Erste Frau: Ex-Leipzigerin soll Ehrenbürgerin der Stadt werden

Wenn der Stadtrat zustimmt, ernennt OBM Burkhard Jung (SPD) demnächst in Israel eine neue Leipziger Ehrenbürgerin – die 98-jährige Channa Gildoni. Die gebürtige Leipzigerin hat Brücken der Aussöhnung mitgebaut und ist die erste Frau, die die höchste Auszeichnung der Stadt erhält.

Leipzigs Stadtoberhaupt hat am Montag persönlich zum Telefon gegriffen, in Israel angerufen und Channa Gildoni die gute Nachricht überbracht, über die sie sich sehr freute: Die 98-jährige gebürtige Leipzigerin soll Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt werden. Damit wäre sie die erste Frau in der langen Liste der Leipziger Ehrenbürger.

OBM übergibt Auszeichnung Ende Oktober in Israel

Der Stadtrat muss am Mittwoch noch zustimmen, was als gesichert gilt. Wenn Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) Ende Oktober mit einer Leipziger Delegation in die israelische Partnerstadt Herzlyia reist, wird er die Auszeichnung mitnehmen und an Channa Gildoni übergeben. Die betagte Dame lebt im Betreuten Wohnen in Ramat Gan außerhalb von Tel Aviv, ist aber noch so fit, dass sie mit ihrer Familie in die deutsche Botschaft kommen kann. Dort findet bei Botschafter Steffen Seibert ein Empfang zum Tag der Deutschen Einheit statt.

Zwischen Leipzig und Tel Aviv liegen rund 3.000 Kilometer Luftlinie. Dass zwischen den Städten und Ländern freundschaftliche Brücken entstehen konnten und dass mit Herzlichkeit an der deutsch-israelischen Aussöhnung gearbeitet wird, ist auch das Verdienst von Channa Gildoni. Im Dezember 1923 wurde sie als Anni Moronowicz in der Leipziger Promenadenstraße (heute Käthe-Kollwitz-Straße) geboren. Die Mutter war Hausfrau, der Vater hatte ein Geschäft in der Elsterstraße, in dem er von Nähgarn bis zu Möbeln und Brillanten alles verkaufte.

Als Zeitzeugin kennt sie das jüdische Leben in Leipzig

Als eine der letzten Zeitzeugen kennt Channa noch die lebendige jüdische Gemeinde der Zwanzigerjahre in Leipzig, mit rund 13.000 Mitgliedern. „Meine Kindheit war lustig und schön wie die vieler anderer Kinder. Unser Familienleben war wunderbar. Vielleicht war ich sogar verwöhnt“, erzählt sie in einem kürzlich in Leipzig erschienenen Buch von Sven Trautmann, Gabriele Goldfuß und Andrea Lorz. Und immer wieder betont sie: „Es war ein friedliches Leben. Antisemitismus habe ich nicht gespürt!“ Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten änderte sich die Situation, besonders nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 waren die Juden in großer Gefahr. Channas Vater floh im November 1939 aus Leipzig, Frau und Tochter kamen im April 1940 nach – zuerst ging es nach Wien, dann nach Ungarn und schließlich nach Palästina.

Wunsch, die alte Heimat noch einmal zu sehen

Channa Gildoni wollte eigentlich Jura studieren, konnte sich diesen Wunsch aber nicht erfüllen. Sie arbeitete als Krankenschwester, wurde mit Anfang 30 schon Witwe und zog ihre beiden Kinder alleine groß. Heute hat sie acht Enkel und 18 Urenkel. Ab 1953 organisierten sich ehemalige Leipziger in Israel zu einem Verband, dem sich auch Menschen in den USA oder Großbritannien anschlossen. Viele hatten den Wunsch, die alte Heimat noch einmal zu besuchen. Auf Einladung der Stadt Leipzig reiste Channa Gildoni mit einer kleinen Gruppe im November 1992 erstmals wieder in ihre Geburtsstadt. Nach mehr als 50 Jahren, in denen sie kein Deutsch gesprochen, gelesen oder geschrieben hatte. Doch das Eis war schnell gebrochen, der Besuch wurde ein großer Erfolg.

Vorsitzende des Verbandes ehemaliger Leipziger in Israel

Von da an kam Channa Gildoni teilweise jedes Jahr nach Leipzig, letztmals vor Corona im Jahr 2019. Sie brachte Kinder, Enkel und Urenkel mit und trat vor Schulklassen auf, denn sie wollte ihren Beitrag leisten, dass das Unrecht nicht in Vergessenheit gerät, wenn die Zeitzeugen nicht mehr am Leben sind. 1995 übernahm sie selbst den Vorsitz des Verbandes ehemaliger Leipziger in Israel, dessen Tätigkeit heute weitestgehend ruht. 1999 erhielt sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Für ihre Verdienste um Versöhnung und Erinnerungskultur bekam sie das Bundesverdienstkreuz und die Ehrennadel der Stadt Leipzig verliehen.

Bisher 89 Leipziger Ehrenbürger ernannt

Die Ehrenbürgerwürde ist die höchste Auszeichnung der Stadt Leipzig. Sie wird an noch lebende Männer und Frauen verliehen, die sich in herausragender Weise um Mitmenschen, um das Gemeinwohl, um die Stadt Leipzig, ihr Ansehen oder ihre Entwicklung verdient gemacht haben, verliehen. Seit 1832 hat die Stadt Leipzig 89 Ehrenbürger ernannt, der letzte war Ex-Stadtpräsident Friedrich Magirius. Sechs von ihnen wurde nach 1990 die Würde wieder aberkannt. Bisher handelte es sich durchweg um Männer.


16.02.2022

Geschlechtergerechtigkeit – 89 Männer, keine einzige Frau: Wo bleiben Leipzigs Ehrenbürgerinnen?

Kürzlich wurde die höchste Auszeichnung der Stadt, die Ehrenbürgerwürde, erneut vergeben – wieder einmal an einen Mann. Gibt es in Leipzig keine ehrenwerte Frau?

Mehr als 20 Jahre lang war Pause, nun wurde wieder die höchste Auszeichnung der Stadt vergeben: Friedrich Magirius wird der 89. Ehrenbürger Leipzigs, zuletzt kam es 2001 zu dieser Würdigung. Der Theologe reiht sich damit ein in eine lange Liste an männlichen Vornamen. Eine Frau wurde bisher nicht in dieser besonderen Form wertgeschätzt. Wie kann das sein?

„Es ist an der Zeit, endlich auch eine Ehrenbürgerin zu haben. Schließlich sind es eben nicht nur Männer, die sich um unsere Stadt verdient gemacht haben“, findet Christopher Zenker, Vorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion. Seit seinem Amtsantritt 2016 nominierten die Leipziger Sozialdemokraten eine Person, und das erst kürzlich – eine Frau! Daraus wurde nichts – „sehr bedauerlich“, kommentiert das Zenker.

„Sie bekäme wohl eine Mehrheit, aber eben keine zwei Drittel“, erklärt er. Dieser Stimmenanteil unter den Stadträten ist notwendig, um das Ehrenbürgerrecht verleihen zu können. „Das ist eine große Hürde“, so der Fraktionschef. „Wenn zwei Fraktionen dagegen stimmen, reicht es schon nicht mehr aus.“ Das war mal leichter, meint er. „Als es nur die vier großen Parteien im Stadtrat gab, konnte es wahrscheinlich häufiger zu einem Mehrheitsergebnis kommen.“

Bisher kein weiblicher Vorschlag mehrheitsfähig

Die Zwei-Drittel-Mehrheit, erklärt Matthias Hasberg, Pressesprecher der Stadt Leipzig, sei genau so gewollt. „Die Wahl eines Ehrenbürgers soll einen breiten gesellschaftlichen Konsens abbilden.“ Da müssen sich auch CDU und die Linke einigen können, sagt er beispielhaft. Dass es noch keine Ehrenbürgerin in Leipzig gab, liege einfach daran, dass bisher noch kein mehrheitsfähiger Vorschlag kam. „Niemand würde sich sonst dagegenstellen“, versichert Hasberg.

In der Regel schaffen es die vorgeschlagenen Personen aber ohnehin nicht bis zur offiziellen Abstimmung im Stadtrat, erklärt SPD-Vorsitzender Zenker. Schon im Voraus bespreche der Ältestenrat, ob eine vorgeschlagene Person mehrheitsfähig ist oder nicht. Namen werden dabei nicht öffentlich – wie auch bei der vorgeschlagenen Kandidatin. „Wir möchten dadurch einen Gesichtsverlust vermeiden“, so Zenker. Man könne die Menschen schützen, indem sie zunächst nicht in das Licht der Öffentlichkeit gerückt würden.

Grünen-Fraktion nominierte drei Frauen

Dass zwei Jahrzehnte lang überhaupt kein neuer Ehrenbürger, Geschlecht hin oder her, in Leipzig hinzukam, liegt jedoch nicht ausschließlich daran, dass die Stadträte sich nicht einigen konnten. „In den letzten zehn Jahren war das Thema Ehrenbürgerinnen und -bürger nicht aufgerufen worden“, erzählt Katharina Krefft, Vorsitzende der Leipziger Grünen-Fraktion. Die Diskussion im Stadtrat um die Ehrenbürgerwürde sei erst 2020 mit einem Vorschlag aus der Bürgerschaft eröffnet worden, in einem Schreiben hatte jemand eine Frau für die Auszeichnung nominiert.

Daraufhin habe der Ältestenrat, bestehend aus den Fraktionsvorsitzenden und Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), festgestellt, dass keiner der damaligen Ehrenbürger mehr lebt – und bat deshalb um konkrete Vorschläge. „Meine Fraktion schlug drei Frauen und einen Mann vor“, sagt Krefft. Bei dem nominierten Mann handelt es sich um den inzwischen ausgezeichneten Friedrich Magirius, von den drei Frauen scheint es bisher offensichtlich keine geschafft zu haben. „Aktuell finden intensive Gespräche statt. Wir sind zuversichtlich, dass wir demnächst zu einer weiteren Würdigung kommen“, verrät jedoch die Grüne-Vorsitzende.

Linke-Stadträtin Mandy Gehrt hat noch eine andere Idee: Sie beantragte im Stadtrat, die Leipziger Ehrenbürger-Satzung so zu ändern, dass auch nicht mehr lebende Personen ausgezeichnet werden können. Dann könnte die Ehre posthum an Frauen vergeben werden.

„Die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Vergangenheit, die dazu führte, dass ihre Lebensleistungen und Verdienste zu ihren Lebzeiten nicht ausreichend gewürdigt wurden, darf sich heute nicht einfach fortsetzen“, argumentierte die Sprecherin der Linksfraktion. Was aus Gehrts Antrag wird, ist derzeit noch nicht entschieden.

Wie wird man Leipziger Ehrenbürger/-in und was bedeutet das?

Die Ehrenbürgerwürde ist die höchste Auszeichnung der Stadt, seit 1832 vergibt sie der Stadtrat zur Würdigung herausragender Verdienste. Grundsätzlich kann jede und jeder mit Wohnsitz in Leipzig eine Person für die besondere Ehrung vorschlagen, schriftlich und begründet an den Oberbürgermeister gerichtet. Dabei darf die Auszeichnung nur an lebende Personen gehen. Außerdem: Ehrenbürgerinnen und Ehrenbürger müssen sich diesen Status in herausragender Weise um Mitmenschen, um das Gemeinwohl, um die Stadt Leipzig, ihr Ansehen oder ihre Entwicklung verdient gemacht haben. So ist es in einer Satzung der Stadt vorgeschrieben. Über die Verleihung des Ehrenbürgerrechts entscheidet der Stadtrat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln.

Wer als Ehrenbürgerin oder Ehrenbürger ausgezeichnet wurde, erhält damit auch besondere Rechte. Diese umfassen die Aufnahme des Namens auf die sogenannte Ehrentafel im Neuen Rathaus, eine Eintragung ins „Goldene Buch“ Leipzigs, Einladungen zu besonderen Veranstaltungen der Stadt und der Anspruch auf die Errichtung einer Ehrengrabstätte auf einem kommunalen Friedhof. Einem solchen Ehrengrab steht beispielsweise eine gärtnerische Pflege auf unbegrenzte Zeit zu.

Wer sind Leipzigs Ehrenbürger?

Insgesamt 89 Ehrenbürger gibt es in Leipzig, der kürzlich ausgezeichnete Theologe Friedrich Magirius ist der einzige noch lebende. Vor Magirius und nach der Wende verliehen die Leipziger Stadträtinnen und Stadträte die besondere Würdigung an weitere vier Personen: 2001 war es der Literaturwissenschaftler Hans Mayer in Anerkennung seiner herausragenden wissenschaftlichen und publizistischen Leistungen, er starb im Jahr der Auszeichnung. Zwei Jahre zuvor ehrte die Stadt den ehemaligen Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube, 1996 den Schriftsteller Erich Loest wegen seiner Verdienste um die Aussöhnung Deutschlands mit seinen östlichen Nachbarn. Im Wendejahr erhielt der Gewandhauskapellmeister Kurt Masur das Ehrenbürgerrecht, in Anerkennung seiner Verdienste um den Ausgang der friedlichen Revolution Leipzigs im Herbst 1989. Innerhalb der Stadt beigesetzt wurden davon nur Lehmann-Grube und Masur, ihre Ehrengräber befinden sich auf dem Leipziger Südfriedhof.

Unter all den seit 1832 von der Stadt ernannten Ehrenbürgern, kam es im Laufe der Zeit auch zu insgesamt sechs Aberkennungen, aufgrund unwürdigen Verhaltens. Auf Antrag des damaligen Oberbürgermeisters Hinrich Lehmann-Grube stimmten die Stadträtinnen und Stadträte 1990 für die Zurücknahme der Würdigung von Adolf Hitler, Wilhelm Frick, Hans Frank, Walter Ulbricht und Paul von Hindenburg. 2010 betraf dies auch den Rechtswissenschaftler Karl Binding, Grund dafür war sein Beitrag zur Eugenik der Nationalsozialisten.

Von Friederike Pick