Leipziger Anlaufpunkte für Obdachlose – und Möglichkeiten, ihnen zu helfen
Die kalte Jahreszeit ist für Obdachlose bedrohlich. Unter anderem der Kältebus setzt sich dafür ein, sie im Winter vor der Kälte zu schützen. Auch andere Projekte machen sich für Bedürftige stark. Doch wie können Leipzigerinnen und Leipziger Wohnungslosen helfen?
Die ohnehin schwierige Lage von Obdachlosen verschärft sich im Winter bei fallenden Temperaturen noch einmal deutlich, Hilfsangebote sind überlebenswichtig. Diese werden in Leipzig gerade aufgestockt. Hinzu kommt zivilgesellschaftliches Engagement.
Zu den zentralen Anlaufstellen gehört die Bahnhofsmission Leipzig, in der sich Besucherinnen und Besucher aufwärmen können, Tee – und bei entsprechend gefülltem Depot – auch Kleidung oder Schlafsäcke erhalten. Die Bahnhofsmission ist werkstags von 9 bis 18 Uhr und sonntags von 13.30 bis 18 Uhr geöffnet. Samstags ist die Bahnhofsmission derzeit geschlossen. Die Zahl der Bedürftigen steige deutlich, betont Sozialarbeiterin Michelle von Grzymala.
Ein weiterer Ort der Hilfe ist die „Oase“, die Ökumenische Kontaktstube in der Nürnberger Straße.
Das Suchtzentrum hat seinen Tagestreff „Insel“ in der Plautstraße – hier ist werktags bis zum Nachmittag geöffnet. Von dort fährt auch der ganzjährig präsente Hilfebus los. Er ist täglich von 18 bis 23 Uhr im Stadtgebiet unterwegs, um Notversorgung zu gewährleisten und Kältetode zu verhindern. Das Team fährt Treffpunkte an, verteilt warme Getränke, Essen, Kleidung, Decken und Schlafsäcke und weist auf die Notunterkünfte der Stadt hin.
Auch der Teekeller der Diakonie bietet dienstags und donnerstags, jeweils ab 17 Uhr, eine Notversorgung mit Lebensmitteln und Kleidung an sowie warmes Essen und Lebensmittelspenden.
Unterkunft im Hostel
Zudem engagieren sich Initiativen aus der Bevölkerung für die Bedürftigsten in der Gesellschaft. Beim Projekt „Meals on Wheels“ trifft sich an jedem zweiten Sonntag eine Gruppe von Leuten, um Lebensmittel-Tüten an die Plätze zu bringen, an denen sich Obdachlose aufhalten.
Das HomePlanet Hostel in Connewitz hat während der Corona-Zeit begonnen, bis zu zehn wohnungslose Personen in Zwei-Bett-Zimmern unterzubringen und sie zu beköstigen. In diesem Jahr geht die Aktion bereits in ihre vierte Runde. Unterstützt wird das Projekt wie in den Vorjahren von Streetworkern und dem Verein TiMMi ToHelp. Um zehn Menschen vom 18. Dezember bis Anfang März einen Schlafplatz zu finanzieren, sind knapp 50.000 Euro nötig. Deshalb braucht das Projekt „Hostel for Homeless“ zur Finanzierung noch Spenden. Die sind ab sofort möglich auf der Seite www.betterplace.org.
Angebote der Stadt
- Notschlafstelle für wohnungslose Männer in der Rückmarsdorfer Straße 5-7 (Telefon 0341 123 4504, E-Mail notunterbringung@leipzig.de)
- Übernachtungshaus für wohnungslose Frauen in der Scharnhorststraße 27 (Telefon 0341 5852413, E-Mail uebernachtungshaus@aww.info)
- Notunterbringung wohnungsloser Drogenabhängiger in der Chopinstraße 13 (Telefon 0341 913560, E-Mail zfdalternative1@sanktgeorg.de)
- Notunterbringung wohnungsloser Drogenabhängiger in der Braunstraße 28 a (Telefon 0341 30879740, E-Mail zfdalternative3@sanktgeorg.de)
Im Notfall den Notruf 112 wählen
Auch im Alltag ist es möglich bis dringend nötig, obdachlosen Menschen zu helfen. Befinden diese sich in einer gesundheitlichen Notlage und sind nicht ansprechbar, sollte der Notruf 1112 gewählt werden. Die Notfallmediziner und Rettungssanitäter können am besten einschätzen, ob und welche Maßnahmen angebracht sind.
Kosten entstehen den Hilferufenden dabei nicht. Wer in einem offensichtlichen Notfall untätig bleibt, macht sich der unterlassenen Hilfeleistung strafbar. Klar ist aber auch: Lehnt ein angesprochener Obdachloser Angebote der Unterstützung ab, gilt es, dies zu akzeptieren.
Was immer hilft: Kleidung, Schlafsäcke oder Isomatten an die Orte zu bringen, wo diese Dinge an Bedürftige verteilt werden – zum Beispiel die Bahnhofsmission im Hauptbahnhof (Ostseite). Sie ist werktags von 9 bis 18 Uhr sowie sonntags von 13.30 bis 18 Uhr geöffnet. Heiligabend steht sie von 9 bis 14 Uhr offen, am zweiten Weihnachtstag von 13.30 bis 18 Uhr.
12.11.2021 Mark Daniel
Schnitten schmieren und ab aufs Rad: Das Projekt „Meals on Wheels“ versorgt Obdachlose
Das Projekt entstand im vergangenen Winter und wird seitdem konsequent durchgezogen: „Meals on Wheels“ versorgt an jedem zweiten Sonntag Obdachlose in Leipzig mit Lebensmitteln. Dabei kommt es zu eindrücklichen Begegnungen. Eine Reportage.
Jessi schmiert, Anne schnippelt, Brenne belegt, Falk tütet ein. Und aus den Boxen metert Punkrock als Soundtrack zu einem Ritual in der Plagwitzer Kneipe „Tante Rosi“, hinter dem ein Herzensanliegen steckt: Regelmäßig treffen sich hier Leipzigerinnen und Leipziger, um im Namen der Initiative „Meals on Wheels for Homeless“ Wohnungs- und Obdachlose mit Brottüten zu versorgen. An jedem zweiten Sonntagmittag schwärmt das Team auf Fahrrädern aus – und kehrt zurück mit Geschichten, mit Schicksalen und dem guten Gefühl, etwas Richtiges getan zu haben.
Es ist kurz nach 12, und auf den Kneipentischen wachsen Türme aus Schnitten in die Höhe. Insgesamt 200 Toasts sind nötig, um 50 Bedürftige mit jeweils zwei nahrhaften Sandwiches zu versorgen. „Du kannst schon mal die Tomaten schneiden, ich übernehme die Wurst“, ruft Stefan „Brenne“ Schwettmann durch den Raum.
Schmatze gibt’s immer
Jessica kümmert sich derweil um Schmatze. So nennen Mario und Nancy ihren selbst gemachten vegetarischen Aufstrich, der je nach Zutat mal tomatenrot, currygelb oder möhrenorange als erste Schicht auf den Scheiben landet. Es herrscht entspannte Betriebsamkeit, in der immer ein Kaffee oder ein Gespräch Platz haben.
„Meals on Wheels (MoW)“ wurzelt im ersten Lockdown. Um Obdachlose zu unterstützen, die durch die strengen Corona-Bestimmungen noch isolierter lebten als ohnehin, kamen in Berlin Freiwillige zusammen. Später erweiterte sich das Projekt auf andere Städte. In Leipzig wurde „Tante Rosi“ Ende 2020 zum Dreh- und Angelpunkt. „In der Zwangspause wollte ich etwas Sinnvolles tun“, sagt Wirt Mike Adomat, „Meals on Wheels war da genau das Richtige, da stehen wir alle hinter.“
Pause wird nicht gemacht
Das Team um Adomat wuchs schnell – ebenso wie der Beschluss, die Aktion über den Winter hinaus fortzuführen. „Obdachlosigkeit hat keine Saison-Pause, warum sollen wir dann eine machen?“, so Adomat. Seit bald einem Jahr also bestücken die Helferinnen und Helfer Papiertüten und radeln anschließend zu Übernachtungsstellen in der Umgebung sowie zum Hauptbahnhof.
Jessica Kücke, Stammgast in der Rosi, ist seit einem dreiviertel Jahr dabei. „Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig Aufmerksamkeit in schwierigen Lebensphasen sein kann“, sagt sie. „Ich finde das Projekt großartig und möchte gern etwas dazu beitragen.“ Landi macht an diesem Tag zum ersten Mal mit. „Ich habe über die Rosi-Facebookseite davon erfahren und war sofort begeistert.“
Der Stamm des MoW-Teams besteht aus rund 15 Leuten, hinzu kommen unregelmäßig auftauchende Helfer. Sie sind zwischen 30 und Mitte 50 und kommen aus allen denkbaren beruflichen Ecken. Elektronikingenieur, Altenpfleger, Fußbodenleger, Sozialpädagogin, Journalist, Verkäuferin, Techniker an der Oper Leipzig – eine bunte Ansammlung von Leuten, denen das Engagement für Benachteiligte wichtig ist.
Alle zwei Wochen wird per Chat organisiert, wer welche Zutaten für die Pakete heranschafft. Das lief lange komplett auf eigene Kosten, inzwischen kommt Unterstützung vom Konsum Leipzig, der Lebensmittel spendet. „Obdachlose und bedürftige Menschen haben es in Corona-Zeiten noch schwerer als ohnehin schon, deshalb möchten wir sie unterstützen“, so Konsum-Vorstand Dirk Thärichen. „Wir möchten da helfen, wo es wirklich ankommt. Daher sind wir froh, mit Meals on Wheels einen sozialen Ansprechpartner in der Region gefunden zu haben.“ Auch das Café Süß & Salzig, Moinis Pizzeria im Westwerk, Sindbad-Döner und Idrisgrill haben sich schon mit Speisen beteiligt.
Es ist 13 Uhr, in den 50 Tüten stecken Schnitten, Obst, Saftpackung, ein Riegel sowie Mund- und Nasenschutz. In mehreren Gruppen radeln die Helfer zu den Adressaten. Manche leben unter Brücken, andere in Abrisshäusern. Treffpunkte sind vor allem Parks, die Innenstadt und der Hauptbahnhof. In einer leer stehenden Fabrik im Leipziger Westen werden drei Wohnungslose beliefert, von denen einer leidenschaftlich gern liest. Deshalb packt immer mal ein MoW-Mitglied Lesestoff mit ein. „Ich freu mich über jedes Paket und über jedes Buch“, sagt Stefan, der seit acht Jahren hier lebt.
„Es ist völlig klar, dass wir mit unserer Aktion niemanden retten und von der Straße holen können“, sagt Sebastian Schuster, während er mit Michael Schoch zum nächsten Anlaufpunkt radelt, „aber darum geht es nicht. Wichtig ist die Geste, die Aufmerksamkeit, außerdem der soziale Kontakt.“ Im Pavillon im Clara-Zetkin-Park sitzt diesmal niemand, also geht’s weiter, in den Park vor dem Hauptbahnhof.
Hier sitzt der Miguel, der kein Deutsch und kaum Englisch spricht. „Ich bin vor drei Monaten wegen eines Jobangebots aus Katalonien nach Leipzig gekommen“, erzählt er, doch er bekam die Stelle nicht. „Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll“, sagt der Spanier und wischt sich Tränen aus dem Gesicht. Über die Tüte und ein paar Sätze der Verständigung freut er sich. Er legt die rechte Hand dankbar aufs Herz: „Thank you.“
Auf der anderen Seite des Rings, neben dem Haupteingang, gibt es mehrere Abnehmer. Mario beginnt sofort ein Gespräch mit Sebastian und Micha. „Toll, dass ihr wieder da seid“, ruft der daneben stehende Friedrich. Er nimmt seine Tüte entgegen und kommt ins Erzählen. Von seinem gebrochenen Knöchel und den zu hohen Arztkosten. Von der fehlenden Disziplin, mit dem Trinken aufzuhören. Von der Pflicht, sich um seine Freundin zu kümmern, die stark alkoholisiert in seiner Nähe steht. Und dann zitiert Friedrich seinen Vornamensvetter Nietzsche: „Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Das sage alles, meint er.
Vor der Bahnhofsmission ist diesmal weniger los als sonst, weil der Wind die sechs Grad an diesem Tag noch ein Stück kälter macht. Der Obdachlose Christian hat sich gerade einen Kaffee geholt und freut sich über die MoW-Ration. „Leute wie ihr tun unheimlich gut“, betont er freundlich lächelnd. „Ihr durchbrecht das Verhaltensmuster der Mehrheit, die uns abschätzig anschaut oder gar nicht.“
Der junge, redegewandte Mann hat als Schauspieler an mehreren Bühnen gearbeitet, unter anderem in der Titelrolle des „Faust“. Nach Leipzig kam der Heroinsüchtige vor ein paar Monaten, um an einem Methadon-Programm teilnehmen und neu beginnen zu können. Alle Bemühungen um eine Wohnung liefen ins Leere. „Irgendwann hab‘ ich resigniert, jetzt schlafe ich in einem Abrisshaus.“ Erst im Oktober waren er und seine Lebenssituation Thema in der gefeierten Inszenierung „La Bohème“ am Schauspiel Leipzig.
Christian hofft, bald in ein besseres Leben zurückkehren zu können. „Bis demnächst“, ruft er zum Abschied, „und vielen Dank noch mal!“ Micha und Sebastian steigen auf die Räder, es geht zurück zu Tante Rosi. In der Gewissheit, dass es wieder einmal ein guter Sonntag gewesen ist.