Zwei Ex-Kämpfer in Leipzig – „Waffen für Israel helfen am Ende der Hamas“

Gestern Feinde, heute Freunde: Einen Palästinenser und einen Israeli führt die gemeinsame Friedensmission nach Leipzig. Ihre Meinung zum Gaza-Krieg ist eindeutig.

Es ist eine besondere Friedensmission, die Rotem Levin und Osama Iliwat nach Deutschland geführt hat. Wo auch immer die beiden Männer in diesen Tagen auftreten, erzählen sie erstaunten bis fassungslosen Zuhörerinnen und Zuhörern ihre aufwühlenden Lebensgeschichten. Was den 33-jährigen Levin und den 45-jährigen Iliwat eint, ist ihre frühere Gewaltbereitschaft. Die wurde irgendwann abgelöst – von einer tiefen Sehnsucht nach friedlicher Koexistenz für Israelis und Palästineser im umkämpften Nahen Osten.

Am Donnerstagabend im Gemeindezentrum der katholischen Pfarrei St. Trinitatis in der Leipziger Nonnenmühlgasse braucht es den Streifenwagen an der Kirchenmauer nicht. Draußen keine besonderen Vorkommnisse, drinnen 200 aufmerksam lauschende Menschen, die gekommen sind, um einen ziemlich ungewöhnlichen Ansatz von Konfliktbewältigung zu verstehen.

Ein Wort kommt inflationär oft vor

Levin war einst Soldat in der israelischen Armee, Iliwat setzte derweil auf die Intifada, den palästinensischen Befreiungskampf. Die beiden Männer hatten fast keine andere Chance, als zu werden, was sie wurden: In wichtigen Phasen ihrer kindlichen Prägung kam ein Wort inflationär oft vor: Hass. Beide wuchsen in dem Glauben auf, dass der jeweils andere nur das eine Ziel verfolge: die Vernichtung der Gegenseite.

Doch irgendwann hielten Levin und Iliwat inne – und es waren persönliche Begegnungen mit den vermeintlichen Todfeinden, die zur Umkehr führten. Irgendwann wollten sie nicht länger in der Gewaltspirale hängen. Heute gehören sie der Organisation Combatants for Peace (CfP) an, sind Kämpfer für den Frieden.

Die einen nennen das Land Israel, die anderen Palästina

Seit dem 7. Oktober 2023 haben es Aktivisten wie Levin und Iliwat in ihrer gemeinsamen Heimat zwischen Jordan und Mittelmeer, die die einen Israel nennen und die anderen Palästina, schwerer denn je. Seit den Massakern der Hamas gegen israelische Zivilisten, den Geiselnahmen, seit den Gegenschlägen der Israelis im Gaza-Streifen stoßen Levin und Iliwat mit ihrem Friedenspostulat auf wachsendes Unverständnis. „Es braucht gerade einiges an Mut, in Israel ein Friedensaktivist zu sein“, sagt Levin im proppenvollen Propsteisaal. Und Iliwat erzählt davon, dass es gegenwärtig besonders schwierig sei, Combatants for Peace-Treffen zu organisieren.

Vielleicht sind die beiden deshalb in diesen Wochen auf Deutschland-Tournee? Iliwat, Vorstandsmitglied bei CfP und Gründer der Initiative Visit Palestine („Besuche Palästina“), lebt für gewöhnlich in Jericho. Levin ist Arzt, Community Organizer und nennt einen Wohnbus sein Zuhause. Die beiden Männer hatten lange keine Ahnung von der Geschichte des jeweils anderen Volkes. Haben die Palästinenser in der Regel noch nie etwas vom Holocaust gehört, wissen die meisten Israelis nichts mit dem Begriff „Nakba“ anzufangen. „Nakba“ beschreibt Vertreibung und Flucht der Palästinenser nach der Gründung des Staates Israels am 14. Mai 1948.

Ein Treffen mit Aktivisten macht Iliwat nachdenklich

„Der größte Feind für den Frieden ist die Separation. Würden wir uns kennen, würde das System, das möchte, dass wir Feinde sind, zusammenbrechen“, sind sich Levin und Iliwat einig. Als Teenager habe er mit Freunden eine palästinensische Flagge gebastelt und diese in einen Baum gehängt, erzählt Letzterer. Dafür sei er verhaftet worden. Die Zeit im Gefängnis habe seinen Hass auf die Israelis nur befeuert. Während der Zweiten Intifada schloss sich Iliwat daher einer Widerstandsbewegung an. Bis er zu einem Treffen von jüdischen Friedensaktivisten eingeladen wurde. Ohne große Erwartungen sei er hingegangen. „Dort lernte ich Israelis kennen, die die Diskriminierung der Palästinenser und die Besatzung ablehnten“, schildert er. Das habe ihn baff erstaunt und zum Nachdenken gebracht.

Auch bei Levin geschah der Wandel durch Annäherung. Zuvor hatte er in ständiger Angst gelebt, „die Palästinenser könnten für mein Volk zu Nazis werden“. Mit 19 Jahren schloss er sich der Armee an. Ein Jahr später befahl ihm der Kommandant seiner damaligen Einheit, in der Westbank, „wo die Palästinenser auf der anderen, der sehr gefährlichen Seite der Welt lebten“, eine Handgranate über einen Zaun zu werfen. Einfach so. „Ich tat es. Aber es gab keinen Grund, es zu tun.“ In diesem Moment sei er vor sich selbst erschrocken. Nach drei Jahren wurde Levin aus der Armee entlassen. „Von da an wollte ich wieder lernen, menschlich zu sein.“

Levin fühlt sich durch Leipzig bestärkt

Die beiden Friedenskämpfer werben für Verbundenheit, „denn es geht darum, Menschenleben zu retten“, betonen sie. Doch Verbundenheit kennt Grenzen: Den westlichen Partnern seines Staates, darunter die Bundesrepublik Deutschland, schreibt Levin ins Stammbuch, sie mögen bitte aufhören, Israel mit Rüstungsgütern zu versorgen. „Wenn Ihr uns weiter Waffen schickt“, ruft er in die Stille hinein, „erzeugt das nur noch mehr Hass. Und das hilft am Ende der Hamas.“

Der Beifall ist laut. Und Levin und Iliwat nehmen ihn wohlwollend zur Kenntnis. Sie wollen weiter am schier Unmöglichen arbeiten. „Dass sich hier in Leipzig so viele für unser Thema interessieren, lässt mich hoffen“, sagt der Israeli Levin. Und der Palästinenser Iliwat hat auch noch eine Botschaft für den Heimweg: „Ich glaube an die Kraft der Menschheit. Mehr als die Menschheit an sich selbst.“

Ex-Kämpfer glauben an friedliche Lösung

Combatants for Peace – eine sogenannte Nichtregierungsorganisation – gehören ehemalige israelische Soldaten und frühere palästinensische Widerstandskämpfer an. Die im Jahr 2006 als Reaktion auf den zweiten palästinensischen Aufstand gegen Israel (Zweite Intifada von 2000 bis 2005) gegründete binationale Friedensbewegung baut auf persönliche Begegnungen. Einstige Kämpfer beider Seiten treffen sich privat, erzählen sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten und lernen dabei einander kennen. Darüber hinaus gibt es gemeinsame Aktionen wie Lesungen und Führungen durch die besetzten Gebiete.

Die Organisation setzt sich für eine friedliche Lösung im Nahen Osten ein – mit dem langfristigen Ziel der Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates neben Israel innerhalb der Grenzen vor dem Sechstagekrieg (1967) und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Die Mitglieder verstehen sich als Aktivisten, die durch Dialog und Verständigung an „einer neuen Realität“ arbeiten. Den Kern bilden regionale Gruppen, die in verschiedenen Regionen des Westjordanlandes (Westbank) und in Israel tätig sind.

Zudem will Combatants for Peace für das gesellschaftlich tabuisierte Thema der „Nakba“ sensibilisieren. Als Nakba – auf Deutsch: Katastrophe/Unglück – wird im arabischen Sprachgebrauch die Flucht und Vertreibung von etwa 700.000 arabischen Palästinensern aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina bezeichnet. Als „jüdische Nakba“ gilt derweil die Flucht und Vertreibung von 850.000 Juden aus arabischen und islamisch geprägten Ländern seit dem israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 bis heute.