Rechtsextreme Demos und ihre Folgen: „Jetzt zittern sie vor der sächsischen Wut“

Rechtsextreme feiern sich dafür, in Sachsen Unterkünfte für Asylbewerber zu verhindern. Damit machen sie sich größer als sie sind – aber ihr Einfluss wächst.

Hinter Hermsdorf im Erzgebirge ist Sachsen zu Ende. Am Rande des Dorfwaldes fließt noch der Hirschbach, dann kommt Tschechien. Nach Hermsdorf, „ins letzte Dorf an der Grenze“, sollen am Dienstag, zum Tag der Deutschen Einheit, „Tausende“ kommen. So wünscht es sich, gute 48 Stunden zuvor, der Rechtsextremist Max Schreiber. Man müsse zeigen, sagt er in einem Video-Aufruf, dass „wir dazu in der Lage sind“.

Dienstagabend, 18 Uhr, stehen dann rund 250 Menschen auf dem Hermsdorfer Kirchplatz, „ganz paar Leute“, wie Schreiber sagt, defensiv auf einmal. Für ein Dorf von 776 Einwohnerinnen und Einwohnern ist es trotzdem ein ordentlicher Auflauf. Die Menschen sind gekommen, weil in elf Hermsdorfer Wohnungen Asylbewerber einziehen sollen. „Abschieben, abschieben, abschieben“, rufen sie und ziehen zu Trommelschlägen die osterzgebirgischen Hänge hoch, als über denen gerade ein Gewitterregen den Oktober-Sommer beendet. „Sollten die hier einziehen“, ruft Schreiber in sein Mikrofon, „dann müssen wir denen das so unbequem wie möglich machen. Die dürfen sich hier nicht wohlfühlen.“

Sollten Flüchtlinge im Schloss wohnen?

Max Schreiber ist Gerüstbau-Unternehmer aus Heidenau und aktiv bei den „Freien Sachsen“. Die Partei, vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft, organisiert gerade an vielen Orten Proteste gegen die Unterbringung von Asylbewerbern – zuletzt in Dresden, in Ebersbach-Neugersdorf und in Hermsdorf. Vor zwei Wochen folgten ihnen rund 3000 Menschen nach Berggießhübel. Am Tag danach verkündete der zuständige Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge: Das Schloss im Ort stehe nun nicht mehr als mögliche Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung. Das „Wunder von Berggießhübel“ nennen die „Freien Sachsen“ das und rühmen sich, das „Asylschloss“ verhindert zu haben. Wie groß ist ihr Einfluss auf die Asylpolitik des Landes?

Hört man zu, was Waed Arabi sagt, dann klingt es zunächst so, als machten die „Freien Sachsen“ sich wieder einmal größer, als sie sind. Das Schloss Friedrichsthal in Berggießhübel gehört einer GmbH, deren Geschäftsführer und Teilhaber Arabi ist. „In dem Schloss können schon theoretisch keine Flüchtlinge wohnen“, sagt er. Deswegen stimme es auch gar nicht, dass er sein Schloss dem Landkreis zu diesem Zwecke angeboten habe. Es habe Gespräche gegeben, aber nur über eine Art Wohnheim, auch für deutsche Jugendliche. Wie daraus die Nachricht werden konnte, in Berggießhübel entstehe eine Flüchtlingsunterkunft, kann er sich nicht erklären.

Das zuständige Landratsamt widerspricht dem auf Nachfrage: Arabi habe das Schloss dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge angeboten. Wie genau dieses Angebot ausgesehen hat, verrät das Landratsamt nicht. Aber Arabi habe gewusst, dass der Landkreis das Schloss zur Flüchtlingsunterbringung anmieten wollte – Mitte September habe es dort deshalb einen Besichtigungstermin gegeben. Fragen danach, mit welcher Begründung Arabi sein Angebot an den Landkreis zurückgezogen habe, beantwortet das Landratsamt ebenfalls nicht. Ganz viel Platz also für die Version der Geschichte, die die „Freien Sachsen“ verbreiten – für die Erzählung, dass ihr Straßenprotest etwas bewirke.

Laußig: Erst lauter Protest, dann geräuschlose Unterbringung

Es ist keine neue Erzählung, Ende Februar gab es sie schon einmal. Schauplatz damals: der Landkreis Nordsachsen. Knapp 300 Menschen hatten sich an einem Winterabend in der Gemeinde Laußig hinter einem „Freie Sachsen“-Banner versammelt, um gegen eine Notunterkunft zu protestieren. Ihr hasserfüllter Wortwechsel („Komm runter, du Sau!“) mit dem Laußiger Bürgermeister am Rathaus-Fenster war deutschlandweit Thema. Nach dem Protest entschied Laußig sich gegen die Unterkunft. Man wolle, hieß es, weiter darauf setzen, Asylbewerber in kommunalen Wohnungen unterzubringen. Das ist seither auch geschehen: Lebten dem Landratsamt Nordsachsen zufolge im Februar 28 Asylbewerber in Laußig, sind es jetzt 45. Proteste dagegen gab es keine.

Im Winter war es auch, als der Landkreis Nordsachsen Privateigentümer aufrief, ihm Immobilien zur Flüchtlingsunterbringung anzubieten. Dafür wurde eigens eine E-Mail-Adresse eingerichtet. Die Angebote, die seither eingingen, so das Landratsamt auf Nachfrage, würden statistisch nicht erfasst, seien „aber sehr überschaubar“. Generell könnten sich alle, die Angebote machen, auf eine „hohe Vertraulichkeit“ verlassen, Proteste gegen dezentrale Unterbringung gebe es aber ohnehin kaum. Anders sei das bei Notunterkünften, die ebenfalls benötigt würden – und deren Standorte, etwa in Eilenburg, öffentlich kommuniziert würden. „Es ist verständlich, dass neue Einrichtungen Unsicherheiten und damit Fragen vor Ort erzeugen“, sagt ein Sprecher des Landratsamtes. Ziel sei es, „diese Fragen zu beantworten, damit die Unsicherheit der Menschen zu verringern und die Akzeptanz für die Einrichtung zu erhöhen“.

Nicht nur im Landkreis Nordsachsen ist es schwer, Wohnungen zu finden, in die Asylbewerber einziehen können. Waed Arabi zum Beispiel, der Schlossbesitzer aus Berggießhübel, betreibt unter anderem ein Hotel in Heidenau und sagt, dass er durchaus Objekte besitze, die sich für die Unterbringung von Asylbewerbern eignen würden. „Aber auch, wenn wir helfen könnten, würden wir das nicht tun“, sagt er. „Wir hätten Angst um das Objekt.“ Erst Ende September gab es auf eine geplante Unterkunft in Dresden einen Brandanschlag.

Zurück nach Hermsdorf, in das Dorf direkt an der tschechischen Grenze. Die unter vielen Fahnen der „Freien Sachsen“ versammelten Demonstrantinnen und Demonstranten stehen am Fuße der Straße, in der die Asylbewerber einziehen sollen. Nicht in eine Sammelunterkunft, sondern in einzelne Wohnungen, die der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge von einem Privatunternehmen angemietet hat, in schon länger nicht mehr sanierten Wohnblöcken. Die vom Kreis angemieteten Wohnungen seien inzwischen aber renoviert und bezugsfertig, so das Landratsamt. Man müsse nun, sagt Demo-Organisator Max Schreiber in Hermsdorf, den Landrat unter Druck setzen. „Ihr könnt froh sein, dass ihr einen Bürgermeister habt, der sich hinter die Leute stellt“, ruft er den Leuten zu.

Bürgermeister: „Belastend, wenn 300 Mann durch den Ort ziehen“

Der Bürgermeister von Hermsdorf heißt Andreas Liebscher, arbeitet im Ehrenamt und will am liebsten gar nicht reden, denn alles, was er sage, werde am Ende doch gegen ihn verwendet. Er ist nicht darüber informiert worden, dass der Landkreis die Wohnungen für Asylbewerber in seinem Ort angemietet hat und verstimmt darüber. „Die Leute müssen ja irgendwo hin“, sagt er. „Aber sie müssen auch die Möglichkeit haben, sich zu integrieren.“ In seinem Ort, ohne Supermarkt, ohne Arzt und mit einer löchrigen Busverbindung, könne er sich das nicht vorstellen. Die Frage, ob es stimme, dass er deswegen an der Seite der Menschen stehe, die die „Freien Sachsen“ zu Demonstrationen mobilisiere, will er nicht beantworten – das könne ihm nur falsch ausgelegt werden. Ob ihn die Proteste einschüchterten? „Es ist schon belastend, wenn 300 Mann durch den Ort ziehen“, sagt Liebscher. Dann frage er sich schon, was er falsch gemacht habe oder was er anders machen solle.

Welchen Einfluss die „Freien Sachsen“ auf die Asylpolitik von Sachsen und womöglich auch darüber hinaus haben, zeigt eine Rede, die Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) vor anderthalb Wochen im Bundestag gehalten hat. Darin erzählt er von Berggießhübel – davon also, dass 3000 Menschen in einen Ort mit 5500 Einwohnerinnen und Einwohnern gekommen sind. „So sieht es bei der Stimmungslage der Bevölkerung in der Grenzregion aus“, sagt Schuster. Was er nicht dazu sagt: dass Rechtsextreme diesen Protest orchestrieren. Die „Freien Sachsen“ teilen den Ausschnitt von Schusters Rede stolz in ihren Netzwerken. Berggießhübel, schreiben sie dazu, habe es in den Bundestag geschafft. Und: „Jetzt zittern sie vor der sächsischen Wut!“