Zur aktuellen Lage in Israel/Palästina: Erklärung der Plattform
In diesem längeren Text blicken wir auf die Lage in Israel/Palästina seit dem Angriff der Hamas vor zwei Monaten. Dabei betrachten wir ausführlich auch die Auswirkungen der Geschehnisse auf die Situation in der BRD und ordnen die Ereignisse in einen breiteren Kontext ein. Wir haben diesen Text vor einiger Zeit begonnen, weswegen wir weniger Bezug auf aktuelle Geschehnisse nehmen. Zum Schluss formulieren wir unsere anarchistische Perspektive für ein Ende der Unterdrückung und Gewalt in der Region und erklären, welche praktischen Schritte wir jetzt für notwendig halten. Dass es so lange gedauert hat, bis wir nun in der Lage sind, uns auf diese Weise zu äußern, hat verschiedene Gründe: Wir hatten es fälschlicherweise bisher vermieden, als Plattform eine gemeinsame Position zu den zugrundeliegenden Vorgängen zu entwickeln. Das lag unter anderem daran, dass auch in unserer Föderation unterschiedliche Positionen und Analysen existieren. Diese zu diskutieren und daraus eine gemeinsame Erklärung zu erarbeiten, braucht aufgrund der Struktur unserer Organisation und dem Ziel, einen Konsens herzustellen, leider immer einige Zeit. In Zukunft wollen wir die Diskussion, die wir nun begonnen haben weiterführen. Wir freuen uns in diesem Sinne auch über solidarische, konstruktive Kritik und Feedback.
Am Morgen des 7. Oktober durchbrachen über eintausend bewaffnete Kämpfer, mehrheitlich der islamistischen Hamas, aber auch einiger weiterer militanter palästinensischer Organisationen, die Grenzanlagen des Gaza-Streifens und drangen in umliegende israelische Städte und Kibbuzim ein. Auch wenn im Zuge dieses Großangriffs einige Stützpunkte des israelischen Militärs getroffen wurden, galt er zweifellos und ganz bewusst in erster Linie israelischen Zivilist:innen. Über eintausend von ihnen – alte Menschen, Eltern, junge Erwachsene, Kinder – wurden durch die Hamas-Kämpfer brutal ermordet. Seit dem Ende der Shoa wurden nicht mehr so viele Jüdinnen:Juden an einem Tag getötet. Im Zuge der Massaker kam es auch zu Fällen von grausamer, sexualisierter Gewalt; ein Zeugnis deren patriarchalen Charakters. Über einhundert israelische Zivilist:innen wurden zudem in den Gaza-Streifen als Geiseln verschleppt. Auch jetzt noch feuert die Hamas fast jeden Tag wahllos Raketen auf israelisches Staatsgebiet ab. Es gibt nichts auf der Welt, was solche Gräueltaten wie am 7. Oktober rechtfertigen könnte. Das war keine Widerstandsaktion, sondern eine zutiefst menschenverachtende und antisemitische Tat. Alle Geiseln müssen sofort und unversehrt freigelassen und die Angriffe müssen eingestellt werden. Unsere Anteilnahme gilt den zivilen Opfern und den Angehörigen aller Getöteten. Unsere Solidarität gilt der israelischen Zivilbevölkerung, die erst dabei ist, den Schock und die Ohnmacht, die die Angriffe ausgelöst haben, zu verarbeiten und dabei weiterhin dem Beschuss der Hamas ausgesetzt ist.
Die Antwort des israelischen Staates ließ nicht lange auf sich warten: Eingestimmt durch eine entmenschlichende Rhetorik der israelischen Regierung, fliegt die israelische Luftwaffe bis heute jeden Tag dutzende Angriffe auf den Gaza-Streifen. Offiziell zielen sie auf Funktionär:innen und Stützpunkte der Hamas. Getötete palästinensische Zivilist:innen werden dabei jedoch bereitwillig in Kauf genommen. Was genau passiert, lässt sich durch den Nebel des Krieges kaum sicher sagen. Sicher ist jedoch, dass Israel nach jetzigem Stand bereits über 15 000 Palästinenser:innen getötet hat. Das Leid derer, die diese Hölle bisher überlebt haben, ist unendlich. Angesichts der Bodenoffensive im Gaza-Streifen, haben sich viele Menschen in den südlichen Teil des winzigen Gebiets geflüchtet. Doch auch hier sind sie vor Bombardierungen nicht sicher. Auf was genau der israelische Staat mit der Vertreibung der Bevölkerung abzielt, ob sie dauerhaft ethnisch vertrieben werden oder irgendwann wieder in ihre zu großen Teilen zerbombten Städte zurückkehren soll, ist nicht sicher zu sagen. Klar ist nur, dass der israelische Bodenangriff das Elend der Zivilbevölkerung ins Unermessliche steigert. Diese Bodenoffensive muss gestoppt werden. Auch die israelischen Bombardements müssen sofort enden. Die Taten der Hamas können die massenhafte Tötung und Vertreibung von palästinensischen Zivilist:innen nicht rechtfertigen. Unsere Anteilnahme gilt auch hier den zivilen Opfern und den Angehörigen aller Getöteten. Unsere Solidarität gilt der palästinensischen Zivilbevölkerung, die der Vertreibung und den täglichen Angriffen der israelischen Armee ohnmächtig ausgesetzt ist.
Situation in Deutschland
Die Reaktion des deutschen Staates auf das israelische Vorgehen ist derweil eindeutig: Bedingungslose Solidarität mit dem israelischen Staat. Jedes Mittel der Kriegsführung ist nun gerechtfertigt, Kritik am Vorgehen der israelischen Staatsführung fehl am Platz, erklärt die deutsche Regierung. Die Opposition von AfD, CDU und Linkspartei unterscheidet sich davon hauptsächlich in der Wortwahl, nicht im Inhalt. Um die eigene Kompliz:innenenschaft mit dem Krieg gegen Gaza moralisch zu begründen, wird die deutsche Geschichte herangezogen. Doch in Wahrheit braucht der deutsche Staat die Shoa gar nicht, um treu an der Seite des israelischen Staates zu stehen. Denn dieser ist ein enger politischer, wirtschaftlicher und militärischer Verbündeter in der Region. Der deutsche Staat macht sich zum Komplizen des Kriegs gegen Gaza.
Die außenpolitische Agenda der deutschen Regierung wird nach innen mit aller Macht abgesichert. Gesellschaftliche Zustimmung zur Linie der Herrschenden wird gezielt hergestellt, Widerspruch gewaltsam unterdrückt. Die Parteien, ihre Jugendorganisationen und die Auslandsvertretungen des israelischen Staates organisieren Kundgebungen “in Solidarität mit Israel”. Hier soll der Opfer des Hamas-Angriffs gedacht werden. Dass Menschen daran teilnehmen, die die Angriffe bewegen, teilweise weil sie selbst oder Bekannte davon betroffen sind, ist nachvollziehbar. Der Schock und die Ohnmacht, die diese Menschen erleben ist zutiefst erschütternd. Gleichzeitig werden diese Kundgebungen auch dazu genutzt, um Unterstützung für den Krieg gegen Gaza in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie werden dabei von derselben deutschen Staatsmacht hofiert, die Proteste in Solidarität mit den Palästinenser:innen anfangs komplett verboten oder mit brutaler Gewalt angegriffen hat und sie auch in den letzten Tagen noch mit Repression überzieht. Schon das Tragen der Kufiya (das sogenannte “Palästinensertuch”) wird in manchen Orten (bspw. Schulen) mittlerweile verfolgt. Wir erleben einen massiven, autoritären Angriff auf unsere erkämpften Rechte. Politiker:innen von rechts bis links nutzen die Situation, um rassistisch gegen – vor allem junge – Muslim:innen und Araber:innen zu hetzen. Antisemitismus wird als “importiertes” Problem dargestellt, das man mit Abschiebungen außer Landes schaffen kann und Deutschland, das Land der Shoa, wird endgültig von seinem eigenen Antisemitismus reingewaschen. Unter dem Vorwand einer “Wertegemeinschaft” wird von einer vermeintlich linksliberalen Regierung ein rassistisches Abschieberegime verschärft, migrantische Communities unter Generalverdacht gestellt und massive Repression gegen diese sowieso schon marginalisierten Menschen gerichtet. Die AfD und andere rechte Kräfte versuchen von ihrem eigenen Antisemitismus abzulenken, indem sie ihre Solidarität mit Israel erklären. Dies erfolgt zweifelsohne weniger aus einer tatsächlichen Besorgnis um Jüdinnen:Juden, als aus eigenen Motiven, wobei die aktuelle Lage ein willkommenerer Anlass für eine fortschreitende Autoritarisierung des deutschen Staates zu sein scheint. Trauer um die Opfer des Hamas-Angriffs ist absolut verständlich und legitim. Wir wenden uns jedoch entschieden gegen jede Unterstützung des Kriegs gegen Gaza, die hier in Deutschland auf die Straße getragen wird. Dazu gehört auch, diesen einfach zu verschweigen oder zu rechtfertigen. Wir wenden uns genauso entschieden gegen die rassistische Hetze und Repression gegen Proteste in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung. Dass diese stattfinden, ist legitim und unterstützenswert, auch wenn wir viele Inhalte und Akteur:innen kritisch bewerten.
Die reaktionäre Hetze der Herrschenden findet in der bürgerlichen Presse ihre bereitwillige Botschafterin. Sie hat sich in großen Teilen der Regierungslinie angeschlossen und legitimiert den Krieg gegen Gaza. Die Vorgeschichte der jüngsten Ereignisse wird in vielen Medien einfach ausgeblendet. Getötete palästinensische Zivilist:innen werden entweder gerechtfertigt, ignoriert oder zu tragischen Opfern erklärt. Auch die Massenmedien schaffen so Zustimmung im deutschen Hinterland für den Krieg gegen Gaza. Auch sie hetzen rassistisch gegen Proteste in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung hier in der BRD sowie ganz allgemein gegen Muslim:innen und Araber:innen. Wir stellen uns gegen die Propaganda der bürgerlichen Presse.
Im Zuge des Kriegs gegen Gaza nehmen antisemitische Attacken in der BRD rasant zu. Immer mehr Fälle werden bekannt, bei denen Jüdinnen:Juden auf der Straße beleidigt, ihre Wohnungen “markiert” und jüdische Einrichtungen angegriffen werden. Auch auf Demonstrationen für die Solidarität mit Menschen in Palästina kommt es immer wieder zu antisemitischen Vorfällen. Wir verurteilen den eskalierenden Antisemitismus klar und deutlich. Protest gegen das Vorgehen des israelischen Staates ist mehr als legitim. Wo aus einem Protest gegen Israel aber eine Agitation oder gar Angriffe gegen Jüdinnen:Juden werden, sind sie antisemitisch und müssen entschieden abgelehnt und bekämpft werden.
Eine Minderheit der deutschen Linken, vor allem autoritär-kommunistische Gruppen, nimmt einen falschen Standpunkt mit der Rechtfertigung der Angriffe auf israelische Zivilist:innen ein und bezieht sich auf ein falsches Verständnis von antikolonialem Kampf. Eine andere Minderheit rechtfertigt die israelischen Angriffe auf palästinensische Zivilist:innen vom falschen Standpunkt einer Solidarität mit dem israelischen Staat aus. Beide Positionen weisen wir als reaktionär zurück. Eine Mehrheit der Linken hierzulande ist jedoch aus dem Gefühl der eigenen Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit in tiefes Schweigen gefallen und äußert sich überhaupt nicht oder nur zur Situation in der BRD. Auch das ist falsch. Nur eine kleine Minderheit der deutschen Linken nimmt überhaupt eine internationalistische Position gegen den Islamismus und Antisemitismus der Hamas, gegen den israelischen Staat und seine Politik, für die Befreiung der Palästinenser:innen von Unterdrückung und für ein gleichberechtigtes Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen in der Region ein. Dieser Standpunkt muss verteidigt werden.
Wenn wir den Blick auf die internationale Lage werfen, sehen wir, dass die westlichen Staaten wie die BRD ihrem Verbündeten Israel den Rücken stärken und den Krieg legitimieren. Auch anderswo in Europa werden Proteste in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung unterdrückt. Gleichzeitig flammt hier ebenso der Antisemitismus auf. Auch international nehmen viele Linke aus einem falschen Standpunkt im antikolonialen Kampf und vor dem Hintergrund der Geschichte antisemitischer Tendenzen in sozialistischen Bewegungen eine unkritische oder sogar glorifizierende Haltung der Hamas gegenüber ein. Diese neuerliche Eskalation offenbart die Parallelen zwischen den europäischen Gesellschaften genauso wie wiederkehrende Probleme der weltweiten Linken.
Unsere Perspektive auf Gegenwart und Zukunft in Israel/Palästina
Ist damit nun alles gesagt? Nein, ist es nicht. Die Ereignisse, deren Zeug:innen wir seit dem 7. Oktober werden, sind nicht aus dem Nichts entstanden. Dem Krieg gegen Gaza, den wir jetzt erleben, sind viele andere Kriege zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten vorausgegangen. Eine zentrale Folge dieser Kriege ist die seit Jahrzehnten andauernde Unterdrückung der Palästinenser:innen durch den israelischen Staat. In weiten Teilen der Westbank erleben sie tägliche Schikane, Gewalt und Mord durch das israelische Militär und militante Siedler:innen. Auch in den letzten Wochen geht diese Gewalt weiter. Die sieben Tage nach dem Angriff der Hamas waren die tödlichste Woche für Palästinenser:innen in der Westbank seit dem Beginn der UN-Aufzeichnungen 2005. Dieser Zustand wird von der israelischen Militärjustiz juristisch gestützt. Militär und Justiz fungieren dabei zum Schutz der israelischen Siedlungen, die immer mehr von Palästinenser:innen bewohntes Land besetzen und sie von dort vertreiben. Die politische Unterdrückung der Palästinenser:innen geht mit enormer wirtschaftlicher Prekarität einher. Innerhalb des offiziellen israelischen Staatsgebiets werden die Palästinenser:innen ebenfalls strukturell diskriminiert – auch wenn sie die für sie schwer zu erlangende israelische Staatsbürgerschaft besitzen. Im Gaza-Streifen ist die Unterdrückung der Palästinenser:innen so massiv wie nirgendwo sonst. Israel kontrolliert die Strom- und Wasserversorgung, den Zugang von Waren und Personen sowie die See. Gleichzeitig hält auch Ägypten seinen Grenzübergang geschlossen. Die Politik der Besatzung ist auch eine patriarchale Politik, denn sie trifft besonders stark palästinensische Frauen. Sie sind immer wieder spezifischen Formen sexualisierter Gewalt durch das israelische Militär ausgesetzt. Die Unterdrückung der Palästinenser:innen ist nicht das Resultat der aktuellen extrem rechten Regierung. Der israelische Nationalismus zielt als Ideologie insgesamt auf ein solches exkludierendes Staatsprojekt ab.
Die Hamas stellt dem ihr eigenes islamistisches, antisemitisches und zutiefst patriarchales Staatsprojekt entgegen. Schon heute übt sie die Herrschaft im Gaza-Streifen aus – wobei sie allerdings stark von den Handlungen der israelischen Politik abhängig ist – und unterdrückt die Bevölkerung. Besonders dann, wenn die palästinensische Bevölkerung, wie wir in diesem Jahr gesehen haben, gegen die korrupte Herrschaft der Hamas auf die Straßen geht. Aber auch sonst, wenn sie Todesstrafen vollstreckt oder die Bewegungsfreiheit von Frauen einschränkt. Finanziert wird die Hamas unter anderem vom iranischen Regime. Mit ihr kann es keine Befreiung von der Unterdrückung durch den israelischen Staat geben, noch weniger eine tatsächlich befreite Gesellschaft in der Region. Die Hamas ist zutiefst reaktionär und verunmöglicht mit ihrer antisemitischen Propaganda und ihren gegen israelische Zivilist:innen gerichteten Angriffen eine Verständigung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Damit erschwert sie auch enorm den Aufbau einer wirklichen Befreiungsbewegung, hinter der sich viele verschiedene Menschen vereinen und gemeinsam kämpfen können.
Auch ein säkularer palästinensischer Staat kann keine soziale Befreiung bringen und würde mit hoher Wahrscheinlichkeit schlussendlich wieder einzelne Bevölkerungsgruppen privilegieren und andere ausschließen. Eine fortschrittliche Perspektive muss aber den Schutz und die Gleichberechtigung aller Menschen der Region miteinschließen. All den Staatsprojekten, ob säkular-palästinensisch, islamistisch oder israelisch, stellen wir daher unsere internationalistische anarchistische Perspektive für eine freie Zukunft der Region entgegen: Es ist offensichtlich, dass es ohne ein Ende der systematischen Unterdrückung der Palästinenser:innen keinen Frieden und keine befreite Gesellschaft in der Region geben kann. Anders als es Politik und Medien behaupten, kann der israelische Staat eben keinen dauerhaften, wirklichen Schutz von Jüdinnen:Juden vor dem weltweiten Antisemitismus garantieren. Diese Darstellung macht nicht nur jegliche Klassenunterschiede sowie Ausbeutung und Unterdrückung im bürgerlichen israelischen Staat – zum Beispiel die Beschneidung körperlicher Selbstbestimmung von FLINTA*s, Rassismus gegenüber schwarzen Jüdinnen:Juden oder Polizeigewalt – unsichtbar. Sie vergisst auch, dass das, was der israelische Staat als Sicherheit anbietet, nach innen und außen nur mit Gewalt gegen Palästinenser:innen aufrechterhalten werden kann. Diese Gewalt ist für sich genommen schrecklich genug, sie schafft aber darüber hinaus auch fruchtbaren Boden für die Radikalisierung verzweifelter und perspektivloser palästinensischer Jugendlicher. Zu verstehen wie es zu solchen schrecklichen Ereignissen kommen kann, sollte dabei nicht mit einer Schuldzuweisung verwechselt werden. Im Gegenteil: Wenn wir wollen, dass dieser Schrecken ein Ende hat, muss sich darum bemüht werden, die Situation aus der sich der islamistische Terror speist zu verstehen, und die Umstände welche solche Gräueltaten hervorbringen anzugehen. Das israelische Staatsprojekt muss einer gemeinsamen Gesellschaft weichen, in der Muslim:innen, Christ:innen, Jüdinnen:Juden und alle anderen Anders- und Nicht-Gläubigen friedlich, gleichberechtigt und frei zusammenleben können. Statt eines oder zwei Nationalstaaten ist unsere Perspektive die Kein-Staaten-Lösung. Diese Gesellschaft würde die Möglichkeit auf Rückkehr derjenigen eröffnen, deren Vorfahren aus Palästina und den angrenzenden Staaten vertrieben wurden. Es ist dabei klar, dass Israel als einzigen Staat abzuschaffen, das Problem nicht lösen und stattdessen noch mehr Blutvergießen hervorbringen würde. Wer einzig und allein die Forderung nach einem Ende Israels erhebt, ist daher entweder einem schweren Irrtum aufgesessen oder hegt antisemitische Gedanken. Stattdessen muss die Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung den Sturz der konkurrierenden imperialistischen Mächte in der Region (USA, Türkei, Saudi-Arabien, Iran, Russland) sowie den Sturz der arabischen Staaten rund herum beinhalten. Das ist die Perspektive einer freien und solidarischen Gesellschaft in der Region, für die wir kämpfen.
Um sie zu erreichen, halten wir es für wichtig, fortschrittliche Kräfte in der Region zu unterstützen, die ebenfalls eine solche Perspektive verfolgen. Dazu gehören Palästinenser:innen, die sich unabhängig von den dominierenden reaktionären Kräften Hamas und Fatah organisieren. Die sowohl klar Stellung beziehen gegen vorhandene reaktionäre Tendenzen in der palästinensischen Gesellschaft als auch gegen die Unterdrückung durch den israelischen Staat ankämpfen. Neben gewaltfreien Protestaktionen wie Streiks erachten wir dabei auch gewaltsamen und bewaffneten Widerstand als moralisch gerechtfertigt. Legitimes Ziel des Widerstands können jedoch immer nur der israelische Staat, sein Militär und seine Polizei sein und niemals israelische Zivilist:innen. Werden letztere zum Ziel, haben sie selbstverständlich das Recht, sich dagegen – auch bewaffnet – zu verteidigen. Es ist letztendlich aber klar, dass der bewaffnete Kampf der Palästinenser:innen isoliert nicht erfolgreich sein kann. Sie brauchen die Solidarität der Lohnabhängigen in den angrenzen Staaten, vor allem aber die Solidarität der israelischen Lohnabhängigen. Wir halten es für wichtig, diejenigen politischen Kräfte in Israel zu unterstützen, die dafür kämpfen, dass sich die israelischen Lohnabhängigen, von ihrem eigenen Staat lossagen, sich unabhängig organisieren und gegen ihre eigene Regierung, deren Militäreinsätze und in Solidarität mit dem Kampf der Palästinenser:innen rebellieren. Es ist wichtig, solche vereinten Kämpfe von palästinensischen und israelischen Lohnabhängigen, die sich um gemeinsame Interessen herum entwickelt haben und weiter entwickeln, im Blick zu haben und zu unterstützen, dort wo die verschiedenen Bevölkerungsgruppen zusammen leben. Soldat:innen des israelischen Militärs müssen ihre Waffen niederlegen und sich weigern, in Gaza oder sonst wo gegen Palästinenser:innen in den Krieg zu ziehen. Wir halten es für wichtig, die politischen Kräfte in Israel zu unterstützen, die bereits Solidarität mit den Kriegsdienstverweigerer:innen organisieren. Die weltweite lohnabhängige Klasse muss internationale Solidarität mit dem Kampf der fortschrittlichen Teile der israelischen und palästinensischen lohnabhängigen Klasse zeigen. Diese Solidarität kann sich dabei in Demonstrationen, politischen Streiks oder den Blockaden israelischer Waffenlieferungen niederschlagen. Der Einfluss der Hamas und anderer reaktionärer Kräfte in palästinensischen Communities im Ausland muss durch eine fortschrittliche gesellschaftliche Organisierung zurückgedrängt werden. In Zeiten wie diesen, in denen sich eine Protestbewegung in Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung die Straße nimmt, halten wir es für wichtig, dort aktiv hineinzugehen, vorhandene fortschrittliche Kräfte und Perspektiven zu unterstützen und zu stärken und reaktionäre Positionen zurückdrängen. Das sind die Mittel, die wir für richtig halten, um den Kampf zu führen.
In Deutschland könnten wir uns folgende Aktionsformen vorstellen:
- Kampf um eine internationalistische anarchistische Position in der Linken, zum Beispiel durch die Verbreitung dieser Standpunkte in Texten oder das Abhalten von Diskussionsveranstaltungen.
- Austausch mit den Menschen in unserer Nachbarschaft oder in unserem Betrieb über die Situation und Verbreitung unserer Position.
- Schutz von Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen (in Absprache mit diesen) unterstützen.
- Antirassistische Kämpfe zum Beispiel gegen die europäische Abschottungspolitik oder gegen rechte Parteien unterstützen.
- Proteste in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung unterstützen und dort (mit Bannern, Fahnen und Flyern) eine internationalistische anarchistische Position verbreiten und zur Diskussion stellen. Zusammen mit anderen internationalistischen antifaschistischen Kräften mögliche antisemitische Äußerungen und Kräfte erkennen und sich dagegenstellen.
- Proteste gegen anti-palästinensische Repression unterstützen.
- Fortschrittliche Positionen von vor Ort sowie von betroffenen Genoss:innen über alle verfügbaren Kanäle verbreiten.
- Fortschrittliche Kräfte vor Ort, die unsere Perspektive teilen, suchen, Kontakt herstellen, in den Austausch kommen und Unterstützung anbieten.
Nieder mit Unterdrückung, Gewalt und Krieg! Eine freie Zukunft für alle erkämpfen!