Überfluteter Netto und Wohnheim in Leipzig-Connewitz: Täter drangen in Waschraum ein
Unbekannte Täter verursachten in einem Neubau auf der Bornaischen Straße einen Millionenschaden. Die LVZ konnte am Mittwoch das betroffene Gebäude besichtigen – und erfuhr Details zum Tathergang.
Leipzig. Die Wasserhähne sind immer noch frei. Die Schläuche der Waschmaschinen sind abmontiert. Und liegt da am Boden nicht noch das Tuch, mit dem die Täter offenbar den Abfluss verstopften?
Ermittler, Vermieter und der Lebensmitteldiscounter Netto halten sich über die Ausmaße des Schadens bedeckt. Währenddessen hat sich die LVZ am Mittwochnachmittag von einigen Handwerkern und Bewohnern durch den Neubau in der Bornaischen Straße in Connewitz führen lassen – jenen Bau, in dem Unbekannte in der Nacht zum Sonntag mutwillig einen Wasserschaden herbeiführten.
Tat in Connewitz politisch motiviert?
Von einem „Millionenschaden durch aufgedrehte Wasserhähne“ sprach die Leipziger Polizei. Am Sonntagvormittag war sie ab 10.30 Uhr am Tatort, um Spuren zu sichern. Sie rekonstruierte den Vorfall so: Die Täter hätten „mehrere Wasserhähne geöffnet“ und „Abflüsse verstopft“, wodurch „eine erhebliche Wassermenge in mehrere Teile des gerade fertiggestellten Gebäudes“ geflossen sei.
Der entstandene Schaden bewege sich wohl im Millionenbereich. Netto möchte die Summe auf Anfrage nicht kommentieren – die Polizei schätzte sie. Die Tat wird als politisch motiviert interpretiert. Der Staatsschutz soll ermitteln. Ein Bekennerschreiben gibt es allerdings nicht.
Am Mittwochnachmittag ist der Netto noch nicht ganz fertig eingerichtet. Dabei soll schon in knapp einer Woche, am 10. Oktober, große Eröffnung gefeiert werden – mit zehn Prozent Rabatt auf alle Artikel. So verspricht es ein großes Banner am künftigen Eingang.
Heute widmen sich einige Handwerker per Klappleiter dem Schließsystem des Discounters. Auf sie kommt nun noch einmal mehr Arbeit zu: Viele Tausend Liter Wasser flossen aus dem ersten Stock ins Erdgeschoss und den Keller des Neubaus. Aus der Decke haben sie bereits einige durchnässte Elemente gelöst. Auf dem gefliesten Discounter-Fußboden bilden sich noch Pfützen.
Wie kamen die Täter in den Neubau? Darüber mutmaßen die Handwerker. „Vielleicht sind sie durch die Tiefgarage marschiert“, sagt einer. Möglich wäre es auch, einfach mit einem der Mieter durch die Haustür zu gehen. Einer von ihnen kommt nun gerade herein: Hans Aschentrupp, 25 Jahre, ist im Oktober aus Guerrero an der mexikanischen Pazifikküste nach Leipzig gezogen. An der HTWK ist er im Master Architektur eingeschrieben. Er wohne im vierten Stock, sagt er. „Ich glaube, jetzt ist alles wieder repariert.“
Das Wohnheim – ein Studentenwohnheim ist es genau genommen nicht, da man im Gegensatz zu diesen hier keine Immatrikulationsbescheinigung vorlegen muss – ist schon teilweise bewohnt. 178 fertig möblierte Wohnungen sind bezugsfertig. Eine der kleineren mit 21,89 Quadratmeter kostet 513 Euro warm.
Wohnung vom Leipziger Studentenwerk kostet 278 Euro
Auch wegen solcher Preise gab es an dem Neubau viel Kritik. Vor allem aus Leipzigs linker Szene. Die „Vernetzung Süd“ demonstrierte mit einem großen Banner „Keine Scheiße bauen“ gegen die „Luxus-Studi-Apartments“. Diese würden „Studierende ohne viel Kohle“ unter Druck setzen, während bei Wohnheimen des öffentlich finanzierten Studentenwerks Sanierungsstau herrsche.
Ist das so? Michael Mohr vom Studentenwerk Leipzig erklärt: „Wir sind wirklich dicht.“ Von 5200 Plätzen seien geschätzt 98 Prozent belegt. Rund 250 befänden sich in Sanierung. Einer der Gründe: „Die Studierenden bleiben heute länger als früher“, so Mohr. Vermutlich, weil es immer weniger bezahlbaren Wohnraum in Leipzig gibt. Eine geförderte Wohnung vom Studentenwerk kostet durchschnittlich 278 Euro. Wohnen kann man dort, solange man studiert.
Die möblierten Apartments in der Bornaischen Straße sind dagegen keine Konkurrenz. Wer hier wohnt, muss nicht allzu sehr aufs Geld gucken. Zwei weitere Bewohner kommen den noch recht kahlen Flur entlang. Wissen sie, wie sich die Überflutung abgespielt hat? Sie weisen den Weg in den ersten Stock des Wohnheims. Am Ende eines langen Gangs befindet sich, für alle Mieter zugänglich, der Waschraum. Unter fünf Wasserhähnen stehen fünf Miele-Waschmaschinen.
Wer hier steht, kann sich gut vorstellen, wie die Täter vorgingen. Die Schläuche der Maschinen sind schnell abmontiert. In der Mitte des Raumes befindet sich ein kleiner, viereckiger Abfluss. Daneben liegt ein dicker Lappen – mit einem solchen ließe sich der Abfluss verstopfen.
„Da ist sehr, sehr viel Wasser geflossen“
Aus einem Hahn fließen üblicherweise zehn Liter Wasser pro Minute. In einer Stunde kämen bei sechs Hähnen rund zehn Badewannen zusammen. Das Wasser muss sich in der Nacht zum Sonntag knöcheltief gestaut haben. Die Spuren sind noch sichtbar: Die Wände sind rund 30 Zentimeter hoch durchnässt.
„Machen wir uns nichts vor, da ist sehr, sehr viel Wasser geflossen“, sagt Dennis Krull, Geschäftsführer der Devello Projektmanagement GmbH aus Hamburg, die den Komplex in der Bornaischen Straße gebaut hat. Am Samstag habe man die ersten Wohnungsschlüssel ausgehändigt. Nur Stunden danach begann die große Überflutung. Das Ausmaß des Schadens in Keller, Erdgeschoss und erster Etage könne man erst in einigen Wochen benennen.
Netto in Connewitz will wie geplant am Dienstag eröffnen
Insbesondere die Trockenbauwände der Appartements im ersten Obergeschoss seien betroffen. Die frisch eingezogenen Bewohner wechselten in baugleiche Apartments auf anderen Etagen. Mehrere Firmen wurden engagiert, um die Feuchtigkeit in ihren Wohnungen zu bekämpfen. „Es wird abgepumpt, getrocknet und gelüftet“, sagt Krull.
Im Erdgeschoss, wo am Dienstag der Netto eröffnen soll, sind widerstandsfähige Betonwände verbaut. Der Discounter hält trotz Wasserschaden an seiner Eröffnung fest. Das freut auch Krull. „Das ist uns auch wichtig, weil wir ein Zeichen setzen wollen“, sagt er. Die Baustelle in der Bornaischen Straße wurde schon vorher zum Ziel von Vandalismus: Während der Abrissarbeiten des alten Netto-Gebäudes wurde nachts ein Bagger in Brand gesetzt.
Linken-Abgeordnete Juliane Nagel nennt Neubau „Trutzburg“
Mit der Connewitzer Linken Juliane Nagel positionierte sich eine Landtagsabgeordnete als Gegnerin von möblierten Apartments. Die „Trutzburg“ sei ein „Geschäftsmodell für Investoren“, „städtebaulich und sozial dagegen fragwürdig“ schrieb sie auf X (vormals Twitter) und ihrem Blog.
Nun sehen manche einen Zusammenhang zwischen Kritik und Sabotage. Der Account „Offene Anarchistische Vernetzung Leipzig“ schreibt auf X: „Der in Connewitz verhasste Neubau mit Mikroapartments überm Netto hat einen Millionenschaden erlitten. Wenn das mal nicht eine wirksame direkte Aktion ohne viel Organizing-Aufwand war.“
Tage vorher brannten auf der Eisenbahnstraße Barrikaden
Hat sich Connewitz gegen den Neubau verschworen? Muss gar mit weiteren Angriffen gerechnet werden? Der Hamburger Entwickler Dennis Krull glaubt das nicht. „Warum das gemacht wurde, wissen wir nicht“, sagt er über den Wasserangriff.
Bereits 2020 wurde etwas weiter oberhalb der Bornaischen Straße ein ganz ähnlicher Neubau fertig – mit 136 möblierten Wohnungen. In den verglasten Erdgeschossen befinden sich neben einer Pizza-Kette einige nur selten genutzte Büro- und Konferenzräume. Im Hinterhof liegt ein asphaltierter Grillplatz mit Videoüberwachung. Auch dort wurden schon Scheiben eingeschmissen und mit Farbe attackiert. Am Mittwochnachmittag kleben einige Aufkleber darauf: „Enteignen!“
Der Wasserschaden in der Bornaischen Straße fiel in das Ende einer Woche, in der Leipzig viel über Gentrifizierung und Wohnraum diskutierte – und zum Teil auch unfriedlich dagegen protestierte. Eine Hausbesetzung im Leipziger Osten mündete am Dienstagabend in brennenden Barrikaden auf der Eisenbahnstraße.