„Querdenken“-Großdemo in Leipzig: Kaum strafrechtliche Konsequenzen nach Eskalation
Vor drei Jahren kamen mehr als 40.000 Anhänger der „Querdenken“-Bewegung nach Leipzig – die erste Großdemonstration eskalierte. Jetzt steht fest: Die Ausschreitungen hatten kaum strafrechtliche Konsequenzen. An diesem Sonnabend soll ein Protestmarsch zum Jahrestag stattfinden.
Leipzig. Diese Szenen haben sich eingebrannt: Auf dem Leipziger Innenstadtring brechen „Querdenken“-Demonstranten mit Hilfe von gewaltbereiten Hooligans und Rechtsextremen durch eine Polizeiabsperrung. Es ist der 7. November 2020 – und die erste Großdemonstration gegen die Corona-Maßnahmen. Mehr als 40.000 Menschen sind laut der Initiative „Durchgezählt“ zum Protest gekommen, stehen dicht gedrängt und ohne Schutz auf dem Augustusplatz. Danach eskaliert der Aufmarsch.
Kaum strafrechtliche Konsequenzen
Drei Jahre später steht fest: Die Ausschreitungen sind weitgehend ohne strafrechtliche Konsequenzen geblieben. Das geht aus der Antwort des sächsischen Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Leipziger Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Linke) hervor. Demnach sind insgesamt 51 Ermittlungsverfahren gegen genau so viele Tatverdächtige geführt worden. Davon sind 26 Fälle – etwa wegen Angriffen auf Polizeibeamte oder Beschädigungen von Autos – inzwischen eingestellt worden.
Linke-Politikerin Nagel: Ergebnisse der Ermittlungen ernüchternd
„Die Ergebnisse der Ermittlungen und vor allem die politischen Zuordnungen sind ernüchternd“, sagt Nagel, die auch Stadträtin in Leipzig ist, der LVZ. Und weiter: „Dass nur fünf der an diesem Tag erfassten Straftaten als politisch rechts motiviert eingeordnet werden, entspricht der Strategie der Entpolitisierung und Verharmlosung der Gewalt und der Corona-Leugner-Bewegung.“ So hätten die damals Verantwortlichen – Innenminister Roland Wöller (CDU) und Polizeipräsident Torsten Schultze – stets das „zurückhaltende polizeiliche Handeln verteidigt“, kritisiert Nagel.
Die Analyse des Innenministeriums für die Großdemonstration listet die Fälle jetzt akribisch auf. Die meisten Verfahren wurden eingestellt, weil Tatverdächtige nicht eindeutig überführt werden konnten. Aber auch wegen Geringfügigkeit, beispielsweise wurde das Entreißen einer Fahne nicht geahndet. Bei 27 Ermittlungen – also rund der Hälfte der Verfahren – standen „Querdenken“-Demonstrierende im Fokus, die damals von der Polizei weder dem rechten noch dem linken politischen Spektrum zugerechnet wurden.
Geldstrafen wegen Beleidigungen und Angriffen auf Polizisten
Zehn Mal wurden von Gerichten jeweils Geldstrafen verhängt, etwa wegen eines gefälschten Attests (700 Euro), Beamtenbeleidigung (800 bis 1500 Euro) oder Angriffen auf Polizisten (2400 bis 4050 Euro). Daneben ist auch eine Freiheitsstrafe von acht Monaten ausgesprochen worden, die zur Bewährung ausgesetzt ist: Der betreffende Mann hatte Feuerwerkskörper auf Polizeibeamte geworfen.
Der Aufmarsch – und insbessondere die Frage, wie es zu der Eskalation kommen konnte – hatte längere Zeit die Landespolitik beschäftigt. Innenminister Wöller war zum Rücktritt aufgefordert worden. Der heutige Innenminister Armin Schuster (CDU) erklärt nun: „Die Einsatzlage des 7.November 2020 wurde intensiv aufgearbeitet und nachbereitet.“ Im Ergebnis sei „insbesondere eine Kräfte-Mittel-Anpassung“ für künftige Demonstrationen aufgrund zu erwartender Teilnehmendenzahlen erfolgt, so Schuster. Ein Vorwurf lautete vor drei Jahren auch: Die Polizei sei unzureichend vorbereitet gewesen. Danach sprachen die Behörden von rund 20.000 Demonstrierenden, die Veranstalter von gut 60.000.
Innenminister Schuster: Polizei hat Konsequenzen gezogen
Die juristische Aufarbeitung ist laut Innenministerium nahezu abgeschlossen. Von den 5 der 51 Verfahren, die gegen Rechtsextreme geführt wurden, ermittelt die Staatsanwaltschaft noch in einem Fall. Ein weiteres Verfahren läuft vor Gericht, erklärt das Schuster-Ressort auf Anfrage, während drei Ermittlungen bereits eingestellt wurden. Dagegen sind sieben Fälle, bei denen mutmaßliche Linksextreme im Visier standen, allesamt eingestellt worden oder endeten vor Gericht mit einem Freispruch (Widerstand gegen eine polizeiliche Maßnahme).
„Ich stelle infrage, dass aus dieser eskalierten Versammlungslage Schlüsse für die Zukunft gezogen wurden“, sagt die Linke-Landtagsabgeordnete Nagel. Nach ihrer Ansicht hätten die vergangenen beiden Jahre vielerorts in Sachsen gezeigt: „Ein Gros der als Spaziergänge gelabelten Aufmärsche wurden von extremen Rechten angeführt und durch extrem rechte Inhalte getragen. Sie widersetzten sich Prämissen des Gesundheitsschutzes, ohne dass Versammlungsbehörden und Polizei eingriffen.“
„Querdenken“ ruft für diesen Sonnabend zu Demonstration auf
Für diesen Sonnabend wird nun abermals zu einer Demonstration in Leipzig aufgerufen – unter anderem mit Verweisen auf den 7. November 2020. Unter dem Titel „Aufbruch 2023“ soll ab 14 Uhr auf dem Augustusplatz eine „Mitmach-Demo“ stattfinden, zu der die als rechtsextremistisch eingestufte Bürgerbewegung Leipzig mobilisiert. Die Veranstalter von „Querdenken“ prognostizieren laut Versammlungsbehörde etwa 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Im Anschluss an eine Auftaktkundgebung soll es gemeinsam um den Leipziger Innenstadtring gehen.
Parallel zur „Querdenken“-Demonstration ruft für Sonnabend ein linkes Bündnis zu Gegenprotesten auf. Die Initiative „Leipzig nimmt Platz“ will ab 14 Uhr auf dem Augustusplatz sowie ab 16 Uhr am Wilhelm-Leuschner-Platz präsent sein. Die Polizei Leipzig schätzt die mögliche Gemengelage vorab als insgesamt konfliktreich ein.