Der Frieden, den sie meinen

An israelfeindlichen Protesten in Leipzig beteiligen sich extreme Rechte. Mit einem vagen Begriff von »Frieden« versuchen sie dort, eine neue Klientel für sich zu gewinnen.

Wo zuvor gegen Flüchtlinge gehetzt worden war, standen plötzlich solidarische Worte. Bilder von Palästina-Flaggen, »Stop Genozid in Gaza«-Schildern und Kufiya-Trägern fluten seit einer Weile den Telegram-Kanal der »Bürgerbewegung Leipzig 2021« (BBL). Seit Mitte November reiht sich die rechtsex­treme Kleingruppe zwischen arabischstämmigen Familien und autoritären Linken in die entsprechenden Demonstrationen in Leipzig ein.

Und sie rief in ihrem Telegram-Kanal zur Teilnahme an weiteren israelfeindlichen Kundgebungen auf: »Wir werden auch in den nächsten Wochen gemeinsam für eine friedliche Welt auf die Straßen gehen.« Eine merkwürdige Allianz zeigt sich da, die ein Resultat der Bedeutungslosigkeit der BBL und vorhandener ideologischer Schnittmengen ist.

»Sie sind auf der Suche nach neuen Bündnispartnern«, erklärt Steven Hummel von Chronik LE der Jungle World diese Allianz. Chronik LE dokumentiert und analysiert faschistische, antisemitische, rassistische und andere diskriminierende Vorfälle in Leipzig und Umgebung. Das Stammpersonal der BBL kenne man teilweise schon länger aus anderen Gruppen und Aufzügen. Diese reichten bis zu den Hochzeiten von Legida, dem lokalen Ableger von Pegida, zurück.

Seit dem Frühjahr 2021 rief die BBL zu Demonstrationen gegen die wegen der Covid-19-Pandemie ergriffenen Schutzmaßnahmen auf. Bereits Ende 2021 stufte sie der sächsische Verfassungsschutz als »extremistisch« ein. Im Zentrum der Gruppe steht der rheinland-pfälzische ehemalige NPD-Kader Volker Beiser. Die Positionen der BBL zeigen laut Hummel zudem Bezüge zur Reichsbürgerideologie. »Freiheit«, »Souveränität« und »Volk« seien wiederkehrende Schlüsselbegriffe. Auf Te­legramm teile man Beiträge des »Königreichs Deutschland« und anderer einschlägiger Akteure.

»Die traten stets offensiv als Neonazis auf«, sagt Hummel, der die Gruppe schon länger beobachtet. »Sie versuchten gar nicht, das irgendwie zu verbergen und harmloser zu wirken.« An den Demonstrationen der BBL nahmen stets gewaltbereite Neonazis teil, die Konfrontationen mit Gegendemons­tranten suchten und Journalisten einschüchterten. Aufgrund innerer Streitigkeiten löste sich die BBL vorübergehend faktisch auf. Ein Rest der Gruppe rief jedoch weiterhin zu Versammlungen auf, die neben Covid-19 mal die ­Ukraine, mal die Energiekrise betrafen – was sich tagespolitisch gerade anbot. Nun ist es eben der Israel-Gaza-Krieg.

Ein wesentliches Kommunikationsmittel der Gruppe stellt ihr Telegram-Kanal mit etwa 1.500 Abonnenten dar, der kürzlich in »Aufbruch Leipzig 2023« umbenannt wurde. Dieser war zuletzt bestimmt von den Themen Pandemie, »Migrantengewalt« und der Forderung nach einem Nato-Austritt. Und man mobilisierte dort bundesweit für den 4. November, um gegen die Politik der Bundesregierung zu protestieren. Die Gruppe versuchte hiermit, an die Proteste im November 1989 anknüpfen, als Zehntausende Menschen gegen die Politik der DDR um den Leipziger Ring gelaufen sind. Statt der 5.000 angemeldeten kamen allerdings nur 200 Menschen.

Erst nach diesem Reinfall erfolgte der thematische Umschwung. Bis dahin hatte die BBL die Terrorakte der Hamas vom 7. Oktober und die israelischen Reaktionen darauf gar nicht erwähnt. Plötzlich rief die Gruppe zur Teilnahme an einer israelfeindlichen Kundgebung unter dem Motto »Stoppt den Genozid in Gaza!« auf, die von der linksautoritären Gruppe Handala organisiert wurde.

Diesen ungewöhnlichen Schritt wusste man zu rechtfertigen: »Unsere Staatsräson ist sicherlich nicht die Ukraine oder Israel, unsere Staatsräson sollte der Frieden sein.« Steven Hummel weist auf die aus seiner Sicht entscheidende Funktion der Friedensfloskel hin: »Frieden ist hier das zentrale Motiv. Das ist unverfänglich, es ist dann ja immer die Frage, was man genau darunter versteht.« In seiner Vagheit sei das ein einigendes Band, wie man in der Vergangenheit bereits zu anderen Anlässen habe sehen können.

Auf »ein bisschen Frieden« hätten sich schon im Frühjahr 2014 bundesweit Menschen verschiedenster politischer Couleur einigen können, um nach der russischen Annexion der Krim gegen die Nato zu demonstrieren. Entsprechend textete die BBL in Bezug auf Demonstrationen anlässlich des Israel-Gaza-Kriegs: »Mögen wir auf anderen Themengebieten unterschiedliche Meinungen vertreten, so ist der Kampf für den Frieden ein Thema, für den es sich lohnt, gemeinsam zu streiten.«

Diese floskelhafte Friedensforderung mit einer antiamerikanischen Note führt Hummel zufolge auf ein zweites verbindendes Element: »Da gibt es Schnittmengen, die aus Antisemitismus und verschwörungsideologischen Ansichten bestehen.« Klassische neonazistische Positionen paare man mit Reichsbürgerthesen wie der, dass man nicht frei sei. Da heiße es dann, man lebe »in einem besetzten Land, gelenkt von internationalen Strippenziehern im Hintergrund«.

Bei der BBL ist von »transatlantischer Fremdbestimmung« die Rede. Da ist es nicht weit zu antiimperialistischen Verkürzungen, wie sie auch bei israelfeindlichen Demonstrationen zu vernehmen sind. Die »Kindermörder Israel«-Vorwürfe greifen alte antisemitische Motive auf. »Und bei der Abschaffung des Staats Israel sind sie sich direkt einig«, so Hummel.

Dass sich Rechtsextreme positiv auf Palästina beziehen, ist nicht neu. Bereits der Mufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, arbeitete eng mit den Nazis zusammen. Und auch in der jüngsten Vergangenheit traten beispielsweise die Autonomen Nationalisten immer wieder mit Kufiya auf. Ohnehin reichen den Rechtsextremen lose Anknüpfungspunkte, um zu versuchen, eine neue Klientel für sich zu gewinnen.

Dass ihnen das in diesem Fall gelingen wird, bezweifelt Hummel, ebenso, dass den Organisatoren der israelfeindlichen Demonstration klar war, wer da an ihrer Veranstaltung teilnahm. Bei antifaschistischen Aktionen gegen Veranstaltungen aus dem »Quer-denken«-Milieu seien linksautoritäre Gruppen nicht in Erscheinung getreten. Hummel ist sich deshalb unsicher, ob diese die Anhängerschaft der BBL überhaupt kennen.

Hummel glaubt außerdem nicht, dass die Bürgerbewegung viel Erfolg dabei haben könnte, Menschen bei diesen Demonstrationen für sich zu gewinnen. An ihrer Bedeutungslosigkeit werde sich nichts ändern. »Ich halte es für unrealistisch, dass sie noch einmal so viele Menschen zusammenbringen wie nach Russlands Angriff auf die Ukraine oder wegen hoher Energiepreise. Die sind zu marginal und ihre Ideen zu abstrus.«


24.08.2023 Matthias Küntzel

Das Nachbeben

Wie Nationalsozialisten den Israel-Palästina-Konflikt beeinflussten und was dies für die Gegenwart heißt.

Besteht zwischen dem Krieg der Nazis gegen die Juden, der 1945 endete, und dem 1948 entfachten Krieg der Araber gegen den soeben gegründeten Staat Israel ein Zusammenhang? Diese Frage liegt nahe. Sie wird aber selten gestellt, geschweige denn erforscht. Warum? Weil – dies jedenfalls ist meine Vermutung – die Existenz belegbarer Kontinuitäten zwischen 1945 und 1948 einer Leitidee widerspräche, die den Rang eines Dogmas erhalten hat: dass nämlich Israel und somit Juden nicht nur für den Krieg von 1948, sondern auch für den Antisemitismus in der Region ­verantwortlich seien. Der nahöstliche Antisemitismus sei die Folge des Konflikts um den jüdischen Staat: So jedenfalls lautet das Mantra an Universitäten und in der Öffentlichkeit.

Aus diesem Paradigma leiten Nahost-Experten mildernde Umstände für den arabischen Antisemitismus ab. »Ist der für europäische Rassisten früher wie heute typische, auf Hirngespinste gegründete Judenhass (…) gleichzusetzen mit dem Hass, den manche Araber empfinden, die empört sind über die Besetzung und Verwüstung arabischen Landes (…)?« lautet die rhetorische Frage des britisch-libanesischen Antizionisten Gilbert Achcar. Der arabische Antisemitismus beruhe »im Unterschied zum europäischen Antisemitismus ›immerhin‹ auf einer tatsächliche Problematik, nämlich die Marginalisierung der Palästinenser«, findet der deutsche Islamforscher Jochen Müller.

Dieses Paradigma, das zwischen einem wahnhaften und einem »immerhin« verständlichen Antisemitismus unterscheidet, gehört zu den Fundamenten der deutschen und europäischen Nahost-Politik, die sich auch deshalb weigert, den Judenhass, wie man ihn aus Beirut, Teheran und Gaza kennt, angemessen zu bekämpfen.

Natürlich hatte die Radikalisierung des arabischen Antisemitismus auch mit der zionistischen Staatsbildung zu tun. Doch gab es ganz verschiedene Möglichkeiten, hierauf zu reagieren. Es gab Ägypter, die den »Sieg der zionistischen Idee« als Chance für »die Wiederauferstehung des Orients« feierten. Andere, wie der transjordanische Regent Emir Abdullah, der 1946 zum ersten König von Jordanien wurde, wollten mal mehr, mal weniger mit Zionisten kooperieren, eine dritte Gruppe lehnte zwar den Zionismus, nicht aber das Judentum ab, während zunächst nur die Anhänger von Amin al-Husseini, dem Mufti von Jerusalem, als Antisemiten agierten. Die Nationalsozialisten unterstützten einzig die zuletzt genannte Gruppe. Sie sahen in den Auseinandersetzungen in Palästina eine Gelegenheit, ihre Form von Judenfeindschaft zu schüren, und drückten dem lokalen Konflikt eine von Antisemitismus gezeichnete Prägung auf.

Goebbels auf Arabisch

Dies begann mit dem Pamphlet »Islam – Judentum: Aufruf des Großmufti an die islamische Welt im Jahre 1937«. Es wurde im August 1937 in Kairo mit dem erklärten Ziel veröffentlicht, den Kompromissplan einer Zweistaatenlösung für Palästina (»Peel-Plan«) zu verhindern. Der Text, den die Nazis später in mehreren Sprachen und massenhaft verbrei­teten, propagiert Judenhass pur: Er unterstellt den Juden, die Muslime und den Islam vernichten zu wollen, und fordert einen Kampf auf Leben und Tod. Natürlich hätte ein jüdischer Staat auf einem Teil des damaligen Mandatsgebiets, wie er 1937 im Peel-Plan vorgesehen war, Hunderttausende Juden vor dem Holocaust retten können. Der Mufti aber und die Nazis brachten dieses Projekt zu Fall.

1938 und 1939 folgte die Zusammenarbeit deutscher Nazi-Agenten mit der Muslimbruderschaft in Ägypten. Neue Archivfunde belegen, dass die deutsche Regierung diese Kooperation auf höchster Ebene verfolgte und dass »GOEB. (Goebbels) mit viel Lob darüber gesprochen« hat. Die Deutschen versorgten die Muslimbrüder nicht nur mit Geld, sondern nahmen auch an Konferenzen der Islamisten teil, hielten gemeinsame »Palästina-Treffen« ab und präsentierten ihnen Vorträge über »die Judenfrage«. Diese Nazi-Investition zahlte sich acht Jahre später aus, als es darum ging, auch den UN-Teilungsplan für Palästina zu Fall zu bringen.

1939 schließlich begannen die Nazis ihre Radiopropaganda in arabischer Sprache, die, anders als der geschriebene Text, auch die Massen erreichte. Auf diese Weise gelangte Goebbels’ Antisemitismus von April 1939 bis April 1945 alltäglich in die arabische Welt.

Die Programme wurden von den Kurzwellen-Sendeeinrichtungen in Zeesen, einem Ort südlich von Berlin, ausgestrahlt und zeichneten sich durch zwei Besonderheiten aus: Erstens tarnten sich die deutschen Radiomacher als besonders gläubige Islam-Freunde. Nachrichtensendungen begannen mit der Rezitation von Versen aus dem Koran. Man widmete den religiösen Feiertagen viel Sendezeit und propagierte – im Gleichklang mit der im selben Zeitraum entstehenden islamistischen Ideologie – die Rückkehr der Muslime zu ihren angeblichen historischen Wurzeln.

Zweitens waren die Sendungen aus Berlin von einem rabiaten Antisemitismus geprägt. »Tötet die Juden, steckt ihren Besitz in Brand, zerstört ihre Geschäfte, vernichtet diese niederträchtigen Helfer des britischen Imperialismus!« tönte es zum Beispiel aus Berlin, als Rommels »Panzerarmee Afrika« 1942 auf Kairo vorrückte.

Zwar suchten die Alliierten mit Störsendern und sonstigen Maßnahmen den Einfluss Radio Zeesens zu begrenzen. Sie hielten sich jedoch bei dessen wichtigstem Alleinstellungsmerkmal, seinem Antisemitismus, zurück, um bloß nicht als Verteidiger oder gar Komplizen der Juden zu erscheinen. Wenn es also etwas gab, was der Rundfunkpropaganda der Nazis gelang, dann dies: die Verbreitung und Radikalisierung von Judenhass in diesem Teil der Welt.

Der Umkehrschluss lautet, dass in muslimischen Bevölkerungszentren, die der von Radio Zeesen verbreitete Hass nicht erreichte, das Ressentiment gegen Juden geringer war. Dies war zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina der Fall, wo etwa 950.000 Muslime und 14.000 Juden lebten. Eine Radio­propaganda auf Serbokroatisch gab es nicht. Der Antisemitismus spielte bei den Muslimen dieser Region keine ­Rolle, der Konflikt um Palästina blieb für sie stets ein Randthema, in der Nachkriegszeit fanden Angriffe von Muslimen auf Juden faktisch nicht statt.

Für die arabische Welt aber erwies sich die allabendliche Dauerbeschallung als Zäsur, die die Geschichte des Nahen Osten in ein Vorher und ein Nachher teilt: Sie beförderte eine ausschließlich antijüdische Lesart des Koran, popularisierte den antisemitischen Weltverschwörungsmythos und prägte eine völkermörderische Rhetorik gegen den Zionismus. Es war eine Folge dieser Dauerpropaganda, dass 1948 große Teile der arabischen Öffentlichkeit im jüdischen Staat eine tödliche Bedrohung sahen, die gewaltsam zu beseitigen sei.

Vorbereitung auf »nachfolgende Schlachten«

Je deutlicher sich ab Mitte 1943 die Niederlage Deutschlands abzeichnete, desto schriller wurden die Warnungen, was geschehen werde, sollte das »Weltjudentum« in Palästina zum Zuge kommen. Wie Goebbels mit seiner »Wollt ihr den totalen Krieg«-Rede vom 18. Fe­bruar 1943 das Angstszenario einer Auslöschung der Deutschen im Falle der Niederlage beschwor, so begann nun auch die arabischsprachige Propaganda Schreckensszenarien für den Fall eines Sieges der Alliierten auszumalen.

Sollten die Juden siegen, hieß es zum Beispiel am 8. September 1943 in Radio Zeesen, werde »kein einziger arabischer Moslem oder Christ in der arabischen Welt bleiben. Araber! Stellt euch vor, Ägypten, Irak und all die arabischen Länder würden jüdisch, ohne Christentum und Islam!« Man schürte derartige Ängste, um sicherzustellen, dass das zi­onistische Projekt auch im Falle einer deutschen Niederlage verhindert würde. Für die Zeit »danach« ergriffen Teile des Nazi-Apparats aber auch handfeste Vorkehrungen.

So willigte Deutschland 1944 »darin ein, uns mit Waffen für die bevorstehenden Aufgaben zu versorgen«, berichtete al-Husseini in seinen Memoiren. »Die Behörden stellten uns vier leichte Vier-Propeller-Flugzeuge zur Verfügung, um das Kriegsmaterial nach Palästina zu schaffen, wo es in geheimen Schutzräumen zum Training der palästinensischen Kämpfer und für deren Vorbereitung auf nachfolgende Schlachten gelagert wurde.« (Hervorhebung: MK) In der Tat verließen fünf Fallschirmspringer am 6. Oktober 1944 Athen und landeten im Jordantal, um diverse Munitionskisten, die sie von dem Nazi-Flugzeug abgeworfen hatten, zu bergen. Zehn Tage später wurden sie von den Briten gestellt. Auch wenn der Einsatz ein kompletter Reinfall war, macht diese Aktion doch deutlich, dass es eine Verbindung zwischen dem Weltkrieg der Nazis und den nachfolgenden Palästina-Kämpfen gab.

Für jene »nachfolgenden Schlachten« waren auch die Gelder bestimmt, die al-Husseini bei Kriegsende erhielt. Das Auswärtige Amt erklärte sich bereit, dem Mufti auch noch nach dem 1. April 1945 12.000 Mark monatlich zu zahlen, und überwies ihm im Verlauf desselben Monats 50.000 Mark – Gelder, die der Mufti für seinen antijüdischen Krieg zwischen 1946 und 1948 zu nutzen wusste.

Zwar hatte al-Husseini als persönlicher Freund Heinrich Himmlers die Shoah aktiv befördert und den Terror der bosnisch-muslimischen SS-Division Handschar in Jugoslawien organisiert. Gleichwohl ersparten ihm die Alliierten nach 1945 einen Prozess. »Da es aber keinen Prozess und keine Bestrafung gab«, schreibt der Historiker Jeffrey Herf, »konnte die führende Stimme des ra­dikalen Antisemitismus im Nahen Osten als Held des antiimperialistischen Kampfes und nicht als entehrter Kollaborateur des Nationalsozialismus ­(in Kairo, Anm. d. Red.) begrüßt werden.«

Sein militanter Antisemitismus stand besonders bei der Muslimbruderschaft hoch im Kurs. Sie feierte den Mufti als Vollender einer Hitler’schen Ambition: »Dieser Held«, jubelte sie nach seiner Ankunft in Kairo, kämpfte »mit der Hilfe Hitlers und Deutschlands (…) gegen den Zionismus. Deutschland und Hitler sind nicht mehr, aber Amin al-Husseini wird den Kampf fortsetzen.« Eben dies geschah.

1947/1948: Arabische Zurückhaltung, islamistische Mobilisierung

Al-Husseini hatte auch Feinde in der arabischen Welt. Nicht alle arabischen Anführer unterstützten seinen militanten Antizionismus. 1937 hatte eine beträchtliche Zahl von Arabern den Peel-Plan im Grundsatz unterstützt.

Im November 1947 beschlossen die Vereinten Nationen die Zweistaatenlösung für Palästina. Diesmal votierte die Arabische Liga zwar einstimmig dagegen. Wie man aber auf den UN-Beschluss reagieren sollte, war bis zur letzten Minute umstritten.

So schloss die Arabische Liga die Möglichkeit eines Angriffs regulärer arabischer Streitkräfte auf den zu gründenden jüdischen Staat mehrfach aus. ­Die ägyptische Regierung stellte diesen Krieg, der am 15. Mai 1948 beginnen sollte, noch Anfang Mai 1948 in Frage: »Wir werden niemals in Erwägung ziehen, in einen offiziellen Krieg einzutreten«, erklärte General Muhammad Haidar, Ägyptens Verteidigungsminister. »Wir sind nicht verrückt.« Warum kam es dennoch zu diesem »offiziellen Krieg«, den die Staaten der Arabischen Liga Israel unmittelbar nach seiner Gründung erklärten?

Meine Untersuchungen belegen, dass es vor allem der Druck der arabischen Straße und die antisemitischen Kampagnen der Muslimbruderschaft waren, die die arabischen Machthaber dazu brachten, ihre Zweifel hintanzustellen und Israel anzugreifen. 1948 war die Muslimbruderschaft mit einer Million Mitgliedern die größte antisemitische Bewegung der Welt. Sie war entschlossen, den von Hitler und dem Mufti ­begonnenen Krieg zur Verhinderung der jüdischen Staatsgründung fortzusetzen. Ihre Kampagne konnte sich auf das nachklingende Echo der antisemitischen Nazi-Propaganda stützen. Unter ihrem Einfluss formierte sich eine radikale Massenbewegung, die auf einem Angriff auf den jüdischen Staat bestand. In der Nacht zum 15. Mai 1948 war es schließlich so weit: Von Norden rückten syrische, irakische und libanesische Truppen, von Osten jordanische Streitkräfte und von Süden ägyptische Einheiten auf das Gebiet des am Vortag gegründeten Staats Israel vor.

Dieser erste Krieg zwischen Israel und arabischen Staaten kostete 6.000 Juden (ein Prozent der damaligen jüdischen Bevölkerung) sowie ungezählte Araber das Leben, bevor man Anfang 1949 die ersten Waffenstillstandsvereinbarungen unterzeichnete. Es war diese verhängnisvolle Invasion der Araber, die den Israel-Palästina-Konflikt, wie wir ihn heute kennen, geprägt hat. Sie führte zur Flucht und Vertreibung von Hunderttausenden Arabern aus Palästina. Sie zerstörte nicht, wie eigentlich vorgesehen, den Staat der Juden, sondern beseitigte das arabische Palästina, das von 1948 bis 1967 vollständig von der Bildfläche verschwand.

Dieser Krieg fand statt, weil die antisemitische arabischsprachige Propaganda der Nazis das politische Klima der Nachkriegsjahre prägte. In dieser fiebrigen Atmosphäre fühlte sich kein arabischer Führer in der Lage, der Kriegstreiberei des Mufti und der Muslimbruderschaft entgegenzutreten. Die ideologische Kontinuität legt es nahe, den arabischen Krieg gegen Israel als eine Art Nachbeben des vorausgegangenen Kriegs gegen das europäische Judentum zu interpretieren. Amin al-Husseini verkörperte die Verbindung zwischen beiden Ereignissen. Sein religiös verpackter Antisemitismus, der schon 1944 Tausende von Juden das Leben gekostet hatte, richtete sich vier Jahre später gegen Israel.

Die kurzzeitige Begegnung mit der NS-Ideologie hat die arabische Welt langfristig verändert. Bis heute werden hier die antijüdischen Passagen aus den Frühschriften des Islam unablässig wiederholt, bis heute wird der Weltenlauf mit Hilfe der »Protokolle der Weisen von Zion« erklärt, bis heute betrachten führende Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde jeden Versuch, das Verhältnis zu Israel zu normalisieren, als Hochverrat. Hier ragt ein Stück der NS-Geschichte in die Gegenwart hinein.

Da ist es umso bemerkenswerter, dass dieser Aspekt der deutschen Vergangenheit in Wissenschaft und Politik wenig Aufmerksamkeit erfährt. Will (oder kann) der deutsche Wissenschaftsbetrieb nicht darauf verzichten, Israel an den Pranger zu stellen und Juden auch für den Antisemitismus in der Region verantwortlich zu machen? Geht es darum, einen Grundpfeiler des internationalen Nahost-Diskurses – die Palästinenser als Opfer, die Israelis als Täter – zu retten?

Heutzutage dominiert die Illusion, der Antisemitismus im Nahen Osten sei eine Reaktion auf Israel und könne als lokale Gewohnheit verharmlost werden. Dieser Fehlschluss hat jedoch Konsequenzen. Derzeit sind es die iranischen Machthaber, die Israel auslöschen und damit den von Hitler und dem Mufti begonnenen Krieg zu Ende bringen wollen. Wer davor Augen und Ohren verschließt und den Judenhass der Mullahs als »antizionistische Rhetorik« verharmlost, arbeitet ihnen in die Hände.