungen) über einer gemeinsamen Tiefgarage haben die Arbeiten an den Fassaden jüngst begonnen. Die ersten Wohnungen sollen im Herbst 2024 bezugsfertig werden.
Beim früheren Technischen Rathaus bevorzugt das Baudezernat einen kompletten Abriss, der wahrscheinlich elf Millionen Euro kosten würde. „Da das Gebäude komplett entkernt wurde, besteht das Abbruchmaterial nur aus den Rohstoffen Stahl und Beton. Diese können im Sinne der Kreislaufwirtschaft wiederverwendet werden.“ Ein Erhalt des 45 Jahre alten Stahlbetonskeletts sei unwirtschaftlich, zumal es in den letzten Jahren ungeschützt im Regen stand.
Außerdem seien die Rohbauarbeiten für eine Umwandlung zum Wohnhaus schon zu 95 Prozent geschafft gewesen, bevor es Ende 2019 zum Stillstand kam. Ob Nutzlasten der Decken und Treppenhäuser oder die Vorbereitungen für den Einschnitt von vier Wohntürmen: Das Wohnhaus-Gerippe müsste extrem aufwendig wieder in ein Bürohaus-Gerippe verwandelt werden, um Teile vom alten Skelett weiter zu nutzen.
Abreißen und neu bauen wäre in jeder Hinsicht zukunftstauglicher, als das Risiko von Gewährleistungen bei den vor fünf Jahren erfolgten Umbauten einzugehen.
Apartmenthaus viel zu teuer
Eine Fertigstellung des Ensembles als Apartmenthaus mit 300 Wohnungen wäre mittlerweile „aufgrund der hohen Baukosten nicht wirtschaftlich darstellbar“. Dies ergab eine Prüfung durch das kommunale Wohnungsunternehmen LWB. Die Vorzugsvariante der Stadt, ein völlig neues Technisches Rathaus zu errichten, ließe sich durchaus rechtzeitig bis zum Ende des aktuellen Mietvertrages 2029 verwirklichen.
Sie wäre aber ebenfalls nicht ganz billig. Dazu heißt es in den Unterlagen: „Die Kosten eines Neubaus lägen in Abhängigkeit von Größe, Ausstattung und technischen Anforderungen im Bereich von mindestens 250 Millionen Euro.“ Das entspricht etwa jener Summe, die die Stadt Leipzig derzeit pro Jahr für ihr gesamtes Schulbauprogramm ausgibt.