Offener Brief ans Kfetisch
Liebes kfetisch-Kollektiv,
wir sind aktuelle und frühere Stammgäst:innen aus unterschiedlichen Kontexten. Darunter sind viele, die im kfetisch zahlreiche Veranstaltungen zu Feminismus, Antirassismus, Antisemitismus und vielen anderen Themen durchgeführt haben.
In der letzten Woche wurde das kfetisch mit antisemitischen Parolen beschmiert. Unsere Solidarität ist Euch sicher, so wie wir solidarisch mit allen Menschen sind, die von Antisemitismus betroffen sind und die als Juden und Jüd:innen angegriffen werden.
Weil uns das kfetisch als Ort wichtig ist, schreiben wir Euch, denn Eure Erklärung entsolidarisiert sich mit denen, denen der jüngste Angriff galt.
Wir fragen uns: Wie sollen sich Menschen, die von Antisemitismus betroffen sind oder die von Islamist:innen bedroht werden, im kfetisch willkommen fühlen, wenn Ihr im Angesicht eines konkreten antisemitischen Angriffs einen Text verfasst, der vor allem Rassismus sowie die deutsche und die israelische Politik kritisiert und dann in nur zwei knappen allgemeinen Sätzen Antisemitismus verurteilt.
Wie sollen sich Menschen, deren Angehörige, Freund:innen und Genoss:innen abgeschlachtet, vergewaltigt und misshandelt oder in die Tunnel der Hamas verschleppt wurden, fühlen, wenn Euer erster Satz statt einer Verurteilung des Antisemitismus darin besteht, Eure „klare Haltung gegen die“ angeblich „systematische Ermordung (!) […] der palästinensischen Bevölkerung durch den israelischen Staat“ zu erklären. Es waren und sind Mörder der Hamas, die am 07.10.2023 und danach unterschiedslos jeden angriffen und töteten, die Sie für jüdisch hielten, die über 200 Menschen entführt haben, von denen viele noch um ihr Leben bangen und deren Angehörigen nicht wissen, ob sie lebend nach Hause kommen.
Stellt Euch einmal folgendes vor: Es gäbe einen antimuslimischen Übergriff im Kiez und in einer Stellungnahme würden als erstes die Verbrechen der Hamas aufgezählt. Das wäre klar rassistisch. Eure Stellungnahme funktioniert auf dieselbe Weise. Sie ist daher antisemitisch.
Es ist richtig die Situation in den von Israel besetzten und den umstrittenen Gebieten des Westjordanlandes zu kritisieren, die Einhaltung der Menschenrechte im Rahmen der Militäraktionen anzumahnen oder ihre Verletzung zu kritisieren. Es ist Ausdruck von Humanität, die zivilen palästinensischen Opfer zu betrauern. Auch unsere Solidarität gilt den Menschen in den palästinensischen Gebieten, die unter der Herrschaft der Hamas und den israelischen Militäroperationen leiden. Aber wer einen Völkermord herbeiphantasiert und „systematische Ermordung“ der palästinensischen Bevölkerung behauptet, geht islamistischer Propaganda auf den Leim oder lügt, um Israel zu dämonisieren. Es ist allein die Hamas, die die Ermordung der Juden und Jüd:innen zur bedingungslosen Pflicht eines:r jede:n Muslim:a erklärt.
Die Zustände in Gaza sind katastrophal und das Leiden, das der Krieg auslöst, verheerend. Unsere Solidarität gilt den Menschen, die in Gaza unter dem Krieg leiden, ihre Angehörigen verloren haben und unter menschenunwürdigen Bedingungen um ihr nacktes Leben bangen und denen fundamentale Rechte vorenthalten werden.
Neukölln ist eine Nachbarschaft, in der viele Menschen familiäre Bezüge in den Gazastreifen oder in die palästinensischen Flüchtlingslager in Jordanien und im Libanon haben. Es ist nachvollziehbar, die Demonstrationseinschränkungen zu kritisieren, rassistische Polizeiübergriffe oder Maßregelungen an Schulen, die sich an palästinensischen Symbolen oder dem Eintreten für die Rechte von Palästinenser:innen entzünden, zu thematisieren.
Protest wird dann antisemitisch, wenn nicht mehr die Politik Israels, sondern Juden und Jüd:innen, jüdische Einrichtungen und deren tatsächliche oder vermeintliche Unterstützer*innen zum Ziel werden. Wenn für Euch der antisemitische Angriff in einem Zusammenhang mit Krieg und Terror in Israel und Gaza steht, wofür vieles spricht, dann wäre eine Abgrenzung das mindeste. Sonst kontaminiert der Antisemitismus auch an sich legitime Anliegen. Es wäre eine Pflicht gegenüber all jenen, die ohne Antisemitismus für die Rechte von Palästinenser:innen eintreten.
Auch in Neukölln leben Juden und Jüd:innen. Dass viele Juden und Jüd:innen in Neukölln vermeiden, als solche erkennbar zu sein, dass Israelis kein Hebräisch sprechen, um nicht angegriffen zu werden, zu alldem kein Wort in Eurem Text.
Bitter ist Euer Schlusssatz. Ihr beendet Euren Text mit dem Satz: „Wir sind kein antideutscher Laden.“ Das war das kfetisch nie. Immer wieder ist es aber als solcher von stalinistischen Sekten und antisemitischen Kleingruppen bezeichnet worden, weil diesen der klare Konsens gegen jeden Antisemitismus nicht passte. Ein solcher Satz, nach dem Prinzip — „Verschon mein Haus, zünd’ andre an“ — ist eine Entsolidarisierung von allen, die von Antisemit:innen angegriffen werden. Denn Antisemitismus bleibt Antisemitismus, egal ob er sich gegen eine selbst- oder eine fremdzugeschriebene politische Strömung richtet, die Ihr selbst nicht teilt. Wollt Ihr beim nächsten antisemitischen Angriff erklären, dass Ihr doch keine Juden und Jüd:innen seid? Solidarisch mit den Opfern von Antisemitismus sein, hieße den Antisemitismus zurückzuweisen und nicht die vermeintlich falsche Empfangsadresse korrigieren.
In dieser Zeit Bedarf es (leider) Mut sich gegen jede Form von Antisemitismus zu positionieren. Wir wären froh, wenn wir Euch dahingehend wieder vertrauen könnten. Es wäre ein Zeichen des Mutes, wenn Ihr Euer Statement reflektieren und zurücknehmen würdet. Es wäre ein Signal, wenn Ihr es stattdessen schafft eine Erklärung zu verfassen, in der Ihr Antisemitismus ohne jede Relativierung verurteilt.
Berlin, Freitag der 03. November 2023