Der NSU und die „Spur 32“: Floh Beate Zschäpe nach der Explosion in Zwickau zu Thüringer NPD-Mann?
Bildunterschrift: Es lagen nur etwa 1,5 Kilometer zwischen dem Wohnmobil in Stregda und dem letzten NSU-Tatort am Nordplatz. Von Patrick Wieschkes vormaliger Adresse konnte man den Tatort sehen.
Was hat der heutige NPD-Landeschef Patrick Wieschke mit dem NSU und dessen Ausspähen des letzten Tatorts an seiner früheren Adresse zu tun? Jetzt steht er erneut wegen Unterstützung in Verdacht.
Die „Spur 32“ war eine der frühen Spuren. Am 17. November 2011 ging sie im Ermittlungsverfahren zum rechtsextremen Terrornetzwerk „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) bei der Polizei ein. Das war knapp zwei Wochen, nachdem man am 4. November in einem ausgebrannten Wohnmobil im Eisenacher Ortsteil Stregda zwei verbrannte Leichen gefunden hatte. Diese stellten sich als Überreste der Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt heraus. Am selben Tag, als in Eisenach das Wohnmobil brannte, sprengte Mundlos‘ und Böhnhardts Komplizin Beate Zschäpe an der Zwickauer Frühlingsstraße das letzte Domizil des NSU-Kerntrios in die Luft. Danach flüchtete die letzte Überlebende aus diesem Trio kreuz und quer durch Deutschland. Nach vier Tagen stellte sie sich in Jena der Polizei. Als „Spur 32“ die Polizei erreichte, hatte sich Zschäpe bereits gestellt. Doch wo war sie zuvor gewesen? Wen hatte sie aufgesucht? Wen gegebenenfalls um Hilfe gebeten? Das alles bleibt rätselhaft – bis heute.
„Spur 32“ war ein anonymer Hinweis. Er lautete, Zschäpe sei in den Tagen nach dem Tod ihrer Komplizen selbst nach Eisenach gekommen. Und sie habe dort übernachtet. Konkret in der Wohnung des NPD-Funktionärs Patrick Wieschke. „Freie Presse“ befragte Wieschke im Dezember 2011 zu diesem Hinweis, just als Informationen darüber aus Sicherheitskreisen durchgesickert waren. Wieschke bestritt, dass er Zschäpe bei sich habe übernachten lassen. „Unsinn“ sei das. Dass er Zschäpe „vom Sehen her“ kannte, räumte er aber ein. Doch sei das in der Zeit vor deren Abtauchen gewesen. Seither habe er Zschäpe nicht gesehen. So versicherte Wieschke es damals gegenüber der „Freien Presse“.
Wieschke war zunächst der siebte Verdächtige auf der Liste der NSU-Ermittler
Immerhin – die Polizei setzte einen Fährtenhund auf Zschäpes Spur in Eisenach an. Nachdem der Mantrailer an Zschäpes Kopfkissen geschnuppert hatte, führte er die Beamten von der Wohnung eines ebenfalls benannten Szenekameraden über einen verschlungenen, aber zielgenauen Weg zum Haus von Wieschke am Karlsplatz und von dort weiter zum Hauptbahnhof. Am Bahnsteig der Gleise 1 und 2 verlor sich Zschäpes Spur.
Ähnliche Mantrailer-Suchaktionen machten die Beamten auch mit Geruchsspuren von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Auch sie waren abseits ihre Fluchtroute vom Bankraub zum Wohnmobil noch in Eisenach unterwegs gewesen. In ihrem der „Freien Presse“ vorliegenden Protokoll dokumentierten die Ermittler, somit bleibe festzuhalten, „dass sich Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt“ innerhalb der vergangenen sechs Wochen, „im Stadtgebiet Eisenach zumindest in unmittelbarer Nähe“ von Wieschkes Adresse aufgehalten haben mussten.
Anfang Dezember 2011, drei Wochen nach Auffliegen des NSU, zählte das Bundeskriminalamt (BKA) neben Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe im NSU-Komplex zunächst sechs Beschuldigte. Vier weitere Namen folgten: Als weitere Verdächtige galten „in der Reihenfolge der derzeitigen Wahrscheinlichkeit“: Patrick Wieschke, André K., Susann E. (Ehefrau von André E.) und Daniel G. (Sänger der Rechtsrockband ‚Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten‘).“ Während Susann E. und André K. später selbst zu Beschuldigten wurden, ließen sich die Spuren zu Daniel G. und zu Patrick Wieschke nicht so weit erhärten. Und das obwohl Wieschke im Zuge der folgenden Ermittlungen immer wieder an unterschiedlichen Stellen im Netz der NSU-Helfer auftauchte.
Vor zwei Wochen nun wurde Wieschke in Untersuchungshaft genommen. Das aber gar nicht unter NSU-Verdacht. Die aktuellen Ermittlungen beleuchten vielmehr seine Verflechtung mit einer weiteren kriminellen Vereinigung, der Eisenacher Schlägertruppe „Knockout 51“. Von der Bundesanwaltschaft wird diese sogar als Terrorvereinigung eingestuft. Wieschke, der innerhalb der NPD (heute „Heimat“ genannt) längst zum Thüringen-Chef und bis in den Bundesvorstand aufstieg, hatte „Knockout 51“ in der Thüringer Parteizentrale Kampfsport trainieren lassen.
Sprengstoffanschlag auf Dönerstand am späteren Tatort des letzten NSU-Überfalls
Wieschkes Aufstieg in der NPD hatte schon mehr als 20 Jahre zuvor begonnen, wie auch seine Kontakte zu Terrorhelfern. Im Jahr 2000 war er zum stellvertretenden Thüringer Landeschef der Jungen Nationaldemokraten (NPD-Jugend) gewählt worden, im Team mit Carsten S. Wie erst elf Jahre später bekannt wurde, hatte dieser Carsten S. just in diesem Zeitraum dem in Chemnitz abgetauchten NSU-Kerntrio jene Pistole vom Typ Ceska 83 überbracht, die zur Tatwaffe der bundesweiten Mordserie an ausländischen Kleinunternehmern werden sollte.
Nur Wochen vor Beginn der dem NSU zugeschriebenen Ceska-Mordserie, bei der zum Teil türkischstämmige Inhaber von Döner-Verkaufsständen getötet wurden, gab es in einem Eisenacher Wohngebiet einen nächtlichen Sprengstoffanschlag auf einen Dönerstand. Der Täter hatte eine handelsübliche CO2-Kartusche, wie sie zum Verschießen von Bleigeschossen mit CO2-Pistolen verwendet wird, zu einem Sprengsatz umgebaut. Die metallene Kartusche war mit Schwarzpulver befüllt an der Griffblende des Dönerstands befestigt worden. Bei der Explosion ging alles glimpflich ab. Es blieb bei Sachschaden an der Tür des Standes. Als Täter des Anschlags wurde ein Szenekamerad Patrick Wieschkes ermittelt.
Wieschke selbst soll den jungen Mann angestiftet haben. Wieschke wurde der Prozess gemacht. Am Amtsgericht Eisenach verurteilte man ihn zu einer Bewährungsstrafe. Neben der zeitlichen Nähe zum Start der Mordserie hatte der Fall noch eine Besonderheit: Der angegriffene Dönerstand befand sich am Eisenacher Nordplatz, nur einen Steinwurf entfernt von jener Sparkassenfiliale, auf die Mundlos und Böhnhardt elf Jahre später den letzten ihrer Banküberfälle ausführen sollten. Wenn neben Zschäpe auch die beiden männlichen Rechtsterroristen vor ihrem Abtauchen näheren Kontakt zu Patrick Wieschke gepflegt hatten, dürfte ihnen das Tatortumfeld sehr wohl bekannt gewesen sein. Bis 1998 war nicht der Karlsplatz, sondern der Nordplatz Wohnadresse von Patrick Wieschke gewesen.
Wegen vieler Straftaten wurde zwischenzeitlich gegen Wieschke ermittelt, unter anderem wegen Körperverletzung, wegen Raubes, wegen szenetypischer Delikte wie Volksverhetzung und öffentlichem Verwenden von Kennzeichen aus dem Nationalsozialismus. Eine Zeitlang saß Wieschke in der Haftanstalt Hohenleuben ein.
Die merkwürdige Nähe zum rätselhaftesten NSU-Opfer: der jungen Polizistin
Im Jahr 2006 mietete Wieschke dann den Gasthof „Zur Bergbahn“ im Thüringer Wald für eine Veranstaltung des von ihm geführten „Nationalen und Sozialen Aktionsbündnisses Westthüringen“ (NSAW). Dieses Bündnis war der Nachfolger der Eisenacher Sektion des „Thüringer Heimatschutzes“, eben jenes Neonazi-Sammelbeckens, in dem vor ihrem Abtauchen auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe radikalisiert worden waren. Der Gasthof „Zur Bergbahn“ wurde zum Zeitpunkt von Wieschkes Veranstaltung von David F. geführt. Das ist der Schwager von Ralf Wohlleben, dem inzwischen verurteilten Finanzier der genannten Tatwaffe der Ceska-Mordserie. Dass sich der besagte Gasthof im Heimatort der nur Monate später in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter befand, warf viele Fragen auf. Bisher allerdings ohne konkrete Antworten. Das Motiv für den Mundlos und Böhnhardt zugeschriebenen Mord an der 22-jährigen Polizistin ist bis heute eines der größten Rätsel im NSU-Komplex.
Selbst zum V-Mann des dubiosen Geheimdienstlers Andreas Temme hatte Wieschke Kontakt
Selbst zum hessischen Rechtsextremisten Benjamin G. hatte Patrick Wieschke Kontakt. Relevanz hat diese Verbindung, weil Benjamin G. nicht irgendein Rechtsextremist war. Unter dem Decknamen „Gemüse“ arbeitete Benjamin G. als V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes. Und als V-Mann-Führer hatte er eben jenen Andreas Temme, der beim letzten Mord der dem NSU zugeschriebenen Ceska-Serie in einem Kasseler Internetcafé am Tatort gewesen war. Warum war Temme zugegen? Bei der NSU-Aufklärung im Münchner Prozess und im Bundestags-Untersuchungsausschuss hat der Geheimdienstmann zu den Hintergründen seiner Anwesenheit im Kasseler Internetcafé seither mehrfach gelogen.
Doch zurück zu Patrick Wieschke. 2001 hatte Temmes V-Mann Benjamin G. an einer rechtsextremen Demo in Eisenach teilgenommen. Wegen Skandierens von SS-Losungen nahm die Polizei ihn fest. Der Anheizer dieser Sprechchöre war Patrick Wieschke gewesen.
Auch in der bundesweiten Neonazi-Szene ist der Parteifunktionär bestens vernetzt. 2014 erwarb ein Hamburger NPD-Aktivist in Eisenach ein Gebäude, in dem fortan die Landeszentrale der Partei unterkam, zusammen mit einem von Wieschke betriebenen Versandhandel für alte Originale der NS-Literatur. Im Gebäude, dem sogenannten „Flieder Volkshaus“, kam auch die „Nationale Jugend Eisenach“ zusammen. Der bereits 2006 bei Wieschkes Veranstaltung in Oberweißbach aufgetretene Szene-Barde Frank Rennicke gab in der Parteizentrale in Eisenach 2014 ein Konzert. Aus der Sächsischen Schweiz wurde der Gründer der als kriminelle Vereinigung verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS), Thomas Sattelberg, für einen Vortrag geholt.
Ein Waffenlager in der Eisenacher NPD-Parteizentrale
Vor zwei Wochen nun wurde Patrick Wieschke in Untersuchungshaft genommen. Er hatte die inzwischen als kriminelle Vereinigung in Verdacht stehende Gruppe „Knockout 51“ in der Parteizentrale Kampfsport trainieren lassen. Nach monatelang währenden Ermittlungen ließ die Bundesanwaltschaft Wieschke und zwei weitere Kameraden unter dem Verdacht der Mitgliedschaft oder Unterstützung von „Knockout 51“ festnehmen.
Das Führungsquartett der Gruppe „Knockout 51“ steht bereits vor Gericht. Allen voran Leon R., Betreiber der Eisenacher Neonazi-Kneipe „Bull’s Eye“. In der traf sich die Gruppe vormals regelmäßig zum Kampfsport. Nicht etwa als Trockentraining, sondern als Übung für echte Straßenkämpfe. Bei zehn solcher Angriffe wurden Opfer teils bewusstlos geprügelt, erlitten Knochenbrüche, mussten über Tage ins Krankenhaus. Gewissermaßen als rechtsstaatlich nicht zu tolerierende Selbstjustiz gegen solche Übergriffe war im Oktober 2019 übrigens genau jener Angriff auf Leon R.‘s Kneipe zu verstehen, für den später linke Autonome aus der Gruppe um die Leipziger Studentin Lina E. verurteilt wurden.
Der Rechtsstaat unterband Selbstjustiz von linker Seite. Leon R. soll danach versucht haben, mit einem 3D-Drucker eine Maschinenpistole zu bauen. Mit dieser und weiteren zusammengetragenen Waffen hätten – als Selbstverteidigung bemäntelt – linke Gegner getötet werden sollen. Das wurde im „Knockout 51“-Prozess am Oberlandesgericht in Jena erörtert. Als Lager für ihr Waffenarsenal diente der Gruppe ein Raum im „Flieder Volkshaus“. Den soll Patrick Wieschke zur Verfügung gestellt haben. Dafür ging der Mann, der seit 20 Jahren immer wieder durch seine Nähe zu Terrorhelfern oder Terroristen auffiel und den das BKA im NSU-Fall einst zu den zehn verdächtigsten Personen zählte, nun in Untersuchungshaft.